Re: Asyl
von Darken » Fr 11. Nov 2022, 20:23
Die Hoffnung, dass die Kiste und damit auch seine Splitter auf Nimmerwiedersehen verschwanden, erfüllte sich nicht, denn Minan mußte mit ansehen wie Eoshan es sofort mit der Kunst wieder aus dem Wasser zog und das große Kästchen zu ihr schwebte. Am liebsten wäre er weggerannt, er wollte den Inhalt der Kiste nicht sehen, es waren nur schmerzvolle Erinnerungen und was sollte er schon damit? So wie der Andere es gesagt hatte: Splitter und Scherben, das ist alles! Es ist nicht kostbar, es ist nur noch toter Kristall. Wie ein abgestorbener Baum in dem nichts mehr lebt und wächst!
Er zitterte. Beim letzten Mal wo Minan diese Auseinandersetzung mit Caelvar über die Juwelensplitter gehabt hatte, hatte Hexe wieder angefangen zu schreien und Darken hatte sie nur mühsam beruhigen können. So fürchtete Minan, dass jetzt ähnliches passieren könnte. Seine einzige Hoffnung war, dass Hexe verdeckt blieb, da es bei Darken auf der Flucht aus Hayll raus anders gewesen war. Er wußte viel mehr über die anderen Splitter und spürte ihre Existenz stärker und präsenter als Minan selbst. Schwer atmend sah er zu wie der Deckel der Kiste aufsprang, als es bei Eoshan war.
Da er schon wußte und spürte was in der Kiste war, hielt er seinen Blick auf die Dea al mon gerichtet, studierte die Regungen ihres Gesichtes. Zunächst spiegelte sich Verwirrung wieder und dann, als sie begann zu begreifen, auf was sie da schaute, Entsetzen. Abrupt blickte die Königin ihn an und Minan konnte den Blick nur stumm und traurig erwidern. Es tat ihm leid, dass sie das jetzt sah, so leid wie es ihm getan hatte, dass Timaris sehen mußte was er durchgemacht hatte.
Auf ihre stumme Frage sagte er nichts, blieb nur mehr oder minder ruhig stehen und sah Eoshan dann regelrecht den Punkt an, wo sie vollends begriff was sie da in den Händen hielt. Allerdings überraschte ihn doch ihre heftige Reaktion wie sie plötzlich wieder die Kiste zuschlug und dann ins nächste Gebüsch rannte, wo man würgende Geräusche gehörte.
In seinem Inneren hörte er das schwache Echo von Hexe und in seinem ganzen Körper kribbelte es als er sich langsam der Kiste näherte, die nun achtlos auf der Seite lag. Vorsichtig schaute er zu den anderen Dea al Mon. Würden sie ihm die Schuld geben? Und er schämte sich, dass ein Teil von ihm sogar erleichtert war, dass Eoshan so heftig reagiert hatte. Vielleicht verurteilte sie also wirklich die Sklaverei und was ihm angetan worden war.
Er starrte auf die Kiste. Splitter und Scherben, das ist es nur noch... warum hatte er dann so eine Angst davor? Weil er mit seinen eigenen Splittern auch gefoltert worden war... aber nie hatte er sie selbst berühren dürfen. Sie waren tabu gewesen und Talians liebste Spielzeuge.
Minan sank in die Hocke und hob den Deckel leicht an, spähte in das Dunkel der Truhe und zog dann den Dolch heraus, der in seinem Griff einen seiner schwarzen Splitter eingearbeitet hatte. Seine Finger schlossen sich bedachtsam um den kühlen Griff, strichen über den Splitter.
Tot... leblos und leer. Er fühlte nur Verlust.
In seinem Inneren weinte Hexe. Minans Augen flackerten leicht, ihre Tränen rannen stumm und leise über seine Wangen.
"Na, wie gefällt dir das, mein Vögelchen?", gurrte Talian und strich mit der Spitze des Dolches ganz sacht über seine Wange. Dann drehte sie den Dolch leicht, so dass Minan zu seinem eigenen Entsetzen ein schwarzer Splitter wie ein lidloses dunkles Auge entgegen prangte. Sein Splitter... sie hatte tatsächlich ihre Drohung wahrgemacht und sie als "Verzierung" für ihr blödes Spielzeug genommen. Seine Wangen wurden blass vor Zorn, aber er sagte nichts.
Talian kicherte amüsiert. "Ich wußte, dass du begeistert sein würdest. Und jetzt hör auf zu trauern. Du hattest nur schwarz, das ist ein schwaches Juwel. Es taugt viel besser als Dekoration. Du hast doch gesehen wie schnell ich dich zerbrochen hatte. Wie Kristallglas so leicht...", säuselte sie und leckte über seinen Hals, während auf der anderen Seite die Klinge des Dolches bedrohlich nah an seiner Kehle lag.
Minans Finger schlossen sich fester um den Griff. Noch lange Zeit später hatte er Albträume von dem lidlosen schwarzen Auge gehabt, das ihn überall hin verfolgt und gepeinigt hatte und in Wirklichkeit doch nur ein Splitter seiner Juwelen gewesen war.
Und er hatte lange gekämpft. Sie konnte ihm nicht vorwerfen, er wäre schnell zerbrochen. Es hatte viel gebraucht, sehr viel... und er hatte verbittert um das einzige gerungen was noch sein eigen gewesen war. Nein, sie alle hatten gekämpft. Jeder Splitter auf seine eigene Weise mit seinen gegebenen Fähigkeiten. Aber bei den Wölfen hatten sie alle versagt... und dieses Versagen lag seitdem bitter auf seiner Zunge. Ein Geschmack, der sich nicht mehr vertreiben ließ.
Er hob den Kopf langsam wieder und blickte in die Runde, vor allem wollte er sehen wie es Eoshan ging. In sich fühlte er sogar Mut genug zu ihr hinzugehen und sie zu fragen wie es ihr ging und ob sie viel gesehen hätte, aber dann traute er sich beim Anblick der anderen Dea al Mon doch nicht.
Als er realisierte, dass er den Dolch immer noch krampfhaft festhielt, ließ er ihn rasch aus seiner Hand gleiten und er landete vor der Kiste auf den Boden.