Re: Auf der Suche nach Lia
von Eoshan » So 12. Feb 2023, 17:53
Eoshan nickte verstehend, als er meinte, das sei sehr verlockend und gleichzeitig gefährlich. Alles schreckliche in seinem Leben vergessen zu können. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass er immer noch nicht so recht verstand, was sie mit ihm machen wollte. Das bestätigte sich gleich darauf, als er sie vorwurfsvoll fragte, wie sie das nur hätte tun können. Lia hätte Gefühle für ihn. Das war neu für sie und sie blickte ihren Bruder überrascht an. Schliesslich hatte sie die Gedanken der Heilerin ja nicht gelesen.
Schwach sank er am Geländer nieder und sass auf dem Boden des Balkons, lächelte nur noch schwach. Matt meinte er, dass das nicht gut sei, dass sie dies nicht hätte tun drüfen. Ausserdem würde er vielleicht nie mehr Minan Darken sein wollen. Er wisse noch nicht einmal, ob das ginge, dass sie alle Splitter vergessen lassen könnte. Schliesslich sah er sie aus glänzenden, unergründlichen Augen hoch zu ihr und fragte nach einer Weile leise, ob dies bedeutete, dass noch mehr Netze in seinen Geist kämen.
"Ja, Minan, noch mehr Netze", erwiderte sie unerbittlich und hielt seinem Blick mit ihren silbernen, wissenden Augen stand. Sie wusste, dass er sehr unter den Netzen von Talian litt und lieber weniger als mehr in seinem Geist hätte.
"Und, Minan, gerade für dich wird es noch viel schwerer, als du dir das jetzt vielleicht vorstellen magst. Noch schwerer, als für die anderen Splitter", fuhr sie mitfühlend fort, während sie nah bei ihm stand und auf ihn herunter blickte. "Denn du wirst die Kontrolle über dein Innenleben behalten müssen. Du wirst alle Splitter gnadenlos unterdrücken müssen, die ich nicht erreichen konnte. Denn du hast recht, ich werde euch nicht alle vergessen lassen können. Schliesslich habe ich ja nicht alle von euch kennen gelernt und Hexe kann ich das nicht zumuten. Das würde sie komplett verwirren. Ich nehme nicht an, das jemand von den anderen Splittern an die Oberfläche kommen wird, da sie das ja eher selten tun, aber falls doch, musst du da sein, und sie davon abhalten. Ich weiss, das wär eigentlich eine Aufgabe für Darken, aber du hast zu mehr Splittern Kontakt und Darken wird anderes zu tun haben."
Eoshan rechnete wirklich nicht damit, dass einer der anderen Splitter an die Oberfläche kommen wollte. Das hatten sie in letzter Zeit nicht getan und es würde wohl auch kein Grund geben, dies in der Zeit zu machen, wo Minan in Glacia war. Aber wenn doch, würden sie den Tänzer dafür hassen. So wie Minan und Darken ihn am Anfang auch nicht gemocht hatten. Es würde also ganz bestimmt nicht leicht sein für ihn. Das war Eoshan sich durchaus bewusst.
"Wie ich das tun konnte?" griff sie das Thema von vorhin wieder auf. Sie seufzte leise und setzte sich dann dicht neben den Tänzer auf den Boden des Balkons und bedeutete ihm, nach oben zu sehen. "Kannst du die Spitze dieses Baumes sehen, Minan?" fragte sie ihn sanft. "Der oberste Zweig? Das höchste Blatt? Und bist du auch sicher, dass es auch wirklich die Spitze des Baumes ist und doch nicht eher der Zweig etwas weiter weg?"
Das waren natürlich nur rethorische Fragen. Von hier aus konnte man die Spitze nicht sehen. Zumindest nicht einfach so, aber als Territoriumskönigin hatte man auch ein paar Vorteile. "Ich kann es, Minan", erklärte sie weiter. "Wenn man versucht in die Zukunft sehen will ist es ganz ähnlich. "Es gibt unzähliche Möglichkeiten, die geschehen können und sie ändern sich andauernd, je nach dem wie sich die Menschen entscheiden, was für Wetter ist, wie die Tiere sich verhalten. Es ist beinahe unmöglich, eine definitive Zukunft vorher zu sagen." Sie holte tief Luft.
"Aber ich habe eine Möglichkeit gesehen, wie wir Lia wieder gesund und glücklich zurück haben können", flüsterste sie. Beinahe so als ob sie Angst hätte, diese kleine Hoffnung durch zu lautes sprechen zu verscheuchen. "Es gibt einen Weg. Er ist schmal, sehr verzweigt und gefährlich. Doch du kannst sie zurück holen Minan. Es wird gehen. Ich habe sie gestern gehen lassen, weil sie einfach Luft brauchte. Ich habe es ihr nicht gesagt, aber wenn ich sie eingesperrt hätte, und selbst wenn das Gefängnis so gross wie Dea al Mon gewesen wäre, wäre ihr Kristalkelch zerbrochen. Aber natürlich musste sie dich dafür vergessen."
Sanft lächelte sie Minan an. "Täusch dich nicht. Sie hat dem nicht freudestrahlend zugestimmt." Eoshan nahm an, dass er dies vermutete, nachdem was er bezüglich Lias Gefühle gesagt hatte. "Sie hat sehr gezögert und es erst ausgeschlagen. Erst als ich ihr versichert habe, dass sie die Erlebnisse mit dir nicht vergessen müsse, hat sie zugestimmt. Dieses Netz, das ich gewebt habe, ist viel feinsinniger, als dass sie einfach alles vergisst, denn dann hätte ich ja all ihre Erinnerungen ansehen müssen, was doch sehr privat ist. Sie erinnert sich an alles, was ihr miteinander erlebt habt. Nur bist es nicht wirklich du. Es ist einfach ein junger Mann. Das Netz für dich, Minan und Darken ist dem von Lia ganz ähnlich. Du wirst dich an die Erlebnisse mit ihr erinnern und auch an deine Mutter und was sie dir angetan hat. Aber du wirst dich auch an die Ereignisse mit Merion und an deine Zuneigung zu ihm erinnern. Nur wird er einfach ein anderer Jugendlicher sein und du wirst Merion sein, mit deinen Erinnerungen. Verstehst du das? Dafür kann ich bei deinem Netz etwas einbauen, das sich aktiviert, sobald Lia dich sieht. Sie wird dann wissen, dass du derjenige bist, an den sie Erinnerungen hat."