Re: Asyl
von Darken » Mi 9. Nov 2022, 20:14
Plötzlich waren da noch mehr Hände, die nach ihm griffen und ihn zu bändigen versuchten. In seinem Wahn erkannte Minan aber nichts freundliches und helfendes darin und zappelte so nur noch stärker und schrie auf, sie sollten ihn nicht anfassen. Schwach hörte er eine helle Frauenstimme, mußte sie erst richtig zuordnen ehe er sie als die Eoshans erkannte, die ihm sagte, die Wölfe würden ihn nicht holen kommen. Minans Atem überschlug sich, sein Herz klopfte wie wild in seiner Brust. Die Wölfe konnten nicht hier rauf, sagte er sich immer wieder selbst, die Leute wollten ihm nichts böses, niemand würde ihm etwas tun. Das Zittern seines Körpers ließ trotzdem nicht nach, doch wenigstens hörte er auf zu schreien.
Da schob der Dea al Mon dessen Namen Minan noch nicht kannte, Caelvar beiseite, und packte den jungen Prinzen an seiner einzigen Hand und zog ihn unbarmherzig vom Bett. Minan wimmerte auf, versuchte dem Griff zu entkommen. Mit schreckensgeweiteten Augen blickte er den schweigsamen Dea al Mon an, doch der kannte kein Erbarmen und schob ihn auf den Ausgang zu. Nein, sie werfen mich doch den Wölfen vor!
Als der Gedanke bei ihm angekommen war, versuchte sich Minan nur umso heftiger zu wehren, doch da der Krieger ihn an seinem einzigen Arm fest im Griff hatte, war seine verzweifelte Gegenwehr nur schwach. Mit den Füßen stemmte er sich dagegen, Tränen rannen ihm über die Wangen.
"Nein, bitte nicht, nein", bettelte er, "Ich werd brav sein, ich schrei nicht mehr. Bitte... ich schrei nie mehr, ich bin jetzt leise", versuchte er zu versichern so wie er es oft bei Talian getan hatte, wenn die ihn nachts aus dem Bett gerissen und ihn für seine Albträume bestraft hatte. "Nicht zu den Wölfen, bitte nicht."
Der Mann hörte nicht, er schleifte und schob ihn zum Eingang der Hütte und beförderte ihn dann mithilfe der Kunst auf den Waldboden. Kaum war Minan unten und sah den finsteren Wald, der nur spärlich vom Mondlicht beschienen wurde, verstummte er. Die Angst schnürte seine Kehle zu, sein Gesicht war kalkweiß geworden. Waren ihm zuvor die Berührungen des Mannes noch unangenehm gewesen, so drängte er sich nun regelrecht an den Krieger, wollte nicht, dass dieser ihn allein ließ. Sein Körper bebte vor Furcht und namenlosen Grauen und er hatte nicht gewußt, dass dies noch schlimmer werden konnte, doch da tauchte zwischen den Bäumen ein heller Schatten auf und tappte langsam näher. Lautlos und doch so unerbittlich wie der Tod.
Dem zerbrochenen Prinz stockte der Atem, er japste nur noch unkontrolliert. Alles in ihm schrie nur noch danach hier weg zu wollen, aber der Mann ließ ihn nicht, hielt ihn weiter fest. Minan stand Todesängste aus, kalter Schweiß rann seinen Rücken hinab. Dann war der Wolf bei ihm, sein Atem stieg warm und sichtbar auf. Der Prinz wäre schon jetzt zusammengeklappt, doch der Kerl hielt und stützte ihn ja weiter. Vor seinem inneren Auge stiegen die Erinnerungen daran auf wie seine schwarzen Juwelen zerbrochen waren. Heißer hechelnder Atem, schlanke Körper, die sich mühelos durchs Dickicht schoben, ihm immer dicht auf den Fersen. Hungrig, oh so hungrig. Der Schmerz wie sie sich in ihn hineinwühlten, ihn zerrissen, ihn zerbrachen...
Das Fell unter seiner Hand, nahm er kaum noch wahr. Seine Brust tat so weh als hätte man hundert Eisenketten darum gespannt. Er wollte den Dea al Mon anbetteln, dass er ihn gehen ließ, dass er ihm ja auch so gehorchen würde, dass er es freiwillig mit ihm tun würde, aber bitte bitte nicht der Wolf. Nein... Mutter, warum? Warum bist du so grausam zu mir?
Es war egal, dass der Wolf ruhig dort stand und nichts machte. Es reichte für Minan schon ihn nur zu hören, zu sehen, zu riechen, um voller Panik zu sein. Der Wolf rief all die qualvollen Erinnerungen in dem Prinzen hoch und er glaubte, noch einmal seine Juwelen splittern zu hören, noch einmal den Schmerz und dieses namenloses Entsetzen mit jeder Faser seines Körpers und Geistes zu fühlen.
Es war zu viel, es war einfach viel zu viel und Minan floh aus seinem Körper und aus dieser schrecklichen Realität und übertrat die Schwelle zum Verzerrten Reich. Seine Augen waren weiterhin vor Entsetzen weit aufgerissen, nun jedoch vollkommen leer und stumpf, ohne jeglichen Glanz. Sein Kopf fiel nach vorne und hätte der Dea al Mon ihn nicht gehalten, er wäre glatt über dem Wolf zusammengebrochen. Minans Geist, nun nicht mehr an seine irdische Gestalt gebunden, flog in seiner alten Form mit schwarzen großen Schwingen in die Tiefen des Verzerrten Reiches, hinunter in die Schichten, wo ihn ganz bestimmt niemand folgen würde. Er wollte sich verkriechen, seine Angst war zu groß als dass er seinem Körper noch hätte beistehen können.