Re: Ein langer Weg
von Kosta » Mo 10. Okt 2022, 11:24
Sein Freund war selbst überrascht, wie seine besorgten, wütenden Worte angekommen waren. So hatte er nicht gedacht, dass sie etwas gefährliches tun würden, wobei sie sterben könnten, weswegen sie Tileo nicht mehr sehen konnte. Vielmehr war ihm das darauf warten müssen, ihn wieder sehen zu dürfen wie eine grausame Ewigkeiten vorgekommen, gleich einem nie mehr. Weil Tileo doch Stabilität brauchte und sie ihn nicht dauernd auf Abenteuer entführen könnten. Das stimmte wohl. Tröstend streichelte er über Eneas Hand, drückte sie sachte.
"Aber wir können ihn doch mal besuchen", wandte Kosta ein. "Selbst wenn es länger dauernd wird, bis wir ihn für ein grosses Abenteuer entführen können. Doch vielleicht mal für ein kleines, was bei seinem Dorf in der Nähe bleibt. Das wird seine Stabilität nicht beeinträchtigen. Du wirst ihn nicht lange vermissen müssen." Und derweil konnten sie sich an einen sicheren Ort begeben, so dass sie auch am Leben blieben, bis sie Tileo wieder besuchen gehen konnten.
Da wurde Eneas auf einmal ganz aufgeregt. Mit grossen Augen sah er ihn an und wurde gleichzeitig auch ganz vorsichtig. Eindringlich fragte er ihn, ob er das wollte. Kostas Blick wurde fragend. Was wollte er denn? Eneas hakte nach, ob Kosta wolle, dass sie für eine Weile in einem Häuschen wohnten. Wie...? Oh! Kosta hatte das wohl wirklich gesagt. Überrascht über sich selber blickte er Eneas an, blinzelte etwas verwirrt ob sich selber und der plötzlichen Wendung.
"Ähm... ja... vielleicht", überlegte er überrumpelt. "Oder wir könnten auch gemeinsam den Zeltausflug machen und wandern gehen." Denn eigentlich gefiel ihm Eneas' Vorschlag ganz gut. Solange er sich nicht für Tileo zusammen reissen musste. Einfach einen Schritt vor den anderen setzen und die frische Luft um sie herum geniessen. Das klang ruhig und friedlich.
Eneas schüttelte jedoch voller Feuereifer seinen Kopf und drückte lächelnd seine Hand. Innig beteuerte er, dass er das machen mochte, was er mochte. Ein Häuschen klänge gut. Kosta könne sich ja überlegen, wo sie danach schauen könnten und wie es aussehen sollte. Blutrot! Schoss es Kosta besitzergreifend durch den Kopf und gleichzeitig wusste er auch, dass Eneas nicht wirklich das wollte, was er wollte. Ah, nein, er durfte nicht daran denken. Nicht jetzt. Morgen oder übermorgen dann. Wenn Tileo bei seinen Eltern in Sicherheit war.
"Wir können ja wandern, bis wir wissen, wohin wir wollen", schlug Kosta sanft vor. "Und jetzt sollten wir vielleicht schlafen gehen. Nicht, dass wir morgen verschlafen, wenn Tileo sich von uns verabschiedet und glücklich in die Armen seiner Eltern zu fällt."
Am nächsten Tag wurde ziemlich rasch klar, dass der Wanderausflug, selbst wenn Kosta begeistert dafür gewesen wäre, nicht würde stattfinden können. Tileo war ganz aufgeregt und nervös, weil er bald seine Eltern wieder sehen würde. Gedanklich war er eindeutig nicht mehr bei Eneas und Kosta. Er war ganz schusselig und abgelenkt. Es fing an, dass er beim Anziehen einfach nicht in seine Hosenbein reinkam und erst einmal der Länge nach auf den Boden knallte. Beim Frühstück verschüttete er seine Milch, weil er nicht darauf achtete, wohin er langte. Also beschloss Eneas dann doch, dass sie auf den Winden reisten, bevor Tileo aus Versehen die Pension abfackelte oder sich beim Wandern den Fuss vertrat, weil er sich nicht genügend darauf konzentrierte, wo er hintrat.
Es war keine weite Strecke mehr auf den Winden. Zumindest nicht mit Eneas roter Juwelenkraft. Es war noch immer Morgen, als sie zu dem Landepunkt gelangten, der am nächsten zu dem Dorf lag, in dem Tileos Eltern nun wohnten. Von hier aus mussten sie nun tatsächlich zu Fuss gehen. Jedoch nicht weit. Es war noch etwa ein stündiger Spaziergang über Felder und durch ein kleines Wäldchen. Aufgeregt war Tileo zuerst voraus gerannt, bis er wieder zögerlicher wurde und ihn etwas zu bedrücken schien. Erst fasste er Kosta an der Hand und schob kurz darauf seine andere freie Hand in die von Eneas, so dass er zwischen ihnen gehen konnte.
"Was wenn sie mich gar nicht mehr erkennen?" fragte er unvermittelt. "Weil ich doch so lange weg war." Überrascht sahen Eneas und Kosta sich an.
"Natürlich werden sie dich wieder erkennen, Tileo", versicherte Kosta ihm lieb und drückte seine Hand. "Du bist ihr Sohn. Seine Kinder erkennt man immer. Auch wenn sie ein bisschen grösser geworden sind und eine andere Frisur haben. Ganz bestimmt."
"Und wenn sie es nicht glauben können?" wollte Tileo zaghaft wissen. "Dass ich noch lebe nach dem schrecklichen Überfall. Vielleicht halten sie mich ja auch für einen Dämonentoten und haben Angst vor mir."
"Es ist helllichter Tag, Tileo", wandte Kosta ein. "Dämonentote habe nicht gerne Sonnenlicht. Sie werden sich nicht vor dir fürchten."
Eneas und Kosta verbrachten noch eine ganze Weile damit, den Jungen zu beruhigen und ihm zu versichern, dass seine Eltern einfach nur froh sein würden, ihn wieder bei sich zu haben. Dass dann alles gut werden würde. Der Junge glaubte ihnen, war aber so nervös vor lauter Vorfreude, dass er sich allerlei dummes Zeug ausdachte. Bis sie schliesslich aus dem Wald traten, durch den sie gegangen waren und auf eine weite Flur blickten. Ein hübsches kleines Dorf lag in der Mitte. Rund herum lagen mehrere, grössere Felder, die bewirtschaftet wurden. Auf Wiesen gab es sowohl einige Kühe, als auch Schafe, die da friedlich vor sich hin grasten.
"Hier her sind deine Eltern gezogen, Tileo", erklärte Kosta dem Kind, das sich nicht sicher war, ob sie noch weiter gehen müssten.
"Wirklich?" fragte der Junge aufgeregt. "Wir sind da?" Suchend blickte er sich um, als könnte er seine Eltern schon von hier aus sehen. Man sah ja auch tatsächlich Menschen auf den Feldern zu sehen, die da hart arbeiteten. Doch für Kosta waren sie jedoch zu weit weg, um sie erkennen zu können. Nicht jedoch für Tileo.
"Papa?" fragte er aufgeregt, als sein Blick an einer Gestalt hängen blieb. "Da ist Papa!" rief er strahlend. "Papa! Ich bin wieder da!" Jetzt gab es kein Halten mehr für den tapferen, kleinen Krieger. Augenblicklich liess er Eneas und Kosta los und rannte vom Waldrand weg über die Wiese zu den Feldern, wo er seinen Vater erspäht hatte. Immer wieder rief er freudig nach ihm. Sein Rucksack hüpfte auf seinem Rücken rauf und runter. Tileo streifte ihn im Rennen ab, als er merkte, dass er ihn behinderte, und liess ihn ins Grass fallen. Wie der Blitz sauste er weiter.
Allmählich bemerkten die Bauern den Jungen, drehten sich verwundert zu ihm um. Der Mann, der wohl Tileos Vater sein musste, liess sein Werkzeug fallen, nachdem er das Kind rufend auf sich zurennen sah, und stolperte einige Schritte auf es zu, bevor er sich überwältigt auf seine Knie fallen liess. Tileo hatte ihn inzwischen erreicht und warf sich glücklich in die weit ausgebreiteten, einladenden Arme seines Vaters. Sofort wurde er innig geherzt und gedrückt. Rufe wurden laut. Neugierig aber vorsichtig kamen die anderen Feldarbeiter näher. Man rief ins Dorf. Das Zerschellen eines Tongeschirrs war zu hören. Gleich darauf kam eine Frau zwischen den Häusern hervorgestürtzt. So schnell, dass ihre Haare und ihr Kleid im Wind flatterten. Sie wurde nicht langsamer, bis sie ihren Mann und ihren Sohn erreicht hatte. Erst da liess sie sich auch auf die Knie fallen und umarmte die Beiden so fest, dass sie sie gänzlich mit zu Boden riss.
"Endlich", schluchzte Kosta, der diese Szene voller Freude beobachtet hatte. Tränen waren ihm in die Augen getreten. "Endlich ist er wieder da, wo er sein sollte und in Sicherheit." Zitternd atmete er erleichtert auf.