Kosta wich seinen Blicken zunächst aus und versuchte Eneas zu überzeugen, dass er das richtige tat. Vermutlich hatte er damit sogar recht, doch Eneas wollte das so schnell nicht akzeptieren. Lieber schrieb er alle Vernunft in den Wind und half Kosta bei der Suche - egal wie lange sie dauern würde. Der andere Krieger beharrte, dass er ihm nur helfen würde. Eneas dürfte sich bei der Suche nicht erschöpfen und sollte sich lieber ausruhen. Eneas hob eine Augenbraue. Endlich blickte Kosta ihn wenigstens wieder an und man konnte sehen wie zerrissen er war und mit sich haderte.
"Du meinst, ich leg jetzt die Beine hoch, während Tileo die Dunkelheit weißwerwo steckt? Nein, sicher nicht", gab er energisch zurück, "Ich geh jetzt mit dir suchen. Wenn wir ihn bis morgen mittag nicht finden, überlegen wir, ob wir alle hier bleiben oder nur ein Teil. Aber ich lass dich nicht alleine", beharrte er und drückte innig Kostas Hand.
"Könnt ihr eure Beteuerungen und Schwüre vielleicht auf später verschieben und tatsächlich nach dem Kind suchen?", unterbrach Leto sie, am anderen Ende des Steges stehend. Leicht zornig bedachte sie die beiden Krieger. Schuldbewußt ließ Eneas sofort Kostas Hand los.
"Wir wollten gerade aufbrechen", wehrte er sich gegen die versteckten Anschuldigungen.
"Bringt ihr mich dorthin, wo ihr Tileo zuletzt gespürt habt?", fragte sie. Eneas nickte und sie setzten sich in Bewegung. Beim Marktplatz war jetzt nicht mehr viel los, alle Stände waren abgebaut oder verdeckt.
Sie verbrachten die Nacht damit die Stadt nach Tileo zu durchkämmen, hatten sich aufgeteilt, um schneller vorzugehen. Nur ab und zu tauschten sie sich mit Speerfäden aus. Eneas war soweit gegangen und fragte in Wirtshäusern nach dem kleinen Jungen, aber niemand hatte Tileo gesehen. Irgendwann verdächtigte der Hayllier sogar die ein oder andere zwielichtige Gestalt ihn anzulügen. Hölle, er durfte nicht paranoid werden. Eneas hielt inne, dachte genauer nach. Warum war Tileo abgehauen? Hatte er gedacht, sie würden ihn nicht mehr holen? Und wenn er Tileo wäre, wo würde er hin? Würde Tileo nicht Kosta suchen? Eneas konnte sich nicht vorstellen, dass der Junge den Piraten nicht mehr gern haben wollte.
*Ich weiß ja nicht ob das wichtig für dich ist, aber ich hab hier einen Knirps achtern im Lagerraum gefunden*, sandte ihm Noyan unverhofft. *Was macht man mit Kindern? Braucht er was zu essen?*
*Oh, danke, Noyan, ich bin sofort da! Sende auch Kosta*, bat er den Seemann erfreut, machte kehrt und rannte zurück zum Hafen. Er hetzte über den Steg und kam keuchend im Lagerraum an. Dort war von Noyan und Tileo aber nichts mehr zu sehen und so erklomm Eneas rasch die Treppen. In Noyans Kajüte wurde er fündig. Der Mann mit der bronzefarbenen Haut und dem goldenen Locken zeigte Tileo gerade ein paar Kartenspielertricks. Der Junge saß im Schneidersitz auf dem Bett, mampfte dabei eine zusammengerollte Wurstscheibe und sah staunend zu.
"Tileo!", entfuhr Eneas, eilte zu dem Kind und drückte es. "Wo hast du nur gesteckt? Wir waren krank vor Sorge. Gehts dir auch gut?"
Nicht wenig später traf Kosta ein.