Re: Das Ende der Spinnenkönigin
von Eneas » Sa 24. Sep 2022, 21:17
Eneas zog die Decke enger um sich, während sie an einem viel zu kleinem Feuer inmitten eines dunklen Nadelwaldes froren. Der Kapitän der 'E' rieb die Hände aneinander, blies hinein. Sie hatten nicht gewagt ein größeres Feuer zu machen. Zu heikel war es in diesem Gebiet entdeckt zu werden nun wo sie ihrem Ziel so nahe waren.
Sie hatten zwei Tage benötigt, um auf der Sadhe entlang zu reisen. Der Fluss war groß genug für ihre schmale Korvette gewesen. Größtenteils hatte die Sadhe immer wieder im Nebel gelegen, was es einfacher gemacht hatte, unerkannt auf ihr entlang zu fahren. Nur einige Fischer waren ihnen entgegen gekommen, doch keine große, dhemlanische Galeere. Es war beklemmend still in Dhemlan. Sie waren an kleinen Dörfern vorbeigekommen, aber allein der Anblick der Segel mit dem Hydra Zeichen waren genug gewesen, dass man kaum jemanden draußen gesehen hatte. Die Menschen fürchteten sich vor ihren eigenen Soldaten.
Sie hatten aber auch Zeichen der eigenen Grausamkeit der Dhemlaner entdeckt. Galgen an denen tote Frauen baumelten, Holzschilder hingen ihnen über die Brust auf die mit schwarzer Tinte ein Netz gemalt gewesen waren. Wahrscheinlich Schwarze Witwen, die sich Zorya verweigert hatten und nun als Mahnung an alle anderen dort hingen. Niemand hatte gewagt sie abzuhängen.
Zum Glück kamen sie nicht bis nach Amdarh. Die Hauptstadt vom schattigen Dhemlan war viel zu gefährlich und es wäre unmöglich gewesen dort mit einem Schiff vor Anker zu legen, trotz der falschen Segel und Uniformen. Für Amdarh hätten sie auch gefälschte Papiere und eine glaubwürdige Geschichte benötigt. So aber konnten sie die 'E' in einer Flussbiegung anhalten. Eneas war etwas mulmig darüber, das Schiff einfach zurückzulassen. Rachel, Solomon, Noyan, Cleos und Vissarion würden zurückbleiben, um es zu bewachen und für eine schnelle Flucht zu sorgen, wenn sie zurückkamen. Natürlich sorgte sich Eneas, ob sie entdeckt wurden, doch sie hatten ausgemacht, dass sie sich in einem solchen Falle in das Hinterland Dhemlans schlagen sollten.
Durch ihre Reisen hatten sie auch Freunde im dunklen Dhemlan. Eneas wusste aber nicht wie es ihnen ergangen war und ob sie immer noch helfen würden. Aber im Notfall würde dies ihr Treffpunkt sein.
Die restlichen verließen das Schiff und schlugen einen Weg querfeldein in den Osten von Dhemlan ein. Es war zu gefährlich auf den offenen Wegen zu reisen und so blieben sie größtenteils in den Wäldern oder rannten gebückt über offene Weiden und Äcker. Es kostete Zeit. Sie transportierten, so gut es ging, ihren Proviant, Zelte und Decken in ihrem Juwelengepäck. Savahs Juwelengepäck schien unerschöpflich und die Königin ließ es sich nicht nehmen jeden Abend ganze Fässer an Met, Teller an Essen und ähnliches auszupacken. Eneas hätte es bevorzugt, dass die Glacier nicht jedesmal ein Gelage starteten und tranken, doch die Gruppe waren erstaunlich flinke und überaus zähe Wanderer. Groß von Statur setzten die Glacier solch ein hohes Tempo ein, gefolgt von den leichtfüßigen Schritten der Dea al Mon, dass sie trotz großer Gruppe schneller voran kamen als gedacht.
Es machte es ein wenig wett, dass sie sich nicht, wie Eneas geplant hatte, irgendwo Pferde besorgen konnten. Nicht in einer solch großen Gruppe. Es wäre zu auffällig gewesen.
Trotzdem hatten sie es irgendwann geschafft und konnten nun bereits die hohen Klippen sehen wo ganz oben Dalmandans Feste thronte. Von weitem sah es wunderschön aus. Eneas kannte die Legenden um den Platz, wo einst die wunderschöne und mächtige Eyrierin Dalmadan gelebt haben sollten. Verbannt aus Askavi hatte sie hier einen Ort der Gelehrsamkeit geschaffen, der Abgeschiedenheit und Erhabenheit. Was war jetzt daraus geworden? Eneas blickte in die ungefähre Richtung, aber die Baumwipfel versperrten den Weg. Irgendwo dort war Kosta...
Eneas stocherte mit einem Stock in dem kleinen Feuer, aber es wollte einfach nicht warm werden. Trotzdem setzte niemand die Kunst ein. Zum einen wollten sie ihre Kräfte aufsparen, zum anderen wollten sie nicht entdeckt werden. Hagen oder Savah hielten zwar abwechselnd immer einen schwarzgrauen Schild um die Gruppe, aber diese Mission war zu gefährlich, um leichtsinnig zu werden.
Eneas blickte verstohlen zu Leto, die mit einer Laterne über die Karte leuchtete, die sie von der Umgebung von Dalmandans Feste hatten.
"Wir müssen einen weiten Bogen um Lyss machen. Zwar haben wir Berichte, dass Sions Soldaten die Kleinstadt arg verwüstet und ausgebeutet haben, aber wir können nicht darauf hoffen, dass uns alle dort wohlgesonnen sind...", sprach sie nachdenklich. "Wir hätten bessere Chancen in Meanas oder eine der umliegenden Gehöfte.."
"Du willst jemanden finden, der uns hilft?", fragte Damien. Leto zuckte mit den Schultern.
"Als Versteck oder Ruhepunkt. Vielleicht wird es nötig sein.."
Eneas beobachtete die beiden stumm. Sie schienen sehr vertraut. Natürlich waren sie das. Leto war seit zehn Jahren in der Mannschaft. Freundschaften hatten sich gebildet. Konnte er ihr das wegnehmen? Er dachte immer öfter daran.
"Bah, dieses Land ist so kalt", schüttelte sich Savah und setzte sich zu ihm. Eneas schmunzelte.
"Ich dachte, ihr.. Barbaren seid die Kälte gewohnt", entgegnete er.
"Ja.. aber das hier ist eine andere Art Kälte.. unnatürlich. Wie ein Leichentuch", meinte die Königin düster und rieb sich vorne ihre Stiefel. Eneas nickte. Er wusste was sie meinte. Sie spürten es alle. Das Land selbst schien zu leiden. Eine Klammheit, die sich nicht mehr abschütteln ließ.
"Also.. da oben rauf müssen wir, ja?", fragte Savah und deutete in die ungefähre Richtung. Sie hatten heute morgen einen guten Blick auf die Bergspitze gehabt.
"Ja.. ich fürchte, es wird eine anstrengende Bergsteigung", sagte Eneas. "Die Straße wird zu gut bewacht sein. Es heißt, im Berg gibt es eine Zahnradbahn, aber da sie damit ihre Güter rauf und hinunter transportieren, wird die genauso bewacht sein."
Die blonde Glacierin hob den Kopf. "Eine Bahn im Berg? Nun, das klingt doch viel leichter und bequemer. Wie gut kann sie schon bewacht sein?" Sie knuffte Eneas gegen die Schulter.
"Gut genug, dass es Zorya alarmieren wird... und ich möchte nicht den Plan von Prinz Asar gefährden", wandte Eneas ein.
"Oder das Leben deines Geliebten", erriet Savah lächelnd. Eneas nickte rasch. "Dann also klettern", seufzte sie. "Das würde wesentlich leichter gehen, wenn ich nicht wüsste was uns oben erwartet." Die Glacierin erhob sich.
Der Krieger sah fragend hoch. "Du weißt was uns erwartet?" Denn er wusste es sicherlich nicht.
"Ja. Ich werde wieder eine weitere Königin töten. Das scheint mein Fluch zu sein", sagte sie und steuerte dann eines der Zelte an, um sich schlafen zu legen.
Eneas blickte ihr nachdenklich nach. Er sollte es ihr gleich tun und versuchen etwas zu schlafen, aber er war so angespannt, dass er nicht wusste, ob er die nächsten Tage überhaupt ein Auge zutun konnte. Er sollte es. Wenn er Kosta helfen wollte, dann sicher nicht indem er vollkommen durchnächtigt war...
Seine Gedanken glitten wieder zu Kosta. Am liebsten wäre Eneas die Nächte und Tage durchmarschiert.
"Eine Goldmark für deine Gedanken", sagte Olintes, als er zu ihm kam.
"Dafür musst du diese Tage kein Geld ausgeben", erwiderte Eneas. Sein Freund schmunzelte. Er würde sich denken können an wen Eneas dachte. "Kannst du auch nicht schlafen?", fragte er.
"Sie sollten um Rasmus einen eigenen Hörschutz machen", schnaubte Olintes und deutete auf das Zelt der Glacier. "Der Bär holzt jede Nacht dutzende an Wäldern weg."