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Das Ritual





Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 19:34

Mit wild klopfendem Herz huschte er durch die noch ruhigen Gänge des Schlosses. Er konnte kaum glauben, was letzte nacht passiert war. Wie wenig Angst er gehabt hatte. Wie schön es gewesen war und wie wenig er unwohl zusammen gezuckt war. Im Gegenteil. Er hatte sich sogar getraut Prinz Sastre von sich aus zu berühren. Und das an ganz intimen Stellen. Ciryon bekam ganz rote wangen, wenn er daran dachte. Weswegen er lieber nicht so genau darüber nachdachte und stattdessen einfach das Hochgefühl genoss, welches ihm durch die Adern rauschte. Er konnte es kaum erwarten Lady Lusian davon zu erzählen. Es würde sie sicher freuen, dass er endlich diese innere Hürde überwunden hatte. Dass der Knoten in ihm aufgegeangen war und er ihr endlich, endlich richtig dienen konnte.

In seinem Zimmer angekommen, wurde er jedoch mit einer zornigen Ohrfeige empfangen, die so hart war, dass seine ohnehin schon weichen Beine kurzerhand unter ihm nachgaben. Seine Herrin war ausser sich vor Wut. Ausser sich schlug sie unentewegt mit einer Gerte auf ihn ein. Aufgebracht beschimpfte sie ihn derweil, dass er unzuverlässig und undankbar sei. Überrumpelt von diesem Zornausbruch flehte Ciryon wimmernd um Verzeihung. Er verstand nicht ganz, was los war. Nur, dass er seine Herrin zutiefst enttäuscht hatte. Das hatte er nicht gewollt. Dafür wollte er sich auch gerne entschuldigen. Doch Lady Lusian hörte ihm gar nicht erst zu. Wütend liess sie die Gerte immer wieder auf ihn nieder sausen. Scharf biss sich das harte Leder in seine Haut. Bald schon roch er Blut. Schmerzerfülllt schrie er bei den Schlägen auf und rollte sich auf dem Boden so klein wie möglich zusammen, um die Strafe irgendwie aushalten zu können.

Erst als er nur noch ein schluchzendes, blutiges, zitterndes Bündel Elend war, hielt seine Herrin inne. Einen Moment blieb sie schwer atmend vor ihm stehen, ehe sie die Gerte verschwinden liess und sich mit einem betroffenen Aufschluchzen zu ihm kniete. Sanft nahm sie ihn in den Arm, liess sachte ihre Kräfte auf ihn wirken und erklärte ihm liebevoll, dass sie sich solch grosse Sorgen um ihn gemacht hätte, weil er die ganze Nacht lang weg gewesen wäre und sie nicht gewusst hätte, was mit ihm war. Ciryon entschuldigte sich innig dafür. Er hatte gedacht, sie hätte Nachtschicht auf der Krankenstation gehabt. Was auch stimmte, doch irgendwann sei die Nachtschicht vorbei gewesen und als sie zurück gekommen wäre, hätte sie nicht gewusst, was mit ihm sei. Eindringlich schimpfte sie mit ihm, dass er rücksichtslos wäre, ihr solche Sorgen zu bereiten. Ciryon nickte verständnisvoll. Das hatte er nicht bedacht. Hingebungsvoll versprach er, es nie wieder zu tun.

Beruhigt und etwas erholt von ihrem Schrecken, kümmterte Lady Lusian sich nun rührend um ihn. Sanft half sie ihm auf und führte ihn unter die Dusche, wo er das Blut und den Schmutz der Nacht abwaschen konnte. Mit dem Schwamm reinigte sie eigenhändig seinen Körper und danach sollte er sich in ihr Bett legen, damit sie die teils blutigen Gertenhiebe mit einer Heilsalbe behandeln konnte. Dabei fand sie endlich die Ruhe, nachzufragen, wo Ciryon gewesen war. Wie er die letzte Nacht verbracht hatte. Stockend und mit roten Wangen begann er offen zu erzählen. Allerdings war jegliches Hochgefühl von letzter Nacht verschwunden. Ciryon konnte nur noch stockend davon erzählen und es klang nicht mehr sonderlich überzeugt, dass er letzte Nacht wirklich so mutig gewesen war. Geschweige denn, dass er Lady Lusian davon überzeugen konnte, dass er nicht mehr so Angst vor Berührungen hatte.

Seine Herrin hielt es zuerst nur für eine Ausrede, weil er nicht mehr in ihrem Bett dienen wollte. Sie fühlte sich verletzt und begann schon wieder wütend werden. Verzweifelt beteuerte Ciryon, dass er nicht von ihr weg wollte. Er wollte nicht undankbar sein. Ihr zuliebe, war er doch bei Prinz Sastre gewesen. Flehentlich versuchte er seine aufgebrachte Herrin zu beruhigen. Nur widerstrebend liess sie es zu und auch nur mit dem Beweis, dass er sich geändert hatte. So unter Druck gesetzt, gab Ciryon sein Bestes, ihr zu beweisen, dass er nicht mehr ängstlich wegen der Berührungen war. Allerdings war er es nun, weil er Angst hatte, die Heilerin zu enttäuschen. Nervös beugte er sich vor, um sie sinnlich und hingebungsvoll zu küssen. So wie sie es gern hatte. Ohne zusammen zu zucken und ohne Zögern. Trotzdem blieb das sehnsüchtige Feuer, das intensive Prickeln, welches er bei Prinz Sastre verspürt hatte aus. Verwirrt, bemühte er sich, es besser zu machen. Lady Lusian merkte jedoch trotzdem, dass etwas nicht stimmte. Und all seine Männlichkeit dann auch nicht wie gewohnt gehorsam brav wurde, kochte ihre Wut heisser den je wieder hoch.

Enttäuscht darüber, dass er sie scheinbar ablehnte, schlug sie ihn wieder hart, riss die kaum verheilten Wunden auf und schimpfte ihn eine schäbige Hure. Dass er sich erst ihr verkaufte, um ein sicheres Plätzchen im Schloss zu haben und jetzt Prinz Sastre, um an seinem Arbeitsplatz weiter aufsteigen zu können. Ciryon konnte ihre zornigen Gedankengänge nicht wirklich nachvollziehen. Er wusste nur, dass er sie schrecklich enttäuscht hatte und bemühte es sich, wieder gut zu machen. Doch Lady Lusian wollte nichts davon hören. Mit Hilfe der Kunst fesselte sie ihn brutal an ihr Bett. Wütend schimpfend rief sie eine Spritze herbei und setzte sie ihm ohne Umschweife in seine Lendengegend, damit das Mittel ihn so schön hart machte, wie sie es gerne hatte. Sein verzweifeltes Flehen ignorierte sie schlichtweg. Respektive, sie beachtete es soweit, dass sie ihn kurzerhand einfach knebelte. Mit einem dieser fiesen Lederknebel, die die Form eines Stabes hatten, der sich tief in seinen Mund zu seine Kehle bohrte, so dass er kaum mehr Luft bekam. Seine Herrin befand, dass ihm dies nur recht geschah. Bei Prinz Sastre hätte er das sicher auch so gemacht. Dann könnte er es bei ihr auch machen. Hauptsache sie könnte ihn reiten, bis sie bekam, was ihr ohnehin Zustand.

Später am Tag, Ciryon fühlte sich ganz wund und ausgelaugt, wurde Lady Lusian wieder ruhiger. Ihr Zorn verrauchte allmählich und sie wurde wieder freundlicher zu ihm. Der junge Krieger bekam es kaum mit, sondern fiel einfach nur in erschöpfte Ohnmacht. Es musste Abend sein, als er wieder aufwachte. Lady Lusian war nicht bei ihm. Erschöpft schluchzte der Jüngling erleichtert auf und schlief wieder tief ein.
Es war tiefeste Nacht, als seine Herrin wieder kam. Wieder war sie unheimlich aggressionsgeladen. Ciryon war sich gar nicht so sicher, ob sich die Wut diesmal tatsächlich gegen ihn richtete. Bald schon spielte das gar keine Rolle mehr. Lady Lusian fand schon Gründe, was er alles falsch gemacht hatte, für die sie ihn büssen lassen konnte. Hemmungslos lebte sie ihre Aggression an ihm aus. Wieder und wieder, bis die Wut irgendwann verraucht war und sie ganz traurig wurde. Dann war sie wieder ganz lieb zu ihm. Tröstete ihn zärtlich und kümmerte sich fürsorglich um ihn, ehe sie wieder heftigen Sex mit ihm hatte.
Dieses Muster wiederholte sich in den nächsten Tagen nahtlos. Wut wurde von Traurer abgelöst, die zu Sex führte, ehe die Heilerin wieder hemmungsloser Wut verfiel. Es war eine Abwärtsspirale, die sich immer mehr verdichtete. Die Emotionen wurden zusehens hemmungsloser und die unterschiedlichen Situationen verschmolzen mehr und mehr miteinander. Wut, Sex, Trauer, Schmerz, Fürsorglichkeit, all das verschmolz zusehends zu einer Handlung. Ciryon verlor schon bald jeglichen Bezug zur Realität und existierte nur noch als schmerzerfüllter Körper der zu dienen hatte.

Bis Lady Lusian einmal seine Eltern erwähnte. Sie war gerade dabei, ihn forsch zu reiten, während sie ihn nahezu liebevoll mit einem Skalpell bearbeitete. Nur um etwas von seinem Blut zu lecken und die Wunde so halbwegs wieder mit ihrer Kunst zu heilen, während sie mit der Zunge darüber glitt. Es dauerte einen Moment, bis Ciryons schmerzumnebelter Verstand begreifen konnte, was sie ihm dieses Mal schreckliches an den Kopf geworfen hatte. Sie hatte schon so viele böse Dinge zu ihm und über ihn gesagt. Vieles davon nahm er ernst und glaubte es ihr. Nahm die Schuld auf sich und schämte sich zutiefst dafür. Anderes war zu brutal, als dass sein Verstand es ihn hätte begreifen lassen. Doch dieser Satz, der ging tiefer. Der ging an seinem Verstand vorbei direkt in sein Herz.
"Es war gut, dass ich dich am Leben liess und dich nicht wie deine erbärmlichen Eltern getötet habe", hatte Lady Lusian mit erregt geröteten Wangen gekeucht. "Du gibst ein wunderbarer Lustsklave ab."
Mit einem lauten Schrei tiefster Verzweiflung riss Ciryon seine rechte Hand aus den Fesseln. Er wusste nicht, wie er es schaffte. Sie brannte höllisch und war blutig. doch der Krieger nahm es nicht wahr. Er hörte einfach nur, dass die Heilerin seine Eltern getötet und ihn hier her versklaft hatte. Voller Schmerz boxte er ihr geradewegs ins Gesicht. Lady Lusian schien vollkommen überrascht deswegen. Vielleicht, weil er zum ersten Mal aufbegehrte, weil er freigekommen war, oder weil er auch auf mentalem Weg schrill geschrien und sie so abgelenkt hatte. Es war egal. Ciryon sah nur das Skalpell. Entschlossen entwand er es ihr, packte es fest und stach wieder und wieder heftig auf sie ein. In den Bauch, ins Gesicht, in den Hals, in die Brust und in die Beine. Egal wo. Hauptsache er traf sie und tat ihr weh. So lange, bis sie sich nicht mehr rührte. Ja, noch nicht einmal mehr atmete. Erst dann brach er mit stumpfem Blick jämmerlich weinend zusammen.
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von Anzeige » Fr 21. Okt 2022, 19:34

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Re: Das Ritual

Beitragvon Kalliope » Fr 21. Okt 2022, 19:34

Ein paar Tage später kam Andiël extra zu ihr, um ihr die neuste Zeitung zu geben. Er tat das sonst selten, denn Kalli gab nichts auf die Propagandanachrichten. Es beinhaltete nie die ganze Wahrheit und wenn sie konnte, so versuchte sie eine der hayllischen Zeitungen in der Stadt zu lesen. Eine nicht ungefährliche Sache, denn es gab sie nur noch auf dem Schwarzmarkt. Heute musste aber etwas besonders bristantes in den dhemlanischen Zeitungen stehen, denn alle Bewohner des Schlosses schienen aufgescheucht und angespannt. Viele hatten eine besorgte oder gar angsterfüllte Miene aufgesetzt. Aber wenn Kalliope genauer hinsah oder ihre Signaturen erfühlte, so spürte sie bei manchen auch eine Erleichterung.
Erst als sie die Zeitung in den Händen hielt, wusste sie wieso.
Sie überflog die vorderste Seite mehrmals, zu aufgeregt um den kleineren Text zu lesen. Es reichte vollkommen die großen Überschriften zu sehen.
"Nergal Demigod gefallen! Mehrere Tolarim mit in den Tod gerissen! Hayllier auf der Flucht!"
Der Hauptmann der Wache war tot. Er war dafür zuständig gewesen Dhemlans Grenzen zu verteidigen. Wenn er gefallen war, dann musste es bedeuteten, dass ihre Landsleute bereits sehr nahe waren. Andiëls hoffnungsvoller Blick bestätigten dies. Er schien das gleiche zu glauben.
"Lies weiter", drängte er.
Unserer tapferer Hauptmann hat alles gegeben, um die hinterlistigen Hayllier von unseren Grenzen zurückzuschlagen. Die feigen Eindringlinge haben mit einem hohen Blutzoll bezahlt. Nergal zerschmetterte mehrere ihrer hochrangigsten Offiziere, darunter Männer der Königinfamilie Tolarim. Nevander Tolarim-
Kalli gab ein leises Keuchen von sich. Ihre Finger krallten sich fester um das Papier und ihr Herz begann zu rasen.
"Ist das wahr?", hauchte sie. Es konnten genausogut Lügen sein. In den Zeitungen stand oft genau das was die Menschen in Dhemlan hören wollten. Verfälschte Nachrichten, um sie weiter auf Sion einzuschwören.
"Die Umstände sind anders, aber er ist tot", bestätigte Andiël. "Er hat Nergal getötet. Prinz Tolarim ist unter mehreren Schnittern gefallen."
Kalliope versuchte ihr Zittern zu kontrollieren, starrte wieder auf die Worte. Er war endlich tot. Nach all diesen Jahren. Es hatte lange gedauert, aber ihre Familie hatte schließlich Gerechtigkeit erhalten. Wenn sie auch selber hatte nachhelfen müssen.
"Wenn Eneas das liest..." Sie lächelte. Sie konnte sich kaum vorstellen wie er sich fühlen würde, wenn er hörte, dass sein einstiger Peiniger tot war. "Ich hoffe es geht ihm gut. Ihm und seiner Mannschaft... wenn sie im dunklen Dhemlan.. wenn sies nicht geschafft haben..." Ihre Stimme brach. Andiël legte einen Arm um sie.
"Meinst du, er war dort?"
"Kosta war dort", sagte Kalliope nur. Hoffentlich hatten sie sich retten können. Selbst wenn sie es nicht schaffte, ihr Bruder würde wenigstens für immer von Nevanders Schatten befreit sein.

"Ich habe noch mehr gute Nachrichten. Viele der hayllischen Offiziere sind zwar gefallen, aber in den Zeitungen steht nicht alles. Sie haben Sions Armee weit zurückgedrängt. Über die Grenze und bis nach Suissère. Es wird nicht mehr lange dauern und sie sind hier." Andiël lächelte. "Wir müssen nur warten."
Kalliope schüttelte den Kopf.
"Sie kommen zu spät", befürchtete sie. "Andiël, wir müssen fliehen." Sie hatten schon öfter darüber geredet und Kalli hatte jedes Mal gedrängt, dass sie die Gelegenheit nutzten mussten. Doch Andiël scheute sich vor der Flucht. Das Risiko wäre zu groß. Wenn sie erwischt würden, würden sie sofort getötet. Die Ankunft der hayllischen Armee wäre sicherer.
"Irgendetwas soll morgen stattfinden. Eine Art Ritual, glaube ich", wisperte sie. "Er wird den Haylliern zuvorkommen. Sie schaffen es nicht mehr bis hierher. Andiël, glaube mir." Kalliope blickte ihn eindringlich an.
"Sie überwachen mich immer noch. Ich kann nicht einfach aus dem Schloss spazieren", wandte er ein.
"Wenn wir hierbleiben sterben wir", drängte Kalli. "Was ist mit meiner Idee? Der Setzwagen?"
Andiël seufzte. "Ciryon ist nicht mehr aufgetaucht. Ich habe Lady Jysana gefragt und sie hat mir gesagt, dass sie Ciryon in die Stadt geschickt hat und er nicht mehr als mein Gehilfe arbeitet. Ich erreiche ihn nicht. Ich glaube, er ist immer noch im Schloss." Er ballte die Hand zur Faust. "Ich hätte es am liebsten aus ihr herausgepresst, aber ich kann kein Aufsehen erregen."
"Vielleicht hält sie ihn in ihren Gemächern fest", überlegte Kalliope. "Ich kann sie morgen ablenken und du kannst die Zeit nutzen in ihr Zimmer zu schleichen. Sollte er dort sein, geht sofort zu deinen Büros und bereitet die Setzbuchstaben vor. Traust du ihm genug, dass er dich im Setzwagen rausschmuggelt?"
Andiël nickte. "Verraten wird uns höchstens seine Nervosität", befürchtete er.
"Ich kann ihm dafür etwas geben", wandte Kalliope ein. "Wenn wir uns verlieren, treffen wir uns beim ausgemachten Treffpunkt. Wir warten eine Stunde. Nicht mehr. Danach muss sich jeder alleine durchschlagen. Bis zur eyrischen Grenze."
Andiël ergriff ihre Hände, drückte sie fest. "Ich will dich nicht verlieren. Das ist Wahnsinn. Bist du dir sicher?"
Kalliope blickte ihn fest entschlossen an. "Ich bin keine Schwarze Witwe und ich kann nicht in die Zukunft sehen, aber ich bin eine Priesterin und als solche habe ich eine gute Intuition. Etwas schreckliches wird morgen geschehen. Was immer Sion vorhat, er wird keine Rücksicht auf die Bewohner des Schlosses geben. Ob er gewinnt oder verliert, es spielt für uns keine Rolle. Wir würden hier sterben. Morgen früh, Andiël."
"Verfluchte Intuition", gab der Schriftsteller sich geschlagen.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 19:35

Er hatte eigentlich gedacht, dass der Sex zwischen ihnen für sie beide ziemlich erfüllend gewesen war, doch vielleicht hatte er sich getäuscht. Ciryon war nach dem letzten morgendlichen Sex einfach verschwunden. Da hatte Andiël sich noch nichts gedacht, doch dann war der Krieger auch nicht bei der Arbeit erschienen. Ob es ihm zu peinlich war? Andiël wollte ihn nicht bedrängen, weswegen er sich mit Senden zurückhielt. Er hatte nicht bedacht, dass es schwierig zwischen ihnen werden würde, weil sie auch miteinander arbeiteten.
Der Prinz hoffte, dass Ciryon nach einem Tag wieder auftauchte, doch als das nicht passierte, begann er sich Sorgen zu machen. Unangenehmes Gespräch hin oder her, Andiël wollte Ciryon nun schlicht senden, ob sie sich treffen könnten, doch seltsamerweise ging sein Speerfaden ins Leere. Vielleicht lag es an diesem sehr unheimlichen Schloss, wo sowieso nicht alles mit rechten Dingen zuging. Andiël versuchte es an diesem Tag noch mehrmals, aber ohne Erfolg.
Dann versuchte er Ciryons Kammer ausfindig zu machen, doch er wusste so wenig über seinen Gehilfen, dass er keine Ahnung hatte wo dieser genau wohnte und niemanden den er danach fragte, schien es zu wissen. Aber vielleicht konnte er etwas über Ciryons Lady Lusian in Erfahrung bringen. Andiël hatte nie viel mit ihr zu tun gehabt, doch Kalliope wusste zum Glück, wo die Heilerin ihr Zimmer hatte.
Andiël erreichte Lady Jysana auch und klopfte an ihre Zimmertüre. Die Heilerin kam nach einer Weile heraus, schlug die Türe rasch hinter sich zu. Sie hatte einen schwarzen Bademantel um sich geschlungen und blickte ihn unwirsch an. Als Andiël sich nach Ciryon erkundigte, fuhr die Frau ihn an, dass er seine Nase nicht in Angelegenheiten stecken sollte, die ihn nichts angingen.
"Bis gestern hat er noch bei mir gearbeitet", entgegnete der Prinz. Da konnte er doch nach seinem Gehilfen fragen. Allerdings bekam er bei dem Verhalten von Lady Jysana den Verdacht, dass Ciryon ihr von ihrem Stelldichein erzählt hatte und sie darüber gar nicht erfreut war. Vielleicht hielt sie Ciryon bewusst von der Arbeit fern.
Schnippisch erklärte die Heilerin, dass Ciryon nicht mehr dort arbeiten würde. Das wäre nichts für ihn. Sie hätte ihn für einige Besorgungen in die Stadt geschickt.
"Und wann kommt er wieder? Er hat noch etwas im Büro vergessen", log Andiël, aber auch das half nicht. Lady Jysana verlangte, dass Andiël es per Boten zu ihr schicken lassen sollte. Die andere Frage überging sie einfach und verschwand wieder in ihrem Zimmer.
Der Prinz versuchte Ciryon bis in die Stadt zu senden, obwohl solch ein weiter Speerfaden Gefahr lief abgehört zu werden. Aber auch diese Nachricht verlief ins Leere. Misstrauisch blickte Andiël zur verschlossenen Türe und bekam einen schlimmen Verdacht. Natürlich hätte die Heilerin Ciryon auch fortschicken können, aber dann hätte sie Ciryon ja nicht mehr benutzen zu können und sie wirkte wie jemand, der gerne andere Leute benutzte.

Andiël kam am nächsten Tag wieder, klopfte energisch gegen die Türe und fragte erneut, wo Ciryon war und ob er aus der Stadt zurückgekommen war. Dieses Mal wurde Lady Jysana richtig ausfällig. Ciryon wäre nicht sein Geliebter und Andiël sollte aufhören ihm nachzuweinen.
"Findet euch damit ab. Er will euch nicht mehr und es ist erbärmlich wie ihr ihm nachheult", bemerkte sie.
"Ich würde das gerne von Ciryon selbst hören. Schickt ihn raus", forderte Andiël. Die Heilerin grinste ertappt, aber auch triumphierend.
"Er kann gar nicht genug von mir bekommen. Aber jetzt muss er sich erholen. Ich erschöpfe ihn regelmäßig."
Andiël blickte sie kritisch an. Wenn jemand nach Sex mit Ciryon erschöpft war, dann war es nicht Ciryon selbst.
"Wisst ihr, Sion hat die Sklaverei abgeschafft", entgegnete der Prinz. "Ihr behandelt ihn-"
"Er ist nicht mein Sklave! Er ist mein Geliebter!", fauchte Lady Jysana. "Und jetzt verschwindet bevor ich die Wachen rufen lasse wegen Verleumdnung einer Lady aus dem ersten Kreis!"
Es blieb Andiël nichts anderes übrig als sich zurückzuziehen, obwohl er am liebsten das Zimmer gestürmt hätte. Er sagte dergleichen Kalliope, aber auch sie drängte ihn zur Vorsicht. Er dürfe jetzt keinesfalls auffallen und dann redete sie wieder über eine baldige Flucht.
Nur einen Tag später wurde sie konkreter und bot an, Lady Jysana morgen aus dem Zimmer zu locken damit er mit Ciryon ungestört sprechen konnte.
Vorausgesetzt sie flohen morgen.
Andiël hätte es immer noch vorgezogen auf die eintreffende hayllische Armee zu warten. Jeden Tag kamen Berichte beim Nachrichtenzentrum herein wie nahe die Soldaten rückten. Jeden Tag etwas näher nach Amdarh. Doch Kalli war überzeugt davon, dass morgen etwas schreckliches passieren würde. Sion hätte etwas geplant, was morgen stattfinden würde. Andiël hatte davon nichts mitbekommen, doch Kalli konnte sich als Kindermädchen in den privaten Räumen in den oberen Geschossen bewegen. Andiël glaubte ihr.

Dummerweise bedeutete es, sehr früh morgens aufzustehen. Kalli wollte nicht länger als nötig warten. Die Priesterin hatte geplant Lady Jysana zum Frühstück abzulenken, doch die Heilerin kam auch jetzt nicht aus dem Zimmer.
"Ich spüre sie nicht", sagte Kalliope nachdenklich, als sie in der Nähe des Zimmers standen.
"Sie hat wahrscheinlich das ganze Zimmer abgeschirmt, damit ich sie nicht mehr belästige", vermutete Andiël. Er überlegte kurz. "Was ist mit Schlafmittel?"
Kalli rief ein Fläschchen herbei. "Das sollte sie für einige Stunden außer Gefecht setzen. Bis dahin sind wir bereits weg." Sie träufelte das Mittel auf ein Tuch. "Atme nicht zu tief ein", warnte sie und reichte es Andiël. "Schaffst du es alleine?", fragte sie. "Ich muss noch etwas vorbereiten."
Andiël nickte, doch in Wahrheit hätte er sie gerne dabei gehabt. Es gefiel ihm nicht den "starken Mann" zu spielen. Besonders nicht mit einem mit Schlafmittel getränkten Tuch in der Hand. Das stand ihm nicht.
"Klopf an. Wenn sie öffnet, drück es ihr sofort ins Gesicht", half Kalliope ihm aus. "Wenn sie nicht öffnet, verschaff dir Zugang." Sie ließ ein Schlüsselbund erscheinen.
"Was hast du alles in deinem Juwelengepäck?", wunderte sich Andiël. Seine Gefährtin lächelte mysteriös.
"Eine Frau ist immer vorbereitet." Dann gab sie ihm einen Kuss und wollte sich schon von ihm lösen. Andiël hielt sie zurück.
"Wir treffen uns gleich wieder?", versicherte er.
"Jeden Augenblick", versprach Kalli lächelnd.
Aber vielleicht sahen sie sich nie wieder.
Andiël sah ihr lange nach ehe er sich ermahnte seinen Part des Plans umzusetzen. Es behagte ihn nichtmal die wenigen Schritte zum Zimmer zurückzulegen, befürchtend, dass er jederzeit erwischt wurde. In seinen Geschichten war dieser Teil immer sehr aufregend. Aber nicht wenn man sich selbst in dieser Situation wiederfand und dieses Mal versuchte Andiël nichtmal zu einer geheimen Affäre zu kommen. Wenn man ihn jetzt erwischte, war es nicht ein wütender Ehemann oder Ehefrau, sondern der Kerker und dann der Tod.
Der Prinz sah sich mehrmals um, nervös und gehetzt. Wie schafften die Piraten das bloß? Wie hatte Kosta es geschafft?
Niemand war im Gang, als er hektisch anklopfte. Andiël hatte seine Signatur verborgen, um keinen Verdacht zu erwecken.
Nichts passierte.
"Lady Jysana?", gab Andiël sich zu erkennen. "Ich habe Geld dabei." Er hatte mittlerweile Gerüchte über die Heilerin aufgeschnappt und vielleicht half diese Finte.
Aber Lady Jysana reagierte nicht. Stattdessen bekam der Prinz unerwartet einen Speerfaden voller überwältigenden Emotionen. Es waren keine Worte und mehr ein herzzerreißendes Heulen. Und es kam unverkennbar von Ciryon.
Alarmiert rüttelte Andiël an der verschlossenen Tür, ließ aus Versehen das Tuch fallen. Der Dhemlaner fluchte, besann sich auf den Schlüsselbund und begann hektisch einen davon auszuprobieren. Nichts! Er rüttelte wieder.
"Ciryon, halt durch!", rief er. Wieso war das ein ganzer Schlüsselbund? Vielleicht hatte Kalli nicht gewusst welcher davon passte. Andiël hatte definitiv keine Geduld diese alle durchzugehen, doch er konnte auch nicht seine Kunst einsetzen. Zu auffällig. Aber wenn die Heilerin nun gerade in dem Moment auf Ciryon losging?
Der Prinz trat schwungvoll gegen die Türe. Zweimal. Dann rutschte er auf dem Tuch aus, krachte mit dem halben Körper und seiner Stirn schmerzhaft gegen die Türe, die daraufhin aus dem Schloss brach. Andiël fiel regelrecht ins Zimmer. Benommen rieb er sich die Stirn und blickte sich hektisch um. Er war in irgendeinem Vorraum, weder von Lady Jysana noch Ciryon eine Spur.
"Ciryon?!"
Der Prinz stolperte weiter. Ob er eine Waffe brauchte? Er hatte seinen Degen abgeben müssen. So schnappte er sich kurzentschlossen einen metallenen langen Kerzenleuchter. Damit bewaffnet stürmte er durch den Durchgang ins angrenzende Schlafzimmer, bereit seinen Liebhaber zu retten.
Was er stattdessen sah, ließ seinen Atem stocken. Andiël hielt erschüttert inne, verlor den Schwung seiner behelfsmäßigen Waffe. Die rote Kerze fiel von dem Kerzenständer.
Der Raum stank nach Sex und Blut. Eine Mischung, die ihm den Magen umdrehte.
Mitten auf dem großen Bett lagen Ciryon und Lady Jysana. Jedoch nicht in heißem Treiben vertieft, sondern in einer tödlichen Umarmung. Ciryon lag unter ihr, Blut tropfte über seinen nackten Körper. Eine große Lache hatte sich auf dem Bett ausgebreitet. Die Heilerin lag nackt und leblos über ihm. Breite lederne Fesseln hielten den Jüngling ans Bett gefesselt und nun sah Andiël auch wieso Ciryon sich nicht gemeldet hatte. Ein Lederknebel steckte in seinem Mund und war festgezurrt.
Andiël ließ den Kerzenleuchter fallen und kam zum Bett, als er sich endlich aus seiner Schockstarre lösen konnte. Was war hier bloß passiert? Was hatte dieses Monster Ciryon angetan? Andiël bemerkte, dass der Jüngling eine Hand freibekommen hatte und damit hatte er sich wohl gewehrt. Ciryon weinte heftig. In der freien Hand hielt er verkrampft ein blutiges Skalpell.
"Ich hätte schon viel früher kommen müssen. Es tut mir so leid", stieß Andiël schockiert aus. Er wusste nicht wo er anfangen sollte und rollte zunächst Lady Jysanas Körper auf die andere Bettseite. Als er sie umgedreht hatte, sah er die vielen Einstichwunden vorne. Wie in Rage schien Ciryon auf sie eingestochen zu haben. Aber auch er blutete aus mehreren kleineren Wunden oder war das ihr Blut? Es war schwer zu sagen.
Andiël unterdrückte ein Würgen. Nicht. Übergeben.
"Ich... komm, komm, wir schaffen das", gab er ihnen beiden Mut. Der Prinz machte sich daran den Lederknebel zu lösen. Als er ihn abnehmen wollte, merkte er erst wie tief er in Ciryons Mund ragte. Andiël zog einen ganzen ledernen Stab aus dem Mund des weinenden Kriegers. Er warf das Ding auf dem Bett beiseite und arbeitete an den nächsten Fesseln. Andiël fragte nicht was passiert war. Gerade konnte er das nicht hören. Sie mussten hier weg. Jetzt erst recht.
Er war so beschäftigt mit Ciryon, das der Prinz nicht bemerkte wie es draußen dunkel wurde.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 19:38

Schwer fiel Lady Lusian auf ihn herunter. Es trieb ihm die wenige Luft aus den Lungen. Vorbei an dem Stab, der tief in seiner Kehle steckte. Schluchzend schnappte er hektisch nach Luft. Es machte alles nur noch schlimmer. Fahrig versuchte er die Frau, die auf brutalste Weise sein Herz gebrochen hatte, von sich zu schieben. Er war jedoch nicht sonderlich erfolgreich dabei. Sie war plötzlich so schwer und unbeweglich. Warm spürte er ihr Blut über sich fliessen. Ciryon erschauderte zutiefst verwirrt und überfordert. Er wollte weinen und sich zusammen rollen. Doch er musste so liegen bleiben. Für immer? Panik wallte in Ciryon auf. Heftig strampelte er gegen die Fesseln. Damit machte er jedoch alles nur noch schlimmer. Das Leder, mit dem die Heilerin ihn am ganzen Körper eingeschnürt hatte, schnitt nur noch tiefer in sein Fleisch.

Ciryon schluchzte und weinte verzweifelt. Er wusste nicht, wie er all das fassen sollte. Er wollte hier einfach nur weg. Weg zu seinem Zuhause. Zu seinem echten Zuhause. Oder zumindest zu Prinz Sastre. Zu einer dieser Umarmungen. Das wäre so schön. Prinz Sastres starke Arme um sich zu spüren und an nichts anderes mehr denken zu können. Als hätte sein inniger, verzweifelter Wunsch den Prinzen hergezaubert, hörte er ihn auf einmal von sehr weit weg. Und irgend etwas hämmerte ganz laut. Panisch versuchte Ciryon nach dem Prinzen zu rufen. Doch der Knebel in seinem Mund unterdrückte jeglichen Schrei und brachten ihn nur zum Würgen. Hektisch versuchte er dem Prinzen zu senden. Er bachte allerdings kaum eine Verbindung zustande, geschweige denn einen konkreten Speerfaden. Gütige Dunkelheit, das durfte doch nicht wahr sein. Was, wenn Prinz Sastre ihn nicht hörte und einfach wieder ging? Bitte, bitte nicht.

Ehe Ciryon vollends den Verstand verlieren konnte, hörte er ein lautes Krachen, das ihn erschrocken zusammen zucken liess und ihn für einen Moment aus seiner Panik riss. Kurz darauf kam der Prinz auch schon zu ihm herein geeilt. Ciryon weinte hemmungslos. Diesmal vor Erleichterung und einen halben Herzschlag lang wunderte er sich sogar, warum Prinz Sastre einen Kerzenleuchter trug. Danach war er einfach nur froh, dass das schwere Gewicht von ihm genommen wurde. Das Atmen fiel ihm schon viel leichter. Trotzdem musste er erstmal husten und keuchen, als er den Knebel entfernt bekam, denn im ersten Moment würgte es in seiner Kehle wieder.
"Sie... sie... sie hat meine Eltern getötet", schluchzte er zutiefst verletzt, sobald er es konnte. "Sie hat meine Eltern getötet uu... uhund ich war ihr dankbar. Es war alles falsch. Sie hat sie getötet. Sie hat... sie hat Dinge mit mir ge... getan. E... es tut so weh. Ich... ich..." Er konnte das alles nicht begreifen.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 19:43

Ciryon hustete heftig, als Andiël den Knebel entfernt hatte. Schluchzend brachte er hervor, dass Lady Jysana seine Eltern getötet hätte. Ciryon hatte es nicht gewusst und war ihr stattdessen dankbar gewesen. Es wäre alles so falsch gewesen. Sie hätte Dinge mit ihm getan. Andiël konnte sich denken was für Dinge. Er hätte direkt ins Zimmer stürmen sollen. Am allerersten Tag. Vielleicht hätte er Ciryon dann vieles ersparen können. Aber seine Eltern wären trotzdem tot gewesen...
Die Heilerin hatte ihn angelogen und auf schrecklichste Weise mit ihm gespielt.
"Es tut mir leid", sagte Andiël und er wusste nicht was er sonst dazu hätte sagen sollen. Es war furchtbar. Der Prinz konzentrierte sich darauf die komplizierten Lederfesseln aufzumachen. Er wollte seine Juwelenkraft schonen und vor allem niemanden anlocken. Dann erinnerte er sich an die offene Tür, die er aufgebrochen hatte. Mehr als verdächtig.
"Warte hier." Dabei hatte er bisher nur den zweiten Arm befreit. Andiël rannte durch den Vorraum und zur Türe, versuchte sie so gut es ging zuzuziehen. Hoffentlich reichte es. Einem genauen Blick würde es wahrscheinlich nicht standhalten. Er kam wieder zurück. Ciryon lag immer noch zitternd und blutig auf dem Bett.
"Ich habe die Tür aufgebrochen. Wenn jemand zu genau hinschaut, sind wir beide in großer Gefahr", erklärte Andiël. Er riss an den Fesseln. Er hätte es lieber behutsam gemacht und sich Zeit gelassen, denn Ciryon wirkte sehr verstört, doch die Zeit rannte ihnen davon.
Von draußen war das Kreischen von Krähen und Raben zu hören. Andiëls Nackenhärchen stellten sich auf.
Endlich hatte er den Rest der Fesseln abbekommen.

"Hast du viele Schmerzen? Wo bist du alles verletzt?", fragte der Prinz besorgt. "Wir müssen hier weg. Du kannst nicht im Schloss bleiben." Selbst wenn es kein drohendes Ritual gäbe, sobald man Lady Jysanas Leiche fand, würde man es mit Ciryon in Verbindung bringen und ihn verhaften.
"Kalliope und ich wollen heute fliehen. Aber ich kann nicht so ohne weiteres das Schloss verlassen. Du könntest mir helfen."
Aber der Jüngling wirkte nicht in der Lage auch nur irgendjemanden zu helfen. Außerdem war er nackt und blutüberströmt. Andiël sah sich um.
"Wo ist das Bad? Kannst du dich kurz abwaschen?", fragte er. "Ciryon?" Der junge Krieger schluchzte immer noch. Der Prinz strich ihm sanft über die Schulter und wollte Ciryon tröstend in den Arm nehmen, als er sich noch rechtzeitig zurückhielt. Er konnte ihn nicht in den Arm nehmen, sonst würde seine Kleidung blutig.
Andiël erinnerte sich an den Beruhigungstrank und rief ihn dabei. Den hätte er selbst gerade gut gebrauchen können.
"Hier, trink das." Er hielt Ciryon das Fläschchen hin.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 19:45

Verzweifelt schluchzte er auf, als Prinz Sastre leise meinte, dass es ihm leid täte. Der Prinz war so lieb zu ihm. Obwohl Ciryon so komisch war und immer zurück zuckte. Er hatte ihn lieb in den Arm genommen und Schmerzen ertragen, damit Ciryon sich sicher fühlte. Der junge Krieger war so froh, dass er da war. Bis der Prinz zu seinem Entsetzen einfach verschwand. Ciryon solle hier warten. Stocksteif und am ganzen Körper bebend blieb er liegen. Seine zweite Hand war zwar nun auch frei, doch Ciryon realisierte es gar nicht. Er wagte nicht irgend etwas zu tun, aus lauter Angst, es würden dann noch mehr schlimme Dinge passieren.

Zum Glück kam Prinz Sastre wieder zurück zu ihm. Vor lauter Erleichterung weinte Ciryon nur noch heftiger. Klägliche Laute verliessen seine Lippen, als der Prinz an den Fesseln zerrte. Das tat weh. Ciryon wusste nicht, wie lange er sie oder ähnliche Fesseln trug. Sein ganzer Körper war geschunden. Trotzdem war er froh, sie nicht mehr tragen zu müssen. Egal wie weh es tat, wenn Prinz Sastre grob daran rupfte.
"Warum hat sie das getan?" fragte er verzweifelt. "Meine Eltern haben niemandem etwas getan. Wieso?" Wieso waren sie jetzt die zwei, die in grosser Gefahr waren? Prinz Sastre rettete ihn doch. Lady Lusian war diejenige, die ganz schlimme Dinge getan hatte. Sie sollte bestraft werden. Nicht Prinz Sastre. Hektisch krabbelte er aus dem Bett und knallte erst einmal hart zu Boden. Ciryon war es egal. Hauptsache er kam weg von dem Bett.

"Überall", klagte er zutiefst verwundet, wo er überall verletzt sei. Schluchzend rappelte er sich auf. Es tat alles weh. Am allermeisten ganz tief in sich drin. "Bitte. Kann ich nach Hause gehen? Ich will nicht mehr hier sein. Es ist viel zu schwer hier. Bitte. Ich will nach Hause." Das Haus seiner Eltern im Wald. Da, wo er ganz alleine war. Wo er um seine Eltern trauern konnte. Wo niemand sonst war, der ihm weh tat. Prinz Sastre hatte selbst gesagt, er müsste das Schloss verlassen. Schniefend nickte er dazu, dass auch Prinz Sastre und Lady Kalliope nicht hier im Schloss bleiben sollten. Das hier war ein furchtbarer Ort. Mit dunklen Schatten, grausamen Monstern und selbst so hübsche Frauen wie Lady Lusian waren so unfassbar brutal, dass es Ciryons Verstand überstieg. Mit dumpfem Blick starrte er aufs Bett, das so gar nicht wie ein Bett aussah. Etwas damit war seltsam.

Schluchzend erschauderte er, als Prinz Sastre ihm sanft über die Schultern streichelte. Das fühlte sich so schön an. Weinend wollte er sich ihm in die Arme werfen, um nochmals eine tröstende Umarmung zu bekommen. Darin wollte er sich verkriechen, bis er endlich wieder zuhause war. Ein scharfer Stich drang in sein Herz, als Prinz Sastre ihn aufhielt. Er wollte ihn nicht umarmen. Ciryon musste nur noch heftiger weinen. Das Fläschchen, was er trinken sollte, bekam er gar nicht so recht mit. Bis es ihm plötzlich gewaltsam an die Lippen gelegt wurde und er nicht anders konnte, als den Inhalt zu trinken. Panisch wartete er auf den nächsten Feuerblitz in seiner Männlichkeit. Lady Lusian hatte ihm immer so etwas spezielles zu trinken gegeben, ehe sie ihn in ihr Bett geholt hatte.

Lady Lusian. Erschrocken blickte er zu ihr. Sie lag so komisch auf dem Bett. Schwer drehte er seinen Kopf zu Prinz Sastre, der auf ihn einredete. Er müsse ins Bad. Überfordert huschte sein Blick zu der Badezimmertür, ehe sein Blick an sich selber hinunter glitt. Er war voller Blut. Oh, so viel Blut. Ihm wurde schlecht. Zum Glück blieb der Blitz in seiner Männlichkeit weg. Stattdessen fühlte er sich ganz beduselt und so durcheinander. Prinz Sastre war gar nicht glücklich mit ihm. Fest packte er ihn am Arm und zog ihn ins Bad. Verwirrt stolperte Ciryon hinterher. Er war so müde. Konnte er nicht schlafen? Zuhause? Ganz alleine. Er wollte für immer allein sein.

"Aaaah!" schrie er erschrocken auf, als eiskaltes Wasser auf ihn hinunter prasselte. Prinz Sastre drängte ihn dazu, sich zu waschen, sie müssten rasch von hier weg. Erneut blickte Ciryon verwundert an sich herunter und sah Blut in den Abfluss laufen. Er hatte einige, brennende Schnittwunden am ganzen Körper. An den Beinen, gefährlich nahe an seiner Männlichkeit, dem Bauch, der Brust, den Armen und auch im Gesicht, so wie es sich anfühlte. Zudem hatte er überall Quetschungen, Schürfwunden, Striehmen und Fesselmale am ganzen Körper. Einigen sah man an, dass sie schon älter waren. Trotzdem wusste er, dass das nicht nur sein Blut war.

"Was habe ich getan?" fragte er Prinz Sastre entsetzt, der gerade mit einem Kleiderbündel zurück ins Bad kam. "Was habe ich getan?" Fahrig rieb er sich alles Blut vom Körper. "Ich habe sie getötet." Wusste er auch ohne Prinz Sastres Antwort. "Ich habe sie getötet." Seine Stimme überschlug sich vor Entsetzen. Vage erinnerte er sich, wie er auf die Heilerin eingestochen habe.
"Aber ich habe sich doch geliebt", schluchzte er überwältigt. "Ich habe sie geliebt. Sie... sie war meine Herrin. Mein Leben. Und sie... und sie... Sie war so wütend. Prinz Sastre. Sie war so wütend, weil ich die Nacht bei Euch verbracht habe. Sie hat ganz schlimme Dinge getan. Ich habe mich entschuldigt. Ich wusste nicht, dass sie das nicht wollte. Ich dachte, sie wäre stolz auf meine Fortschritte. Doch sie war so wütend. Sie wurde immer wütender, bis sie auf einmal ganz traurig war, ehe sie wieder ganz wütend wurde. Und... und... dann hat sie gesagt... sie hat gesagt, sie hätte meine Eltern getötet und mich als Lustsklaven genommen. Dabei war ich ihr so dankbar. Ich liebte sie. Es war alles falsch. So falsch. Ich will nach Hause." Aufgewühlt und müde zugleich taumelte er aus der Dusche. Dass er dabei vollkommen nackt war, nahm er noch nicht einmal mehr wahr.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 19:47

Ciryon hatte ganz viele Fragen und wollte aufgelöst wissen wieso Lady Jysana seine Eltern getötet hatte. Bevor Andiël auch nur halbwegs eine Antwort überlegen konnte, kroch Ciryon panisch aus dem Bett sobald ihn die letzten Fesseln nicht mehr hielten. Der blutige Jüngling fiel zu Boden, krabbelte noch ein Stück vom Bett fort und rappelte sich wieder auf. Er schluchzte verzweifelt und klagte, dass es ihm überall weh täte. Er wolle nach Hause.
Andiël wusste nicht wo Ciryons Zuhause war, aber vermutlich hatte es Lady Jysana gewusst und welche Wachen sie auch immer mitgenommen hatte.
"Ich weiß nicht, ob das geht." Er wollte auch nach Hause, aber das war eine dumme Idee. Dort würden sie zuerst nach ihm suchen und bei Ciryon war es nicht viel anders. Andiël war leicht ratlos wie er mit dem jungen Krieger umgehen sollte. Mit dieser Situation hatte er nicht gerechnet.
"Lass uns zunächst heil aus dem Schloss kommen", verschob er eine Antwort. "Wir müssen uns beeilen."
Doch Ciryon war in keinerlei Verfassung dazu. Als Andiël einer Umarmung auswich, weinte der Jüngling herzzerreißend.
"Das geht jetzt nicht. Nachdem du das Blut abgewaschen hast", versprach der Prinz. "Wenn wir in Sicherheit sind, umarme ich dich so oft wie du willst." Um Ciryon zu beruhigen, hielt er ihm den Trank hin. Ohne würde er den Krieger wahrscheinlich nie rechtzeitig fertig bekommen.
Ciryon reagierte nicht und schluchzte weiter. "Danach geht es dir besser", versicherte Andiël und drückte dem Jüngling das Fläschchen an die Lippen. Sie hatten keine Zeit. Der Dhemlaner befürchtete, dass jederzeit Wachen hereinstürmen könnten und die Heilerin lag gut sichtbar nackt, blutig und tot auf dem Bett.
Ciryon hustete und wimmerte, aber Andiël hatte das Gefühl, dass er etwas von dem Mittel getrunken hatte.
"Schau nicht da hin. Geh ins Bad", sagte der Prinz, weil Ciryon verstört zu Lady Jysana sah. "Bitte, mach schnell. Wir müssen weg."
Aber das Mittel bewirkte, dass der Krieger sehr träge wurde und nicht in die Gänge kam. Andiël musste ihn zum Bad ziehen. Jedenfalls vermutete er, dass dort das Bad war. Ciryon hatte verwirrt in die Richtung geblickt. Dann hatte er erschrocken an sich herabgesehen wie als wisse er nicht mehr woher das Blut an ihm kam.
"Ich habe noch einen Heiltrank. Den kann ich dir gleich geben." Erst einmal wollte der Prinz sehen wie schlimm die Verletzungen waren.

Er schob den nackten Krieger unter die Duschkabine.
"Wasch dir das Blut schnell ab. So gut es geht", sagte Andiël. "Beeil dich." Der Prinz musste das Wasser selbst aufdrehen. Er streckte sich, um an den Drehknauf zu kommen und zog sich dann rasch zurück, um selbst nicht nass zu werden. Ciryon schrie unter dem kalten Wasser auf. Sie hatten leider keine Zeit um zu warten bis es warm wurde.
"Sei leise", sorgte Andiël sich. "Wir dürfen nicht entdeckt werden."
Auch wenn Ciryon erstmal nur reglos in der Dusche stand, wusch das Wasser zum Glück von selbst viel ab. Andiël eilte zurück ins Schlafzimmer, um zu sehen ob er irgendwo Ciryons Kleidung auftreiben konnte. Der Prinz durchsuchte alles hektisch und fand zum Glück passende Kleidung. Hose, Hemd, Socken. Damit kam er zurück ins Bad gerannt. Er stockte, als er Ciryon endlich ohne das viele Blut sah. Er wies viele Verletzungen auf und nicht alle davon waren frisch. Die Heilerin hatte ihn regelrecht gefoltert.
Ciryon rieb sich das restliche Blut panisch fort und fragte entsetzt, was er getan hätte.
"Du hast dich gewehrt", erwiderte Andiël. Ciryon schluchzte, dass er sie getötet hätte und dabei hätte er sie geliebt. Sie wäre sein Leben gewesen.
Aufgewühlt erzählte Ciryon was passiert war und dass Lady Jysana wütend geworden wäre, weil Ciryon die Nacht bei Andiël verbracht hatte. Dann hätte sie ganz schlimme Dinge mit ihm gemacht, obwohl Ciryon sich entschuldigt hatte. Er hätte nicht gewusst, dass Lady Jysana den Besuch nicht gewollt hatte.
Andiël dagegen war nicht darüber überrascht. Aber er hatte nicht damit gerechnet wie brutal und grausam die Heilerin tatsächlich gewesen war. Nach all der Zeit in Dunrobin Castle unterschätzte er ihre Bewohner immer noch.
"Und... und... dann hat sie gesagt... sie hat gesagt, sie hätte meine Eltern getötet und mich als Lustsklaven genommen. Dabei war ich ihr so dankbar. Ich liebte sie. Es war alles falsch", schluchzte der Jüngling. Andiël war froh, dass Ciryon erkannt hatte wie sehr ihn die Heilerin ausgenutzt hatte, doch er hatte nie gewollt, dass der Krieger es auf diesem Wege erfuhr.
Der Krieger kam tropfend aus der Dusche. Andiël hielt ihm ein Handtuch hin.
"Du hast jemanden geliebt, den es nicht wirklich gab", versuchte der Prinz ihn zu trösten. "Sie war ein schrecklicher Mensch, der dich benutzt hat." Mehr Trost konnte er gerade nicht bieten, obwohl es ihm in der Seele weh tat. "Wir können über alles reden wenn wir in Sicherheit sind."
Er rief den Heiltrank herbei und hielt ihn Ciryon hin. "Das hilft gegen deine Verletzungen."
Der Jüngling schniefte wieder, dass er nach Hause wolle.
"Das geht noch nicht. Dort würden die Wachen dich als erstes suchen. Du wärest da nicht in Sicherheit. Kalliope und ich wollen über die eyrische Grenze. Du kannst mit uns kommen", bot Andiël an. Keinesfalls konnte er den armen Krieger auf sich gestellt lassen.
Der Prinz rubbelte mit einem zweiten Handtuch Ciryons Haare halbwegs trocken. "Zieh dich schnell an", drängte er. "Wenn du hier noch Dinge hast, die du mitnehmen willst, such sie schnell zusammen. Ich kümmere mich inzwischen um Lady Jysana."
Er wusste nicht genau was er mit der toten Heilerin machen sollte, aber da konnte sie nicht liegen bleiben.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 19:48

Zum Glück verstand Prinz Sastre besser, was vor sich ging. Lieb erklärte er ihm, dass Ciryon jemanden geliegt hätte, den es gar nicht wirklich gegeben hätte. Lady Lusian wäre ein schrecklicher Mensch gewesen, der ihn getäuscht hatte. Unglücklich schniefend nickte Ciryon und nahm zitternd das Handtuch entgegen, um es um sich zu schlingen. Es tat so furchtbar weh, dass seine Herrin gar nicht so war, wie er gedacht hatte. Dass er ihr so viel geschenkt hatte, obwohl sie es gar nicht verdient hatte. Er kam sich so unendlich dumm vor und er war Prinz Sastre so dankbar, dass er ihm alles freundlich erklärte und ihn nicht auslachte. Brav trank er von der zweiten Flüssigkeit, die der Prinz ihm reichte. Sie sollte wegen seiner Verletzungen helfen. Ciryon wollte da gar nicht so genau hinschauen. Auch wenn es tatsächlich langsam aufhörte weh zu tun.

Trotzdem hatte er jetzt genug. Er wollte nach Hause. Er wollte ganz alleine sein und nie wieder mit jemandem sprechen. Prinz Sastre wehrte jedoch ab, dass das nicht gehen würde. Die Wachen würden ihn da als erstes suchen. Da wäre er nicht in Sicherheit. Erschrocken blickte Ciryon den Prinzen aus grossen Augen ängstlich an. Nein, er wollte nicht von den Wachen aufgegriffen werden. Soldaten, die machten immer ganz schlimme Sachen. Er wollte, weit, weit weg von ihnen. Panik wollte sich in ihm breit machen, weil er nicht wusste, wo er nun hin sollte, als Prinz Sastre ihm etwas anderes vorschlug.
"Nach Askavi?" fragte er erschrocken. Da lebten doch diese wilden Eyrier. Er hatte ganz schlimme Geschichten über sie gehört, wie rau und gefährlich die waren. Wie sie Sions Arme das Leben schwer machten. Hmmm, wobei, dann war es vielleicht doch nicht so schlecht dahin zu gehen. Dort würden die Wachen es schwieriger haben, sie zu finden. Oh, wenn sie nur nicht auch gleich gefangen genommen wurden, weil sie Dhemlaner waren. Allerdings war deren Gefängnis vielleicht besser, als das hier im Schloss. Oder? Hauptsache sie waren nicht mehr in diesem fürchterlichen Schloss voller unheimlicher Schatten und bösen Monstern.

Bevor Ciryons Gedanken sich wieder in einer Abwärtsspirale des Grauens verfangen konnte, rubbelte ihm Prinz Sastre mit einem Handtuch die Haare trocken. Das fühlte sich so lieb und gut an. Der junge Krieger musste prompt noch heftiger weinen. Er verstand gar nicht wieso. Prinz Sastre sorge sich doch um ihn. Es war alles gut. Oder eben auch nicht. Sie mussten dringend aus dem Schloss. Erneut mahnte ihn Prinz Sastre, dass er sich schnell anziehen sollte. Ausserdem sollte er noch die Sachen zusammen suchen, die er mitnehmen wollte. Er würde sich derweil um Lady Jysana kümmern.

Ciryon nickte eingeschüchtert. Er wollte gar nicht wissen, was das bedeutete. Fahrig tupfte er sich ab, wobei er sich wegen der Schnittwunden nicht wirklich traute, sich zu berühren. Entsprechend bliebend dann prompt seine Kleider etwas an ihm kleben, als er in sie schlüpfte. Danach huschte er ohne sich umzusehen, in sein Zimmer, wobei er beinahe über einen Kerzenleuchter gestolpert wäre. Was hatte Prinz Sastre mit dem gewollt? Aufgeregt stopfte er seine Habseligkeiten, die er noch von Zuhause hatte in seine Tasche. Allmählich zählte nur noch der Gedanke, von hier weg zu kommen. Das Schlimme mit LadyLusian verschwand hinter einer dumpfen Wand.

Viel hatte er nicht mehr von seinen Eltern. Merkwürdigerweise war das Meiste davon in eine Truhe gewandert. Nun waren ihm seine Schätze dafür um so kostbarer. Hastig polsterte er sie mit seinen Kleidern. Wenn sie nach Askavi gingen, würde er robuste Kleidung brauchen. Schuhe. Oh und eine Jacke natürlich. Sobald er alles hatte, rannte er hinaus, durch Lady Lusians Schlafzimmer. Bisher war ihm sein eigenes Zimmer wie ein sicherer Hafen vorgekommen. Jetzt hatte er das Gefühl, dass er jeden Moment darin gefangen sein konnte. Am liebsten wäre er gleich ganz in den Gang hinaus gerannt. Allerdings hatte Ciryon auch Angst vor dem, was sich draussen befand. Ausserdem kam ihm ganz unverhofft noch etwas in den Sinn. Rasch ging er zu der Komode in der Stube, öffnete die dritte Schublade und langte tief hinein. Dahinter befand sich eine doppelte Rückwand, wie er wusste. Darin befand sich ein kleiner Beutel Gold. Den brauchten sie vielleicht auch in Askavi. Zitternd liess er ihn zusammen mit seiner Tasche in seinem Juwelengepäck verschwinden, ehe er die Schublade wieder so zumachte, dass niemand etwas von dem Geheimfach sah. Dann stellte er sich neben die aufgebrochene Tür. Vor Angst bebend und sehnsüchtig darauf hoffend, dass er sich endlich in Prinz Sastres Arme verkriechen durfte.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 19:49

Ciryon hatte eindeutig noch nicht daran gedacht, dass man ihn suchen und verfolgen könnte. Ängstlich blickte er ihn aus seinen großen, grünen Augen an. Aber nach Askavi schien er auch nicht zu wollen.
"Das ist unser erstes Ziel." Kalliope wollte natürlich bis nach Hayll. "Wir haben dort Kontakte, wo wir unterkommen können. Wir können später zurück nach Dhemlan, wenn es wieder sicher ist." Andiël hoffte es sehr. Er wollte herausfinden was seiner Familie und ihrem Ansitz widerfahren war. Aber das waren Gedanken für die Zukunft. Wenn sie sich nicht beeilten, würden sie dieses Schloss gar nicht erst verlassen.
So beeilte der Prinz sich Ciryon dabei zu helfen sich abzutrocknen ehe er ihm die Kleidung hindrückte. Zum Glück war der Krieger mittlerweile kooperativer, hatte vorhin auch den Heiltrank ohne Gegenwehr zu sich genommen und seine Haut hatte bereits eine etwas gesündere Farbe angenommen. Die Blutungen der zahlreichen Schnittwunden versiegten größtenteils. Es musste fürs erste reichen.
Während Ciryon sich anzog und seine Habseligkeiten zusammensuchte, eilte Andiël ins Schlafzimmer zurück. Mit verzogenem Gesicht blickte er zu der Leiche. Kalli hätte jetzt bestimmt einen Plan gehabt und effizient alles erledigt. Er musste sich davon abhalten nicht durchzudrehen. Der Prinz näherte sich vorsichtig dem Bett. Gut, nicht hinschauen. Schnell machen. Andiël nahm das andere Ende des Lakens und warf es über den blutigen Körper. Aber das weiße Tuch begann sich ebenfalls schnell vollzusaugen. Der Prinz durchsuchte das Schlafzimmer nach weiteren Decken oder Tüchern. Er fand mehrere Bettlaken, die er allesamt auf die tote Heilerin warf. Erst dann wagte Andiël sich aufs Bett und begann die Frau darin einzuwickeln.
Er würgte. Oh Dunkelheit, wie eklig. Andiël war sehr versucht Kalli zur Hilfe zu rufen, doch er wagte nicht zu senden. Das hier musste er alleine schaffen.
Mit jedem Tuch wurde es zum Glück leichter.

Einmal kam Ciryon durchs Schlafzimmer gerannt, doch glücklicherweise blickte er nichtmal hinüber zum Bett. Andiël versuchte auch nicht hinzusehen was er da tat. In seinen Geschichten kamen selten Leichen vor. Es ging dort um die Freude am Leben. Der Prinz versuchte sich an Krimigeschichten von anderen Autoren zu entsinnen und wie man dort eine Leiche verbarg. Auf die Schnelle kam ihm nur der Kleiderschrank in den Sinn. Es musste reichen. Der Prinz zog die eingerollte Leiche schnaufend vom Bett und bugsierte sie hinüber zum hohen Kleiderschrank.
Nicht daran denken was du gerade tust, nicht daran denken was du gerade tust, redete er sich immer wieder zu. Oh, er wollte so sehr einen Drink. Etwas hochprozentiges. Er hatte in letzter Zeit oft ohne Grund getrunken, aber das hier war ein sehr triftiger Grund.
Andiël schob die Leiche in den Schrank, verbarg sie grob hinter herabhängenden Gewändern. Dann warf er eine dunkle Wintersteppdecke über das Bett. Hoffentlich würde es die großen Blutflecken verdecken. Nicht aber den Geruch. Der Prinz eilte zum Fenster und stieß es auf.
Erschrocken hielt er inne. Wann war es so dunkel geworden? Es war zudem eine seltsame Dunkelheit. Wirbelnde Schlieren aus Rauch mit einem beißenden Geruch in der Luft. Andiël hustete und trat rasch vom Fenster weg. War es das was Kalli befürchtet hatte?
Der Prinz rannte aus dem Schlafzimmer. Ciryon wartete bei der Türe.
"Bist du fertig? Hast du alles?", fragte Andiël. "Wir können nicht wieder zurück." Er überprüfte kurz Ciryons Erscheinung. Auf Anhieb konnte er kein Blut entdecken. Dafür wirkte der Jüngling trotz Beruhigungstrankes weiter ziemlich aufgeregt und mitgenommen.
"Ich habe vor zurück zum Büro zu gehen. Du wirst dieses Mal den Wagen mit den Setzbuchstaben in die Stadt bringen. Mit mir unten drin. Schaffst du das?", fragte Andiël eindringlich. "Bei den Wachen am Tor musst du so tun als ob alles wie immer wäre." Der Prinz zögerte. "Allerdings glaube ich, dass heute für alle im Schloss nichts ist wie sonst. Etwas geht vor sich. Draußen ist der ganze Himmel verdunkelt." Das sollte auch die Wachen ablenken, aber hoffentlich ließen sie deswegen überhaupt Menschen aus dem Schloss.
"Wenn sie dich aufhalten wollen, unterstreiche wie wichtig es ist, dass die Zeitung gedruckt wird", schärfte er Ciryon ein. "Kannst du das?"
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 19:52

Erleichtert atmete er auf, als Prinz Sastre endlich aus dem Schlafzimmer zu ihm kam. Jetzt konnten sie endlich gehen. Bitte. Er wollte hier raus. Von ihm aus auch nach Askavi. Hauptsache sie kamen ganz weit weg von diesem Schloss. Weg von Lady Lusian und... oh er durfte gar nicht daran denken. Sonst musste er wieder anfangen zu weinen. Ciryon spürte schon, wie seine Augen wieder heftiger anfingen zu brennen. Wenn er sich doch nur endlich in Prinz Sastres Arme fliehen und sich dort ausheulen durfte.

Der Prinz musterte ihn jedoch streng und erklärte ihm, dass sie nicht so aussehen dürften, als würden sie nie mehr wiederkommen. Ciryon nickte brav, auch wenn er sich keinen Gedanken darüber gemacht hatte. Er war in Gedanken schon weit weg von hier. Entsprechend wurden auch seine Augen gross, als Prinz Sastre ihm erklärte, dass er erstmal zurück zum Büro gehen würde. Ciryon hatte gedacht, sie würden nun das Schloss verlassen. Stattdessen sollte er zu seinem Entsetzen den Wagen mit den Setzkästen in die Stadt bringen. Mit Prinz Sastre unten drin. Was hiess unten drin? Augenblicklich wallte die Panik wieder hoch in ihm.

"Ich soll alleine in die Stadt?" fragte er erschrocken. Seine Stimme überschlug sich dabei. "Und euch verstecken? Warum könnt ihr nicht normal mit mir kommen?" Nein, das schaffte er nicht. Er hatte das Schloss noch nie verlassen. Es war ihm schon unheimlich genug, alleine darin herum gehen zu müssen und nun sollte er das mit einem grossen Geheimnis tun. Nein, das würde er definitiv nicht können. Er war jetzt schon vor Angst gelähmt.
Prinz Sastre blieb jedoch streng mit ihm und schärfte ihm ein, dass er bei den Wachen am Tor so tun müsse, als ob ales wie immer wäre. Dabei war überhaupt nichts wie immer. Seine Herrin war tot und er war schuld daran. Wenigstens sah Prinz Sastre ein, dass nichts so wie sonst war. Allerdings meinte er etwas ganz anderes, als das was Ciryon fühlte. Es wäre für alle im Schloss so. Es ginge etwas vor sich. Draussen sei der ganze Himmel verdunkelt. Verwirrt blickte Ciryon aus dem Fenster. Es war draussen wirklich ganz finster. Schlimmer als vor einem Gewittersturm. Ein erschrockenes Wimmern entfloh ihm. Er sollte da hinaus? Ganz alleine? Plötzlich kam ihm das Schloss doch wieder schützender vor, als von hier zu fliehen. Vielleicht konnten sie sich auch in einem kleinen, weit entfernten Winkel verstecken. Andererseits, nein, da hausten ja die besoners gefährlichen Monster. Solche wie die Lady aus dem Spiegel.

"Ich habe so furchtbar Angst", stiess er bebend aus, ob er das könne. "Die Wachen werden sofort merken, dass ich Angst habe." Selbst wenn er darauf drängte, dass die Zeitung unbedingt gedruckt werden sollte und er es deswegen eilig hatte. Sie würden trotzdem erkennen, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Ciryon glaubte nicht, dass sie sich von ihm täuschen lassen würden.
"Gibt es keinen anderen Weg?", fragte er verzweifelt. "Sie werden bestimmt merken, dass ich was verbotenes mache und... und dann bringen sie uns zu Sion. Ich... ich... er wird alles wissen. Ich kann nicht noch einmal... Oh, Prinz Sastre, können wir nicht bitte einfach so gehen? Bitte. Warum müsst Ihr euch verstecken? Ich müsst doch auch ab und an zu Druckerei und alles beaufsichtigen." Oder etwa nicht? Ciryon wusste es nicht. Darauf hatte er nicht geachtet.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 19:53

Leider war sein Liebhaber so gar nicht von dem Plan überzeugt eine Schlüsselfigur der Flucht zu werden. Ciryon erschrak bereits bei dem Gedanken alleine in die Stadt zu gehen.
"Warst du noch nie alleine in der Stadt?", fragte Andiël verblüfft. "Ich bin ja bei dir. Du bist nicht richtig alleine."
Aber das beruhigte den Jüngling nicht sehr und er fragte warum Andiël nicht auf normalen Wege mitkommen könnte.
"Das geht nicht. Das Risiko ist zu groß, dass sie mich nicht durchlassen oder mir Begleitwachen mitgeben." Andiël war kein Pirat oder Spion. Er hatte es noch nie geschafft diese Männer abzuschütteln, geschweige denn dass er einen Kampf mit ihnen überlebt hätte.
Als Andiël seinem furchtsamen Gehilfen erklärte, dass die Wachen vermutlich ohnehin abgelenkt wären von dem was im Himmel vor sich ging, sah Ciryon prompt zum Fenster und erschrak bei dem Anblick der rauchigen Schlieren, die sich träge zusammenballten und scheinbar von einer Richtung zur anderen wirbelten. Ciryon wimmerte und wurde blass im Gesicht. Er hätte Angst, stieß er aus. Andiël glaubte ihm sofort.
"Ich auch", gab er zu. Sehr große sogar. Der Drang nach einem Glas Wein, oder mehreren, wurde immer größer. Ebenso die Stimme, die ihm sagte, dass es alles verrückt war und er zurück in sein Zimmer sollte. Dort könnte er warten bis alles vorbei war. Bis die hayllische Armee ihn abholten. Andiël fragte sich prompt, ob er in Hayll überhaupt willkommen war. Er hatte streng genommen mit Sion zusammengearbeitet. Er hatte schlimme Lügen über sie verbreitet und Propaganda verbreitet. Er hatte widerliches Zeug geschrieben. So widerlich, dass er sich vor sich selbst ekelte und sich selbst nur betrunken hatte ertragen können.
Andiël blickte ebenfalls zum Fenster. Er ging lieber das Risiko ein von den Eyriern oder Haylliern gefangen genommen zu werden als länger hier zu bleiben. Er begann zu glauben, dass Kallis Intuition recht behalten sollte.

Ciryon sorgte sich, dass die Wachen ihn sofort durchschauen würden.
"Jeder im Schloss hat Angst. Wenn sie fragen wieso du nervös bist, schieb es auf das Wetter." Das machte auch ihm Angst. Ciryon ließ sich trotzdem nicht überzeugen und flehte, ob es nicht einen anderen Weg gäbe. Er fürchtete sich, dass man sie entdecken würde und sie beide zu Sion bringen würden.
"Ich glaube, der ist momentan beschäftigt..", vermutete Andiël. Die Wachen würden Sion jetzt nicht stören nur wegen zwei Flüchtenden. Andiël war sich ziemlich sicher, dass Sion hinter diesen düsteren Wolken steckte.
"Wir müssen uns beeilen. Ich kann nicht mit dir mitgehen. Sie überwachen mich. Sonst wäre ich viel früher geflohen", vertraute er Ciryon an. "Ich bin nicht freiwillig hier. Und jetzt komm, lass uns zum Büro gehen. Wir können nicht hier bleiben." Jede Minute, die verstrich, erhöhte das Risiko, dass jemand den Gang entlang kam und die aufgebrochene Türe entdeckte. Wo sie direkt hinter standen. Verdächtiger ging es nicht.
Andiël packte seinen wimmernden Liebhaber prompt am Arm und zog ihn mit sich aus dem Raum. Der Dhemlaner drückte die Türe zu so gut es ging.
"Los, weiter", drängte er und schlug mit Ciryon den Weg zum Büro ein. Andiël ging so schnell wie er es wagte ohne zu rennen. Sie kamen an einer Gruppe marschierenden Wächtern vorbei. Der Prinz senkte den Kopf und zog Ciryon schnell weiter.
Andiël fragte sich, ob Kalli bereits draußen war, doch er konnte es nicht herausfinden. Kein Senden, kein Anwenden der Kunst.
Sie eilten an einem Gang entlang, der viele hohe Torbogenfenster nach draußen hatte. Es war nahezu stockfinster. Als wäre es nachts. Dabei konnte noch nicht so viel Zeit vergangen sein. Schattenhafte Schlieren drangen durch die Ritzen der Fenster und waberten in den Gang hinein. Die Luft wurde beißend und heiß. Andiël hustete, hielt sich den Ärmel vor den Mund.
"Versuch nicht zu tief einzuatmen", riet er Ciryon.
Sie durchquerten den Gang nur mit Mühe ehe sie in ein Gebiet kamen, wo es noch nicht so schlimm war. Andiëls Augen tränten und er fühlte den Rauch schwer in seiner Lunge. Hustend rang er nach Luft.
"Schnell", drängte er und sobald sie niemand sah, rannten sie nun doch in Richtung Büro. Zu Andiëls Erleichterung war sein zweiter Gehilfe nicht da.
"Hilf mir mit den Buchstaben. Pack irgendwas drauf. Es muss nicht viel Sinn ergeben", sagte der Prinz. Er schloss die Türe, aber auch hier drin wurde es sehr warm. Er fühlte ein Vibrieren in sich drin, ein schwacher Zug an seinem Juwel.
Hastig diktierte Andiël Ciryon die ersten Sätze.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 19:55

Zu seiner grossen Verwunderung sagte Prinz Sastre ihm, dass er ebenfalls Angst hätte. Das kam so unerwartet, dass es Ciryon für den Moment proompt aus seiner Panik riss. Prinz Sastre wirkte gar nicht so, als ob er Angst hätte. Er wirkte tapfer und mutig und als wüsste er ganz genau, was er zu tun hatte. Wie konnte er da Angst haben. Hastig fuhr der Prinz fort, dass jeder hier im Schloss Angst hätte. Ciryon kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wirklich? Es war nicht nur er, der Junge aus einem Dorf mitten im Wald, der nicht mit der Situation hier im Schloss klar kam? Es ging auch den Schlossbewohnern so? Warum sagten sie dann nichts? Warum wirkten dann alle so, als wäre alles vollkommen normal. Verhalten und ziemlich verwirrt nickte er dazu, dass er erklären sollte, das Wetter wäre an seiner Nervosität schuld. Das stimmte ja zum Teil auch. Draussen sah es sehr unheimlich aus. Trotzdem musste es einen anderen Weg geben.

Prinz Sastre verneinte das klar. Sie müssten sich beeilen und er selber könne nicht einfach so aus dem Schloss gehen. Er würde überwacht werden, sonst wäre er viel früher geflohen. Aber Sion wäre jetzt wahrscheinlich ohnehin zu beschäftigt. Sie müssten jetzt gehen. Verwirrt versuchte Ciryon das alles zu verstehen. Es kam ihm so vor, als ob er bisher ein ganz anderes Bild betrachtet hatte, als Prinz Sastre. Er verstand nicht, warum der Prinz von hier fliehen wollte, wo er doch eine gute Arbeit hatte und von allen geschätzt wurde. Na ja, wobei, dass er aus dem Schloss fliehen wollte, konnte er sehr gut verstehen. Hier war es so verflixt unheimlich. Selbst wenn es einem ansonsten gut ging.

Überfordert liess Ciryon sich aus Lady Lusians Stube zerren, nur um ängstlich im Gang zu warten, bis Prinz Sastre die beschädigte Tür zugezogen hatte. Warum hatte die er eigentlich kaputt gemacht? Das war wie die Sache mit dem Kerzenleuchter. Ciryon verstand nicht so recht, was der Prinz damit gewollt hatte. Allerdings begriff er wieder einmal, wie wenig er grundsätzlich verstand.
Bedröppelt aber doch etwas erleichtert liess er sich von Lady Lusians Gemächern wegziehen. Mit jedem Schritt ging es ihm etwas besser. Zumindest so lange, bis sie auf einen Trupp Wächter stiessen. Ciryon wollte schon in Panik erstarren, doch Prinz Sastre legte einfach einen Arm um ihn, um ihn weiter zu ziehen und senkte dabei seinen Kopf. Rasch machte Ciryon es ihm nach, ehe er glühend rote Wangen bekam, weil er begriff, dass sie so wie ein Liebespärchen aussehen mussten. So peinlich. Trotzdem war das ein viel besseres Gefühl, als diese allgegenwärtige Angst.

Eine Angst, die viel zu schnell und zu heftig zurück kehrte. Diesmal tatsächlich wegen diesem komischen Wetter. Ciryon hatte viel eher das Gefühl, dass es rund um das Schloss herum brannte. Es wurde wärmer und so komische, schattenhafte, ölige Schlieren drangen in das Schloss ein. Überall bei den Fensterritzen. Das Atmen wurde richtig schwer. Auch Ciryon musste husten. Auch seine Augen tränten. Diesmal jedoch wegen dieser komisch beissenden Luft. Keuchend und hustend stolperte er halb blind hinter Prinz Sastre her. Es tat gut zu rennen. Es gab ihm das Gefühl, etwas zu tun, damit er weg von diesem Ort des Grauens.

Im Büro war die Luft etwas besser, als draussen in den Gängen. Doch es war warm und trotz des künstlichen Lichtes, war es sehr dunkel hier drin. Ciryon konnte die Buchstaben kaum erkennen, die er in den Setzkasten tun sollte. Der Arbeitsplatz war jedoch gut aufgeräumt und seine Finger erinnerten sich daran, was er tun sollte, sobald Prinz Sastre mit dem diktieren anfing. Es war etwas vertrautes, das Ciryon die Ruhe gab, schnell und konzentriert vorwärts zu arbeiten. Vielleicht war sein Empfinden auch jenseits jegliches Entsetzens, dass er gar nichts mehr empfinden konnte.

Eine Weile später merkte er, dass er sich darin gründlich getäuscht hatte. Sobald die Schriften gesetzt waren, flammte wieder masslose Angst in ihm hoch. Unwillkürlich brach er wieder in Tränen aus. Prinz Sastre versuchte ihn zu trösten und gleichzeitig zur Eile zu drängen. Ciryon nickte fahrig. Er wusste, er musste das tun. Wenn er es nicht tat, würden sie ganz bestimmt auf die schlimmste Art und Weise sterben. Ciryon konnte sich zwar nicht vorstellen, wie das war, doch das wollte er auch gar nicht herausfinden. Hektisch wusch er seine Finger unter lauwarmem Wasser. Dabei hatte er den Kaltwasserhahn aufgedreht. Aus einem Impuls heraus steckte er auch noch seinen Kopf unter das Wasser, wischte sich die Tränen weg. Das tat gut. Rasch packte er zwei Weinflaschen, die da unter dem Spülbecken leer rumstanden und füllte Wasser ein, ehe er sie wieder mit dem Korken verschloss. Er hatte das Gefühl, sie könnten einen ganzen Strom von Wasser brauchen. Vielleicht brannte es dann doch.

"Prinz Sastre?" hielt er noch einmal kurz inne, bevor er das Geheimversteck des Prinzen zumachte, in das er sich verkrochen hatte. "Danke, dass Ihr mich holen gekommen seid." Innig drückte er ihm die Hand, ehe er den Setzkastenwagen zumachte. Dann war er alleine. Oh gütige Dunkelheit! Er durfte nicht darüber nachdenken. Rasch und mit klopfendem Herzen öffnete er die Tür. Sofort kam ihm ein Schwall dieses bösartigen Rauches entgegen. Ciryon musste heftig husten und bald schon tränten ihm seine Augen. Es war schwierig, nicht zutief Luft zu holen. Besonders wo er doch diesen schweren Wagen schieben musste. Allerdings merkte er rasch, dass dies alles nur noch schlimmer machte.

Wenigstens traf er in den Gängen keine Menschen mehr an. Weder Wachen noch Dienstboten. Alle schienen sich in ihre Zimmer verkrochen zu haben. Ciryon konnte es ihnen nachfühlen. Das war auch sein Instinkt. Wenn er nicht wüsste, dass es da nur noch schlimmer war. Sicher erreichte er den Lastenaufzug und konnte dann sogar erleichtert aufatmen, als er ihn ganz alleine nach unten benutzen konnte. Der junge Krieger wusste, dass er für den Moment in Sicherheit war. Solange der Fahrstuhl fuhr, konnte nämlich niemand hinein kommen und entdecken, was er da verbotenes tat.
Viel zu schnell kamen sie jedoch unten an und Ciryon musste all seinen Mut zusammen nehmen, um aus dem Aufzug zu treten. Hier waren jede Menge Leute unterwegs. Die Luft war noch viel giftiger und es herrschte ein hektischer Lärm. Zuerst befürchtete er, dass es deswegen sei, weil ihn alle suchten. Doch bald schon merkte er, dass ihn gar niemand beachtete. Die Leute, vorwiegend Dienstboten, brüllten sich gegenseitig Sachen zu, mussten dringend etwas erledigen oder schimpften miteinander. Ab und an war ein Scheppern oder ein Schrei zu hören. Ciryon kam es so vor, als würde er durch einen aufgescheuchten, aber blinden Bienenschwarm gehen. Sein Herz raste vor Aufregung.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 19:56

Ciryon konnte sich wenigstens wieder auf seine Arbeit konzentrieren und half Andiël flink die Metallbuchstaben zu platzieren. Andiël wusste kaum was er da diktierte. Es waren halbwegs verständige Sätze, sollte einer der Wächter genauer hinschauen. Im Prinzip war es ein etwas anderer Text als die gestrigen Nachrichten. Der Prinz war versucht für das letzte Mal keine Propagandanachrichten zu verfassen sondern die Wahrheit, die die Bürger von Dhemlan verdient hatten, doch er konnte es nicht riskieren.
Also musste er noch ein letztes Mal lügen.
Andiël wurde noch nervöser, als sie endlich alles gesetzt hatten. Ciryon begann erneut zu weinen und zu schluchzen.
"Hey, es wird alles gut. Du kannst das", sprach Andiël ihm Mut zu und drückte ihn kurz an sich. "Bald sind wir über alle Berge und das hier ist nur noch ein schlechter Traum. Du musst nur aus dem Tor kommen und dann bleibst du nicht stehen und schiebst den Wagen bis in die Stadt rein. Hier ist die Adresse, wo du den Wagen hinbringen sollst." Er steckte Ciryon den Zettel zu. "Dort kannst du auch hingehen, sollten wir getrennt werden. Kalli wartet auf uns." Falls Andiël es nicht schaffte, konnte sie immer noch Ciryon weiterhelfen. Der Prinz bezweifelte, dass der Jüngling sich alleine durchschlagen konnte. Er wirkte vollkommen hilflos. Lady Jysana hatte ihn womöglich direkt aus seinem Dorf entführt und dann nie aus dem Schloss rausgelassen.
"Wir müssen jetzt los. Wundere dich nicht, dass du meine Signatur nicht spüren kannst. Sende mir nicht und rede nicht mit mir bis wir weit genug von Dunrobin Castle entfernt sind", schärfte er dem weinenden Krieger ein.
"Du schaffst das. Es ist nur ein kleiner Weg. Sag, dass wir den anderen Gehilfen nirgendwo finden konnten, wenn sie fragen warum du das heute machst", fiel Andiël noch ein. Er wusste nicht wie schlagfertig Ciryon mit eigenen Antworten sein würde.
Ciryon beruhigte sich allmählich wieder und ging, um sich die Hände abzuwaschen. Andiël schloss in der Zwischenzeit sein angrenzendes Büro ab, nachdem er dort drinnen ein Netz platziert hatte. Kalli hatte es für viel Geld besorgt. Einmal aktiviert gaukelte das Netz Andiëls Signatur vor. Es war zwar statisch, doch für das Büro reichte es vollkommen. Als letzten Schliff hängte er das 'Bitte nicht stören' Schild an die Türe. Es war nicht unüblich, dass er sich dort manchmal einschloss um zu trinken oder gar am Schreibtisch darüber einschlief.
Danach entkorkte Andiël eine Phiole mit übelriechender Mixtur. Sie würde seine Signatur für eine Zeit verbergen. Er hoffte, es funktionierte alles wie gedacht.

Andiël schob die geheime Einfassung an der Seite des Setzwagens auf und zwängte sich hinein. Ihm war ein Rätsel wie Kalliope dies alles bewältigt hatte, doch sie arbeitete schon sehr lange an eine Möglichkeit zu fliehen. Ciryon drückte ihm die Hand und bedankte sich dafür, dass Andiël ihn geholt hatte.
"Ich wünschte, ich hätte es schon früher getan", erwiderte der Prinz inbrünstig. "Jetzt bist du gefragt. Bring uns hier raus."
Ciryon schloss das Holz von außen und innerhalb von Andiëls Versteck wurde es dunkler. Es roch nach dem Metall der Setzbuchstaben. Er konnte sich kaum rühren. Aus zwei schmalen Schlitzen konnte Andiël etwas sehen, doch es war nicht viel. Vielmehr spürte er wie sich der Wagen rumpelnd in Bewegung setzte. Andiël versuchte möglichst ruhig durch die Nase zu atmen, während der dunkle Rauch bis in sein Versteck drang. Er durfte keinesfalls husten. Dann half auch das Unterdrücken der Signatur nicht mehr.
Ciryon schob den Wagen bis zum Lastenaufzug und mit einem Ruckeln fanden sie sich alleine in dem dunklen Schacht wieder. Andiël hätte dem Krieger gerne mehr Mut zugeflüstert, wagte es aber nicht.
Nach einer längeren Zeit verließen sie den Aufzug wieder und der Wagen wurde weitergeschoben. Andiël hörte Schritte und viele besorgte Stimmen, manchmal gar hysterische Schreie. Im Erdgeschoss schienen sich die meisten versammelt zu haben. Zum Glück hielt niemand Ciryon auf. Er schob den Wagen weiter, durch den Bedienstentrakt und einen Seiteneingang hinaus. Sofort wurde die Luft beißender und stickiger. Andiël spürte ein Kratzen im Hals. Nicht Husten.
Außerdem schien das Ziehen an seinem Juwel stärker zu werden, wie eine größere Leere die sich aufbaute. Dem Prinzen schwindelte leicht. Ciryon, beeil dich, dachte er drängend.
Sie mussten draußen sein, der Wagen rollte über anderen Steinboden. Andiël spürte leichten Wind. Und doch war es sehr dunkel draußen.
"Sion wird unsere Feinde vernichten! Er ruft einen riesigen Sturm herbei, der die Hayllier hinwegfegen wird!", hörte der Prinz jemanden rufen. Er rief es noch mehrmals ehe er röchelte und hustete.
"Lasst uns durch! Ihr könnt uns nicht hier einsperren!", machte Andiël die nächste Stimme aus. Andere sagten etwas ähnliches. Es war ein ganzer Pulk an Personen und dazwischen strenge Stimmen, die die Menge aufforderte zurückzutreten oder im Kerker zu landen. Das Tor wäre für alle gesperrt. Niemand dürfe gehen.
"Geht wieder rein!", rief ein Mann zurück.
Verdammt, dachte Andiël. Was machten sie jetzt?
"He du! Ist das die neue Zeitung? Was sagen die Nachrichten?", fragte jemand und der Wagen ruckelte etwas.
"Steht da etwas über den Sturm?", fragte ein anderer. Mehrere Menschen schienen sich um den Wagen zu drängen, während Ciryon versuchte ihn weiter in Richtung Tor zu schieben. Bloß nicht nervös werden, Ciryon, dachte Andiël.
"Alle zurück!", schnarrte der Wächter. Erneut ruckelte und schwankte der Setzwagen ehe er sich langsam wieder in Bewegung setzte.
"Was ist das? Der Setzwagen um die Uhrzeit?", fragte der Wächter. Gut, Ciryon war bis zum Tor gekommen. "Du bist früh dran. Wo ist Ellam?"
Einer der Männer beugte sich tief über den Wagen.
"Was machst du da?", fragte einer der anderer.
"Ich will die Nachrichten lesen", erwiderte der erste. "Was? Das ist alles spiegelverkehrt. Wer soll das lesen können?"
Der andere lachte. "Das ist immer spiegelverkehrt. He- zurück!"
Andiël hörte ein Gerangel und einen Schmerzenschrei.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 19:57

Mühsam schob er den Wagen über eine unpraktische Schwelle beim Eingang. Das war ganz schön schwer. Dann hatte er es jedoch geschafft und befand sich im Hof vor dem Tor. Hier draussen war es ungleich heisser und die Luft war noch viel stickiger und kratziger. Dabei war es doch sonst draussen meistens angenehmer. Aber nicht hier. Ciryon hatte immer mehr das Gefühl, dass das Schloss brannte. Auch wenn man kein Feuer sehen konnte. Ausserdem war da so ein komisches Prickeln bei seinen Juwelen. Ein seltsamer Sog. Es brachte Ciryon zum Stolpern, als er sich genauer darauf konzentrierte.

Zitternd klammerte er sich an den Wagen und widmete sich wieder ganz dem Schieben. Alles andere war viel zu angsteinflössend. Also machte er einen Schritt nach dem anderen und versuchte entschlossen auszuschauen, damit ihn niemand aufhielt. Dabei fiel ihm auf, dass es noch mehr Leute hatte, auf die er aufpassen musste. Es wurde noch mehr gerufen, aber auch geröchelt und gehustet. Ciryon musste auch ab und an husten. Was die vielen Menschen hier wollten, verstand er nicht so ganz. Doch er begriff, dass fast alle von ihnen auch Angst hatten. Genau wie Prinz Sastre gesagt hatte. Alle hatten Angst und viele wollten weg von hier. Genau wie Ciryon. Seltsamerweise half Ciryon diese Erkenntnis, dass er mit seinen Ängsten nicht alleine war, etwas ruhiger zu werden. Es war nicht schlimm, wenn man ihm seine Angst ansah. Alle sahen so aus. Er würde deswegen nicht auffliegen. Er musste den Wagen nur in die Stadt fahren.

Er musste nur ans Tor gelangen. Das sah gar nicht so leicht aus. Da sammelten sich so einige Leute. Zu seiner Überraschung waren es ausgerechnet die Torwachen, vor denen er sich so fürchtete, die ihm halfen zum Tor zu gelangen. Sie drängten die Menschen, die ebenfalls in die Stadt wollten, zurück und halfen ihm, an all den Menschen vorbei zu kommen. Dann wurden ihm jedoch eine Menge Fragen gestellt, die Ciryon erst einmal nur mit grossen erschreckten Augen beantworten konnte. Glücklicherweise erwarteten sie nicht sofort eine Antwort. Sie unterhielten sich ganz gut miteinander. So lange, bis die Leute wieder ungeduldig wurden und zu drängeln anfingen. Jemand fiel hin und schrie auf.

"Ich... ich muss mich beeilen", piepste er aufgeregt. "Wegen... wegen der Zeitung. Ich bin spät dran."
"Spät dran? Pellem ist sonst immer später dran? Wo ist er überhaupt?"
"Ich weiss... ah.." Jemand schubste ihn. Krampfhaft klammerte er sich am Wagen fest. Er durfte Prinz Sastre auf keinen Fall verlieren. "Ich weiss nicht wo Pellem ist", beteuerte er hastig. "Deswegen muss ich jetzt den Wagen runter fahren. Und später vielleicht noch einmal. Wegen der vielen Nachrichten. Es... es gibt nachher noch ein Extrablatt. Wegen dem Krieg und... und diesem Feuersturm." Oder was auch immer das war.

Gemurmel wurde hinter ihm laut. Ciryon fixierte jedoch nur den Wächter mit seinem verzweifelten Blick. "Bitte", flehte er. "Ich bin schon viel zu spät dran. Sie werden böse, wenn ich sie zu lange warten lasse. Sie schlagen mich sonst wieder." Oder noch viel schlimmeres. Lady Lusian wusste furchtbar schlimme Dinge mit einem anzustellen. Der Blick des Wächters huschte zu den Wunden im seinem Gesicht, ehe er seufzte und dann nickte. Das kleine Tor im grossen Tor wurde aufgemacht und Ciryon durchgewunken.
"Danke", wisperte Ciryon. "Ich bin gleich wieder da." Hastig schob er den Wagen nach draussen. Erneut wurde er angerempelt. Diesmal ziemlich heftig. Der Wagen bekam dadurch ordentlich Schwung und da es ohnehin leicht abwärts ging, musste er dem Wagen beinahe hinterher rennen, um ihn nicht zu verlieren und selbst dann musste er noch traben, weil der Wagen so ein Gewicht hatte, so dass er ihn nicht einfach bremsen konnte. Erst da wurde er der Rufe gewahr, die hinter ihm Laut wurden. Zornige Rufe. Angstvolle Rufe und dann panische. Viele schrien Feuer. Also war doch etwas ausgebrochen. Erschrocken blickte Ciryon zurück, konnte aber nur wirbelnden, schwarzen Rauch entdecken. Kein Feuer. Aber wenn es so rauchte, dann musste es brennen.
Einen Herzschlag später brachen Menschen aus dem Rauch heraus. Hustend, taumelnd, aber vorallem zielstrebig von dem Schloss wegrennend. Direkt auf ihn zu! Ganz viele! Erschrocken quietschte Ciryon auf und rannte los. So schnell es ging weg von den vielen Leuten und dem gefährlichen schloss. Manchmal schob er den Karren, manchmal wurde er von ihm gezogen. Es ging immer schneller und schneller. Trotzdem holten ihn die ersten Leute aus dem Schloss bald schon ein. Überholten ihn. Ehe er sich versah war er in einem Pulk von Menschen gefangen. Selbst noch in der Stadt. Die Stadtbewohner schrien ebenfalls aufgeregt und rannten durch die Strasse. Es war ein einziger Strom aus ganz vielen Menschen. Ciryon sah kaum noch was, geschweige denn, dass er den Karren noch Steuern konnte. Ein Buchstabe nach dem anderen hüpfte aus der Fassung. Besonders als der Wagen übers Kopfstein ratterte und erst recht, als er über einige Stufen hinunter hüpfte.
Ciryon rannte und rannte. Ihm blieb nichts anderes übrig. Er konnte sich einzig noch panisch an dem Wagen festkrallen, um nicht unterzugehen. Er wusste nicht, wo all die Menschen hinwollten. Oder wo er hinsollte. Es ging nur noch darum, nicht umzufallen. Bis er auf einmal vor sich ein dunkles, offenes Tor eines Kutschhauses vor sich sah. Es war direkt im Weg. Der Menschenstrom teilte sich jedoch davor nach links und recht. Angstvoll packte Ciryon den Karren fester und steuerte direkt in das Kutschhaus hinein. Es war viel zu kurz. Panisch versuchte er den Wagen abzubremsen. Eine Kurve zu fahren. Es gelang ihm gerade noch so, ohne dass er sich überschlug. Auch wenn er sich gefährlich zur Seite neigte. Dafür verlor er schön an Schwung. Trotzdem ging noch ein ordentlicher Wumms durch ihn und den Karren, als er mit einem Knall gegen die Wand fuhr, wo er dann endlich, endlich stehen blieb. Atemlos zitternd liess Ciryon sich zu Boden fallen. Er konnte nicht mehr.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 19:58

Er wusste nicht was draußen vor sich ging, aber es klang nach Chaos. Er hörte wie Ciryon flehte, dass die Wachen ihn durchließen, da er spät dran wäre für die Zeitung. Dann schien er gegen den Wagen zu stoßen. Trotzdem bewahrte er Fassung und erklärte, dass er mehrmals in die Stadt fahren müsste, es gäbe ein Extrablatt wegen dem Krieg und dem Sturm.
"Und was steht da drin?", wollte einer der Wächter wissen und schien sich mehr für die Nachrichten zu interessieren als den Setzwagen. Zum Glück. Ciryon klang zwar sehr ängstlich, doch er hielt durch und überredete die Männer schließlich ihn durchzulassen. Der Wagen setzte sich tatsächlich wieder in Bewegung.
Hatten sie es geschafft? Rollten sie durchs Tor? Andiël konnte es nicht erkennen. Alles was er durch die Schlitze sah, waren Menschenleiber in der Dunkelheit.
Plötzlich ging ein heftiger Ruck durch den Wagen und er begann schneller zu rollen. Rannte Ciryon bereits? Was war da los? Dann wurde der Wagen wieder abgebremst. Andiël stieß schmerzhaft gegen eine der Innenseiten. Nicht zum ersten Mal, doch wenn blaue Flecken das schlimmste Ergebnis waren, wäre er erleichtert. Es war immer noch besser als entdeckt zu werden. Der Prinz versuchte trotz des heftigen Gerumpels keinen Laut von sich zu geben.
Da hörte er Schreie und panische Rufe, wenig später Fußgetrappel und Menschen, die neben dem Wagen herliefen. Andiël hatte keine Ahnung was vor sich ging. Andere, die aus dem Schloss rannten? Hatten die Wachen mehr durchgelassen oder waren überwältigt worden? Ciryon schob den Wagen schneller an oder vielleicht war es auch der abschüssige Weg nach Amdarh hinein. Über Andiël rumpelten und krachten die gesetzten Metallbuchstaben, schienen vom Wagen zu fallen.
Sie mussten jetzt in der Stadt sein, es war noch lauter und der Bodenbelag hatte sich verändert. Es ratterte unheimlich. Andiël wurde noch stärker durchgeschüttelt. Er hielt sich den Magen, denn allmählich begann er die Orientierung zu verlieren.
Gerade noch so konnte er ein Keuchen verhindern, als der Wagen einen heftigen Satz machte und nach unten knallte. Dann nochmal und nochmal. Was?! Fuhr Ciryon ihn gerade eine Treppe runter? Hatte der Krieger überhaupt noch Kontrolle über den Wagen? Klirrend fielen die Metallbuchstaben nur so an beiden Seiten herunter. Andiël wurde ordentlich herumgewirbelt, prallte mehrmals mal an die eine dann an die andere Wand. Seine Stirn hatte ohnehin schon eine heftige Beule von der Türe, die er aufgebrochen hatte, doch nun befürchtete der Prinz es kamen noch einige mehr dazu.
Es fühlte sich an, als würde sich der Wagen jeden Augenblick überschlagen. Oh Dunkelheit, vielleicht war das doch nicht die beste Transportmöglichkeit gewesen. Der Prinz schnaufte gepresst. Dann senkte sich der gesamte Wagen gefährlich zur Seite. Andiël stemmte verzweifelt dagegen ehe der Wagen gegen irgendetwas donnerte. Andiël knallte mit dem Kopf gegen das Holz und hätte beinahe das Bewusstsein verloren. Stöhnend sank er zusammen.

Er wagte sich nicht zu rühren, wusste nicht wo er war oder was passiert war. Die hektischen Geräusche um sie herum waren jedoch abgeebbt. Waren sie allein? Er spürte Ciryons Signatur in der Nähe. Also hatte der Jüngling den Wagen nicht verloren.
Andiël wartete, ob Ciryon das Versteck öffnete, aber es passierte nichts.
"Ciryon?", flüsterte er besorgt. Dann etwas lauter. Irgendwann öffnete ihm der Krieger das Seitenteil des Wagens. Ächzend purzelte der Prinz nach draußen. Er hatte einen heftigen Bluterguss an der Stirn. Verkniffen blickte er nach oben.
"Wo sind wir? Ist alles in Ordnung?", fragte er. Ungelenk krabbelte Andiël ganz aus dem Wagen und zog sich stöhnend an ihm empor, stützte sich dann an der Wand ab wo sie ihre Bruchlandung hingelegt hatten. Der Prinz sah sich um. Im Zwielicht erkannte er mehrere Kutschen und Wagen.
"Hat uns jemand gesehen?", fragte Andiël. Er rieb sich die Stirn. Oh, sein Schädel brummte. Der Prinz schloss das Versteck wieder. Sie brauchten die Wagen nicht, wenn solch ein Chaos draußen in den Straßen war.
"Wir haben es wirklich aus dem Schloss geschafft", erkannte er. Er blickte Ciryon an und lächelte kurz. "Das hast du gutgemacht, aber jetzt sollten wir uns beeilen. Wir müssen uns mit Kalli treffen und aus der Stadt verschwinden. Du hast sie nicht zufällig beim Tor gesehen? Ich hoffe, sie hat es geschafft."
Der Prinz klopfte sich die Kleidung ab.
"Ich habe nicht damit gerechnet, dass so viel Chaos herrscht. Wir müssen uns bis zum Stadtrand durchschlagen." Er humpelte ächzend mit Ciryon zum Tor des Kutschhauses. Andiël stockte. Dunrobin Castle thronte auf einem Hügel, weswegen man es von der Stadt her gut sah.
"Mutter der Nacht", entfuhr dem Dhemlaner. Als sie im Schloss gewesen waren, hatte er nicht in Gänze mitbekommen was es mit dem drehenden Rauch auf sich hatte. Jetzt konnte man es in voller Größe sehen. Ein riesiger schwarzer Wirbelsturm, der um das Schloss kreiste und es nahezu verschluckte. Das Schloss war kaum noch zu sehen. Es waren weniger Wolken, die es umhüllten als dunkle Rauchschwaden, die langsam höher stiegen.
Der beißende Geruch drang mittlerweile bis in die Stadt.
"Los, weg von hier!", drängte Andiël. Doch da waren sie nicht die einzigen. Menschenmassen rannten panisch durch die Straßen. Manche verbarrikadierten ihre Häuser, andere versuchten die Gelegenheit zu nutzen und brachen in Geschäfte ein, zerschlugen Schaufenster und traten Türen ein.
"Bleib dicht bei mir." Er hakte sich fest bei Ciryon unter, während sie noch im Schatten des Kutschhauses standen.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 20:00

Atemlos sass Ciryon neben dem Wagen, klammerte sich noch immer fest an ihn, obwohl er gar nicht mehr fuhr. Seine Brust hob und senkte sich heftig und seine Beine fühlten sich an wie Gummi. Er konnte gar nicht fassen, was eben passiert war. So dauerte es auch einen Moment, ehe er wieder an Prinz Sastre dachte und ihn dann auch prompt nach ihm rufen hörte. Eifrig und mit zittrigen Fingern beeilte Ciryon sich, das Geheimversteck zu öffnen. Ächzend purzelte Prinz Sastre nach draussen. Erschrocken so der junge Krieger die Luft ein. Er hatte gar nicht daran gedacht, wie es dem Prinzen wohl in dieser Kiste gehen würde. Er musste ganz arg durchgeschüttelt worden sein, genau wie die einzelnen Buchstaben. Der Bluterguss an seiner Stirn sah ganz furchbar aus. Bestürzt versuchte Ciryon Prinz Sastre aus dem Wagen zu helfen, obwohl er in seinen verkrampften Fingern kaum Kraft oder gar Gefühl hatte.

"Ich... ich weiss es nicht", gab Ciryon ängstlich zu und blickte sich ebenfalls in dem Kutschhaus zu. "In Ordnung? Ich... glaub schon. Irgendwie. Ich hatte so eine Angst, Euch zu verlieren, Prinz Sastre", platzte es überfordert aus ihm heraus. "Da waren auf einmal so viele Menschen. Sie sind alle in die Stadt gerannt und in der Stadt waren noch mehr Menschen. Die wollten alle irgendwohin. Sie haben geschrien und gestossen und ich konnte nur mitrennen, damit ich euch nicht verliere und dann waren wir auf einmal hier. Oh, es tut mir so Leid Prinz Sastre. Ihr müsst furchtbar durchgeschüttelt worden sein." Zumindest sah der Schriftsteller so aus. Man sah immer mehr blaue Flecken an ihm und als Ciryon ihm ungelenk half, sich zu erheben. Selber wäre er ganz gerne noch sitzen geblieben. Seine Beine fühlten sich noch immer an wie Gummi.

"Ganz viele Leute haben mich mit dem Wagen gesehen", nickte er und fürchtete, dass das ganz schlimm war. "Aber irgendwie hat niemand geschaut. Ich wurde ganz oft angerempelt." Es war als wären die Leute blind für ihn gewesen. Aber sicher sein konnte er sich deswegen nicht. Prinz Sastre schien trotzdem zufrieden mit ihm. Lieb lächelte er ihm zu und erklärte, dass er das gut gemacht hätte. Sie hätten es aus dem Schloss geschafft. Mit einem schüchternen Lächeln nickte er und war so froh, dass sie es geschafft hatten. Der erste Teil zumindest.
"Ich habe niemanden gesehen, den ich gekannt habe", musste er dann aber bedauernd den Kopf schütteln. Unwillkürlich bekam er Angst um die schlanke Priesterin. Wie sollte sie es geschafft haben, bei dem Durcheinander aus dem Schloss zu gelangen? "Ich habe mich allerdings auch nur auf den Wagen und die Wachen konzentriert. Ausserdem war da so viel von diesem komischen Rauch. Man konnte keine fünf Meter weit sehen." Vielleicht war Lady Kalliope irgendwo hinter ihm gewesen. Ciryon hoffte es sehr.

Prinz Sastre liess sich davon jedoch nicht entmutigen. Tatkräftig klopfte er sich die Kleidung ab, ehe er entschloss, dass sie sich zum Stadtrand durchschlagen müssten. Auch wenn er nicht mit so viel Chaos gerechnet hätte. Allerdings humpelte er stark, als er zum Tor des Kutschhauses ging. Es tat Ciryon so leid, dass der Prinz seinetwegen so Schmerzen leiden musste. Rasch war er bei ihm, um den ächzenden Mann zu stützen. Am Eingang traf sie jedoch ein schockierendes Bild. Das Schloss oben auf dem Hügel war in einen riesigen, schwarzen Wirbel aus Rauch gehüllt.
"Es muss irgendwo brennen", stiess Ciryon entsetzt aus. "Irgendwo muss es brennen, auch wenn man die Flammen nicht sieht. Die Menschen oben haben auch von Feuer etwas gerufen. Gütige Dunkelheit, wie furchtbar. Hoffentlich können sie es rasch löschen." Allerdings sah es so aus, als wäre das ganze Schloss schon von diesem unsichtbaren Feuer erfasst worden. Ciryon selbst hatte keine Ahnung, dass seine unbedachten Worte zu der Wache erst die Angst vor Feuer unter den Menschen vor dem Schlosstor ausgelöst hatten. Er staunte nur, dass er sich in diesen gefährlichen, wabernden Rauchschwaden aufgehaten hatte und es überlebt hatte. Dass er nun hier stand und es von aussen ansehen konnte.
Prinz Sastre schien auch Angst vor dem rauchenden Schloss zu haben. Hektisch drängte er ihn, dass sie von hier weg sollten und hakte sich fest bei ihm unter. Ciryon nickte hastig dazu, dass er dicht bei ihm bleiben solle. Diese Aufforderung hatte er definitiv nicht gebraucht. Er kannte sich in der Stadt doch nicht aus. Ausserdem, wo er sich nun in den Strassen umschaute, war diese Stadt auch sehr unheimlich. Überall rannten Menschen durch die Gassen, schrien, nagelten Häuser zu oder brachen in Geschäfte ein. Als wären alle verrückt geworden. Ja, Ciryon wollte noch so gern weg von hier.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 20:01

Ciryon meinte verstört, dass es ihm einigermaßen in Ordnung ginge. Er hätte solche Angst gehabt ihn zu verlieren, da so viele Menschen aufgetaucht wären. Sie hätten gestoßen und geschrien und Ciryon hatte nicht kontrollieren können, wohin es ihn brachte. Das erklärte wieso sie in diesem Kutschaus waren.
"Ein paar blaue Flecken, aber nichts schlimmeres", beruhigte Andiël bei Ciryons Sorgen. Glücklicherweise war ihm nichts gravierenderes zugestoßen. Er hätte sich etwas brechen können, doch selbst das hatte der Prinz in Kauf genommen, um aus dem Schloss zu entfliehen.
"Ich fürchte, es werden noch weitere hinzukommen und wir werden noch mehr durchgeschüttelt werden. Wir sind nicht die einzigen, die weg vom Schloss wollen", sagte er. Wenigstens gingen sie in dem Chaos relativ leicht unter und man würde ihn nicht so schnell finden. Die Soldaten und Wachen hatten gerade andere Probleme. So gefährlich wie die Massenpanik war, so half es ihnen auch. Aber noch waren sie nicht in Sicherheit und er wusste nicht, ob es Kalliope geschafft hatte. Andiël hatte große Angst um sie. Kalli hatte ihr Zimmer direkt in den Privaträumen Sions. War sie rechtzeitig rausgekommen?
Ciryon hatte sie nicht gesehen, doch er hätte sich vor allem auf den Wagen konzentriert. Durch den Rauch hätte er auch nicht weit sehen können. Andiël nickte verständig.
"Vielleicht ist sie schon am Treffpunkt", gab er sich der Hoffnung hin. Vielleicht war sie lange vor ihnen raus. Andiël hatte länger gebraucht, um Ciryon zu helfen. Und die Leiche zu verstecken. Nein, lieber nicht daran denken.

Der Krieger stützte ihn und half ihm zum Tor des Kutschhauses von wo sie die vorbeilaufenden Menschenmassen sahen. Aber das Chaos hier unten verblasste angesichts des Anblickes des Schlosses, das von dem rauchigen Wirbelsturm verschluckt wurde.
Ciryon bemerkte bestürzt, dass irgendwo ein Feuer ausgebrochen sein musste. Man sähe nur die Flammen nicht. Der Krieger hoffte, man könne es rasch löschen.
"Ich bin mir nicht sicher, ob es sich um normalen Rauch handelt." Es sah nicht aus wie eine Feuersbrunst. Es war irgendetwas unnatürliches.
Andiël wollte nicht hierbleiben, um herauszufinden was es war. Sie mussten hier weg. Er hakte sich bei Ciryon unter, einerseits um sich zu stützen, anderseits um ihn nicht zu verlieren.
"Der Treffpunkt ist am östlichen Stadtrand. Eine Wäscherei, die öfters Leuten über die Grenzen hilft. Sie heißt, 'Elies Waschdienst'. Wenn wir uns verlieren frag dich dorthin durch. Im Osten", erklärte Andiël und deutete in die Richtung. Er hatte Ciryon die Adresse zugesteckt, aber ihm war eingefallen, dass der Jüngling noch nie in der Stadt gewesen war. Entsprechend verängstigt hielt sich der Krieger an ihn.
Andiël gab sich einen Ruck und sie traten auf die Straße, um sich zum Stadtrand zu bahnen. Sie wichen fliehenden Leuten aus, Schlägereien und einigen Wächtern, die versuchten die Menschen zu überwältigen. Dem Prinzen dröhnte der Kopf, doch er konnte nicht stehen bleiben. Teilweise war es auch nicht möglich und sie wurden einfach weitergeschoben. Besonders als man ein lautes Dröhnen vom Schloss hörte. Menschen schrieen auf, während andere im Weg stehen blieben und fasziniert zum Schloss sahen.
Andiël versuchte nicht nach hinten zu schauen.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 20:02

Ciryon wagte gar nicht zu fragen, was Prinz Sastre damit meinte, dass es sich nicht um normalen Rauch oben beim Schloss handelte. Der Krieger glaubte ihm sofort, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, was diese dicken, dunklen Rauchschwaden sonst verursachte. Es war allerdings schon merkwürdig, dass sie sich fast schon harmonisch in einem Wirbel um das Schlosss herum nach oben drehten. Es stimmte schon, Ciryon hatte noch nie gesehen, dass der Rauch das bei einem Feuer auch so machte. Er war jedenfalls unendlich froh, dass er nicht mehr da oben war und ihm taten die Leute leid, die nicht aus dem Schloss gerannt waren. Hoffentlich hatte Lady Kalliope es geschafft. Und auch Pellem. Ciryon kannte ihn zwar kaum, trotzdem wünschte er es niemandem, in diesen Rauchschwaden bleiben zu müssen. Er hatte ja selbst erlebt, wie kratzig und furchtbar die sich anfühlten.

Prinz Sastre hatte jedoch andere Gedanken. Er erklärte ihm, dass der Treffpunkt am östlichen Stadrand sei. Eine Wäscherei, die öfters Leuten über die Grenzen half. Elies Waschdienst. Ciryon sollte sich dahin durchfragen, wenn sie sich verlierten. Er zeigte ihm, wo Osten war. Ciryon hatte jedoch nur einen halben Blick für die Himmelsrichtung übrig. Vielmehr starrte er Prinz Sastre entsetzt an. Der Gedanke, plötzlich alleine in dieser riesigen Stadt zu sein, lähmte ihn. Er hatte vom Schloss aus gesehen, wie gross sie war. Wie ein Meer. Alleine würde er hier ertrinken. Es war kaum vorstellbar, zum Ostrand der Stadt zu gehen, geschweige denn allein.
"Ich werde Euch nicht verlieren", versicherte er ängstlich und klammerte sich nur noch heftiger an Prinz Sastre, der sich bei ihm untergehakt hatte. Fest nahm er sich vor, diesen Arm erst wieder loszulassen, wenn sie sich am Ziel befanden.

Ciryon wusste nicht, ob Prinz Sastre ihm glaubte, denn er hielt sich genau so fest an ihm fest. So oder so, sie mussten los und konnten nicht für immer in diesem Kutschhaus bleiben. Das sah sogar Ciryon ein, den es zutiefst ängstigte, sich wieder in diese Menschenmassen zu stürzen. Wenigstens waren es nicht mehr so viele, als da wo er mit dem Wagen durch die Stadt hatte rennen müssen. Meistens zumindest. Es war ganz unterschiedlich. Mal waren sie fast allein. Dann wieder huschten sie vorsichtig an einer Schlägerei vorbei, ehe sie Wachen ausweichen mussten, die versuchten die aufgebrachten Leute zu verhaften. Nicht selten gerieten sie jedoch wieder in so einen Strom von Menschen, wo sie nichts anderes tun konnten, als sich gut aneinander festzuhalten, damit sie sich nicht verloren und versuchen, sich in eine Seitenstrasse abzusetzen. Was gar nicht so leicht war. Einmal wären sie deswegen fast an einer Hausmauer von den Leuten zerquetscht worden. Ciryon verstand die Aggressivität der Menschen nicht. Warum sie so grob miteinander umgingen und in Häuser und Läden einbrachen, anstatt sich gegenseitg zu helfen. Angst schienen doch alle zu haben. Selbst die Wachen, glaubte Ciryon. Denn auch die blieben manchmal einfach stehen und starrten mit grossen Augen zum Schloss hoch. Ciryon selbst musste da nicht mehr hinsehen. Er wusste, wie es aussah und er wusste, dass er von da ganz weit weg wollte.

Mit der Zeit wurde es leichter, die Bewegungen der Menschen voraus zu ahnen. Zu Anfang hatte Ciryon sich gesorgt, dass er in diesem Meer aus Häusern ertrinken würde. Aber nun wo er zwischen den Häusern stand, war es viel eher wie in einem Wald, wo man seinen Weg zwischen den Bäumen suchen musste. Das war ihm schon vertrauter. Gefährlich waren da nur die anderen Menschen.So gut es ging führte Prinz Sastre ihn möglichst zielstrebig nach Osten. Doch wie er gewusst hatte, die Stadt war gross und sie kamen nicht immer so schnell vorwärts, wie sie es wollten. Ciryon hatte schon längst jegliches Zeitgefühl verloren. Das war schon so gewesen, als Prinz Sastre ihn gerettet hatte. Aber jetzt gleich nochmal. Sie schienen schon seit Stunden durch die Gassen zu taumeln. Er fühlte sich immer erschöpfter und verwirrter. Nahm diese Stadt den niemals ein Ende.

"Prinz Sastre'" fragte er scheu und atemlos, nachdem sie es einmal wieder aus einem Menschenstrom geschafft hatten. Diesmal hätte Ciryon den Prinzen tatsächlich beinahe verloren. Er hatte einen Atemzug lang nicht aufgepasst. War leicht gestolpert und dadurch fast von Prinz Sastre weggezerrt worden. Er hatte nur noch ein letztes Fitzelchen von seinem Hemd halten können. Daran hatte er sich verzweifelt wie an einem Seil zurück zu dem Prinzen gezogen, bis er ihn wieder fest in den Armen gehabt hatte. Es war alles gut ausgegangen. Doch es hatte ihn sehr erschreckt.
"Vielleicht... sollten wir uns eine Nische suchen und eine kurze Pause machen", schlug er mit klopfendem Herzen vor. "Ich weiss nicht, ist es noch weit? Ich bin so müde. Wir sollten zu Atem kommen und etwas Wasser trinken." Nicht, dass sie sich doch noch verloren, nur weil sie zu erschöpft waren, sich aneinander festzuhalten.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 20:02

Es war ein langer Weg zu Fuß. Kalliope hatte dies mit eingeplant, aber sie hatte vermutlich nicht mit solch einem Chaos auf den Straßen gerechnet. Andiël kam mit Ciryon nur sehr langsam voran. Manchmal mussten sie Umwege nehmen oder es ging gar nicht mehr weiter, weil mehrere Soldaten sie zurückdrängten.
Die beiden Männer schoben sich durch weitere Menschenansammlungen, die die Straßen verstopften. Fast hätte er im Gedränge Ciryon verloren, doch der junge Krieger schloss hastig wieder auf zu ihm und klammerte sich regelrecht an ihn. Sie schafften es einigermaßen heil aus der Straße und gelangten zu einem Teil, wo es etwas ruhiger war. Eine Familie packte eiligst Koffer und Kisten auf einen einspännigen Wagen. Immer wieder hatte Andiël Wortfetzen auf ihrem Weg aufgeschnappt. Darüber dass die Hayllier direkt vor der Stadt stünden, dass Sion einen mächtigen Zauber wirkte um sie abzuwehren, dass das ganze Schloss brannte, dass ein Stundenglassabbat der Hayllier das Schloss angriff und daher der Sturm kam und viele verschiedene andere Meinungen dazu. Allein gemein war, dass niemand wusste was genau los war. Wann immer Andiël nach hinten blickte, schien der Sturm noch größer geworden zu sein. Eine Rauchsäule, die langsam in den Himmel wuchs.
Es war nicht das einzige bedrohliche Zeichen. Öfters kamen sie an Menschen vorbei, die leblos in der Straße lagen. Andiël hatte zuerst gedacht, dass sie Opfer von Plünderern geworden war oder man sie in Panik niedergetrampelt hatte, doch sie zeigten selten offenkundige Verletzungen. Den Prinzen beschlich ein mulmiges Gefühl und der Zug an seinem Juwel hatte nie aufgehört. Ciryon keuchte neben ihm schwer, taumelte und wirkte sehr blass.
Erschöpft fragte er, ob sie eine kurze Pause machen könnten und wie weit es noch wäre. Er wäre so müde. Sie sollten zu Atem kommen und etwas trinken. Andiël drängte es weiterzurennen und nicht mehr stehen zu bleiben bis er wieder in Kalliopes Armen war, doch auch er fühlte sich ausgezehrt und müde. Sehr müde.
"Nur kurz", räumte der Prinz ein und rief eine Flasche Wasser herbei. Kalli und er hatten sich für die Flucht schon länger vorbereitet und Proviant in ihrem Juwelengepäck sowie ihre liebsten Habseligkeiten. Andiël trank durstig mehrere Schlucke und hielt die Flasche dann Ciryon hin.
Sie hörten in der Ferne Schreie und Tumult. Es klang wie ein hitziger Kampf. Hoffentlich kam das nicht bis zu ihnen. Andiël spürte das intensive Wirken der Kunst. Der Prinz hatte seine Juwelen seit gestern geschont. Zuerst aus Angst im Schloss Aufmerksamkeit zu erregen und nun weil er sich die Kräfte sparen wollte, um Ciryon und sich wenn nötig zu verteidigen.
Die Kampfgeräusche wurden lauter.
"Wir können hier nicht bleiben", befürchtete Andiël. "Es ist nicht mehr weit. Ein paar Straßen noch. Wenn wir Glück haben, sind dort Pferde." Kalli hatte davon gesprochen zwei zu organisieren, aber nun war sich Andiël dessen nicht mehr sicher.

Sie wollten gerade weiter, als man das krachende Einschlagen von Machtbällen in der Nähe hörte. Aus einer Nebengasse rannte ein Mann, der Machtkugeln in die andere Richtung schleuderte. Vielleicht um seine Verfolger zu vertreiben. Er hatte eine Tasche unter den Arm geklemmt. Andiël wollte schon ein Schild um sich und Ciryon errichten, als der Mann nach einer weiteren Machtkugel plötzlich schmerzerfüllt aufschrie. Er griff sich an den Kopf, verlor die Tasche und taumelte.
Er musste ein opalenes Juwel tragen, denn Andiël sah den Schimmer des Juwels tief leuchten. Zuerst umhüllte es ihn und kam von seiner Brust ehe es in einem funkelnden kaum sichtbaren Bogen in Richtung Schloss floss. Der Mann schrie noch eine Weile und sackte dann zusammen. Das Licht um ihn herum erlosch.
"Renn!", rief Andiël, nachdem er sich gefangen hatte. Er packte Ciryon und riss ihn mit sich. Er befürchtete, sie würde es als nächstes treffen.
Vom Schloss ertönte erneut ein markerschütterndes Dröhnen. So laut, dass es in Andiëls Körper vibrierte. Was war das?
Sie hasteten durch einen Hinterhof, weil die Straße vor ihnen mit zwei umgekippten Kutschen versperrt gewesen war. Hoffentlich erwies sich der Hof als Abkürzung.
Im Hinterhof trafen sie auf ein Pärchen, das gerade schwer bepackt aus ihrem Haus kam.
"Ich bring uns sicher aus der Stadt", versprach der Mann und rief ein grünes Schild um sich und seine Gefährtin herbei. Einen Augenblick später schrie er auf und brach zusammen, kratzte sich mit den Fingern an den Schläfen. Er hatte sein grünes Juwel offen getragen und so konnte Andiël dieses Mal sehen wie die Kraft daraus in Richtung Schloss floss, ein grünes kristallenes Band. Die Frau schrie entsetzt auf, rüttelte an ihrem Gefährten.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 20:03

Ciryon nickte erleichtert. Es war ihm egal, dass sie nur eine kurze Pause machen konnten. Hauptsache, sie konnten für einen Moment aufhören zu gehen. Einfach mal ein Weilchen die Füsse schonen. Dankbar nahm er die Flasche entgegen und trank in gierigen Zügen daraus. So hastig, dass er sich beinahe verschluckt hätte. Sein Bauch rumorte. Ciryon wusste nicht, wann er das letzte Mal etwas getrunken, geschweige denn gegessen hatte. Es kam ihm so vor, als wären sie schon eine Ewigkeit auf der Flucht und davor, daran wollte er sich nicht erinnern.

Sie hatten gerade einmal tief durchgeatmet, als sie aus der Nähe schon wieder Schreie und andere laute Geräusche hörten. Inwzischen wusste Ciryon, dass das nach einem Streit klang. Nach etwas gefährlichem, dem sie besser auswichen. Entsprechend nickte er auch gleich ängstlich, als Prinz Sastre meinte, sie könnten hier nicht bleiben. Rasch gab er ihm die Wasserflasche zurück und versuchte tapfer zu Lächeln. Das klang gut, dass es nicht mehr weit sein sollte. Das mit den Pferden verstand er im ersten Moment nicht, weil er noch nie auf einem geritten war. Doch dann begriff auch er und er fragte sich, wie er das meistern sollte.

Weiter kam er jedoch nicht mit seinen Überlegungen, als auch schon ein Mann aus einer Nebengasse gerannt kam und Machtbälle in die Richtung schleuderte, aus der er gekommen war. Schreckenstarr presste Ciryon sich an die Wand, da er fürchtete, der Mann würde auch nach ihnen Machtkugeln werfen, sobald er sie sah. Doch dann schrie er auf einmal schmerzerfüllt auf, langte sich auf den Kopf, ehe er schreiend zusammenbrach und dann einfach still liegen blieb. Entsetzt starrte Ciryon auf den Mann, versuchte zu verstehen, was da gerade passiert war. Etwas ganz schlimmes, schmerzvolles. Grosse Angst wollte in ihm auf, dass er das jetzt auch würde erleiden müssen. Es lähmte ihn bis ins Mark.

Prinz Sastre riss ihn abrupt aus seiner Starre und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er rief ihm nicht nur zu, dass er rennen sollte, sondern packte ihn und zwang ihn dazu zu rennen, indem er ihn einfach mit sich riss. Erschöpft von dem eben erlebten, taumelte Ciryon dem Prinzen hinterher. Er war gerade dabei sich so halbwegs zu fangen, als sie auf ein Paar trafen, was ebenfalls aus der Stadt zu fliehen scheinen wollte. Wie waren schwer bepackt. Sicher nahm der Mann seine Frau bei der Hand und legte einen grünen Schild um sie beide. Doch dann schrie auch er auf und brach zusammen. Qualvoll schreiend kratzte er sich an den Schläfen und ein grünes, glitzernden Band stieg von ihm auf in Richtung des Schlosses.
Ciryon verstand nicht, warum der Mann seine Juwelenkraft zum Schloss sandte. Aber er erkannte das Gefühl der Frau, die voller Entsetzen an ihrem Gefährten rüttelte. Dieser masslose Verlust den man fühlte, wenn man einen geliebten Menschen verlor. Es tat so entsetzlich weh in seinem innern. Überwältigt davon und von dem Mitleid mit der Frau, starrte er auf sie hinunter, ausserstande sich zu bewegen. Tränen rannen ihm haltlos über die Wangen. Es sollte aufhören. Er konnte nicht mehr. Dann traf ihn eben so ein furchtbarer, unsichtbarer Blitz. Dann war es wenigstens vorbei. Das alles war so schrecklich.
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