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Das Ritual





Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 20:05

Ciryon begann stumm zu weinen und starrte ebenso entsetzt zu dem Geschehen. Andiël bekam langsam einen schlimmen Verdacht.
"Benutze deine Juwelen nicht solange wir in der Stadt sind", riet er Ciryon, doch dieser schien ihn kaum wahrzunehmen. "Hast du mich gehört?" Er schüttelte ihn energisch.
"Keinerlei Juwelenkraft. Los, wir müssen weiter. Wir können ihnen nicht helfen."
Sie waren bereits an vielen vorbeigekommen, die Hilfe bedurft hätten, doch Andiël hatte genug damit zu tun, dass sie beide in Sicherheit kamen. Sie konnten es sich nicht erlauben stehen zu bleiben. Zwar herrschte viel Panik in den Städten, doch sie waren mehrmals Soldaten und Wachen umgangen und es bestand weiterhin die Gefahr, dass man ihn erkannte und aufgriff. Andiël wollte das auf jeden Fall verhindern. Egal ob er dafür an anderen Menschen vorbeirennen musste. In ihm drin rumorte die größte Sorge, dass er Kalliope verlor. Ohne sie würde er das Leben im Schloss nicht überleben.
So packte er wieder Ciryon an der Hand und zog ihn weiter. Erst bewegte sich der Jüngling kaum ehe er ihm hinterher stolperte, keuchend und blass. Andiël wusste nicht, ob Lady Jysana ihn irgendwie versorgt hatte oder die letzten Tage ständig zum Sex gezwungen hatte. Vermutlich litt Ciryon noch an seinen Verletzungen. Doch sie konnten darauf keine Rücksicht nehmen. Andiëls Kopf dröhnte schmerzhaft und dumpf. Der Zug an seinen Juwelen wurde immer stärker und er musste sich beherrschen sie nicht herbeizurufen, um zu sehen ob sie noch da waren.
"Da hinten! Der Häuserblock." Andiël deutete auf einen Block hinter dem nächsten Straßenzug. Sie rannten jetzt an mehreren Menschen vorbei, die reglos in den Straßen lagen oder mit dumpfen Blick in Richtung Schloss starrten. Sie bogen um die Ecke und wären beinahe in eine Gruppe dieser verzauberten Bewohner geprallt, die ihnen mitten im Weg standen und unbeirrt zum Schloss sahen. Andiël wollte automatisch ihrem Blick folgen. Er sah das Schloss nur aus den Augenwinkeln, ein riesiger dunkler Mahlstrom. Der Anblick ließ ihm das Herz gefrieren und wollte all seine Glieder lähmen.
Andiël packte Ciryons Hand fester, schüttelte den Kopf und hielt den Blick hastig nach vorne gerichtet.
"Sieh nicht zum Schloss. Immer nur nach vorne. Immer weiterrennen. Wir sind gleich da", beschwörte er, obwohl ihm bewusst wurde, dass er dies nicht zum ersten Mal sagte. Er musste auch sich selbst anfeuern. Der Prinz konnte allmählich nicht mehr. Er hatte im Schloss nicht unbedingt trainieren können und war entsprechend außer Form. Japsend und keuchend kamen sie auf die Straße wo sie schon die Wäscherei sahen.
Kalli, lass Kalli da sein. Andiël wagte nichtmal nach Signaturen zu fühlen.

Sie stolperten auf das Gebäude zu, als eine laute Stimme zu hören war.
"Keinen Schritt weiter!" Oben auf einem Balkon über der Wäscherei waren zwei Frauen mit Armbrüsten in den Händen. Sie zielten mit den Waffen auf sie beide. "Wenn ihr ans plündern denkt, kehrt besser um!", sagte die eine von ihnen.
Andiël hob abwehrend eine Hand.
"Wir sind Freunde von Kalliope", erklärte er und hoffte, man kannte ihren Namen. "Ich bin ihr Gefährte."
Eine der Frauen, breitschultrig und mit zusammengebundenen Haaren, sah ihn zweifelnd an. "Kalli hätte niemals einen Gefährten. Wer bist du?"
"Inoffizieller Gefährte", korrigierte der Prinz. "Ich bin Andiël. Hat sie nicht erwähnt, dass ich komme?"
Die Frauen ließen ihre Armbrüste sinken. "Ja. Aber sie ist nicht hier", sagte die andere, zierlichere Frau ernst. Andiëls Herz sank. Er fühlte sich als hätte ihm das Schloss tatsächlich alle Lebensgeister geraubt.
Die erste Frau pfiff und daraufhin öffnete sich unten die vergitterte Türe zur Wäscherei. Es versprach Sicherheit und so ging Andiël mit Ciryon darauf zu, doch ohne Kalliope wusste er nicht wie er weitermachen sollte.
Hinter der Türe winkte ein Mann mit einem Knüppel sie rasch hinein ehe er die Türe hinter ihnen wieder zuzog. Es roch nach Seifenlauge und Kleidung. Mehrere Gewänder hingen an Stangen von der Decke und es gab eine große Theke mit einer Kasse.
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von Anzeige » Fr 21. Okt 2022, 20:05

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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 20:06

Prinz Sastre sagte etwas zu ihm. Mit stumpfem Blick sah Ciryon, wie der Prinz seine Lippen bewegte. Überwältigt versuchte er zu begreifen, was er ihm sagte. Grob wurde er geschüttelt. Dann hiess es, er solle keine Juwelenkraft einsetzen. Sie könnten ihnen nicht helfen. Ciryon schüttelte matt seinen Kopf. Er wüsste gerade gar nicht wie er sein Juwel einsetzen sollte. Und nein, er konnte niemandem helfen. Er hoffte vielmehr, dass ihm jemand half. Krampfhaft hielt er Prinz Sastres Hand fest. Er wusste, wenn er die losliess, dann war er verloren. Das war alles, was in seinem Kopf noch platz hatte. Ungelenk rannte er keuchend hinter dem Prinzen her. Inzwischen brannte alles in ihm. Sein Körper, sein Herz. Er wusste schon gar nicht mehr, warum er überhaupt noch rannte.

Bis Prinz Sastre auf einmal rief, dass der Häuserblock vor ihnen ihr Ziel wäre. Da keimte doch noch einmal Hoffnung in ihm auf. Der junge Krieger nahm noch einmal alle Kräfte zusammen und konnte dadurch sogar wieder etwas zielstrebiger und schneller rennen. Fest konzentriert auf den Häuserblock, auf den Prinz Sastre gedeutet hatte. Er wollte sich weder all die seltsamen und überaus unheimlichen Menschen, noch das furchterregende Schloss anschauen. Die Wäscherei. Das war wichtig. Da waren sie in Sicherheit. Von dort aus konnten sie mit Lady Kalliope weg von diesem furchtbaren Ort.

Erschrocken schrie Ciryon auf, stolperte und prallte gegen Prinz Sastre, als ihnen vor der Wäscherei zugerufen wurde, dass sie nicht weiter dürften. Zwei Frauen zielten mit Armbrüsten auf sie. Jetzt war alles aus. Unwillkürlich rannen wieder Tränen über Ciryons Wangen. Warum durften sie nicht in die Wäscherei? Sie hatten so viel ausgehalten und jetzt sollte das umsonst gewesen sein? Das war so furchtbar. Und Lady Kalliope war auch nicht da. Es schmerzte in Ciryons Herz gleich noch mehr und die Tränen der Erschöpfung und Überforderung wurden nur noch mehr.

Um so überraschter war er, dass sie dann trotzdem noch eingelassen wurden. Nicht weil Prinz Sastre Lady Kalliopes Gefährte war, sondern weil er ihr inoffizieler Gefährte war. Ciryon machte sich schon gar nicht mehr die Mühe darüber nachzudenken. In den letzten Stunden war so viel passiert, was er nicht verstand. Er war einfach nur froh, in diesem vermeintlich sicheren Haus zu sein. Der Strassenlärm war nur noch gedämpft hörbar und es gab ausser aufgehängter Wäsche und einem Krieger mit einem Knüppel kaum etwas zu sehen. Keuchend versuchte er tief Luft zu holen. Prompt rasselte sein Atem und er musste husten. Bald darauf wurde es jedoch besser und auch die Tränen versiegten allmählich wieder. Prinz Sastres Hand hielt er jedoch weiterhin krampfhaft fest.
"Sie kommt bestimmt noch", murmelte er halb zu sich selbst, halb auch zu Prinz Sastre, der ihm so sehr geholfen hatte und dem er nun auch Mut zusprechen wollte. Und sich selbst natürlich auch. "Wenn sie nach uns gegangen ist, kommt sie auch erst nach uns an." Das war logisch. Oder? "Sie kommt schon noch." Bitte! Es musste so sein.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 20:07

Sie kommt bestimmt noch.
Die Worte hatte Ciryon vor einer Stunde gesagt. Oder waren es bereits zwei? Sie hätten längst weiterziehen sollen so wie abgemacht und da hatten sie noch nicht von dem ganzen Chaos und dem furchteinflößenden Ritual im Schloss gewusst. Andiël ging im Schatten der herabhängenden Wäsche hin und her. Kallis Freundinnen hatten die Fenster mit Holzbrettern vernagelt, weswegen nur noch wenig Licht durchdrang. Es dämpfte auch die Schreie von draußen. Nicht aber den Rauch, der durch jede Ritze drang und sie schwer husten ließ. Sie versuchten es zu unterdrücken, um nicht etwaiges Gesindel anzulocken.
Andiël kämpfte mit der Ungewissheit. Seine Vorstellung raste zu allen möglichen Szenarion, die Kalliope auf der Flucht zugestoßen worden waren. Er wollte heldenhaft aus der Wäscherei stürmen und sie suchen, doch er wagte es nicht. In dem Chaos würde er sie nicht finden. Dazu müsste er seine Juwelen einsetzen und seitdem er gesehen hatte was den anderen Juwelenanwendern in der Stadt passiert war, traute er sich kaum seine Juwelen zu berühren aus Angst gleich tot umzukippen.
Sie wussten nicht was draußen passierte, aber was immer es war, es schien noch in vollem Gange. Manchmal vibrierte der ganze Boden und dann schwappte eine Welle von dem Rauch in die Räume, schien sie fast zu blenden.
Der Prinz sehnte sich nach einem Drink, seine Hände zitterten. Wenn nur Kalli hierher kam, wurde alles gut, sagte er sich. Wenn sie nur bald kam. Es war schwierig durch die flüchtenden Menschenmassen zu kommen. Sie musste vorsichtig sein und deswegen dauerte es länger. Sie nahm Umwege oder sie hatte sich irgendwo ein Versteck gesucht, um den Sturm zu überdauern. Das waren alles gute Möglichkeiten. Viel wahrscheinlicher als dass sie tot in einem Straßengraben lag oder nichtmal aus dem Schloss gekommen war...
Nein, nein. Andiël rieb sich angespannt die Wangen, ging erneut umher.
Sie kommt bestimmt noch.
Aber eine weitere Stunde passierte nichts. Weitere Flüchtlinge waren in der Wäscherei untergekommen und sie lagen nun entkräftet auf dem Kachelboden, wo die Luft etwas besser war. Andiël hatte sich zu Ciryon gelegt und ihn in den Arm genommen. Sie klammerten sich aneinander, wenn das Beben besonders dröhnend wurde oder es fast schmerzhaft an ihren Juwelen zog.

Irgendwann hörte man von draußen Hufgetrappel und ein Schnauben. Andiël rappelte sich auf, um zu einem der Fenster zu traben und zwischen den Schlitzen der Bretter hindurchzusehen. Der Rauch hatte die Straßen in einen diffusen Nebel getaucht, es brannte in den Augen.
War... das ein weißes Pferd? Der Prinz rieb sich die Augen, blinzelte. Nein, ein kleiner grauer Esel. Er wirkte sehr erschöpft und schnaufte. Jemand saß auf ihm, in einem blauroten Gewand, eine Kapuze über den Kopf gezogen...
Kalli?
"Kalli?!" Andiël zog aufgeregt an den Brettern, klopfte dagegen.
Die Gestalt hob ein kleines Kind vom Esel und eilte mit ihm zur Wäscherei.
"Andiël?"
Ja, das war eindeutig ihre Stimme! Die ganze quälende Ungewissheit fiel von ihm ab und ließ ihn zittern vor Erleichterung, dass sie tatsächlich entkommen war.
Der Mann mit dem Knüppel öffnete die Türe und sobald sie halbwegs offen war, drängelte Andiël sich hinaus. Kalli hatte ein Kleinkind auf dem Arm. Sie trug einen Kapuzenmantel, doch Andiël erkannte auch so, dass sie ihre langen Haare offen trug. Das blaue Kleid war bodenlang und edel verziert und die roten Töne... moment, war das Blut?
Überwältigt sog der Prinz alles in sich ein, aber am liebsten wollte er sie umarmen und nicht mehr loslassen. Er hatte solche Angst ohne sie gehabt.
"Du lebst", stieß er aus und kam näher. Das Kind hinderte ihn daran sich an sie zu werfen und er stockte. "Ist das... Cassiel? Kalli, was ist passiert? Das Kleid? Ist das Blut?"
"Ich konnte ihn nicht dort lassen. Ich hatte ein Gefühl, das Sion ihn für sein Ritual benutzen will. Ich habe eines von Alienors Kleidern angezogen und ihn herausgeschmuggelt. Aber es war nicht ohne Schwierigkeiten."
Er konnte nicht fassen, dass sie Sions Sion gestohlen hatte, doch für den Moment beschäftigte ihn das blutige Kleid mehr. Andiëls Blick wanderte besorgt über die Blutflecken. "Bist du verletzt? Was ist passiert?"
"Später", verschob Kalli die Fragen. Ihre Stimme war ruhig und kraftvoll wie immer, doch er sah die Erschöpfung in ihrer Miene und sie hatte damit zu kämpfen den unruhigen Cassiel auf dem Arm zu halten.
"Wir müssen weiter. Wieso seid ihr noch hier? Du hättest längst ohne mich weiterreisen sollen", scholt sie ihn.
"Ich konnte nicht.."
"Will zurück, will zurück", rief Cassiel und wandt sich in ihrem Arm. Seine Backen waren nass und er begann erneut zu schluchzen.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 20:07

Leider kam Lady Kalliope nicht bald. Oder vielleicht kam es Ciryon auch nur so vor. Es fiel ihm schwer, überhaupt noch etwas mit seinem Verstand klar wahrzunehmen. Er war so unendlich erschöpft. Müde und noch immer schwer atmend setzte er sich in der Wäscherei auf einem freien Plätzchen auf den kühlen Boden. Ciryon seufzte erleichtert. Das tat so gut. Seine Beine pochten schmerzhaft, seine Lungen brannten noch immer von dem vielen rennen und sein Kopf fühlte sich so schwer an. Ehe er sich versah, war er drei zittrige Atemzüge später in einen unruhigen Halbschlaf der Erschöpfung gefallen.
Viel zu oft schreckte er aus dem Schlaf hoch. Dabei hatte sein Körper und eigentlich auch sein Geist die Erholung dringend nötig. Doch er war viel zu aufgewühl, viel zu ängstlich, um sich genügend zu entspannen, um die Erholung zulassen zu können. Zumal er sich genau wie Prinz Sastre auch grosse Sorgen um Lady Kalliope machte. Manchmal bebte aber auch die ganze Stadt so heftig, dass es selbst Tote aufgeweckt hätte. Oder der Zug an ihren Juwelen wurde so stark, dass es schon richtig zu schmerzen begann. Es liess Ciryon wimmern und ängstlich schluchzen. Auch wenn er versuchte, tapfer zu sein. Denn er hatte gemerkt, dass es für Prinz Sastre mit seinen dunklen Juwelen noch viel schlimmer sein musste. Denn der Prinz verspürte diesen furchtbaren Sog öfters und auch früher als er. Prinz Sastre kam dann zu ihm, legte sich eine Weile zu ihm hin und nahm ihn tröstend in den Arm, bis sie fest aneinander geklammert da lagen und sich gegenseitig ihre Angst zu nehmen versuchten.

Ciryon war gerade so halb erholsam wieder in Prinz Sastres Armen eingeschlafen, als eine Aufregung den Prinzen erfasste. Hastig rappelte sich dieser hoch und rannte zum Fenster, um rauszuschauen. Das hatte er schon öfters getan, wenn neue Flüchtlinge in die Wäscherei gekommen waren. Diesmal jedoch riss er an den Brettern, klopft aufgeregt dagegen und rief Lady Kalliopes Namen. War sie endlich gekommen? Mühsam rappelte auch Ciryon sich auf. Sofort fiel es ihm schwerer zu atmen und ihm schwindelte. Ungelenk taumelte er Prinz Sastre hinterher. Sogar, als dieser sich zur Tür nach draussen drängte. Er durfte ihn nicht verliegen. Wenn er ihn nicht mehr sah, wenn er ihn in dieser Hölle verlor, dann war er selbst verloren. Ah, aber Prinz Sastre war so schnell und so aufgeregt. Prompt kamen Ciryon wieder die Tränen. Tränen der Erschöpfung und der Angst und er war so froh, als er Prinz Sastre eingeholt hatte. Sicherheitshalber hielt er sich gleich an einem Zipfel seiner Jacke fest, damit er ihn keinesfalls verlor.

"Gehen wir jetzt weg von hier?" fragte er hoffnungsvoll. Er verstand nicht, was hier passierte. Was Lady Kalliope und Prinz Sastre miteinander besprechen, oder warum die Priesterin noch immer auf Cassiel aufpasste und ihn bei sich hatte. Er war doch gar nicht ihr Kind. Hatte sie es gestohlen? Ah, nein, wahrscheinlich eher gerettet. Das Schloss war ein furchtbarer Ort. Cassiel konnte nicht wirklich dorthin zurück wollen. Dort musste sich die Luft noch viel schlimmer anfühlen, wenn man in dem Rauch überhaupt noch atmen konnte. Hier draussen auf der Strasse war es schon schlimm genug. Ciryon sehnte sich nach dem kühlen Boden der Wäscherei. Allerdings hatte er auch Angst, dass das Gebäude früher oder später bei den heftigen Beben über ihnen einstürzen würde. Deswegen wollte er noch lieber weg von hier. Raus aus der Stadt. Da war die Luft bestimmt wieder besser.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Kalliope » Fr 21. Okt 2022, 20:09

Sie drückte Cassiel fester an sich, während er weinte und sich hin und her wandte. "Wir können nicht zurück."
Der kleine Junge verstand natürlich nicht und Kalli konnte ihre Kunst nicht benutzen, um ihn zu beruhigen. Sie hatte gespürt und gesehen was mit denjenigen passiert war, die es versucht hatten. Es war wie ein schwarzer Mahlstrohm, der alles verschlang. Sie hatte Cassiel nicht dort lassen können. Kalliope war bereit gewesen zu fliehen, gut vorbereitet und mit genügend Zeit, doch ein schlechtes Gefühl hatte sie zurückgehalten und sie hatte schon als Jugendliche gelernt darauf zu hören. Sion hatte Cassiel gewiss nicht gezeugt, weil er gerne Vater hatte werden wollen. Er hatte dunkle Absichten bei Cassiel gehabt.
Kalliope hoffte nur, dass sich diese dunklen Neigungen bei dem jungen Kriegerprinzen nicht manifestieren würden. Er wurde schnell wütend, schlug um sich und biss, aber niemand in Dunrobin Castle war friedlich gewesen und er war nunmal auch ein Kriegerprinz. Es war ein Wunder, das sie ihn aus dem Schloss hatte schmuggeln können. Vorbei am Chaos vor den Toren, wo die Wachen zum Glück überwältigt worden waren, als Kalliope angekommen war. Durch die Straßen Amdarhs, aufgewühlt, panisch und aggressiv wie ein verwundetes Tier.
Andiël fragte sie bestürzt nach dem Blut an Alienors Kleid, doch wenn Kalli ehrlich war, so wusste sie nicht mehr von wem genau es gekommen war. Es war alles so schnell gegangen. Eher beschäftigte sie, dass er nicht gegangen war wie sie es besprochen hatten. Ihr dummer Idiot hatte viel zu lange ausgeharrt und auf sie gewartet. Sie hätte es wissen müssen...
Ciryon hatte sich bei dem Wiedersehen im Hintergrund gehalten, doch er war mit Andiël nach draußen gekommen und hielt sich bei dessem Hemd fest wie als hätte er Angst ihn zu verlieren. Jetzt fragte er leise, ob sie jetzt aufbrechen würde. Die Priesterin nickte.
"Ich habe das Pferd verloren", sagte sie bedauernd. "Alles was ihr geblieben war, war der Packesel und zwei Plünderer hatten die Tasche, die nicht mehr in ihr Juwelengepäck gepasst hatte, runtergerissen. Kalliope wagte aber nichtmal auf ihr Juwelengepäck zurückzugreifen. Nicht in der Stadt, wo es so schwer fiel zu atmen und der schwarze Rauch an ihren Juwelen zerrte wie als wollte Sion ihr sie entreißen. Sie wusste nicht was im Schloss vor sich ging. Sie hatte nur die gewaltigen Energien von seiner Audienzhalle aus gespürt, um sich greifend und alle Kraft absaugend. Es hatte nicht viel gefehlt und sie wäre der Erschöpfung erlegen, hätte sich mit Cassiel im Gang zusammengerollt und sich dem Ruf hingegeben.
Kalli versuchte nicht daran zu denken. Nicht jetzt.
"Wir schaffen es ohne Pferde", bekräftigte Andiël. Die Hayllierin nickte. Ihnen blieb keine andere Wahl.

Da sah sie Oceane und Sandrine aus der Wäscherei kommen, mit Knüppeln bewaffnet. Kalli blickte sie erleichtert an und Cassiel halb auf einem Arm geschultert, ließ sie sich umarmen.
"Wir haben das schlimmste befürchtet", sagte Sandrine.
"Kommt mit uns", bat Kalliope. Sie wusste wie wichtig den Frauen ihr aufgebautes Geschäft war. "In der Stadt ist es nicht sicher."
Oceane schüttelte den Kopf und tätschelte den Knüppel. "Wir lassen uns nicht vertreiben. Wenn wir jetzt aufgeben, verlieren wir alles."
"Aber nicht euer Leben oder euren Geist", warnte die Priesterin, doch ihre Freundinnen ließen sich nicht überzeugen und glaubten, dass sie am Stadtrand sicher genug wären. Kalli hatte ihre Zweifel, doch genausowenig hatte sie Zeit die anderen zu überzeugen.
"Es gibt ein paar Flüchtlinge in der Wäscherei, die mitkommen werden", sagte Sandrine und die betreffenden Dhemlaner kamen nach draußen. Einer trug Hauspantoffeln, offensichtlich überrascht von dem Ritual beim Schloss. Niemand von ihnen würde wissen was wirklich los war.
"Wendet nicht die Kunst an. Es wird euch töten. Lasst niemanden rein. Wappnet euren Geist, stärkt euch gegenseitig", versuchte Kalli den zwei Frauen Ratschläge mitzugeben, während sie sich verabschiedeten und sich die kleine Gruppe beim Esel sammelte. Manche hatten Gepäck, doch die meisten hatten nichts außer ihre Kleider am Leib.
"Danke für die Hilfe", bedankte Andiël sich bei den Frauen und dann mussten sie los.
Kalliope würde sich wesentlich besser fühlen, wenn sie die Stadt endlich hinter sich gelassen hatten.
Aber es war eine trügerische Sicherheit, wo die dunkle Präsenz hinter ihnen weitere Macht ansammelte. Was immer er vor hatte, es war noch nicht vorbei.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 20:09

Sie waren vielleicht ein Dutzend Leute, als sie es endlich aus der Stadt geschafft hatten. Die letzten Häuser lagen hinter ihnen und jetzt ging es über erdige Landstraßen vorbei an Bauernhöfe oder halb abgebrannte und geplünderte Villen der enteigneten Adeligen. Hätten sie die Straße nach Westen genommen, wären sie sogar am Anwesen der Sastres vorbeigekommen. Andiël hätte gerne danach gesehen und in welchem Zustand es sich befand, ob noch Familie von ihm dort lebte oder nicht. Er hatte kaum noch etwas von ihnen gehört.
Aber Kalliope hatte Recht, dass sie in Dhemlan nirgendwo mehr in Sicherheit waren und sie nicht lange verweilen konnten. Falls in dem Chaos noch Wachen operierten, würden sie nach ihm als erstes beim Familienanwesen nachsehen.
Zu Fuß war es ein beschwerlicher Weg in Richtung Askavi. Die meisten waren nicht gut ausgerüstet und sie kamen nur langsam voran. Kalliope hatte allen eingeschärft ihre Juwelen nicht einzusetzen, da sie sonst Gefahr liefen zu zerbrechen oder schlimmeres. Sie wussten nicht weit Sions Macht ging. Womöglich waren sie außerhalb Amdarhs noch nicht sicher vor seinem Einfluss. Als Andiël zurück zur Stadt sah, war die schwarze Rauchsäule mittlerweile riesig mit züngelnden Ausläufern in alle Richtungen. Es schien direkt aus einem Albtraum zu entstammen. Ach was, er würde garantiert Albträume von diesem Anblick haben. Rasch wandte er sich wieder ab und versuchte Cassiel abzulenken. Kalliope bemühte sich ihn zu beruhigen, doch der Kleine schrie zu oft nach Sion und dass er zurückwollte. Zum Glück kam niemand auf den abwegigen Gedanken, dass dies Sions Sohn war. Kalli erklärte es damit, dass der Junge traumatisiert war und nicht wusste was er da sagte.
Zum Glück schlief er irgendwann ein und ließ sich dann leichter tragen.

Stunden später verzog Andiël bei jedem Schritt das Gesicht. Seine eleganten Schuhe waren nicht für lange Märsche auf unebenen Straßen gemacht und seine Blasen schienen bereits eigene Blasen zu haben.
"Meinst du, es ist jetzt sicher genug auf unser Juwelengepäck zuzugreifen?", fragte Andiël. Sie hielten inne und sahen zur Stadt zurück. Sie war immer noch zu sehen, ebenso die dunklen Wolken darüber. Der Zug an den Juwelen war schwächer geworden, doch der Prinz vermochte nicht zu sagen, ob es komplett weg war.
"Lass uns noch etwas weitergehen", bat Kalliope. Sie blickte in Andiëls gequälte Gesicht und drückte ihn sanft am Arm.
"Soldaten! Vorne auf der Straße!", ertönten plötzlich Rufe von weiter vorne in der Gruppe.
"Alle von der Straße. Zu dem Wäldchen!", rief Kalli und sprang in die tieferliegende Böschung. Andiël zog Ciryon mit sich und eilte ihr nach. Sie stolperten den Hang hinunter und schlugen sich querfeldein bis zu dem kleinen Forst, wo man sie hoffentlich nicht sah. Ab da an wurde die Reise noch beschwerlicher. Sie mussten über mehrere Felder, über einen Bach und weiter in eine völlig falsche Richtung bis sie endlich zurück auf eine Straße kamen.
Die Dämmerung traf ein und die Gruppe sammelte sich bei ein paar Bäumen.
"Wir sind immer noch im Umkreis von Amdarh", bemerkte Andiël und lehnte sich erschöpft an einen der Baumstämme. Kalli hockte sich neben ihn, Cassiel auf dem Schoß.
"Es ist noch nicht vorbei..", sagte sie leise. Der Rest der Gruppe begann ein behelfsmäßiges Lager aufzubauen und etwas Feuerholz zu sammeln. Andiël rieb sich die gequetschten Füße.
"Ciryon, frag herum, ob jemand ein Messer oder eine Schere hat", bat Kalliope. Andiël blickte sie fragend an.
"Was hast du vor?", fragte er.
"Aus deinen Schuhen Sandalen machen bis wir eine Alternative gefunden haben." Sie zog ihr blutiges Kleid etwas höher und kramte in einem kleinen Täschchen, das an ihrem Oberschenkel befestigt war. Schließlich förderte sie eine Salbe zutage. "Meine anderen Vorräte sind im Juwelengepäck", sagte sie bedauernd. Andiël nickte.
"Meine auch. Wie bei jedem hier. Wenn wir nicht bald unsere Juwelen einsetzen können, kommen wir nicht weit."
Sie hörten ein Rumpeln aus der Ferne. Ein Gewitter? Das fehlte noch.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 20:10

Es dauerte noch einen Moment, bis sie weiter gehen konnten. Zuerst wurde noch besprochen, wer mitkam und wer nicht. Ciryon verstand die Frauen der Wäscherei nicht, dass sie in der Stadt bleiben wollten. So stabil und kühl ihr Haus auch war. Wenn die Erde weiter so rumpelte und der brennende Rauch noch dichter war, würde auch die Wäscherei keine Zuflucht mehr bieten. Von Ciryon aus, hätten sie deswegen gleich losrennen können. Er wollte weg aus dieser furchtbaren, viel zu grossen Stadt. Und wenn sie nicht gingen, dann sollten sie ihn sich zusammen rollen und schlafen lassen. Er konnte nicht mehr. Es tat ihm alles weh. Von der Flucht und auch davon, was Lady Lusian mit ihm gemacht hatte. Wenn er daran dachte, stiegen ihm schon wieder Tränen in die Augen.

Er schien etwas verpasst zu haben, denn plötzlich ging es los. Ciryon hatte in seiner Erschöpfung schon fast vergessen, dass sie gehen wollten. Entsprechend schwer fiel es ihm auch, sich zu bewegen. Jeder seiner Füsse schien schwer wie ein Sack voll Steine zu sein. Seine Beine schienen vergessen zu haben, wie man sich bewegte. Ungelenk stolperte er hinter Prinz Sastre her. Sein Arbeitgeber musste ihn sogar einige Male fest halten, damit er nicht stürzte.
Mit jedem Schritt wurde es jedoch besser. Seine Beine erinnerten sich wieder an die Bewegungen und allmählich verschwand auch die Steifheit darin. Besonders, als sie die letzten Häuser der Stadt irgendwann hinter sich gelassen hatten und sich vor ihnen landwirtschaftliche Felder auftaten. Ciryon atmete innerlich auf. Hier fühlte er sich schon freier. Plötzlich konnte er auch wirklich glauben, dass sie diese verfluchte Stadt verlassen konnten. Dass sie sie hinter sich lassen konnten. Das gab ihm neue Mut und Kraft vorwärts zu gehen.

Selbst dann, als sie überstürzt von der Strasse fliehen mussten, weil sie den Soldaten nicht begegnen wollten, und sich in einem Wäldchen versteckten, ging es Ciryon nicht mehr so elend, wie in der Stadt. Im Gegenteil. Er war in einem Dörfchen im Wald aufgewachsen. Das hier war ihm so viel vertrauter. Es war angenehm, über Waldboden zu gehen. Die Luft hier drin war gleich noch einmal viel frischer. Das einzige, was seltsam war, war dass sie keinem Tier begegneten. Natürlich, sie waren viel zu viele Leute und viel zu laut. Aber wenigstens einige Insekten oder Vögel oben in den Bäumen hätten zu sehen oder zumindest zu hören sein sollen. Doch ausser ihrem Esel schien kein anderes Tier hier zu sein.

Bei einem Bach machten sie eine kleine Pause, um etwas zu trinken und sich zu sammeln. Prinz Sastre und er nutzten die Zeit, um ihre inzwischen leeren Flaschen zu füllen. Dabei hätten sie noch weitere in ihrem Juwelengepäck gehabt. Genau wie andere nützliche Sachen auch. Aber sie durften auf keinen Fall darauf zurück greifen. Es war seltsam. Ciryon nutzte seine Juwelen so selten, er war es sich gewohnt, ohne sie auszukommen. Normalerweise hatte er dabei allerdings nicht auch alles nützliche in seinem Juwelengepäck verstaut.
Später kamen sie wieder zurück auf die Strasse. Die Gruppe atmete auf. Besonders Prinz Sastre, der ganz fürchterlich unter seinen Schuhen litt. Ciryon hingegen fand es schade, nicht mehr im Wald und auf den Wiesen gehen zu können. Das hatte er lieber gemocht. Er fragte sich, ob es nicht besser wäre, wenn Prinz Sastre barfuss weiter gehen würde. Allerdings mehr auf der Wiese. Die gepflasterte Strasse mit ihren einzelnen, kleinen, spitzen Steinchen darauf erschien auch ihm nicht geeignet, um darauf Barfuss zu gehen.

Erst als es dämmerte, wagte die Gruppe eine Pause zu machen. Viele von ihnen sahen ohnehin aus wie Schlafwandler. Ciryon selbst sah sicher auch so aus. Trotzdem, obwohl er nicht wusste, wann seine letzte Nacht mit genügend Schlaf, also die, die er bei Prinz Sastre verbracht hatte, gewesen war, fühlte er sich so gesund, wie schon lange nicht mehr. So nickte er auch gleich artig, als Lady Kalliope ihn schickte, nach einem Messer oder einer Schere zu suchen.
Fündig wurde er bei einer korpulenten Hexe, die ein einfaches Hauskleid und Hausschuhe anhatte. Sie war gerade in der Küche am Gemüse schnippseln gewesen, als ihr Mann zu ihr ins Haus gerannt war und sie mit auf die Flucht gezerrt hatte. Das lange Messer in ihrer Hand war so ziemlich das einzige gewesen, dass sie hatten mitnehmen können. Entsprechend wollte sie sich auch nicht davon trennen. Doch sie ging mit dem Messer zu Lady Kalliope und Prinz Sastre. Ciryon zeigte den Feuerholzsammlern im Gegenzug dafür, wie man Feuer ohne Juwelenkunst und Streichhölzer machte. So konnten sie wenigstens eine Suppe für die Gruppe kochen. Wobei sie kaum Nahrungsmittel bei sich hatten. Wasser gab es zum Glück genügend. Doch bald würden sie es wagen müssen, auf ihre Juwelengepäcke zuzugreifen, wenn sie nicht verhungern wollten. Es gab noch nicht einmal Baumfrüchte, Beeren oder Pilze zum Sammeln. Das Land war merkwürdig leer, fand Ciryon. Keine Tiere und keine Früchte. Irgendwie war das etwas unheimlich.

Für die Nacht erklärte Lady Kalliope, dass sie umbedingt Wachen aufstellen sollten. Immer zwei Leute zusammen für etwa eine Stunde und eine halbe. Gewissenhaft legten sie die Reihenfolge fest. Ciryon sollte mit Prinz Sastre irgendwann später in der Nacht wache halten. Bis dahin sollte er schlafen. Was er augenblicklich und zutiefst erschöpft tat. Er war so müde, dass er noch nicht einmal Albträume hatte. Er war einfach weg. Leider alles andere als erholt, als er von einem so halb fremden Mann geweckt wurde, der nun fertig mit seiner Wache war. Es dauerte einen Moment, bis er es schaffte, wach zu werden. Prinz Sastre schien es da leichter zu haben. So oder so waren sie beide nicht wirklich erholt und starrten nur stumm die Strasse an, in der Hoffnung ihre Wache irgendwie wach zu überstehen.

Als auf einmal Bewegung in die schlafende Gruppe kam. Es fiel erst gar nicht auf. Einmal hustete einer, dann ein anderer. Prinz Sastre und er, merkten erst, dass etwas nicht stimmte, als das Husten immer schlimmer wurde und der Krieger kaum noch Luft zu bekommen schien. Erschrocken rannten sie zu dem Mann, versuchten ihn zu wecken und ihn aufzusetzen, damit er besser Luft bekam. Doch es wurde einfach nicht besser. Egal, was sie taten. Inzwischen bekam er nur nich mehr keine Luft, sondern musste auch noch heftig würgen. Und bei zwei Anderen wurde ihr vereinzeltes Husten auch immer schlimmer, während es bei anderen, erst gerade anfing.
Erschrocken blickte Ciryon zu Prinz Sastre, der jedoch genau so verwirrt schien. Genau wie die anderen aus ihrer Gruppe, die allmählich von dem Lärm aufwachten. Niemand wusste, was los war. Erschrockene Rufe wurden laut. Doch man konnte nichts tun und niemand wusste, woher es kam. Bis sich der Krieger, der zu würgen begonnen hatte, sich auf einmal übergab. Ein widerlicher, grosser, wabender Klumpen schwarzer Schleim von dem wabender Rauch aufzusteigen begann.
"Verbrenn es! Verbrenn es!" kreischte der Mann entsetzt, der bis eben noch keine Luft mehr bekommen hatte. Panisch krabbelte er von dem Schleimbrocken weg. Instinktiv und zutiefst erschrocken, hielt Ciryon seine behelfsmässige Fackel an den Schleimbrocken. Es zischte und stank gewaltig, ging dann aber tatsächlich im Feuer auf. Zurück blieb nur verbrannte tote Erde. Der Krieger, der sich von seiner Hustenattacke inzwischen gut erholt hatte, lachte hysterisch, während andere nun immer schlimmer husteten. Es war ein riesiges Durcheinander.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 20:11

Ciryon kam mit einem Küchenmesser zurück, das Kalli dann nutzte, um Andiëls feine Schuhe vorne und hinten aufzuschneiden. Es war zwar bedauerlich, doch Andiëls kräftigere Schuhe befanden sich in seinem Juwelengepäck. Der Prinz hatte geplant das Schuhwerk zu wechseln sobald sie aus dem Schloss geflohen waren, doch die Gefahr seine Juwelen einzusetzen, hatte das gründlich vereitelt. Anderseits war er mit einigen Blasen und müden Füßen noch glimpflich davongekommen.
Andiël tupfte sich die Salbe vorsichtig auf. Sein Magen grummelte. Es war ein seltsames Gefühl, denn normalerweise kannte er es nicht hungrig zu sein und sich kein Essen besorgen zu können. Ciryon schien es weniger auszumachen. Der junge Krieger wirkte etwas belebter seit sie Amdarh hinter sich gelassen hatten. Im Gegensatz zu Andiël kam er auch gut ohne seine Juwelen aus und half der Gruppe ein Lagerfeuer zu entzünden. Eine Haushexe begann zusammen mit ihrem Mann eine kleine Suppe zu kochen, doch sie war eher mager als dass sie Andiël wirklich gesättigt hätte. Der Tag hatte viel Energie gekostet.
Es war da nicht überraschend, dass die meisten sich bald hinlegten und einschliefen. Kalliope hatte die Idee, dass sie Wachen aufstellten, damit sie nicht von Soldaten oder Banditen überrumpelt wurden. Andiël wurde auch eingeteilt, obwohl er am liebsten durchgeschlafen hätte. Doch als er dann einmal auf einer Decke lag, gingen ihm die ganzen Erlebnisse nicht aus dem Kopf. Die tote Lady Jysana, die er hatte verstecken müssen, die chaotische Flucht, die Gefahr in den Straßen und all das Elend um sie herum, das Warten auf Kalli...
Und dann waren da noch die ganzen Sorgen, ob sie es überhaupt aus Dhemlan schafften. Was danach sein würde...
Andiël wälzte sich hin und her und fühlte sich sehr zerschlagen, als man ihn zum Wachdienst weckte. Sein Magen rumorte erneut. Der Prinz rieb sich den schmerzenden Rücken. Durch die dünne Decke hatte er jeden Stein gespürt.
Zusammen mit Ciryon hielten sie die Straße, die etwas weiter entfernt war, im Blick. Andiël überlegte gerade wie er ein Gespräch mit seinem Liebhaber beginnen könnte, als sie ein Husten hörten. Zunächst maß der Prinz dem keine Bedeutung bei. Viele schliefen unruhig, manche wimmerten im Schlaf und litten unter Albträumen, andere weinten, husteten, keuchten. Es war nicht wirklich still im Lager.

Erst als das Husten nicht aufhörte und stattdessen immer schlimmer zu werden schien, gingen sie rasch hinüber zu dem Mann. Er war noch im Halbschlaf, wandte sich leicht panisch in ihrem Griff. Hatte er sich an etwas verschluckt? Sie versuchten ihn zu wecken, rüttelten an ihm und zusammen mit Ciryon zogen sie ihn in eine aufrechtere Position.
"Wir brauchen Hilfe hier!", rief Andiël, denn sein kräftiges Rückenklopfen blieb ohne Erfolg. Die Haushexe kam und versuchte die Kehle des Mannes zu massieren, denn es klang nun so als müsse er würgen, könne aber nicht. Vielleicht blockierte etwas den Weg.
"Er wird ganz bleich", bemerkte Andiël besorgt. Sie waren noch dabei dem Mann zu helfen, als jemand in der Nähe auch kräftig zu husten begann und dann ein dritter und vierter. Erschrocken blickte Andiël sich um. Wurden plötzlich alle krank? War etwas in der Suppe gewesen?
In der Ferne hörte man wieder ein dumpfes Grollen und etwas wie eine schwache Erschütterung, doch im Chaos schien niemand im Lager darauf zu achten. Alle waren mit den hustenden und würgenden Personen beschäftigt.
"Haltet ihn hier am Bauch und drückt zu", riet die Haushexe. "Es muss aus ihm raus."
Sie hatte recht und plötzlich konnte der Mann etwas auswürgen. Andiël rutschte erschrocken zurück, als schwarzer Rauch seinen Mund verließ und kurz darauf eine schleimartige Substanz. Sie tropfte auf das Erdreich und dort wo sie es berührte zischte der Boden und wurde grau. Der Krieger schrie, hustete und würgte zugleich bis er einen großen Brocken von diesem schwarzen Schleim ausbrach. Andiël riss entsetzt die Augen auf. Was war das?
Sobald der Mann seine Stimme wiedergefunden hatte, schrie er auf, dass man es verbrennen sollte und rückte ebenfalls von dem rauchenden Schleim fort. Ciryon war der erste, der reagierte und seine Fackel daran hielt bis der Schleim zu brennen begann. Es roch bestialisch. Andiël hätte sich selbst beinahe übergeben.
Im ganzen Lager begannen die Leute zu husten und nach Luft zu ringen. Ein paar begannen davonzurennen ehe sie am Rand des Lagers wieder zusammenbrachen. Cassiel schrie laut, während er sich an Kalliopes Bein klammerte. Der Junge rief nach seinem Vater, doch zum Glück wusste niemand hier wer das war.
"Wir müssen weg", sagte Kalli und blickte in Richtung Süden.
"Siehst du nicht was los ist?", fragte Andiël entgeistert. "Irgendein Fluch oder die schlechteste Suppe, die ich je erlebt habe", versuchte er zu scherzen, doch niemandem war zu Lachen zumute außer dem Krieger, der diesen Schleim ausgehustet hatte. Er lachte immer noch hysterisch und wiegte sich hin und her.
Dann bebte die Erde nun kräftiger. So stark, dass es jetzt auch andere bemerkten und Schreie laut wurden.
Kalli deutete aus dem Wäldchen hinaus und in Richtung der Stadt. Andiël blickte dorthin. Sie war in der Dunkelheit eigentlich nicht mehr zu sehen. Man sah nur den dunklen Nachthimmel. Sehr dunklen Nachthimmel.
"Wo sind die Sterne?", flüsterte Andiël. Es war wie eine schwarze Wand.
Die Erde bebte erneut, der ganze Boden schien sich aufzubeben. Andiël hatte gesessen und wurde nun regelrecht umgeworfen. Ächzend rappelte er sich auf alle Viere auf.

Dann rief Kalliope plötzlich ein Schild herbei.
"Kalli, nicht!", rief Andiël besorgt, als das Schild erschien, doch sie brach nicht zusammen und das Schild hielt.
"Sion kommt", sagte sie. "Andiël, hast du noch Juwelenkraft? Wir müssen uns schützen."
Der Dhemlaner nickte angespannt und benutzte sein Saphir, um südlich vom Lager ein weiteres Schild aufzubauen. Kaum hatte er es getan, strich ein infernalisches Brüllen über das Land, wütend und irgendwie leidend. Es ließ Andiëls Innerstes vibrieren. Das Geräusch war regelrecht schmerzhaft. Er packte Ciryon und hielt ihn dicht bei sich gedrückt. Der Prinz wusste nicht, ob er den jungen Krieger schützen wollte oder gerade selbst Beistand brauchte.
Ein heftiger Rauch schoss ihnen entgegen und er stank genauso ekelhaft wie der brennende Schleim. Der Rauch wurde größtenteils von den Schilden abgehalten, es war wie eine schwarze Sturzflut, die sie zu überrollen versuchte. Jemand war aus Panik vom Lager weggerannt und brach nun schreiend hinter dem Schild zusammen, sich den Kopf haltend. Wenig später hörte man nichts mehr von ihm.
Andiël presste die Augen zusammen. Sein Kopf dröhnte unter dem Brüllen, das inzwischen zu einem Kreischen geworden war. Er tastete nach Kalliopes Hand und hielt sie fest umklammert. War das das Ende? Es fühlte sich wie ein stundenlanges Inferno an und doch waren es vermutlich nur ein paar Augenblicke. Dann war der schwarze Sturm über sie hinweg und auch das Kreischen war verebbt.
Benommen standen sie in dem Wäldchen, vor ihnen eine tote, verwesende Landschaft.
Die Sterne waren wieder am Himmel. Andiëls Magen rumorte erneut. Seine Luftröhre schnürte sich zu und er musste husten.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 20:12

Dem Mann, der diesen widerwärtigen Schleim ausgewürgt hatte, schien es danach besser zu gehen. Kein Wunder, nun, wo das ekelhafte Zeug aus ihm raus war. Zumindest hoffte Ciryon es für den Mann, dass es aus ihm raus war. Dieser lachte nun auf jeden Fall. Sehr froh und erleichtert, aber irgendwie auch sehr unheimlich, während er sich komisch hin und her wiegte. Ciryon verstand nicht, warum sich der Mann so seltsam verhielt. Oder warum Lady Kalliope von hier weg wollte und in die Dunkelheit starrte. Es gab doch noch mehr Menschen, die so merkwürdig husteten und würgten. Sie sollten denen doch mit dem festen Griff helfen, den die Haushexe ihnen gezeigt hatte. Es schien den Leuten zu helfen.

Vielleicht wollte Lady Kalliope auch einfach nur von dem Entsetzen weg, was sie hier sahen. Das konnte Ciryon nur zu gut verstehen. Davon wollte er auch weg. Vielleicht hatte sie aber auch Angst, dass Cassiel zu doll nach seinem Vater schrie und den anderen Flüchtlingen klar wurde, wer das sein konnte. Selbst Ciryon, der von kaum etwas eine Ahnung hatte, war klar, dass das sehr gefährlich für sie werden konnte. Oder sie spürte als Priesterin vor allen anderen, das Erdbeben, das sich anbahnte. Ciryon hatte so etwas noch nie erlebt. Dass der ganze Boden zitterte und auf einmal nicht mehr so fest war, wie er eigentlich sein sollte. Ja, er wollte auch weg, von all dem Grauen.
Erst einmal versuchte er einer Hexe jedoch mit diesem kräftigen Bauchgriff zu helfen, diesen gefährlichen Schleim auszuwürgen. Er konnte sie nicht einfach im Stich lassen. Es sah so schlimm aus, wie die Leute keine Luft mehr bekamen. Ihm taten besonders die leid, die wegrannten, nur um gleich darauf röchelnd zusammen zu brechen. Ciryon traute sich nicht, ihnen hinter her zu rennen. Ausserdem konnte er ohnehin nur jemandem aufs Mal helfen. Bei der Hexe, die er am Bauch quetschte half es zum Glück. Sie würgte auch diesen brennenden, giftigen Schleim aus. Ciryon war gerade dabei ihn ebenfalls zu verbrennen, egal wie furchtbar es danach roch, als Prinz Sastre auf einmal entsetzt fragte, wo die Sterne wären. Er hatte es nur geflüstert. Doch die Angst in seiner Stimme war so gross, dass Ciryon es trotzdem hörte.

Erschrocken blickte er auf. Beim Wache sitzen hatten sie noch Sterne gesehen. Doch jetzt war alles so finster wie in einem verschlossenen Raum. So dunkel wie in den tiefsten Räumen in dem unheimlichen Schloss. Da wo er die Spiegellady getroffen hatte. Ciryon erstarrte vor Angst. Nur um gleich darauf zu Boden zu stürzen, als die Erde erneut heftig bebte. Noch schlimmer als zuvor. Schluchzte wimmernd auf, als er hörte, wie Lady Kalliope sagte, dass Sion kommen würde. Das war zuviel. Er konnte nicht mehr. Panisch klammerte er sich an die Hand der Hexe, der er zuvor noch geholfen hatte, den Schleim auszuwürgen. Ihm blieb die Luft weg und das höllische Brüllen machte ihm klar, dass es nun vorbei war. Alles.

Ciryon bekam gerade noch halb mit, wie er in Prinz Sastres Arme gezogen wurde, in die Arme, die ihm immer so schöne, tröstende Sicherheit gaben, ehe die Dunkelheit entgültig über ihn herein brach. Er war wieder bei Sion. Da, wo er in seinen Geist kroch. Wo er ihn untersuchte und ihn von innen heraus verbrannte. Wo er ihm etwas wegnahm. Da, wo Ciryon sich schützend vor Lady Lusian stellte, damit er statt ihrer ausgepeitscht wurde. Aber Lady Lusian hatte ihn verraten. Sie hatte ihn betrogen und seine Eltern getötet. Es tat so weh. Alles in ihm tat so unglaublich weh. Er musste weinen und sogar seine Tränen brannten ihm auf der Haut. Für den Moment wünschte er sich fast, er wäre mit der Lady im Spiegel mitgegangen. Es wäre ein sanfteres Ende gewesen, als diese brutale Schwärze, die ihn förmlich zerriss. Wieder und wieder erlebte er all das Grauen und Entsetzen aus dem Schloss, ohne sich dagegen wehren oder schützen zu können.

Es zerriss und zerquetschte ihn gleichermassen. Ciryon bekam keine Luft mehr. Es war alles zuviel. Dass der Sturm um sie herum schon wieder aufgehört hatte, bekam er nicht mit. Bei ihm war noch immer bedrohliche Finsternis. Er fiel in sie hinein. Haltlos trudelnd. Da war zwar ein kleines weisses Licht, das Trost versprach, doch es war so schwach. Ciryon steuerte darauf zu, aber zu seinem Entsetzen half es ihm nicht. Er fiel einfach durch es hindurch. Ciryon hörte es Klirren. Es war kein schöner Laut. Aber noch immer besser, als das fürchterliche Brüllen. Das vorbei war, wie er merkte. Ausserdem erinnerte das Licht ihn an Prinz Sastres sichere Arme. Es verlangsamte seinen Fall. Ciryon wollte wieder zurück in diese Arme. In dieses Licht. Seltsamerweise tauchte es weiter unten noch einmal auf. Erschöpft steuerte Ciryon irgenwie darauf zu, packte es und liess es diesmal nicht wieder los. Egal wie erschlagen und elend er sich am Ende fühlte. Egal, dass er keine Luft mehr bekam und sein Körper sich zucken aufbäumte und zu würgen begann. Er realisierte gar nicht, was geschah. Er wusste nur, dass er sich ganz fest an dem weissen Licht und Prinz Sastre festhalten wollte. Er würde nie wieder loslassen.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 20:12

Andiël fühlte wie sein Körper sich stärker verkrampfte und anspannte, er begann zu schwitzen, ihm wurde heiß und kalt. Er versuchte noch Ciryon zu halten, der neben ihm wankte und weinte. Er schien ebenfalls keine Luft mehr zu bekommen. Der Prinz griff sich an den Hals, keuchte angestrengt. Was passierte mit ihm? Hatte er auch diesen schwarzen Schleim in sich? Flecken tanzten vor seinen Augen. Er taumelte einen halben Schritt nach vorne. Um sie herum herrschten chaotische Zustände. Schreiende Menschen, würgende Geräusche, Leute, die panisch wegrannten, hysterische Gebete zur Dunkelheit.
Andiëls Schild war zusammengebrochen und bald gab auch sein Körper nach. Zusammen mit Ciryon ging er zu Boden und landete zwischen den Wurzeln eines Baumes.
"K... alli...", krächzte er unter größten Anstrengungen, doch er sah sie nirgendwo. Andiëls Augen begannen zu brennen und zu tränen. Er wischte sich fahrig übers Gesicht, seine Hand kam mit einer schwarz verschmierten Substanz zurück. Was...
Der Prinz wandt sich gequält. Etwas schien an seinen Eingeweiden zu reißen. Seine Signatur flackerte, brach in sich zusammen, baute sich erneut auf, während er röchelnd hustete und nach Luft rang. Haltlos tastete er nach Ciryon. Sein Geist klirrte oder vielleicht war es auch Andiëls eigener. Inmitten des Chaos fanden sie sich irgendwie und er versuchte den Jüngling nochmal festzuhalten. Seine beschmierte Hand glitt zitternd über Ciryons Haar, das sich schlohweiß verfärbte. Der schlanke Körper zuckte und bäumte sich auf.
Andiël war kurz davor ohnmächtig zu werden. Ihm schwindelte. Sein Atem war wie blockiert, während sich der schwarze Rauch durch seinen Körper fraß und einen Weg nach draußen suchte. Hustend glitt es aus ihm heraus, weitere schwarze Tränen tropften zu Boden. Oh, Mutter der Nacht, was für ein Albtraum.
Er hatte keine Kraft mehr zu sehen wo Kalliope war oder um Ciryon zu helfen. Dumpf hörte er entsetzte Aufschreie um ihn herum und Rufe, dass sie von Dämonen befallen seien. Andiël würgte mehrmals bis ihn endlich der Schleim verließ. Er hatte das Gefühl, es würde aus jeder seiner Poren dringen. Um ihn herum vergilbte das Gras und verwitterte, der Boden dampfte und wurde grau. Andiël konnte sich trotzdem nicht zurückhalten und gab weiter dunklen Rauch von sich bis irgendwann endlich alles aus ihm heraus war.
Er ächzte geschafft, rollte sich auf die Seite. Matt durch verklebte Augen sah er Ciryon neben sich, wie er ebenfalls von dem schwarzen Schleim verschmiert war und im Kontrast dazu neue, weiße Juwelen inmitten des Rauches hell leuchteten und schimmerten.

Der Prinz musste das Bewusstsein verloren haben, denn als er darum kämpfte die Augen wieder zu öffnen, war es still um sie herum. Keine Schreie mehr, kein Husten und Würgen. Niemand. Nur eine stille Morgendämmerung. Keuchend rappelte er sich auf, wischte sich angeekelt den Schleim von seiner Kleidung, doch es schien sich überall festgesetzt zu haben.
"Ciryon...", brachte er heiser vor, als er den jungen Krieger neben sich liegen sah. Andiël rüttelte an ihm und zum Glück begann er sich allmählich zu regen. "Ich glaube... du hast deinen Aufstieg.. gemacht", murmelte der Prinz. Er wollte noch mehr sagen, hatte dabei matt den Blick über das verlassene Lager zwischen den Bäumen schweifen lassen. Er sah zwei Personen am Boden, die sich nicht bewegten. Dann glitt sein Blick bis zu den weißen Stiefeln, die Kalliope getragen hatte.
"Kalli..." Andiëls Herz schnürte sich zusammen. Entkräftet kämpfte er sich auf die Knie, schwindlig und sich vollkommen leer fühlend. Aber auch eigentlich besser. Als wäre ihm eine schwere Dunkelheit genommen worden, die auf ihm gelastet hatte. Doch die Leichtigkeit wurde sofort wieder durch das stille Grauen unterdrückt als er seine Freundin dort liegen sah.
"Kalli!", rief er besorgt und kroch zu ihr. Die Erde um sie herum war morastig und voll mit dem schwarzen Schleim. Andiël zog irritiert seine Hand beiseite, die darin versunken war. Seine Freundin lag auf dem Rücken, in den Armen hatte sie Cassiel gedrückt. Oder etwas was einmal der kleine Junge gewesen sein musste...
Andiël schluckte. Die dunkle Substanz schien ihn fast vollständig zu bedecken und sie hatte sich auch auf Kalliope ausgestreckt. Schwarze Spuren zogen sich über ihr Gesicht, hingen ihr in den Mundwinkeln. Sie war bleich.
"Kalliope..." Andiël legte zitternd eine Hand auf ihre Brust, versuchte den Schleim fortzuwischen. Im Lager war es gespenstisch still. Die Menschen, die vor ein paar Stunden noch ihre Wegbegleiter und Leidensgenossen gewesen waren, hatten sie alle verlassen. Der Prinz hatte sich noch nie so verlassen gefühlt wie in diesem Moment.
Dann war Ciryon an seiner Seite, ebenfalls erfüllt von Grauen.
"Sie... atmet nicht..", sagte Andiël leise.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Ciryon » Fr 21. Okt 2022, 20:13

Er hielt sich an dem Licht so fest, wie er sich noch nie an etwas festgehalten hatte. Ciryon wusste instinktiv, dass dies die einzige Möglichkeit war, um zu überleben. Dabei wurde er jedoch immer schwächer. Er bekam keine Luft und es wurde immer schwieriger sich festzuhalten. Aber dann, als er dachte, dass er nicht mehr könne, wurde das Licht immer grösser und auf einmal verliess ihn der Druck, der seinen Körper zu zereissen drohte. Schwallwartig übergab er sich und würgte das schwarze Gift aus sich heraus. Sein Körper bäumte sich auf, zuckte qualvoll zusammen und presste, mehr und mehr von dem Schleim aus sich heraus.
Ciryon wusste nicht wie lange es dauerte. Er wusste noch nicht einmal, ob er stand, sass oder lag. Er sah nur das weisse Licht und die Dunkelheit darum herum. Er spürte nur seinen Körper, wie er sich wand und aufbäumte. Bis es irgendwann vorbei war und er wieder atmen konnte. Vollkommen ausgelaugt sackte er ihn sich zusammen. Seine Lider flatterten noch kurz unsteht, während er flach und hecktisch atmend dalag, ehe er erschöpft das Bewusstsein verlor und in tiefen Schlaf fiel.

Kurz darauf wurde jedoch schon wieder an ihm geschüttelt. Müde versuchte er sich aufzurappeln. Ihm kam es so vor, als hätte er seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Als wisse er schon gar nicht mehr, wie das ginge. Trotzdem fühlte er sich irgendwie leichter. Als hätte er sich doch erholt. Doch das konnte nicht sein. Ciryon wusste, dass er schon lange nicht mehr richtig hatte schlafen können. Er schien jetzt auch nicht geschlafen sondern nur in Ohnmacht gefallen zu sein. Nur kurz. Zitternd rappelte er sich auf und blinzelte verwirrt. Es brauchte einen Moment, bis er realisierte, dass er länger geschlafen haben musste, als er gedacht hatte. Die Sonne begann bereits wieder aufzugehen. Desorientiert sah er sich um. Ciryon verstand nicht, wo er sich befand. Das letzte woran er sich erinnerte war einige Bäume und ein Lagerfeuer. Jetzt befanden sie sich in einer steinigen Wüste, die so kahl war, wie der Schädel eines alten Mannes. Keinerlei Leben befand sich um sie herum. Nur dieser giftige schwarze Schleim.

Hastig krabbelte Ciryon aus der Lache schwarzen Schleims heraus, in der er lag. Er brannte ätzend auf seiner Haut. Fahrig wollte er ihn von sich wischen, hatte aber das Gefühl, er würde es nur noch schlimmer machen. Hektisch zog er sein Hemd aus und wischte sich mit dem Stoff das Gesicht und den Hals sauber. Der Mann, der so irre hatte Lachen müssen, hatte zuvor unbedingt gewollt, dass man den Schleim verbrannte. Jetzt konnte Ciryon verstehen, warum. Er hatte auch das innige Bedürfnis, den Schleim in Flammen aufgehen zu lassen. Doch ihr Lagerfeuer war längst erloschen. Ciryon erschauderte. Das Bedürfnis, diesen schwarzen Schleim zu verbrennen wurde immer stärker, bis er auf einmal tatsächlich ihn stinkenden, beissenden Rauch aufging. Verblüfft starrte Ciryon die tote Stelle am Boden an. Scheu fragte er sich, ob er irgendwie genügend Kunst hatte wirken können, damit das geklappt hatte.

Er bekam jedoch keine Zeit dazu, sich darüber zu freuen. In seinen Augenwinkeln bekam er mit, wie Prinz Sastre hektisch etwas tat und dann ganz jämmerlich nach seiner Gefährtin rief, die er über alles liebte. Ciryon ging der Laut durch Mark und Bein. Er verstand überhaupt nicht, was hier passierte, wo all die Leute waren, mit denen sie geflohen waren. Eine Ahnung sagte ihm zwar, dass es den beiden Menschen, die da regungslos auf dem Boden lagen nicht gut ging, doch wirklich begreifen tat er die Situation nicht. Er hörte nur den Schmerz in der Stimme des Prinzen und beeilte sich, zu ihm zu kommen, um ihm zu helfen.
Was er sah, verschlug ihm den Atem. Lady Kalliope lag auf dem Rücken. Bleich und regungslos. Wie als wäre sie tot. Auf ihr drauf lag ganz viel Schleim, der sie zu erdrücken und aufzufressen schien. Trotzdem hatte sie ihn umarmt. Ciryon verstand nicht was er sah. Konnte es nicht fassen. Er wollte es nicht wahrhaben. Verzweifelt schluchzte er auf, als Prinz Sastre leise sagte, dass sie nicht atmen würde. Das durfte nicht sein. Sie durfte nicht tot sein. Prinz Sastre hatte sie doch so gern. Und Ciryon mochte sie auch. Selbst wenn er sie kaum kannte.

"Der... der Schleim", weinte er unwillig, das offensichtliche zu aktzeptieren. "Es liegt am Schleim. Wir haben auch keine Luft bekommen, bis wir ihn ausgewürgt haben. Wir müssen den Schleim von ihr weg bekommen." Bestimmt. Und dann würde alles wieder gut werden. Hastig begann er das Zeug von der Priesterin zu schaufeln. Doch es war widerspänstig und zäh. Fast als hätte es ein eigenes Leben und als wolle es unbedingt in Lady Kalliope hinein. Es wehrte sich und verätzte wie eine Säure Ciryons blosse Hände und nackte Arme. Verbissen machte er trotzdem weiter. Bis er unvermittelt ein Stückchen Stoff in der Hand hielt. Überrascht blickte er es an, ehe er begriff, dass das Kleid der Priesterin sich allmählich unter dem ätzenden Schleim aufzulösen begann.
"Das Kleid!" rief er aufgeregt. "Wir müssen sie aus dem Kleid schälen. Wie aus einem Kokon." Wenn sie es aufschnitten, konnten sie Lady Kalliope womöglich heraus ziehen und so von diesem erstickenden Schleim befreien. Es war ein langes Kleid mit langen Ärmeln gewesen. Vielleicht hatte es sie dadurch gut geschützt. Aufgeregt und hoffnungsvoll begann der Krieger das Kleid von unten der Länge nach zu zerreissen und mit dem Stoff den Schleim wegzuschieben. Bei ihm hatte es mit dem Hemd doch auch geklappt. Bestimmt würde es das auch bei der Priesterin. Gleich würde sie den reschtlichen Schleim auswürgen und wieder zu Atem kommen. Dann würde alles wieder gut werden.

Plötzlich stiessen seine Finger jedoch auf etwas hartes. Eine Art grosser Stein. Unter dem Schleim bedeckt sah er nicht, was es war. Doch er griff danach und zerrte es Lady Kalliope aus den Armen. Es war eiförmig. Als er es beiseite legte und noch etwas Schleim abwischte, sah er, dass es sich um einen durchsichtigen Schild handelte, der ein kleines, nacktes Kind eingeschlossen hielt. Cassiel? Aber der war doch viel grösser und rosiger gewesen. Nicht so zerbrechlich und klein. Besorgt befreite er den Schutzschild mit geröteten Händen von dem Schleim. Wieder half ihm das weisse Juwel, das er in den Händen hielt dabei. Kaum war der Schild vom Schleim befreit, flackerte die weibliche Signatur, ehe der Schild zusammen brach. Behutsam nahm, Ciryon das kalte, wie leblos wirkende Kind in die Arme, streichelte es sanft, um herauszufinden, ob es noch lebte. Es schien nicht so. Bis es auf einmal leise zu weinen begann und sich ganz fest an ihn kuschelte. Ciryon erschauderte. Ihm kamen auf einmal aus wieder die Tränen und feurige Wut über den widerwärtigen Schleim packten ihn. Zornig hielt er ihm sein weisses Juwel entgegen und verbrannte ihn, so gut es ging.
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Re: Das Ritual

Beitragvon Andiël » Fr 21. Okt 2022, 20:14

Zunächst hörte Andiël seinen Gehilfen nur dumpf wie durch einen Schleier ehe er wahrnehm, was dieser ihm zu sagen versuchte. Der Schleim würde Kalliope am Atmen hindern und sie müssten den Schleim von ihr runter bekommen. Überfordert und verstört blickte Andiël zu ihr. Sie war vollkommen bedeckt mit dem Schleim. Überall. Es schien ihr selbst aus den Augen gekommen zu sein und sie war so blass...
Doch neben ihm begann Ciryon aktiv zu werden und zerrte an dem zähflüssigen Sekret, schob es mit den bloßen Händen vom Körper der Priesterin.
"Kalli... komm zu mir zurück", flehte Andiël leise. Er wusste nicht was er tun sollte. Ohne sie hätte er das Leben in Dunrobin Castle niemals überstanden und jetzt, wo sie da so vollkommen leblos lag, fühlte er sich haltlos. Als hätte ihm jemand jeglicher Orientierung im Leben beraubt. Er war nicht für den Überlebenskampf gemacht. Er war ein Adeliger gewesen. Er hatte schlüpfrige Geschichten geschrieben, charmant bei Tanztees gelächelt, auf Bällen mit der Damenwelt geflirtet und sich mit den Butlern in den Laken vergnügt.
Mit geröteten fleckigen Händen zog Ciryon weiterhin verbissen an dem Schleim und schaufelte ihn beiseite. Andiël hatte nur ihre Hand freibekommen, die er nun trotz der ätzenden Säure hielt und nicht mehr loslassen wollte. Ohne sie würde er nicht weitermachen. Erst ein weiterer Aufruf des jungen Kriegers neben ihm riss ihn aus seiner Starre.
Ciryon zupfte an Kalliopes Kleid. Sie müssten sie aus dem Kleid schälen. Andiël nickte und begann mit Ciryon an dem Kleid zu reißen. Er fühlte sich wie in einem Albtraum wo sich seine Glieder nur träge bewegten und nichts so richtig zu funktionieren schien. Ciryon war energischer und schaffte es den edlen nun vollkommen besudelten Stoff aufzureißen. Darunter lag nackte, goldene Hayllierhaut. Der Anblick hatte Andiëls Herz immer höher schlagen lassen, doch jetzt hatte er nur Angst.
"Kalli!" Er beugte sich zitternd über sie und während Ciryon an dem Kleid zog, erinnerte sich Andiël schwach an langweilige Demonstrationen über Erste Hilfe. Er presste seine Lippen auf die ihren und begann ihr Luft einzuflösen, hielt ihr dabei die Nase zu. Machte man es so? Wieso hatte er nicht besser aufgepasst? Es war schon so lange her.
Er schob das mit Schleim beeckte Kleid oben weiter nach unten, sich nicht störend, dass sie Kalliope weiter entblößten. Es zählte nur das Überleben. Ciryon zog Kalliope inzwischen Cassiel aus den Armen, doch Andiël schenkte dem zunächst nicht viel Beachtung. Kalli war ihm viel wichtiger.
"Komm zurück, lass mich nicht allein", flehte er erneut und machte weiter mit der Mund zu Mund Beatmung. Seine Hände prickelten und die Haut brannte vom Schleim, fahrig wischte er es von ihrem Hals und Mund. Als das nicht half, traute er sich endlich sein Juwel einzusetzen und begann Kleid samt Schleim zu verbrennen. Jegliche möglicherweise verseuchte Kleidung bis die Priesterin nackt vor ihnen lag.
"Ich weiß nicht was ich machen soll..", sagte er hilflos. Noch einmal flößte er ihr Luft ein und wollte Kalliope in seine Arme ziehen, als er ein Schaudern durch ihren Körper fahren spürte. Sie bäumte sich auf, kippte halb zur Seite. Überrascht half Andiël ihr bei der Drehung, da hustete sie bereits und würgte ringend. Andiël klopfte ihr auf den Rücken bis sie sich heftig erbrach und noch mehr schwarzes Sekret aus ihr herauskam.
Weiße Flammen tanzten empor, während Ciryon es sofort verbrannte. Danach sackte Kalliope geschwächt in Andiëls Arme zurück und begann leise zu weinen. Andiël hielt sie vorsichtig wie ein rohes Ei, wagte nicht sich zu rühren. Sie lebte noch! Ging es ihr gut? War das wirklich alles passiert?
Ciryon hielt währenddessen Cassiel auf dem Arm, der ebenfalls nackt war. Er wirkte jünger und kleiner, doch auch er lebte. Das war die Hauptsache.
Verloren saßen sie inmitten der leblosen verdorrten Fläche und lagen sich irgendwann weinend in den Armen, inmitten all des Unglücks und doch erleichtert.

Es dauerte Stunden bis sie es schafften sich zu sammeln und sich um andere Dinge zu kümmern. Andiël rief etwas von Kalliopes Ersatzkleidung herbei, die er in seinem Juwelengepäck vorsorglich dabei hatte und half ihr in das einfache wollgrüne Gewand. Es war ein seltsames Wetter mit unwirklicher Schwüle und Ascheflocken, die langsam zu Boden rieselten. Ein leichter Wind ging.
Auch Andiël zog sich um, ebenso Ciryon und sie fanden ein Hemd in das sie Cassiel wickeln konnten. Durch die Juwelen konnten sie wieder auf Vorräte, neue Schuhe und andere Hilfsmittel zurückgreifen. Trotzdem wurde es ein beschwerlicher Weg aus dem trostlosen Gelände. Kalliope war so geschwächt, das sie kaum gehen konnte. Sie redete nur wenig, da ihr Rachen heiser war, vielleicht gar verletzt. Andiël war froh, dass sie überhaupt atmete. Cassiel weinte viel und klammerte sich an Ciryon.
So wanderten sie über einen Weg in Richtung Norden bis irgendwann der verdorrte Boden weniger wurde und man etwas mehr Leben sah. Bei einem Dorf hatten sich weitere versprengte Flüchtlinge eingefunden, doch nicht ihre alte Gruppe. Dafür eine tatkräftige Hexe, die ein Fuhrwerk und zwei Wagen organisiert hatte. Sie wollte nach Askavi und von dort nach Hayll. Andiël war froh sich ihr anschließen zu können. Sie konnten sich auf einem der Wagen unterbringen, nachdem die Hexe gesehen hatte in welchem geschwächten Zustand sich Kalliope und Cassiel befanden und danach ging die Reise wesentlich schneller vonstatten.
Der Prinz hatte sich neben Ciryon gesetzt, die Beine über die Ladefläche baumelnd und zurück zu den grauen Landstrichen blickend. Seiner Heimat, die er jetzt mit nicht viel mehr verließ als das was er am Leib trug. Sein Blick ging zu Kalliope und ihrer gebräunt goldenen Haut.
Nein, er war immer noch unermesslich reich...
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