Ciryon begann stumm zu weinen und starrte ebenso entsetzt zu dem Geschehen. Andiël bekam langsam einen schlimmen Verdacht.
"Benutze deine Juwelen nicht solange wir in der Stadt sind", riet er Ciryon, doch dieser schien ihn kaum wahrzunehmen. "Hast du mich gehört?" Er schüttelte ihn energisch.
"Keinerlei Juwelenkraft. Los, wir müssen weiter. Wir können ihnen nicht helfen."
Sie waren bereits an vielen vorbeigekommen, die Hilfe bedurft hätten, doch Andiël hatte genug damit zu tun, dass sie beide in Sicherheit kamen. Sie konnten es sich nicht erlauben stehen zu bleiben. Zwar herrschte viel Panik in den Städten, doch sie waren mehrmals Soldaten und Wachen umgangen und es bestand weiterhin die Gefahr, dass man ihn erkannte und aufgriff. Andiël wollte das auf jeden Fall verhindern. Egal ob er dafür an anderen Menschen vorbeirennen musste. In ihm drin rumorte die größte Sorge, dass er Kalliope verlor. Ohne sie würde er das Leben im Schloss nicht überleben.
So packte er wieder Ciryon an der Hand und zog ihn weiter. Erst bewegte sich der Jüngling kaum ehe er ihm hinterher stolperte, keuchend und blass. Andiël wusste nicht, ob Lady Jysana ihn irgendwie versorgt hatte oder die letzten Tage ständig zum Sex gezwungen hatte. Vermutlich litt Ciryon noch an seinen Verletzungen. Doch sie konnten darauf keine Rücksicht nehmen. Andiëls Kopf dröhnte schmerzhaft und dumpf. Der Zug an seinen Juwelen wurde immer stärker und er musste sich beherrschen sie nicht herbeizurufen, um zu sehen ob sie noch da waren.
"Da hinten! Der Häuserblock." Andiël deutete auf einen Block hinter dem nächsten Straßenzug. Sie rannten jetzt an mehreren Menschen vorbei, die reglos in den Straßen lagen oder mit dumpfen Blick in Richtung Schloss starrten. Sie bogen um die Ecke und wären beinahe in eine Gruppe dieser verzauberten Bewohner geprallt, die ihnen mitten im Weg standen und unbeirrt zum Schloss sahen. Andiël wollte automatisch ihrem Blick folgen. Er sah das Schloss nur aus den Augenwinkeln, ein riesiger dunkler Mahlstrom. Der Anblick ließ ihm das Herz gefrieren und wollte all seine Glieder lähmen.
Andiël packte Ciryons Hand fester, schüttelte den Kopf und hielt den Blick hastig nach vorne gerichtet.
"Sieh nicht zum Schloss. Immer nur nach vorne. Immer weiterrennen. Wir sind gleich da", beschwörte er, obwohl ihm bewusst wurde, dass er dies nicht zum ersten Mal sagte. Er musste auch sich selbst anfeuern. Der Prinz konnte allmählich nicht mehr. Er hatte im Schloss nicht unbedingt trainieren können und war entsprechend außer Form. Japsend und keuchend kamen sie auf die Straße wo sie schon die Wäscherei sahen.
Kalli, lass Kalli da sein. Andiël wagte nichtmal nach Signaturen zu fühlen.
Sie stolperten auf das Gebäude zu, als eine laute Stimme zu hören war.
"Keinen Schritt weiter!" Oben auf einem Balkon über der Wäscherei waren zwei Frauen mit Armbrüsten in den Händen. Sie zielten mit den Waffen auf sie beide. "Wenn ihr ans plündern denkt, kehrt besser um!", sagte die eine von ihnen.
Andiël hob abwehrend eine Hand.
"Wir sind Freunde von Kalliope", erklärte er und hoffte, man kannte ihren Namen. "Ich bin ihr Gefährte."
Eine der Frauen, breitschultrig und mit zusammengebundenen Haaren, sah ihn zweifelnd an. "Kalli hätte niemals einen Gefährten. Wer bist du?"
"Inoffizieller Gefährte", korrigierte der Prinz. "Ich bin Andiël. Hat sie nicht erwähnt, dass ich komme?"
Die Frauen ließen ihre Armbrüste sinken. "Ja. Aber sie ist nicht hier", sagte die andere, zierlichere Frau ernst. Andiëls Herz sank. Er fühlte sich als hätte ihm das Schloss tatsächlich alle Lebensgeister geraubt.
Die erste Frau pfiff und daraufhin öffnete sich unten die vergitterte Türe zur Wäscherei. Es versprach Sicherheit und so ging Andiël mit Ciryon darauf zu, doch ohne Kalliope wusste er nicht wie er weitermachen sollte.
Hinter der Türe winkte ein Mann mit einem Knüppel sie rasch hinein ehe er die Türe hinter ihnen wieder zuzog. Es roch nach Seifenlauge und Kleidung. Mehrere Gewänder hingen an Stangen von der Decke und es gab eine große Theke mit einer Kasse.