Re: Nur kurz in Mineva
von Eneas » Mo 25. Nov 2019, 23:55
Kosta beruhigte ihn, dass alles in Ordnung wäre. Es wäre nur peinlich geworden, da Prinz Tolarim sich bei ihm bedankt hätte.
"Dafür, dass du Timaris gerettet hast? Das ist gut", fand Eneas. Es war schön, dass Timaris' Vater dies mitbekommen hatte und sich auch bedankte, obwohl er normalerweise wohl kaum Worte mit Kosta gewechselt hätte.
Kosta wollte ihm später genauer davon erzählen und lieber auch zunächst Andiël trösten, so wie Eneas es vorhin bereits versucht hatte. Das Gespräch war für den Dhemlaner anstrengender geworden als sie vermutet hatten. Nur knapp hatte er erklärt, dass es ihn an Besprechungen mit Sion erinnert hatte. Natürlich. Eneas scholt sich innerlich, dass er nicht früher daran gedacht hatte. Zudem waren die Neuigkeiten, die Dacascos gehabt hatte, nicht sonderlich positiv gewesen. Eneas hatte einen Neuanfang vorgeschlagen, doch Andiël wollte an seinem Familiennamen festhalten. Es war vielleicht das einzige was ihm geblieben war. Ein erschreckender Gedanke. Eneas war so fixiert darauf gewesen seine Schwester und Andiël aus Dhemlan rauszuholen, dass er nicht daran gedacht hatte, dass andere der Sastres auch Hilfe bedurften.
Andiël schien nicht gleich an die Zukunft denken zu wollen und hatte sich lieber mit Timaris' Brief ablenken wollen. Eneas tat ihm den Gefallen, obwohl er die Nachricht eigentlich in Ruhe in der Kammer hatte lesen wollen. Er hätte es mal besser getan, denn beim Lesen der Worte konnte er sich kaum zurückhalten. Timaris erwähnte zwar nicht Zuckers Namen, doch die Beschreibung, der Ort und die Umstände konnten nur auf den Soldaten zutreffen.
Also hatte er überlebt. Es waren gute Nachrichten. Eneas wollte Zucker nichts Böses, obwohl er ihm manchmal grollte, weil er Kosta in einer sehr verletzlichen Phase alleine gelassen hatte. Und noch mehr, weil Zucker es so spielend leicht gelungen war Kostas Herz für sich zu gewinnen. Das konnten nicht viele Männer. Und dieser Kerl wusste nicht mal wie wertvoll und bedeutsam es war.
Jedenfalls lebte er, auch wenn Timaris von schweren Verletzungen schrieb, die noch eine längere Zeit zum Verheilen bräuchten. Das bedeutete aber auch, dass Zucker wieder in ihr Leben treten würde. Kosta würde den Soldaten nicht sich selbst überlassen können. Eneas passte es nicht so ganz und noch weniger passten ihm die letzten Zeilen, die ihm schlicht den Atem raubten. Timaris hatte tatsächlich geschrieben, dass Zucker sich als Yadriël Erenos ausgab und die Angestellten im Krankenhaus glaubten, er wäre ein Adeliger ihres ersten Kreises. Anscheinend war sie nur deswegen informiert worden.
Aber ausgerechnet Erenos? Erenos?! Wahrscheinlich wusste Zucker wieder nicht wie selten und bedeutsam der Name war. Er hatte ihn einfach an sich gerissen, um ihn für seine Schwindelei zu benutzen. Ein Name mit dem Eneas sich auch gerne geschmückt hätte, doch nichtmal wagte dies Kosta zu fragen.
Andiël hatte ihn dann jedoch darüber informiert, dass Kosta sich nicht traute mit ihm über Zucker zu sprechen, was Eneas' Eifersucht wieder etwas milderte. Er wollte Kosta nicht von Zucker fernhalten. Sie würden nach Raej reisen und ihn retten. Das war eine Tatsache.
Nur musste es jetzt sofort sein? Würde es Kosta überhaupt verkraften?
So hatte es Eneas zunächst verheimlicht, als Kosta aus dem Arbeitszimmer zurückgekommen war. Der Schriftsteller fühlte sich etwas schäbig, dass er so eine wichtige Neuigkeit verschwieg, doch er sagte sich, dass es nur zu Kostas Besten wäre. Sein Freund musste dringend zur Ruhe kommen und einmal durchatmen können. Er würde neue Energie und Kräfte für Zucker brauchen.
Sein Liebster war auch wieder dabei dem nächsten helfen zu wollen. Andiël.
Kosta drückte dessen Hand und versuchte ihn aufzumuntern. Prinz Tolarim hätte als Timaris' Vater gesprochen und als solcher würde er Zeit brauchen, um Andiël vergeben zu können. Bis dahin sollte er seine eigene Familie suchen und sie herbringen.
"Ich wüsste nichtmal wo ich damit anfangen sollte und ich bin gerade erst geflohen", wandte der Prinz etwas überfordert ein, "Wenn sie mich hier schon anfeinden, will ich nicht wissen wie es in Dhemlan ist, nun wo Sion weg ist."
"Darüber kannst du dir später Gedanken machen", wiegelte Eneas ab, "Orientiere dich erst einmal in deinem neuen Leben und was für Möglichkeiten du hier hast. Und Kalliope wird Hilfe benötigen."
Andiël nickte und erhob sich. "Würdet ihr mitkommen zur Villa?", fragte er und Kosta und er stimmten rasch zu.
Zusammen mit Kalliope und Ciryon besuchten sie etwas später am Tag Andiëls Villa. Sie war zum Glück nicht beschädigt, nur der Garten war sehr verwahrlost und die Fensterläden waren auch tagsüber festverschlossen. Vier Wachen marschierten vorne am niedrigen Mäuerchen herum. Es hatten sie ebenfalls Wachen begleitet und Eneas konnte der gesamten Gruppe ansehen wie sehr es ihnen zu schaffen machte.
Die Verwalterin war eine ältere Frau, die durchaus freundlich war. Sie hatte nur ein kleines Gästezimmer bewohnt. Über den restlichen Möbeln hingen weiße Laken. Es war sehr still und dunkel. Die Frau riet Andiël die Fensterläden geschlossen zu halten und sich nicht im Garten aufzuhalten.
Eneas und Kosta wollten das nicht so akzeptierten und sie überzeugten die Wachen um die Villa, dass sie ständig einen Schild vor die Fenster legen sollten. So konnten sie endlich alles aufmachen. Ciryon begann die Laken von den Möbeln zu räumen und bald sah es etwas freundlicher aus. Delores und einige aus der Mannschaft kamen später ebenfalls vorbei und sie hatten eine provisorische Mahlzeit.
"Was hälst du davon, uns eine kleine Ferienwohnung in der Nähe zu suchen? Nichts großes. Nur für die nächsten Tage", schlug Eneas vor. "Etwas ruhiges für uns beide."
Kosta wirkte sehr erleichtert und sie machten sich am Nachmittag gleich auf den Weg etwas passendes zu finden. Anscheinend waren Ferienwohnungen in der Nähe einer dhemlanischen Villa nicht sehr begehrt und so kamen sie relativ leicht an etwas preisgünstiges. Im zweiten Stock eines kleinen Mehrfamilienhauses war noch etwas frei. Es war nicht groß und würde sicher reichen bis sie nach Raej aufbrechen konnten. Diese Nacht schlief Kosta bereits wesentlich entspannter.
Eneas überlegte wie er die Reise planen und Erkundigungen wegen Zucker einholen konnte ohne dass sein Freund etwas davon mitbekam. Gelegenheiten gab es zum Glück in den nächsten drei Tagen, da Kosta immer mal wieder bei Andiël und Kalliope war, um ihnen zu helfen. Eneas schob eigene Familienbesuche und Besorgungen vor. So konnte er eine Kutsche für sie bekommen. Er dachte auch an Kleidung für Zucker, adeliges Gewand für sie alle drei, besorgte neue medizinische Ausrüstung für Kosta, wobei es sicher längst nicht genug war. Kosta wusste da selbst am besten was er benötigte. Ob er sein chirurgisches Besteck ersetzen würde?
Eneas hatte auch unter einem adeligen Decknamen ans Krankenhaus geschrieben, um sich über den Gesundheitszustand von... Prinz Erenos zu erkundigen. Nicht dass er Kosta umsonst Hoffnungen machte. Er schrieb auch Timaris zurück, informierte sie über ihr wohlbehaltendes Ankommen und bedankte sich nochmal für ihre Hilfe.
Alles lief gut und einen Tag vor der geplanten Abreise packte er am Hinterhof vor dem Gesindetrakt die Kutsche. Mit Wappen. Dacascos war so freundlich gewesen ihm eine zur Verfügung zu stellen. Kosta wollte heute abend für sie etwas kleines Kochen. Er schien froh zu sein, wenn er nicht immer dem Ivorestrubel des Tolarim Anwesens ausgesetzt war.
"Wohin willst du verreisen?", fragte Ulysses, der nach draußen kam. Er hatte seine eigene Familie besucht. Von den Lykas arbeiteten mehrere im Anwesen.
"Wird eine Überraschung für Kosta", erklärte Eneas, erzählte Ulysses dann aber sein Vorhaben. Schließlich hatte er Zucker auch kennengelernt.
"Wie lange weißt du das schon?", fragte Ulysses. Eneas lächelte verkniffen.
"Seit wir hier sind. Ich hoffe, er schimpft nicht mit mir, dass ich es ihm nicht sofort gesagt habe." Er schnürte mit Riemen hinten einen Koffer fest und Ulysses half ihm dabei.
"Er wird sich dafür gewiss viel zu sehr freuen", spekulierte Ulysses.
Das hoffte Eneas jedenfalls. Kosta ging es jetzt wesentlich besser als vor drei Tagen, wo sie die Audienz bei Dacascos gehabt hatten. Bevor Eneas zurück in die Stadt ging, traf glücklicherweise noch ein Eilbote ein, der einen Brief aus Raej mitbrachte. Die leitende Heilerin, die ihm schrieb, glaubte es mit jemanden zu tun zu haben, der auch adelig war. Gut, vielleicht hatte Eneas das Briefpapier der Tolarims benutzt und vielleicht hatte er sein Schriftbild und seinen Schreibstil entsprechend angepasst, um diesen Glauben zu unterstützen. Die Antwort war erfreulich. Zucker war eindeutig außer Lebensgefahr. Seine Rippen waren angeschlagen und beide Beine schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Stolz schrieb die Heilerin, dass beide Beine hatten gerettet werden können, aber noch ein längerer Heilungsprozess bevorstünde.
"Ich fürchte, ich benötige noch einen Rollstuhl", fiel Eneas auf. Ulysses schlug vor einen aus der Krankenstation im Anwesen auszuleihen. Außerdem kannte der ehemalige Kutscher ein paar Kniffs und Umänderungen im Innenraum der Kutsche, um einen Verletzten zu transportieren.
So wurde es doch etwas später, als Eneas zur Wohnung hetzte.
"Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe", rief er und begann seine Stiefel hastig abzustreifen. "Ich habe Ulysses beim Anwesen getroffen und das hat länger gedauert als gedacht." Eneas kam in die kleine Wohnküche. "Dafür übernehme ich das Frühstück", versprach er. Eneas wollte genügend vorbereiten, um es auf die Reise mitnehmen zu können. Er war leicht stolz auf sich, dass er an so vieles gedacht hatte. Sie würden morgen sofort aufbrechen können. Er warf seine Jacke über einen Stuhl, wobei der nachlässig reingestopfte Brief wieder hinaussegelte.