Re: Suche nach dem verlorenen Paar
von Eneas » Sa 22. Okt 2022, 19:54
Er hatte erwartet, dass Kosta bei der Erwähnung von Raej aufmerkte und vielleicht Fragen stellte, was die Mannschaft dort gesehen hatte, doch stattdessen wurde sein Freund sehr still und senkte den Blick. Eneas hatte geglaubt, dass Kosta sich auch um Zucker sorgte, so wie um Andiël und Kalliope, doch er hatte den Soldaten nie mehr erwähnt. Heimlich war Eneas froh darum, denn diese spezielle Bindung zwischen den beiden machte ihn unsicher. Er kannte niemanden zu dem Kosta so schnell Vertrauen gefasst hatte wie diesen Mann. Eneas rechnete damit, dass Kosta auch nach Raej wollte, um Zucker zu retten, doch er würde sich schwer zwischen zwei Rettungsmissionen entscheiden können. Kosta machte sich jetzt schon genügend Vorwürfe Freunde verraten und im Stich gelassen zu haben. Eneas wollte ihm diese Entscheidung abnehmen, selbst wenn er befürchtete, dass Kosta ihm später böse sein würde, dass er die Nachrichten über Raej unterschlagen hatte. Zucker würde warten müssen. Bisher wussten sie auch nichts konkretes.
"Es ist eine wichtige Aufgabe Flüchtlinge zu retten", pflichtete Eneas bei, "Ich glaube, viele werden aus den verwüsteten Ländern reisen wollen."
"Oder später wieder zurückkehren, um zu sehen was von ihrem Zuhause noch übrig ist", sagte Olintes düster. "Wir können froh sein, dass der Krieg nur bis zu Haylls Grenze gekommen ist."
"Ja, aber genug Hayllier haben gekämpft. Denkt an Ulysses Sohn", warf Farell ein. Eneas nickte. Stimmt, Kalell war ein Soldat in der hayllischen Armee. Ulysses machte sich bestimmt Sorgen um ihn. Bei den Erzählungen von Olintes und Farell wurde ihm klar, wieviel sie nicht mitbekommen hatten. Das Leben an Bord war ohne sie weitergegangen. Für Eneas war es ein sehr ungewohntes Gefühl. Seine Mannschaft war auf den Meeren unterwegs und unternahm gefährliche Missionen ohne dass er sie lenken und ihnen beistehen konnte. Aber Leto würde schon wissen was sie tat. Sie war eine sehr fähige Seefahrerin und sie hatte Damien, der sie unterstützte. Wobei Eneas darüber nicht so genau nachdenken wollte.
"Längere Landgänge gibt es nicht mehr?", fragte er und wechselte das Thema wieder.
Farell schüttelte den Kopf. "Dido zieht es schnell wieder zurück auf See. Du weißt ja wie sie ist."
Ja, das hatte sie immer verbunden, erinnerte sich Eneas. Die Liebe zur See. Aber die Crew brauchte auch ausgedehntere Landgänge, um das Schiff zu reparieren, sich zu erholen und ihre Heuer auszugeben.
"Ihr solltet sie fragen-", fing Eneas an, dass sie auf die Landgänge beharren sollte, als er sich nochmal bremste. "Ach, nicht so wichtig. Ich will euch nicht reinreden." Er musste sich beherrschen. Eneas blickte zu Kosta, der sich still seinem Essen widmete. Was ihm wohl wieder im Kopf herumging? Ob er sich weiterhin schämte oder beim Anblick von Olintes und Farell wieder wütend geworden war? Eneas überlegte, ob er Kosta helfen konnte mit seinen Freunden ins Gespräch zu kommen, aber heute würde das nicht mehr passieren.
So verabschiedete Eneas sich nach dem Essen, obwohl ihn Farell und Olintes noch baten etwas mit ihnen zu trinken.
"Ein ander Mal. Heute war ein langer Tag", entschuldigte er sie und nahm sich noch ein letztes Stück von der frischen Pampelmuse, die es als Nachtisch gegeben hatte. Kosta ging dicht hinter ihm her und wirkte sichtlich erleichtert, als sie wieder in der Kajüte waren.
"Das lief doch für den Anfang gut..", sagte Eneas aufmunternd. Er setzte sich zu seinem Liebsten aufs Bett, um ihn zu umarmen und zu trösten. Irgendwie passierte es dabei, dass sie beide auf der schmalen Koje einschliefen, dicht aneinander gekuschelt. Vielleicht brauchten sie das andere Bett doch nicht...
Anderseits fiel Eneas am anderen Morgen regelrecht aus dem Bett. Dank des Wellenplatschens und Kostas Nähe hatte er einigermaßen gut geschlafen, obwohl seine Gedanken länger um seine Schwester gekreist waren.
Nach einer kurzen Katzenwäsche und Frühstück gingen Kosta und er jedoch getrennte Wege. Kosta blieb in der Messe bei Solomon, während Eneas den schweren Gang zu Leto antrat. Sie war bereits an Deck, obwohl es noch kaum hell geworden war.
"Guten Morgen. Können wir reden?", fragte er vorsichtig.
"Du willst fragen, ob du als Matrose mitarbeiten kannst", erriet Leto. Eneas nickte. "Und du erwartest, dass ich dich mitmachen lasse für dein Vergnügen."
"So ist das nicht... natürlich gefällt mir die Arbeit, aber ich brauche etwas zu tun. Ich muss mich ablenken bis wir da sind."
"Zwei Säcke Kartoffeln schälen ist genauso ablenkend", wandte Leto ein und machte es alles andere als einfach. Ihr Blick streifte derweil über Deck und beobachtete die ersten Vorbereitungen zum Ablegen.
"Beim Kartoffelschälen können meine Gedanken wandern. Aber wenn ich an Deck bin, segeln... dann kann ich ganz darin aufgehen. Du kennst das Gefühl", appellierte Eneas an sie, "Ich werde deine Anweisungen nicht in Frage stellen. Aber ich vermisse das Seefahren."
"Du wirst doch nie damit zufrieden sein bloß Matrose zu sein", wandte Leto ein.
"Ich lerne mich zurückzunehmen", beteuerte Eneas, woraufhin die Priesterin ihn mehr als skeptisch ansah. Schließlich rollte sie mit den Augen.
"Schön. Von mir aus", willigte sie ein. Eneas lächelte.
"Danke, Dido. Ich.." Er zögerte. Sollte er? "Das was passiert ist.. es tut mir-"
Leto unterbrach ihn sofort. "Nein, das kannst du dir sparen. Ich bin nicht dafür da, dass du dein Gewissen erleichterst. Ich will es nicht hören. Los, geh an die Arbeit. Das Schiff legt nicht von selbst ab."
Eneas biss sich auf die Lippen, nickte, während er sich innerlich verfluchte. Es gab keinen schnellen Weg, um Dinge mit Leto geradezubiegen. Keine Entschuldigung, die es wiedergutmachen konnte. Sie hatte recht. Wenn er sich entschuldigte, dann nur weil ihn seine Schuldgefühle drängten. Er ging hinüber zu Noyan und half ihm damit, den Steg einzuholen. Die Taue wurden gelöst und langsam steuerte die 'E' aus dem Hafen.
Sie waren wieder unterwegs.