Re: Das Ritual
von Ciryon » So 16. Okt 2022, 19:06
Ohne dass er sich dessen bewusst gewesen wäre, zauberte sich ein sachtes, scheues Lächeln auf Ciryons Gesicht. Er mochte die Arbeit mit den kleinen, metallenen Klötzchen, die Buchstaben an dem schmalen Ende hatten. Geschickt und geduldig setzte er sie in der richtigen Reihenfolge in einen hölzernen Kasten. Das war endlich einmal eine Arbeit, die er zustande brachte, ohne dass man dauernd mit ihm schimpfen und ihn bestrafen musste. Es war eine Arbeit, für die er Talent hatte. Sie erinnerte ihn an etwas, was er früher einmal gemacht hatte. Doch das war so lange her, dass er nicht mehr wusste, was es gewesen war. Die Arbeit hatte jedenfalls etwas seltsam vertrautes an sich und schenkte ihm einen ungewohnten Frieden. So sehr sogar, dass er ab und zu ohne es zu bemerken leise vor sich hin zu summen begann. Dabei hatte Ciryon schon lange nicht mehr gesungen. Er hatte vergessen, dass er es je einmal gekonnt hatte. Dieses Schloss hier, war kein Ort zum Singen.
Mit seinem Frieden war es jedoch abrupt vorbei, als Prinz Sastre dicht zu ihm trat, um seine Arbeit zu begutachten. Der Prinz war ihm so nah, dass es sofort wieder Übelkeit in Ciryon auslöste. Inzwischen hatte er sich jedoch gut genug im Griff, dass man ihm seine Anspannung äusserlich nicht anmerkte. Zumindest kaum. Nur seine Finger wurden etwas langsamer beim Schrift setzen. Alles andere hatte ihm seine Herrin in der Zeit, die er nun bei ihr war, abtrainiert. Eine Zeit davor gab es für Ciryon kaum mehr. Es gab nur noch seine Herrin und seine Hingabe für sie. Eine dunkle Zeit voller Brennen, Scham, unbekannter Lust und Schmerz. Lady Lusian hatte ihm mit viel Geduld und Strenge beigebracht, nicht mehr zu zeigen, dass ihm die Nähe oder die Berührungen von anderen unangenehm war. Dass er nicht mehr zurück zuckte, sich ängstlich klein abwandte. Es gab kein Wimmern, kein Keuchen und kein Händezittern mehr. Nur sein Herz flatterte noch ängstlich in seiner Brust, wenn er wieder in so eine Situation geriet.
Höflich klopfte es an der Bürotüre. Scheu blickte Ciryon auf, die sanften Augen voller Schmerz, den alle hier in dem Schloss verspürten. Es war normal geworden. Sion ihr aller Herr wollte das so und so gaben sie sich dem hin. Trotzdem konnte Ciryon sachte Lächeln, als er die Priesterin sah, die stets auf Sions Sohn zu achten schien. Die schöne Frau kam öfters hier vorbei und brachte ihnen etwas zu essen, damit sie rasch wieder an die Arbeit gehen konnten und nicht Zeit damit verloren in die Speisesääle zu gehen. Ciryon mochte die Priesterin sehr. Sie war stets sehr freundlich und hilfsbereit und erinnerte ihn irgendwie an seine Herrin. Obwohl sie im Gegensatz zu seiner Herrin ihm niemals so Nahe kam, dass er sich auch nur ein bisschen Unwohl gefühlt hätte.
Ausserdem bedeutete ihre Anwesenheit, dass Prinz Sastre sich jetzt ihr widmen und sich von ihm zurück ziehen würde. Seine Nähe, die der Prinz einfach nicht aufgeben wollte, wurde immer erdrückender. Besonders, als dann auch noch Talen zu ihnen heran trat und Prinz Sastre etwas zeigen wollte. Ciryons Blick flackerte leicht. Doch selbst wenn er hätte fliehen wollen, hätte er es nicht gekonnt. Vor ihm war der Tisch mit dem Setzkasten, hinter ihm Prinz Sastre und Talen. Es gab keinen Ausweg.
Und auch keine Hoffnung. Prinz Sastre wehrte nämlich ab, dass sein Text unbedingt bis morgen fertig sein musste. Sie hätten keine Zeit zum Essen. Ciryons Blick brach. Rasch senkte er seinen Kopf, um sich wieder an die Arbeit zu machen. Trotz der kaum auszuhaltenden Nähe der anderen beiden Männer. Seine Herrin hätte es nicht geduldet, hätte er nur deswegen seine Arbeit unterbrochen, wo sie ihm doch so geduldig beigebracht hatte, Nähe zu ertragen. Egal wie aufdrängend oder gar intim sie war. Sie verlangte von ihm unbedingten Gehorsam und es war Ciryons innigster Wunsch, ihn ihr zu schenken. Er schämte sich immer sehr, wenn er es nicht schaffte, weil seine Angst und sein Egoismus wieder zu gross wurden.
Seine gütige Herrin liess ihn jedoch nie fallen. Stets konnte er es wieder gut machen, indem er sie um Strafe anbettelte und den Schmerz für sein Vergehen ertrug. Ciryon nahm die Strafen nur zu bereitwillig an. Selbst wenn das bedeutete, dass er sich von ihr berühren lassen musste oder sie sogar auf schmerzhafte Weise, kleine Metallstäbchen in seinen Körper bohrte. Meist an sehr intimen, demütigenden Stellen. Einige von ihnen hatte sie zur Mahnung in ihm gelassen, so dass er regelmässig an ihre Gebote erinnert und nicht ungehorsam wurde.
Heute würde seine Herrin jedoch keinen Grund haben, über sein Verhalten unglücklich zu sein. Wie sie ihn angewiesen hatte, arbeitete Ciryon fleissig für Prinz Sastre, damit seine wichtigen Nachrichten und Texte in Zeitungen und Flugblättern verteilt werden konnte. Die Arbeit fiel seinen geschickten Fingern leicht und Prinz Sastre war meistens ein sehr freundlicher Mann. Er war nur angespannt, weil er so viel Arbeit hatte. Ciryon half ihm gerne. Auch wenn der Prinz eine ihm unangenehme Tendenz hatte, jeweils sehr dicht zu ihm zu treten.