Re: Der Verrat
von Yadriël » Mo 29. Aug 2022, 09:54
Er blickte zwischen den Blätterfarnen hindurch auf die Lichtung, schob ein weiteres Mal seinen Langdolch am Gürtel in eine bessere Position. Zucker war nervös. Zorya würde sich nicht kampflos ergeben und sie war auch ohne jegliche Begleitung unheimlich stark. Und dann war da immer noch das mulmige Gefühl, wenn er den Haushofmeister von Hayll dort so auf der Lichtung stehen sah. Iason war nirgendwo zu sehen. Er durfte sich der restlichen Kompanie immer noch nicht zeigen, da sie sein Äußeres trotz der anderen Haarfarbe rasch erkennen würden. Zu gefährlich. Die Botin aus Loraka hatten sie mit einem Schlafmittel im Essen für die Nacht außer Gefecht gesetzt, aber vielleicht wären bald auch drastischere Methoden notwendig.
Als die Königin dann endlich kam, wartete die 6. Kompanie noch auf das Zeichen von Rashar, um gemeinsam anzugreifen. Zuckers Hand glitt fester um den Dolch, seine Muskeln spannten sich an. Er war bereit seine Kunst zu wirken und die Begleitung der Königin zuerst auszuschalten.
Dann hörte er einen erstickten Schrei in der Ferne. Und plötzlich brannten unbekannte Signaturen im Wald auf wie Leuchtfeuer. Eine große Zahl. Bis vor einem Atemzug noch gut verborgen. Sie waren nicht allein, all die Signaturen hatten genau ihre Positionen umzingelt. Zucker fluchte, schlug sich ins Unterholz. Es war schon riskant gewesen, gemeinsam Zorya anzugreifen, aber nur mit halber Stärke? Selbstmord.
Trotzdem versuchten es einige, rannten auf die Lichtung. Machtbälle explodierten im knisternden, farbenprächtigen Schauspiel, das Licht tauchte die dunkelhäutige Königin in eine schillernde Figur. Aber ihr Schild war zu stark und die Lichtung wurde zu einer Todeszone. Zucker hatte keine Zeit dorthin zu schauen, schon bald fand er sich einem dhemlanischen Soldaten gegenüber. Keiner von der 6ten. Sie waren nicht viele und Zucker kannte jeden einzelnen. Das hier war ein fremder.
Der Schlagabtausch war nur kurz. Zucker war schneller, erwischte einen glücklichen Stich, dann rannte er weiter, suchte nach Rashar. Er kam nicht weit, aus einem Gebüsch kämpften sich gleich zwei Männer. Der Dschungel war ein Chaos aus Schreien, aufwallender Kunst und dem aufsteigenden Geruch von Blut.
Zucker behauptete sich gegenüber den zwei Soldaten so gut er konnte, hatte gerade den einen zurückgetrieben, als plötzlich Iason bei ihm war. Er wusste nicht wie der Krieger ihn in dem Getümmel gefunden hatte, vielleicht war es auch nur Zufall. Für den fremden Soldaten nahm es ein tödliches Ende. Zucker wusste ja auch, dass Iason gut im Umgang mit Dolchen war. Der Soldat brach in sich zusammen. Iason rannte gleich weiter, aber kurz als er bei Zucker war, schlug er zu.
Der Prinz war zu überrumpelt von dem Geschehen, als dass er es hätte abwehren können. Selige Schwärze umhüllte ihn und er fiel auf den Körper des toten Soldaten vor sich.
Das nächste Mal, als er zu sich kam, trat ihn jemand in die Seite. Und noch einmal. Zucker rollte sich stöhnend zur Seite, er öffnete das verquollene Auge. Sein gesamtes Gesicht und die Seite schmerzte. Über ihn stand ein Dhemlaner, eine Armbrust auf ihn gerichtet. Er grinste kalt.
Zucker tastete nach seinem Dolch ehe er merkte, dass dieser fort war und er auch nicht mehr dort war, wo.. Iason ihn ausgeschaltet hatte? Nein, er war auf der Lichtung. Der Kampf war vorbei. Zucker wusste nicht wie lange er bewußtlos gewesen war, aber man hatte ihn wohl auf die Lichtung geschleppt. Zusammen mit einigen anderen Überlebenden. Zuckers Blick irrte hastig über die Truppe und er atmete erleichtert aus, als er sah, dass Rashar nicht darunter war. Hoffentlich hatte er es geschafft zu entkommen. Oder er war tot...
"Amaya... ich habe schon viel von dir gehört", hörte man die Königin sagen, als sie gerade um den Kriegerprinzen herumging, den man auf die Knie gezwungen hatte. Er sah sie wütend an, knurrte. Sie strich ihm durch die rotblonde Mähne. Tiger erzitterte, wehrte sich jedoch nicht.
"Mmmhh, ich kann das Schwarztraum in deinem Geist spüren... du kannst mich nicht angreifen, Kriegerprinz. Schwarztraum ist mein." Sie blickte ihn lächelnd an. "Wenn ich wollte, könnte ich dich wie einen Hund auf deine Leute hetzen." Sie deutete auf die Gefangenen, die von den dhemlanischen Truppen bewacht wurde. "Willst du mich dazu zwingen?"
Tiger schwieg, senkte aber den Kopf. Zorya strich ihm über die Wange. "Aber du wirst mir sagen, wo euer Kommandeur ist."
Also lebte Rashar noch. Er war entkommen. Mit wie vielen anderen? Wer tot?
Zucker sah einige Leichen auf der Lichtung. Sie lagen seltsam verdreht und verzerrt. Er erkannte einige der armen Gestalten wieder. Männer und Frauen mit denen er getrunken, gescherzt, gestritten und sich wieder versöhnt hatte. Er sah Brand, mit der auch schon heiße Stunden verbracht hatte. Ihr raues Lachen war immer ansteckend gewesen. Jetzt wuchs eine Krone aus Blut aus ihrem blonden Haar und ihre Augen waren leer. Zucker wandte den Blick ab.
Stattdessen sah er wütend hinüber zu dem Haushofmeister. Er stand dort wo ein unberührter Kreis aus Gras war, wo keiner der 6ten nah genug heran gekommen war. Neben ihm kniete Iason. Zuckers Blick verengte sich. Dieser Verräter. Sie hatten die gesamte Kompanie verraten. Es war eine Falle gewesen. Aber nicht für Zorya, sondern für sie alle. Zucker hatte es befürchtet, aber er hatte es nicht glauben wollen. Hatte doch irgendwie an den weißen Sandstrand glauben wollen, den Iason ihm immer wieder vorgemalt hatte.
Wieso hatte er nicht Rashar gewarnt? Er hätte etwas sagen müssen. Er hätte ihn davon abbringen müssen diesem Plan zuzustimmen. Er hätte Iason sofort töten sollen als sie sich wiedergesehen hatten. Der Haushofmeister war offensichtlich nicht hier wegen Hayll. Es schien so, als hätte er die Seite gewechselt.
Zucker wäre liebend gerne zu ihnen gestürmt, um beide Verräter umzubringen, wenn er nicht gewusst hätte, dass er genauso enden würde wie Brand nur wenige Meter von ihm entfernt.
Ein klatschendes Geräusch zog seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Die Königin hatte gerade Tiger geschlagen. "Zwinge mich nicht, Amaya. Wo ist Karssail?", wiederholte sie ihre Frage.
"Woher soll ich das wissen? Er hat nicht gerade eine Abschiedskarte hinterlassen, als er abgehauen ist", knurrte der Kriegerprinz. "Wenn du mich töten willst, dann mach es lieber jetzt. Hab keinen Bock vor dir zu kriechen."
"Töten?" Zorya lachte. "So viel Gnade hast du nicht verdient. Noch nicht. Außerdem wäre Ebonie sehr böse mit mir, würde ich ihren lieben Freund töten." Sie strich über Tigers Schultern. "Schau nicht so überrascht. Ebonie und ich sind gute Freundinnen. Ich weiß alles über dich. Amaya."
Sie blickte zu den anderen Gefangenen, etwas mehr als ein Dutzend. "Kann mir jemand anderer sagen, wo euer Kommandeur ist? Der erste, der spricht, wird reich belohnt. Das ist das einzige Angebot, das ihr bekommt."
Aber niemand sprach. Die Königin ging hinüber zu der Reihe an Soldaten. Ihr Kleid strich sanft über die Grashalme. Sie stand vor Flieder. Der bullige glatzköpfige Mann, sonst ein wahrer Riese, wirkte so auf den Knien und vor der Schwarzen Witwe plötzlich sehr klein. Zorya legte ihre Hand auf seine Stirn. Flieder grunzte, blinzelte mit den Augen. Man sah seinen Körper mehrmals zucken. Es war still auf der Lichtung, die Königin sagte nichts. Dann hörte Flieders Juwelen splittern. Man konnte es spüren. Wie tausend Nadeln, die kurz über die eigene Haut glitten. Zuckers schüttelte sich innerlich.
Als sie ihre Hand zurückzog, sackte Flieder zur Seite wie als hätte ihn nur noch die Hand der Königin oben gehalten. Der Mann amtete heftig, aber seine Augen starrten ins Leere.
"Nun... das war nicht sehr informativ. Will nun jemand freiwillig reden oder zwingt ihr mich dazu, euch so auszuhorchen?", fragte sie tadelnd.
"Machs dir doch selber, Schlampe", rief Tiger. Zucker wusste nicht wieso der Kriegerprinz die Königin so reizte, aber er schien es geradezu drauf anzulegen, dass sie ihn tötete. Zorya ließ sich aber nicht provozieren.
"Zu dir komme ich noch", sagte sie flötend. Sie ging weiter die Reihe ab. Elegant schritt sie an Zucker vorbei. Doch bevor dieser sich noch ungewisser Erleichterung hingeben konnte, kam sie zurück. Und blieb vor ihm stehen. Scheiße.
"Was ist mit dir? Schau mich an", forderte sie. Zucker hob sein verquollenes, verbranntes Gesicht. "Mmmhh, du warst mal ein Hübscher", stellte sie fest. "Kannst du mir sagen, wo dein Kommandeur ist?"
"Solltest du das nicht in deinen Visionen gesehen haben? Ist schon peinlich, wenn Schwarze Witwe Fragen stellen müssen", entgegnete er flappsig.
Zoryas volle Lippen zogen sich kurz zusammen, dann lachte sie wieder leicht amüsiert. "Oh, jemand mit einem frechen Mundwerk. Es wird mir ein Vergnügen sein deinen Geist zu erforschen." Sie streckte die Hand aus. Zucker wusste schon was kommen würde. Nein, eigentlich wusste er nicht wie es war zerbrochen zu werden. Er hoffte nur, es war schnell vorbei und jemand tötete ihn danach. Ihre Hand war warm und sanft, als sie auf seiner Stirn landete.
"Zorya, sollten wir das nicht an einen anderen Ort verlegen?", meldete sich der Haushofmeister da zu Wort. Er war an die Königin heran getreten.
"Du hast mir eine gesamte Kompanie versprochen. Was ich hier habe ist ein mickriges Dutzend", beschwerte sich Zorya. Ihre Hand auf Zuckers Stirn fühlte sich jetzt brennend an, vielleicht schwitzte er auch nur zu stark.
"Und der Rest ist tot. Die kleine Handvoll an Flüchtenden wird nichts mehr ausrichten können. In dem riesigen Dschungel werden wir sie nicht schnell finden. Und es wimmelt vor Rebellen in den Wäldern", argumentierte der Prinz.
"Hast du so mit deiner früheren Königin geredet?", mokierte Zorya. Der Haushofmeister lächelte, strich ihr über die Hüfte.
"Zorya... wir kennen uns doch schon so lange", bezirzte er sie. "Lass uns von diesem Rattenloch verschwinden."
Einen gespannten Moment lang schien die Königin zu überlegen. Sie zog ihre Hand von Zuckers Stirn, lächelte dann den Haushofmeister an und küsste ihn leidenschaftlich. "Weil du sie lieb bittest. Wir verlegen die Befragung auf später."
Sie wandte sich an einige ihrer Soldaten. "Durchkämmt die Umgebung nach Rashar", befahl sie. "Fesselt den Rest hier." Mit dem Prinzen an ihrem Arm ging sie zurück zu Iason.
"Was machen wir mit deinem unterwürfigen Diener?", fragte sie. "Das ist das erste Mal, dass ich dich mit einem männlichen Diener sehe."
"Ich hatte befürchtet, du würdest eine meiner Püppchen umbringen, wenn ich sie mitnehme", erklärte der Prinz.
"Oh, dorthin wo wir reisen wirst du viele neue Diener bekommen. Du brauchst ihn nicht mehr", erklärte Zorya. "Bring ihn um."
Zucker erstarrte. Bis gerade eben hätte er Iason liebend gerne selber umgebracht, aber trotzdem wollte er jetzt nicht, dass dies passierte. Er setzte sich etwas auf, war aber machtlos mehr zu tun. Der Haushofmeister rief ein Messer herbei, stellte sich hinter den Diener.
"Ich häng nicht an ihm", sagte der Prinz kühl. Er hob das Messer. "Es sei denn, du willst ihn", sagte er, als wäre ihm das gerade eingefallen. "Timaris hat sich oft mit ihm im Bett vergnügt. Er soll sehr gut sein."
"Timaris sagst du." Zorya wirkte interessiert. "Steh auf", forderte sie Iason auf. "Dann komm her und gib mir einen Kuss."