Re: Kostas Entführung
von Eneas » Mo 1. Aug 2022, 14:02
Langsam kam die Shilouette Draegas in Sicht. Eneas kannte sie sehr gut. Über die Jahre hatte sie sich immer mal wieder verändert, Gebäude waren verschwunden, neue dazu gekommen. Es blieb eine Konstante im Stadtbild. Der Palast. Erhöht auf einem Hügel gebaut thronten die goldenen Kuppeln über die riesige Stadt.
Der Kapitän der 'E' hatte nicht lange Zeit Draega zu beobachten, denn sie steuerten auf den Hafen zu und mussten ihre Anlegestelle in dem geschäftstüchtigen Hafen finden, Dock reihte sich an Dock. Leto stand bereits per Speerfaden mit einem ihrer Händler in Kontakt und hatte ihnen eine gute Anlegestelle nahe der Handelskontoren gesichert, wo die Waren verladen wurden. Vielleicht konnten sie Waren oder Passagiere nach Mineva bringen.
Eneas rief Befehle zum Beidrehen über Deck. Die schweren Rahe drehten sich langsam zur anderen Seite. "Vormarssegel reffen!", rief der Kapitän. "Vormarssegel ist oben!", kam der Ruf wenig später zurück. Cleos kletterte geschickt noch in der Takelage herum, letzte Vorbereitungen wurden getroffen.
Noyan stand an der Reling, hielt eines der Taue, das nachher zum Festmachen am Pier diente. Der bronzehäutige Matrose lächelte zufrieden. "Juan, schuldest mir zwe' Silber! Wir habens geschafft ohne's Schiff zu versenken."
Der Jugendliche stand ein paar Schritte entfernt, hielt ein weiteres Tau und warf es zielsicher um einen der großen Pole, als sie nah genug an der Anlegestelle waren. "Jaja, hauptsache wir sind hier und leben alle noch!" Er lachte.
"Werd' dein' zwei Silber gut anlegen, kein' Sorge." Noyan zwinkerte und packte sich kurz zwischen die Beine.
Eneas beobachtete das Treiben an Deck schmunzelnd, half mit beim Taue ziehen, um die 'E' bis dicht an die Kaimauer zu bringen. Die Stimmung war gut. Klar, Draega war auch ein Paradies für Seemänner. Es gab einen riesigen Hafendistrikt, der allein schon für genügend Handel, Vergnügen und allerlei Möglichkeiten bot. Eneas hatte es selbst nur von Deck aus beobachtet, aber er kannte die Geschichten, kannte die Karten, Bilder und Personen. Er hatte gar schon täuschend authentische Romane geschrieben, die hier spielten.
Ein Deck tiefer schoben Ulysses und Farell den Steg aus, der dann klappernd auf dem Stein weiter unten landete. Eneas spürte Kosta, drehte sich zu ihm um. Im ersten Moment überkam ihm Befremden, als er seinen alten Freund in dieser Uniform sah. Es weckte bei Eneas wehmütige Erinnerungen, erinnerte ihn jedesmal daran, dass Kosta weiterhin Timaris' Sklave war und er in erster Linie ihr diente. Auch deswegen sah der Schriftsteller den Aufenthalten vor Draega stets mit gemischten Gefühlen entgegen. Er sagte Kosta nichts dazu, Eneas wollte nicht, dass dieser sich schuldig fühlte. Trotzdem war es für Eneas nie leicht. Timaris hatte nur mit ihm gebrochen, nicht mit Kosta. Sein Geliebter besuchte die Königin weiterhin - natürlich - hatte weiterhin Sex mit ihr. Eneas war da außen vor. Nicht, dass er es wollte, nein, doch er hatte trotzdem das unbestimmte Gefühl, sie würden einfach ohne ihn weitermachen. Es war unsinnig, doch ein Teil von Eneas störte es. Diese Leidenschaft hatte ihnen allen drein gehört, es war etwas besonderes gewesen. Ach, verflucht war seine Vorstellungskraft. Vermutlich hatten sie überhaupt nichts miteinander. Aber Kosta sah erstaunlich zufrieden aus. Er hatte sich für Timaris zurecht gemacht und freute sich sie zu sehen. Eneas spürte den Stich der Eifersucht, versuchte es wie so oft zu ignorieren.
Stattdessen lächelte er und strich Kosta über die Jacke wie als könnte er diese ohnehin perfekte Aufmachung noch etwas verbessern. "Bereit?", fragte er. Es war schon länger abgemacht, dass Kosta Prinz Malateste zurück zum Hof begleitete. Kosta würde Timaris über Larees Rettung berichten können und eventuell hatte die Königin noch einen Auftrag für sie.
"Richte ihr die besten Grüße aus und dass ich ihr alles Glück mit ihrem äh Gefährten wünsche." Eneas lächelte verkniffen, strich sich durch die rabenschwarzen, glänzenden Haare. Die Jahrzehnte hatten geholfen, dass von der Trennung nur noch Narben zurückgeblieben waren, aber das änderte nichts daran, dass Eneas sich jedes Mal seltsam fühlte, wenn er versuchte mit Timaris freundschaftlich umzugehen. Aber er wünschte ihr wirklich, dass es mit diesem Aaron klappte. Sie hatte es verdient. Außerdem war er ein Sklave... ob sie ihn freilassen würde? Dann bestünde bei Kosta auch die Chance... nein, er sollte nicht träumen. Kosta war gerne Timaris' Sklave, das hatte er immer gesagt und gerade jetzt konnte man es ihm ansehen.
"Sehen wir uns dann heute abend oder..." Eneas ließ das Ende des Satzes etwas in der Luft schweben. Allzu plump wollte er auch nicht nachfragen. Außerdem war es schon rein aus planerischen Gründen gut zu wissen, ob Kosta erst morgen wiederkam. Höchstwahrscheinlich. Wann immer sie hier waren, stand Timaris an erster Stelle.