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Grüne Hölle





Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:15

Er hasste den Dschungel. Es war so schwül, ständig aßen einen Moskitos und jedes Kleidungsstück war schweißgetränkt. Das ganze wäre noch angenehm gewesen, würden einem nicht dauernd Machtbälle um die Ohren fliegen und hinter jedem Baum einer von Sions Leute lauern. Oder die Hayllier, die im Eifer des Gefechts nicht schnallten, dass sie auf der gleichen Seite waren. Oder die Raejer, die prinzipiell jeden aus ihrem Dschungel haben wollten.
Und selbst das wäre noch ein ertragbar gewesen, wäre da nicht die Gruppe von Kriegerprinzen im aufgespritzten Blutrausch gewesen und voll im Entzugsrausch von ihrem geliebten Schwarztraum. Sie machten ganze Waldabschnitte den Erdboden gleich, Hayllier, Dhemlaner und Raejer gleichermaßen tötend.
"Dunkelheit, das bringt mich noch um", stöhnte Zucker, als er in einem gebuddelten Graben unter einigen Farnen saß.
"Wer von denen?", fragte Einauge knurrend.
"Das Jucken an meinem Arsch", gab der Dhemlaner zurück. Einauge warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Der Veteran hatte keine Geduld für Späße. Rashar hätte wenigstens kurz halb gelächelt, aber sie hatten ihren Kommandeur in der grünen Hölle verloren. Wenigstens spürten sie noch seine Signatur, zusammen mit einigen anderen.
"Wie lange braucht der noch?", fragte Teelan drängend. Zucker wagte es, die Farne etwas beiseite zu schieben, um hindurchzuspähen. Zwischen den mit Moos und Schlingpflanzen überwucherten Bäumen, sah er schemenhafte Gestalten miteinander kämpfen. Ab und an ein abgehackter Schrei, dann ein gelbroter Schatten, der sich im Flug an einem Baumstamm abfederte, in einem geschmeidigen Hechtsprung weiter war und in aufblitzenden Juwelenkünsten verschwand. Holz krachte und splitterte, das Brüllen eines durchgedrehten Kriegerprinzen. Katzenhaftes Fauchen.
Dann plötzlich kam Tiger aus dem dichten Unterholz gesprungen und rannte auf sie zu. Zucker duckte sich schnell. Kaum war Tiger in Deckung gesprungen, explodierte der Dschungel hinter ihm. Hexenfeuer raste über sie hinweg.
"Ich hätte bei Lhal bleiben sollen. Du bist schuld", fauchte Tiger ihn an. "Beende den Krieg. Tiger, wir brauchen dich. Denk an Rashars Schuld."
"Hey, du hast mich eingeholt. Wir wären ohne dich los", verteidigte sich Zucker und wischte sich einige verkohlte Äste und Blattwerk vom Kopf. "Und wenn nich wir den Karren aus dem Dreck ziehen, wer sonst?"
"Sion ist kein Karren. Die ganze Sache wäre erheblich einfacher, wäre er ein Karren", warf Klaue ein. Zucker lachte leicht, doch dann waren sie vollends beschäftigt damit sich flach auf den Boden zu pressen, als weitere Juwelenkämpfe um sie herum tobten. Die kleine Gruppe robbte über den mit Pflanzen überwucherten Boden. Zucker fluchte, die Schulterblätter dicht angezogen. Er konnte fühlen wie die Zweige gegen seine Kleidung drückten, der feuchte Tau, krabbelnde Insektenbeinchen.
"Das wird mich noch umbringen", keuchte er.
"Was diesmal?", fragte Einauge genervt.
"Irgendeiner von diesen giften Käfern. Das wirds sein, was mich ins Grab bringt. Nicht Sion oder so ein behämmerter Schnitter. Nein, so ein Raejer Käfer, der mir in den Sack beißt."
"Wenn du tot wärst, würdest du wenigstens nicht mehr reden", ätzte Tiger und sie robbten weiter unter dem dichten Farnwerk hindurch. Der Dschungel war ein undurchdringliches Labyrinth, aber eines was ihnen mittlerweile recht vertraut war. Nicht mehr lange und sie waren zurück bei der Ausgrabungsstätte. Nur brachte es einen Scheiß vor ein paar moosigen Steinen zu stehen, wenn man keine Priesterin war.
Sie mussten Minh zurückkriegen.

Nachts wurden sie angegriffen. Natürlich von Haylliern, diesen hinterlistigen Bastarden. Zucker riss sich den Dolch aus seinem Oberarm und schleuderte ihn seinem Angreifer zurück, der den Angriff geistesgegenwärtig mit einem Schild abwehrte. Es flackerte. Er schien fast all seine Juwelenkraft verbraucht zu haben. Zucker grinste gewinnend. Er griff nach dem nächstliegenden Ast. Argh, glitschig. Eklig, eklig. Hastig hieb er damit nach dem Hayllier, der stöhnend zur Seite fiel.
"Mann, wir sind auf eurer Seite", sagte er und ließ den Ast fallen, um sich das Sekret rasch an der Uniform des Mannes abzuwischen. Der Stoff sah noch frisch aus. Er war wohl noch nicht lange im Dschungel. Sah nach Verstärkung aus.
"Dämonenwerkzeug", rief der Hayllier, "Ich glaube dir nichts, Dhemlaner. Alarm! Al-"
Zucker rollte mit den Augen und hielt dem Kerl den Mund zu.
"Lass, das bringt doch nix", sagte Brocco und rollte einen leblosen Körper den Abhang hinunter. Prasselnd krachte er durchs Dickicht. Einauge schlug Brocco auf den Hinterkopf.
"Wir brauchen hayllische Uniformen. Hol den zurück", ermahnte er. Brocco zuckte mit den massigen Schultern.
"War eh nich meine Größe", erklärte er sich.
Zucker sah in die gehetzten Augen des Haylliers unter sich. "Okay, noch mal. Ich bin auf deiner Seite. Ja, ich bin ein Dhemlaner. Nein, ich diene nicht Sion. Ja, ich weiß, er ist ein Dämon. Hör zu, wir sind eine kleine Splittergruppe, die-"
Brocco hieb den Hayllier auf den Kopf und der Kerl wurde bewusstlos. "Das is viel zu kompliziert", wandte er ein.
"Ich bin auf einer Mission, jeden Hayllier im Dschungel aufzuklären", empörte sich Zucker. Er hielt sich die blutende Wunde am Oberarm. Wo war Regensang, wenn man sie mal brauchte?

Sie trafen auf den Rest der 6. Kompanie ein paar Tage später. Rashar, Regensang und ein Handvoll der anderen. Sie waren nicht mehr viele, aber Rashar hatte es geschafft ein Rendevousz mit Pélage zu arrangieren. Die zähle Rebellenführerin kam mit einer Gruppe Raejer im Schlepptau an. Sie wussten von dem verborgenen Portal im Dschungel, aber auch sie hatten keine Priesterin. Die letzten waren von Dhemlanern getötet worden.
Sicherlich auf Anweisung Sions. Er musste wissen was sie vorhatten.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:17

Zucker zerrte an der unbequemen hayllischen Uniform. Man konnte sagen was man wollte, aber die dhemlanischen Stoffe waren angenehmer auf der Haut gewesen. Oder er hatte sich einfach bereits daran gewöhnt. Außerdem stand ihm schwarz nunmal besser.
Die kleine Gruppe der 6. Kompanie hockte beisammen und spähte zwischen den weit ausladenden Farnen hindurch. Unter den riesig hohen Bäumen hatten die Hayllier ein kleines Lager errichtet. Die Soldaten wirkten abgekämpft, aber leider auch sehr diszipliniert. Sie hatten regelmäßige Wachen und die gefesselte Priesterin, die bei den anderen Gefangenen in einem flachen Graben hockte, war nie allein. Geschützt unter Rashars Schild diskutierten die versteckten Soldaten angeregt. Brocco wollte wie immer drauf losstürmen.
"Wieso machen wir die nich platt?", fragte er und rieb die Fäuste gegeneinander.
"Wir könnten genauso viele verlieren wie sie", mahnte Rashar leise. Dann blickte er hinüber zu Zucker. "Du warst mit Tiger und den anderen länger in Hayll. Hast du irgendetwas erfahren, was uns hier weiterhelfen kann?"
Zucker knirschte mit den Zähnen, brummte etwas unverständliches.
"Was war das?", fragte Rashar nach.
"Kann sein, dass ich da was hab...", gab Zucker schließlich zu und dachte dabei an den Ausweis. "Aber das hilft mir nicht, dass die Kerle mich sofort abschießen. Ich glaub kaum, dass die mich mit Minh rausspazieren lassen."
"Es reicht, wenn du sie ablenkst. Darin bist du ein Naturtalent", gab Rashar mit sachtem Lächeln zurück. Zucker verdrehte die Augen. Es war nicht unbedingt seine Lieblingsaufgabe, aber wenn es sein musste, würde er sich eben um Kopf und Kragen reden. Der Dhemlaner strich sich die schwarzen Haare aus der Stirn.
"Wir brauchen Minh", drängte auch Regensang. "Lenk die Hayllier ab und wir erledigen den Rest."
"Ihr seid besser schnell. Ich hab keinen Bock in der hayllischen Armee zu enden", brummte Zucker. Er blickte an seiner Uniform herab und machte an einigen Stellen Risse hinein. Dann schmierte er sich noch etwas Tonerde auf Arme und Gesicht. So würde nicht gleich auffallen, dass er hellhäutiger war. Die Sonne in Raej hatte ihn sowieso gut durchgebräunt.
Der Prinz atmete einmal tief durch, dann erhob er sich und begann durch das Gebüsch aufs Lager zuzutorkeln.
"W-wasser", krächzte er. "Wasser." Er stolperte auf den ersten Soldaten zu, der beinahe erschrocken seinen Speer fallen ließ. Schnell war Zucker von mehreren hayllischen Soldaten umringt.
"Wer bist du? Wo kommst du her?", fragte einer.
Zucker keuchte und stemmte seine Hände auf seine Oberschenkel, scheinbar ungerührt von den vielen Waffen. Es war wichtig so gelassen und selbstverständlich wie möglich zu wirken. Deswegen ließ er sich viel Zeit zu Atem zu kommen, stieß immer mal wieder keuchend weitere Informationen aus wie seine Einheit von einem Hinterhalt zerrieben worden war und er sich im Dschungel alleine durchgeschlagen hätte.

"Eine Uniform hast du, aber das ist keine von unseren Waffen." Einer der Hayllier deutete auf Zuckers Schwert. Der Prinz blickte wie scheinbar verblüfft zu der Waffe ehe er wieder irritiert hochsah.
"Was? Nein, die hab ich meinem Feind abgenommen. Habt ihr mir nicht zugehört? Hmpf, wartet, hier sind meine Papiere." Er rief den Ausweis herbei und wedelte damit vor dem Zweifler herum. Dann tippte Zucker mit dem Finger rasch auf die Unterschrift und das Siegel der Königin. "Mein Großonkel zweiten Grades dient am Hof von Lady Timaris. Hat irgendeiner von euch schonmal die Königin persönlich gesehen? Nein? Dann reicht das hier wohl."
Er ließ den Ausweis schnell wieder verschwinden bevor jemand seinen viel zu dhemlanischen Namen las. Glücklicherweise hatten die Männer dann viele Fragen wegen der Königin und man brachte ihm sogar Wasser. Wirklich sehr gastfreundlich diese Hayllier.
Zucker hatte die Soldaten dann soweit abgelenkt, dass es für die anderen der 6. ein leichtes war die zwei Wachen bei den Gefangenen kurzzeitig auszuschalten und die Priesterin zu befreien. Sie hatten sie gerade aus dem Graben gezogen, als die anderen Gefangenen ebenfalls befreit werden wollten. Leider machte ein verletzter Rebell dabei so viel Lärm, dass nichtmal Zuckers anzügliche Formulierungen über die wohlgeformten Brüste der Königin die Hayllier weiter ablenken konnten.
"He, was ist da los?!" Sie fuhren herum und begannen gleich Machtpfeile in Richtung der ausbrechenden Gefangenen zu schleudern. Rashar warf sie mittels eines großen Schildes zurück, während einige andere ins Gebüsch flüchteten. Im Nu war ein hektischer Kampf ausgebrochen und Zucker fand sich in der misslichen Lage wieder, dass er auf der Seite der Hayllier noch ein bißchen so tun musste, als gehöre er zu ihnen.
"Schnappt sie!", rief er energisch, als er sah wie seine Kumpanen die Beine in die Hand nahmen, während sie noch ein paar Machtbälle und Armbrustbolzen verschossen. Zucker duckte sich unter einem der Geschosse hinweg und rannte ihnen trotz aller Gefahren hinterher. Die Hayllier hatten bestimmt noch nie so einen todesmutigen Kameraden gehabt.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:17

Sie schrie und bäumte sich auf, während Brocco sie von hinten festhielt und vor sich hertrug wie eine hochgefährliche Substanz, die gleich in Flammen aufgehen konnte. So wie Minh um sich trat und bockte, war der Vergleich gar nicht mal so weit hergeholt.
"Neeeein! Ahhhhh, lasst mich los!!", schrie die Priesterin, strampelte mit halb nackten, von Dornen und Mückenstichen verkratzten Beinen. Ihre Füße steckten in abgetretenen Sandalen. Die Tunika, die sie trug, war zerrissen und fleckig, aber der kleine Trupp der 6ten sah nicht unbedingt besser aus. Sie waren alle abgekämpft und kriegsversehrt.
Brocco legte seine große, schwielige Hand über den Mund der Priesterin, um das Geschrei zu dämpfen. Sie konnten keinen Hörschutz errichten, da man im Dschungel nie wusste, wer noch mit dunkleren Juwelen unterwegs war und die Gegend nach eben solchen Versuchen sich zu verstecken sondierte. Die Schnitter schienen die Anwendung der Kunst, und sei sie noch so kurz, wahrzunehmen wie ein Hai Blut im Wasser roch. Beim letzten Mal hatte Tiger ihnen noch gerade so den Arsch retten können bis sie entkommen waren.
"Die einzige Priesterin im ganzen Dschungel und sie muss ausgerechnet ein egoistisches Miststück sein", beschwerte sich Teelan.
"Sie will nicht sterben. Das ist ihr nicht zu verdenken", sagte Rashar ernster. Zucker zupfte an seinem klebenden Oberteil. Die Luft war so schwül und aufgeladen, dass ihm die Suppe nur so runterrannte. Es würde gleich gewittern, das konnte er spüren. Seine Narben im Gesicht schmerzten und das obwohl sie gar nicht mehr da waren. Dieser Spaß hatte sich eingestellt seitdem er zurück in dem verdammten Dschungel war. Zucker rieb sich über das glatte Gesicht. Weiterhin ungewohnt.
In der Ferne hörten sie bereits das Donnerrollen, als sie im Unterschlupf von Pélage und ihren Rebellen ankamen. Vermutlich wurden sie von einigen Dutzend überwacht, doch Zucker erspähte nur die Hälfte von ihnen auf den Bäumen und im Dickicht des Urwalds. Ein paar Ferkel rannten quiekend zwischen den behelfsmäßigen Hütten umher.
"Wir können nicht lange bleiben", sagte die Rebellenanführerin. Sie strich sich durch das zottige Haar mit Korkenzieherlocken. "Meine Späher sagen, dass Sions Armee nur zwei Tagesmärsche hinter uns sind. Wenn er das Tor vor uns erreicht..." Sie zog ein paar Linien in den Sand, während sie sich alle unter einen Unterschlupf drängten. Heftiger Regen setzte von einen Moment auf den anderen ein, rauschte durch die Blätter.
"Du hast gesagt, ihr hättet seine letzten Priesterinnen getötet", wandte Rashar ein.
"Wir können nicht sicher gehen, ob er nicht noch mehr hat", entgegnete die Raejerin. Zucker ließ seinen Blick schweifen, während sich die Bosse unterhielten. Minh war inzwischen in Broccos Armen erschlaft, hing bewusstlos in seiner Armbeuge. Tiger stand rastlos an einem der Stützpfeiler und sah in den dunklen Dschungel hinaus.
"... wenn sie einen Perimeter um das Tor ziehen, kommen wir genausowenig durch..", hörte er einen der anderen Rebellen sagen.
"Sions Armee muss sich auch noch mit den Haylliern herumschlagen", sagte Rashar. Zucker dachte an Schokoladentorte. Er hätte sich damit gern nochmal den Bauch vollgeschlagen. Er glaubte nicht, dass er lebend aus dem Dschungel kam. Dafür warfen Rashar und Pélage zu viel mit 'wenns' und 'könnten' herum. Niemand war optimistisch. Der Tonfall sprach von purer Sturheit. Von einem schmelzenden Schneeball in der Hölle. So gering waren ihre Chancen.

Sie schliefen nur wenig. Dazu war es zu nass und die Alarmbereitschaft nahm nie ab. Zucker hatte das Gefühl seine Füße würden sich unten auflösen und Schwimmhäute bekommen, so viel regnete es nun in letzter Zeit. Auch am anderen Morgen noch.
Regensang hatte die Priesterin aufgeweckt und Rashar redete eindringlich auf sie ein. Der hochgewachsene Eyrier war über sie gebeugt und auch wenn ihm die Flügel fehlten, so konnte Zucker sie sich gerade gut vorstellen.
"Ich opfre mich nicht für euch! Ihr seid wahnsinnig", wehrte sich die Priesterin.
"Du bist Priesterin. Deine ganze Aufgabe isses dich zu opfern", warf Klaue hämisch von weiter hinten ein. Rashar warf ihm einen kurzen stechenden Blick zu und der Soldat verstummte wieder.
"Sion ist ein Dämon und er braucht diese Tore, um sein Ritual zu vollenden. Er ist kurz davor. Er hat Länder rücksichtslos erobert, weil es ihn nicht kümmert, wenn sie danach ins Chaos verfallen. Er verschleißt Menschen nach Belieben, weil ihm alles recht ist, um sein eigentliches Ziel zu erreichen", sagte Rashar.
Minh sah aus ihren Mandelaugen ratlos hin und her zwischen ihnen. "In den Zeitungen steht, er sei ein Dämon, aber er hat die Sklaven befreit... er hilft den Ländern... er ist gegen die Adeligen..." Zucker nahm ihr die Gedanken nicht übel. Die Propagandamaschinen der großen Mächte liefen auf Hochtouren und es war mehr einem Münzwurf gleich von welchen Sprüchen die Menschen nun beeinflusst wurden. Je nachdem welche Zeitung sie zuerst in die Hände bekamen und welchen Gesprächen sie in der Kneipe lauschten. Noch dazu kümmerte es die meisten nicht, was die "Großen" da machten sofern es sie nicht direkt betraf.
"Alles was er getan hat, ist die Gesellschaft ins Chaos zu stürzen. Ob Adelige oder Sklaven.. es ist ihm einerlei. Er muss inzwischen genügend Königinnen für sein Ritual haben und-", setzte Rashar wieder an.
"Nein, genug davon! Ich will das nicht hören! Ihr sagt, hier soll ein Tor zwischen den Welten sein, aber das kam nie in der Schule vor", wehrte sich die Frau. "Es gibt das Tor in Askavi, in Dhemlan..."
"Viele Tore sind in Vergessenheit geraten. Sion hat die meisten vor uns gefunden, aber dieses eine wurde vom Dschungel überwuchert. Er hat es noch nicht erreicht. Wir waren doch schon fast beim Tor, aber du musstest wegrennen...", erinnerte er Minh. Ja, Zucker erinnerte sich auch. Das war ne schöne Scheiße gewesen. Sie waren beinahe da gewesen und dann war die Priesterin getürmt und sie hatten nur ziemlich nutzlos vor ein paar leblosen Felsen stehen können.
"Ich opfere mich nicht für euren Irrsinnsplan. Ich sterbe nicht dafür! Lasst mich gehen", bockte die Priesterin. Sie klang verzweifelt. Klar, wer wollte schon sterben für etwas, dass man nichtmal verstand. Rashar wusste genau was zu tun war. Seit Jahren arbeiteten Tiger und er für diese eine Sache. Sie hatten es leicht mit dem opfern. Und die Priesterin, die sie vorbereitet hatten, war gestorben.
"Wenn Sion sein Ritual durchführen kann, wird es die Welt in dieser Form nicht mehr geben", mahnte der flügellose Eyrier. "Er will seine Königinnen an den Toren platzieren. Sie werden dem Land alle Kraft rauben und diese Kraft zu ihm schicken. Willst du das? Willst du dafür verantwortlich sein?"
Minh begann zu weinen. Es war schwer sich wie die Guten vorzukommen, wenn sie gerade dabei waren eine ahnungslose Priesterin dazu zu zwingen sich aufzuopfern.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:18

Zwischen den mal hellen, mal bauchartigen Rufen der Affen hörte Zucker das leise Schluchzen Minhs. Sie hatte sich auf den Palmblättern zusammengerollt, eine Hanfschnur war um ihre Fußgelenke gewickelt. Zucker hockte daneben und strich über seinen Dolch, um ihn zu schärfen. Diese Nacht hatte er Wache. Er fühlte sich mies, doch das Gefühl wollte sich nicht gänzlich entfalten. Mies abgestumpft traf es eher. Vorhin hatte Minh noch leise flüsternd darum gefleht, dass er sie freiließ. Sie hatte verzweifelte Versprechen gemacht und ihren Körper angeboten. Sie hatte gefleht und gefleht. Drängend. Vielleicht weil sie gespürt hatte, dass er noch am ehesten derjenige war der sich erweichen ließ. Weil er nichts von heldenhaften Opferungen hielt. Normalerweise wäre dies zugetroffen, doch dieses Mal reagierte Zucker nicht auf die Hilferufe. Sie brauchten die Priesterin. Es hatte mit Rashars Plan zu tun und wenn sie Sions Armee in die Hände fiel war alles verloren. So viel verstand Zucker. Er wusste nicht die Einzelheiten, doch er wollte nicht derjenige sein der es verbockte und die Welt in ihren Untergang stürzte.
Regentropfen plätscherten über den behelfsmäßigen Unterstand. Broccos Schnarchen war zu hören. Die Luft war schwül, trotzdem fror er gerade erbärmlich. Die hayllische Uniform war nass und klamm. Sie waren alle ständig durchnässt bis auf die Knochen. Zucker konnte sich nicht mehr entsinnen wie es war trocken zu sein. Seine Füße waren in einem Zustand, den er nur als bedenklich beschreiben konnte. Kosta wäre gar nicht mit ihm zufrieden gewesen. Zucker wusste nicht wieso er plötzlich an den Kleinen dachte. Sie würden sich wahrscheinlich nicht mehr sehen, aber wenigstens hatte er ihm ein paar Sachen hinterlassen. Ziemlich lausige Erbschaft...
Nein, ach was, der Kerl war nicht sein Sohn. Er war kein Vater. Er hatte nur seinen Samen hergeben müssen. Gut, mit Phoebe war es auch ein paar Mal sehr freiwilliger Samen gewesen. Sein erster freiwilliger Sex... ach, Phoebe...
Müde streckte er sich.
Dann explodierte der Dschungel um sie herum.

Es geschah von einem Moment auf den anderen. Eben saßen sie noch da, dann brandete Juwelenfeuer auf, Machtbälle schlugen ein und flackerten grell über die nassen Blätter, die alles reflektierten. Zucker konnte sich nur noch zur Seite rollen. Sein Dolch entglitt ihm, rutschte über die Blätter. Er warf sich über die Priesterin, um sie zu schützen. Die anderen der 6ten waren aufgesprungen, zogen ihre Waffen und erwiderten das Feuer.
"Schnitter!", rief Rosa schrill. Man konnte die Angst in ihrer Stimme hören. "Schnitter!" Die Raejer Rebellin schoss ein paar Pfeile in die Richtung. Sie verschwanden im Grün des Dschungels. Dann war es für einen Moment still ehe der von Sion verdrehte Dämonentote aus dem Dickicht kam. Ohne Regung zog er sich die Pfeile aus der Brust und warf sie achtlos beiseite. Sein Gesicht war fahl und eingefallen mit nachtschwarzen Augen. Ein Blick, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dann hob er sein riesiges Breitschwert und eine Welle an Macht schwappte über sie hinweg. Zucker versuchte sein Schutzschild zu verstärken. Unter ihm wimmerte und zappelte Minh, ihr Körper war fast kalt.
Sein Kommandeur packte ihn an der Schulter, rüttelte an ihm.
"Bringt sie hier weg", zischte Rashar. "Wir beschäftigen ihn."
Zucker rappelte sich auf, zog Minh an ihrer dünnen Tunika hoch. "Komm, Brocco, gib mir Rückendeckung", sagte er und gab dem bulligen Soldaten einen Knuff. Er lag immer noch auf den Palmblättern und regte sich nicht.
Scheiße...
"Brocco!"
Zucker beugte sich über ihn und sah ein Rinnsal Blut aus dem Ohr des Glatzköpfigen laufen. Das war alles. Aber es genügte. Brocco machte die Augen nicht mehr auf und er schnarchte auch nicht mehr. Zucker fluchte, dann griff er die Priesterin und schliff sie mit sich durchs Dickicht. Blätter schlugen ihm ins Gesicht, Minh stolperte mehrfach und fiel gegen ihn bis Zucker sich an die Stricke erinnerte und sie löste.
Er wusste nicht wohin er rannte. Er war sicherlich nicht der mit dem Orientierungssinn unter der Kompanie. Er wusste, sie waren nicht mehr weit vom Tor entfernt. Ein paar Tagesmärsche höchstens. Mehr vielleicht. Wer weiß in diesem Dschungel.
Minh hatte für eine Weile den klugen Sinn mit ihm zu rennen, doch irgendwann begann sie sich gegen den Griff zu wehren. Zucker platzte der Kragen.
"Jetzt hör mal zu, du kannst entweder fürs Gute draufgehen oder fürs Böse!", fuhr er sie an. "Was anderes gibts für uns nicht. Willst du, dass diese wandelnde Leiche dich zweiteilt?!"
"Lass mich los!", rief sie und trat ihm gegens Schienbein. Zucker fluchte schmerzerfüllt. Dummerweise befand sich Minh mit unter seinem Schutzschild. "Wieso ich?", heulte sie.
"Ich... ich weiß ja auch nich", entgegnete Zucker aufgebracht, "Aber die Priesterin, die zu uns gehörte, wurde von Sions Häschern geschnappt, getötet, gefoltert und vergewaltigt. Wenn sie Glück hatte in der Reihenfolge."
Aus der Ferne hörten sie Schreie, das Brechen und Knacken von Holz. Vielleicht waren es auch Knochen. Aufgeregte Tierschreie hallten durch den Dschungel. Zucker hörte nicht auf weitere Einwände und zog Minh mit sich. Es war immer noch dunkel und jeder Schritt wurde zu einer potentiell tödlichen Stolperfalle. Es war ein wahres Wunder, dass er sich nicht das Genick brach. So eine dumme Baumwurzel würde ihm hier noch den Tod bringen. Sicher kein Schnitter.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:20

"Scheiße", fluchte Zucker kaum hörbar. Er spähte zwischen den riesigen Farnen hindurch. Da war das Tor. Nur wenige Schritte entfernt. Sonderlich beeindruckend sah es nicht aus. Es waren einzige zusammengesunkene mit Moos überwachsene schwarze Steine. Sie waren so tief in die Erde gesunken, dass man sie ausgegraben hatte und nun tiefe Erdgräben vor und um das Tor entlang liefen. Die Schaufeln lagen noch da wo sie sie gelassen hatten. Es war eine elende Plackerei gewesen. Schweißtreibend und doch mit einem kalten Schauer über dem Rücken. Der Ort war alt und unheimlich. Nichts wo man sich gerne aufhielt.
Trotzdem war Zucker froh, dass er es überhaupt wiedergefunden hatte. Das Tor im Dschungel. Er hatte es für eine Schnapsidee Rashars gehalten. Klar, irgendwo waren untergegangene oder vergessene Tore. So gingen die Gerüchte. Aber dass sie tatsächlich eines davon aufspürten? Mitten im Herz von Raej. Er wunderte sich nicht, dass dieses Tor in Vergessenheit geraten war. Wer mit gesundem Verstand würde sich durch dieses mückenverseuchte Pflanzendickicht kämpfen, um von einer Welt zur anderen zu reisen?
Neben ihm bockte Minh auf, wehrte sich gegen seinen Griff und die Hand über ihrem Mund. Er konnte ihren hektisch ausgestoßenen heißen Atem spüren. Zucker legte einen Finger an seine eigenen Lippen, mahnte sie mit eindringlichem Blick still zu sein. Er wagte nicht zu senden. Nicht mit einer Kompanie Haylliern praktisch neben ihnen.
Diese Idioten. Sie trampelten ahnungslos über die Ausgrabungsstätte und durchsuchten die Leichen von ein paar Rebellen, die von Pélage hier zurückgelassen worden waren, um das Tor im Auge zu behalten. Leider vergeblich.
Der Soldat beobachtete die Hayllier, die begannen ein Lager aufzubauen. Zwei Männer kämpften mit einem halb kaputten Zelt. Auch sie hatten Verluste eingefahren. Ein anderer Mann kümmerte sich um zwei verwundete Kameraden. Sie sahen allesamt elend aus.
Zum Glück waren es nicht Sions Truppen. Die Schwarzröcke waren noch nicht hier. Zucker war ihnen auf dem Weg hierhin mehrmals ausgewichen, meist durch schieres Glück als durch Können. Er hatte keine Ahnung wieso er noch am Leben war. Wenn die Truppen herkamen, wenn sie ihre Priesterin zuerst positionierten... nun, laut Rashars Theorie wären sie dann so richtig am Arsch.
Sein Kommandeur hatte es allerdings gepflegter ausgedrückt.
Irgendein junger Adeliger gab bei den Haylliern die Befehle. Seine Uniform war aus feinerem Stoff und hatte verziertere Schulterklappen mit eingenähten Rangzeichen. Aber auch er schwitzte wie der Rest und auch er hatte sicher schon seit Wochen kein Bad mehr gesehen. Zucker lächelte grimmig ehe sich seine Miene verzog, als er sah wie sich die Hayllier in den Erdgräben einrichteten.
Sie wussten vielleicht nicht was die schwarzen moosüberwachsenen Steine zu bedeuten hatten, aber sie hatten den Verteidigungsvorteil der Gräben sofort erkannt. So leicht würde man die Hayllier dort nicht wegbekommen.

Zucker kroch leicht zurück, zog Minh mit sich, um einen sicheren Abstand zu dem Lager aufzubauen. Erst da nahm er seine Hand von ihrem Mund. Sie hustete und spuckte.
"Du hast überhaupt keinen Plan oder?", fragte sie leise.
"Rashar hatte nen Plan", erwiderte Zucker. Aber er wusste nicht wo der Eyrier war oder der Rest der 6ten. Ob noch einer lebte. Zucker fluchte. "Meinst du, ich will für diesen ganzen Scheiß verantwortlich sein? Ich bin ein kleiner Fußsoldat, der tut was man ihm sagt. Und davor war ich ein kleiner Sklave, der tat was man ihm sagte." Er kratzte sich Dreck von den Fingernägeln. "Ich sollte dich zum Tor bringen und das hab ich gemacht."
"Lass mich gehen. Ich kann dir nicht helfen", bat Minh. Sie blickte ihn aus übernächtigten Augen an. "Wir hauen beide ab. Wir bringen uns in Sicherheit."
Das klang sehr verlockend. Jeden Tag, jeden Schritt tiefer in den Dschungel rein klang es umso verlockender. Abhauen, sich in irgendeinem verschlafenen Rattennest von einem Dorf verstecken. Frei sein. Zucker wusste zwar nicht wie das ging, aber er würde es gerne herausfinden.
Dennoch rührte der Dhemlaner sich nicht.
"Die Dhemlaner bringen eine Königin hierher. Sie wird diesem Land die Kraft aussaugen und Sion durch das Tor weitergeben." Rashar hatte es ihnen immer wieder gesagt. Woher er sein Wissen hatte, wusste Zucker nicht, doch er vertraute Rashar mit seinem Leben. Der Kommandeur hatte sie durch die salzige Hölle der Minen geführt. Er war der Held. Wenn es Helden in dieser Welt gab.
"Dann.. dann sprengt das Tor in die Luft. Zerstört die Steine", sagte Minh.
"Ja, das hatten wir auch überlegt.." Ein verschlagenes Lächeln kräuselte sich um seine Lippen. "Aber wir wollen Sion lieber so richtig eins reinjagen."
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:21

Es war dunkel geworden und die Hayllier drüben beim Tor waren ruhig geworden. Neben Zucker schniefte Minh leise.
"Wir werden hier nie rauskommen oder?", wisperte sie verzweifelt. Der Soldat zuckte mit den Schultern. Er war vorhin zum Lager geschlichen, um es auszukundschaften und hatte dabei heimlich etwas Proviant der Hayllier mitgehen lassen. Ein Beutel mit hartem Zwieback und eine undefinierbare Masse von der Zucker lieber nicht wissen wollte was genau darin enthalten war. Er aß es trotzdem, so hungrig war er. Dann hielt er Minh einen der Zwiebacks hin. Es war bestimmt besser wenn ihre Juwelen halbwegs voll waren.
"Ich wollt nochmal nach Hause..", seufzte Minh und begann den Keks zu essen. "Zurück nach Lugora. Meine Tante hat dort eine kleine Taverne..."
"Warum bist du dann hier?", fragte Zucker. Niemand wanderte gerade durch den Dschungel, der nicht unbedingt musste.
"Sie haben nach Kämpfern gesucht, um unser Land zu verteidigen. Ich dachte, ich könnte meinen Part tun", flüsterte sie und ließ den Kopf sinken. "Ich wollte etwas bewirken."
"Und jetzt wo du nicht nur Raej sondern die ganze Welt retten kannst, kneifst du?", entgegnete Zucker und schob sich etwas von der zähen Masse in den Mund. War das Fleisch? Fisch? Sägemehl? Eine Mischung aus allem?
"Ich dachte, ich könnte... aber ich will nicht sterben", schluchzte die Priesterin. "Hast du niemanden zu dem du zurückkehren willst?"
Der Dhemlaner brummte ehe er nach einer Weile sprach. "Hab einen Sohn wie sich herausgestellt hat", gab er zu. Er hatte das noch nie ausgesprochen. "Also nicht so richtig. Mehr ein Kind, das ich gezeugt habe. Ich hab ihn erst später kennengelernt. Halbwegs." Es hatte gereicht um mit ihm Sex zu haben. Etwas was er jetzt wahrscheinlich nicht mehr tun sollte, aber wenn er an den Kleinen dachte, fühlte er da keine Verwandtschaft oder wie man das nannte. Zucker wusste nicht was er fühlen sollte. Er wünschte, er hätte es nie erfahren. Was brachte ihm das Wissen?
"Was würde dein Sohn wollen, dass du tust?", fragte die Priesterin. "Würde er nicht wollen, dass du das richtige tust?"
"Vermutlich", stimmte Zucker lapidar zu.
"Du willst bestimmt mehr Zeit mit ihm verbringen können", vermutete die Priesterin. "Lass mich frei und wir können beide zu unserer Familie zurück." Zucker schüttelte den Kopf.
"Netter Versuch, aber er wäre der erste, der sich beim Tor in den Tod stürzen würde wenn es bedeutete er könnte damit auch nur ein anderes Menschenleben retten. Er ist besser als wir beide zusammen", wehrte der Dhemlaner ab. Er sah Minh an. "Hör zu. Wir werden hier draufgehen, aber noch können wir entscheiden wie. Was hast du gedacht was passiert, wenn du in den Krieg ziehst? Du willst eine Heldentat vollbringen? Da ist sie." Er deutete in Richtung des Tores. "Minh, die Priesterin, die Sion zerstört hat. Das könnte auf der Plakette unter der Statue stehen, die sie dir bauen werden."

"Minh de Tavares", sagte sie ihren vollständigen Namen.
"Ich eröffne feierlich die Minh de Tavares Schule für Priesterinnen", fantasierte Zucker. Sie blickte ihn zweifelnd an, aber er sah den Glimmer in ihren Augen.
"Meinst du?", fragte sie.
"Natürlich", log Zucker. "Mütter werden ihre Töchter nach dir benennen. Und deine Familie hat für die nächsten Jahrzehnte ausgesorgt. Deine Tante wird eine ganze Restaurantkette haben." Er glaubte selbst nicht dran. Das beste was sie erhoffen konnte, war dass man von ihrer Leiche überhaupt noch Stücke fand. Wer sollte sich daran erinnern? Kaum jemand wusste was sie hier versuchten und der mit dem Plan - Rashar - war vielleicht bereits tot.
Minh starrte eine Weile zum Tor. In der Dunkelheit war die Ausgrabungsstätte kaum zu erkennen. Die Hayllier hatten die Lichter gelöscht abgesehen von einigen versteckten Laternen in den Schächten, die man nur sah wenn man praktisch direkt daneben hockte. Zucker sah ebenfalls nach vorne, doch aus den Augenwinkeln beobachtete er die Priesterin gespannt. Er hatte sie bis hierher geschliffen und er war sich nicht zu schade sie anzulügen um sie auch noch die letzten Meter zu tragen.
"Was muss ich machen?", sagte sie schließlich. Die Priesterin hatte ihre Entscheidung getroffen. Bis dahin hatte Zucker es durchaus für möglich gehalten, dass er doch noch einknickte und mit ihr abhaute. Aber jetzt hatte sie für ihn mitentschieden. Er würde das hier durchziehen.
Zucker, der tote Held. Es klang nur bedingt besser als Zucker, der Arsch der daran schuld ist, dass Sion die Welt beherrscht.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:23

"Rashar hat mir nicht alles gesagt, aber es geht darum das Tor zu öffnen, während Sion sein Ritual macht", erklärte Zucker leise.
"Und dann?", fragte Minh. Zucker kratzte sich ratlos an der Wange dort wo seine Brandnarben gewesen waren. Die Narben waren weg, die Gewohnheit war geblieben. Manchmal spürte er die Haut dort immer noch jucken.
"Ich versuche mich zu erinnern", verteidigte sich Zucker, während er darüber grübelte was Rashar, Tiger und Peláge alles besprochen hatten. Er war nicht immer dabei gewesen. Das hatte nur Eingeweihte betroffen und Zucker war sowieso nicht scharf darauf gewesen einer mit dieser Verantwortung zu sein. "Ich glaube, es ging darum Sions Kraft abzuzapfen und woanders hinzuleiten."
Minh blickte ihn mit großen Augen an.
"Es war kompliziert", wehrte der Dhemlaner ab. "Sion will nicht nur hier versuchen eine seiner Königinnen dem Land die Kraft aussaugen zu lassen. Sondern überall wo er kann. Seine Priesterinnen und Schwarzen Witwen werden diese Kräfte durch die Tore zu ihm leiten. Rashar wusste nicht was passiert, wenn Sion die Kräfte erhält, aber er war sich sicher, dass es nichts gutes für die Welt bedeutet." Zucker war geneigt ihm da zuzustimmen. Sion würde diese Macht nicht dazu nutzen, um sich zur Ruhe zu setzen.
"Woher weiß er das alles? Es klingt verrückt", warf Minh ein.
"Er sagt, es wäre schon einmal passiert. Vor sehr sehr langer Zeit. Damals konnte Sion zurück in die Hölle verbannt werden", erklärte Zucker. "Aber seine Anhänger haben die Aufzeichnungen darüber so gut wie alle zerstört." Zucker versuchte sich an mehr Details zu erinnern, als ihm noch etwas einfiel. "Der Kommandeur hatte ein Bild dabei, das er immer wieder ausgerollt und studiert hat. Das Tor... ja, das war da drauf." Ah, verdammt, er hatte sich nie für Kunst interessiert und nicht gesehen was Rashar daran so wichtig fand.
"Irgendwelche Steine haben geglüht."
"Diese Steine?" Minh deutete zu der Ausgrabungsstätte und zu den herumliegenden moosbewachsenen Steinen. Der Soldat zuckte mit den Schultern.
"Kann schon sein", sagte er unsicher.
"Ich kann ein Tor öffnen, aber ich muss wissen was ich machen muss", wandte Minh ein. "Wieviel Zeit haben wir noch?"

Aber auch das wusste Zucker nicht und dann kündigten erste plitschende Regentropfen auf den großen Palmblättern den nächsten Regenguss an. Zuerst kamen ein paar Tropfen ehe es krachend hinunterrauschte. Sie kauerten sich unter einer riesigen hoch angehobenen Baumwurzel, die wenigstens etwas Schutz bat. Zucker tröstete sich damit, dass die Hayllier in ihren Gräben jetzt noch miserabler dran sein mussten. Blitze und Donnergrollen ertönten. So heftig, dass die Bäume wackelten.
Es dauerte etwas bis Zucker realisierte, dass nicht nur die Bäume wackelten sondern der gesamte Boden bebte.
"Was ist das?!", kreischte Minh. Er hörte sie über den einsetzenden Sturm kaum. Zucker spürte wie sich direkt unter ihnen der Boden aufbäumte. Hastig rollte er sich zur Seite und zog Minh mit sich. Gerade noch rechtzeitig als die Erde bereits aufbrach und große Klüfte entstanden. Ein Erdbeben?! Ausgerechnet jetzt? Dann sah er das Knistern von grauer Juwelenkunst, die über die Erde floss. Irgendjemand schickte Wellen des Bebens durch den Dschungel.
"Scheiße, das muss jemand von Sion sein. Wenn sie das Tor nicht finden können, zerstören sie es eben so", kam ihm ein schrecklicher Verdacht. Er eilte mit Minh gebückt durch schlammige Unterholz. Die Erde verwandelte sich in tiefen Schlick, sie sanken knöcheltief ein, es kroch bis in die Stiefel. Zucker ignorierte es. "Wir müssen uns beeilen."
Die Hayllier hatten inzwischen auch etwas von dem Beben mitbekommen und waren aus den Gräben gekommen.
"Wie? Die Soldaten sind immer noch da", rief Minh über ein lautes Donnerkrachen. Regen trommelte auf sie nieder. Sie schwankten auf den sich bewegenden Boden. Ein weiteres heftiges Beben schickte sie beinahe zu Boden. Zucker sah in der Dunkelheit nicht weit von ihnen Bäume entwurzeln und krachend gegeneinander stürzen.
Zucker hatte nicht viel Zeit zu überlegen. Er rief seine hayllische Uniformsjacke herbei und streifte sie über. Die Schultern wiesen ihn als simplen Gefreiten aus. Daran musste er etwas ändern. Er riss die Streifen mit den Abzeichen ab und rief die seiner dhemlanischen Uniform aus seinem Juwelengepäck. Sie sahen anders aus, aber im Gewitter und bei dem Chaos würden die Hayllier hoffentlich nicht zu genau hinsehen. Zucker presste die Abzeichen auf die Jacke, befestigte sie behelfsmäßig mit etwas Schnur.
"Ich werd mich als Hayllier ausgeben. Bete zu deiner Dunkelheit, das es klappt", sagte er und zog sie mit sich. Er durfte nicht Zögern. Zucker kämpfte die Unsicherheit nieder und begann selbstbewusst zu rennen. So selbstbewusst wie man im knöcheltiefen Schlamm rennen konnte.
Mit Minh im Schlepptau stolperte er auf die Ausgrabungsstätte.
"Nicht Schießen! Feldwebel Alanides von der 4. Division!" Er wusste nicht, ob es eine 4. Division gab. Solange er die Panik der Männer ausnutzen konnte, würde es hoffentlich klappen.
"Die Dhemlaner sind nahe. Wir müssen unseren Einsatz vorrücken und das Tor jetzt in Gang bringen!"
Die Hayllier waren gerade aus den Gräben geklettert, versuchten die Balance zu halten. Sie hielten ihre Waffen vor sich, blickten ihn verwirrt an. Zucker sah entsprechend verwirrt zurück.
"Seid ihr nicht die Sondereinheit?! Ich habe eine Priesterin für das Tor besorgt. Wir können nicht warten!"
Zucker wusste, sie waren erledigt, wenn sie fragten, wer er war.
"Welches Tor?", fragte einer stattdessen. "Wir wissen von keiner Sondereinheit. Wir wurden von unserem Trupp getrennt."
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:24

"Hier ist ein Tor und die Dhemlaner wissen davon. Deswegen das Beben! Schützt es mit eurer Juwelenkraft, Männer!", forderte Zucker. Er hoffte sein zackiges Auftreten und das Drängen in der Stimme, würde die Hayllier animieren ihm einfach zu gehorchen.
"Und wer ist das? Das ist eine Einheimische", bemerkte einer der Soldaten. Ach, es gab immer einen Skeptiker.
"Das ist Minh de Tavares", erklärte Zucker im entrüsteten Tonfall. "Zeigt etwas mehr Respekt! Sie wird uns den Ar- das Leben retten! Wir können das Tor öffnen, um Verstärkung von Askavi zu bekommen." Er wusste kaum was er da redete. Es war nicht viel Zeit geblieben sich etwas zu überlegen. Zucker hörte die Worte einfach aus seinem Mund erscheinen und wunderte sich wieso noch keiner der Hayllier ihn erdolcht hatte. Wirkte er etwa so hayllisch? Das verletzte schon etwas seinen dhemlanischen Stolz. Er musste braungebrannter - oder dreckiger - sein als gedacht. Zusätzlich war er klatschnass und da war es ebenfalls schwerer zu erkennen welcher Herkunft er war.
Zucker watete durch den Schlamm zum halbausgegrabenen Tor. Solange er aktiv war und die Hayllier herumscheuchte, würden sie hoffentlich nicht zum Nachdenken kommen. Erneut rumpelte es und die Erde um sie herum bäumte sich auf. Zucker blickte in den Graben und sah mit Entsetzen wie dieser sich immer schneller mit Wasser füllte.
"Ah, scheiße", fluchte er und die Männer sahen sich an. Anscheinend gab es nicht so viele fluchende Feldwebel in der hayllischen Armee. "Wir müssen Wasser schöpfen und graben, Männer! Der Rest bleibt oben und wirkt Schilde. Die müssen sitzen!"
"Werden die Dhemlaner nicht merken, dass wir hier sind, wenn wir zu viel Juwelenkraft benutzen?" Wieder der gleiche Hayllier mit den Fragen. Leider hatte er damit recht, doch sie konnten nicht länger warten. Die Soldaten hier wussten nicht wie viel verloren war, wenn das Tor zerstört wurde.
"Sollen sie nur herkommen! Eine an die Flügelschwingen bewaffnete Kompanie Eyrier wird sie in Empfang nehmen", sagte Zucker grimmig. Die Hayllier grinsten und nickten, einige wirkten etwas erleichtert. Wenn Kosta hier wäre, hätte er sicherlich die Ironie bemerkt in dem was Zucker gerade tat. Eine Gruppe Hayllier anlügen und in den sicheren Tod führen ohne dass sie es wussten. Für ein edles Ziel.
Allerdings machte Zucker sich deswegen nicht so fertig wie der Kleine. Er würde nicht mehr viel Zeit haben über das Schicksal der Hayllier nachzudenken, wenn es ihn mit ihnen zerbröselte.

Er sprang voran in den Graben und landete gleich knietief im Wasser. Glänzend.
"Schaufeln her!", rief er.
"Hier gibt es keine Schaufeln, Feldwebel", merkte einer an. Zucker stöhnte. Es war viel zu anstrengend Feldwebel zu sein.
"Ach, und wer hat dann diese Gräben geschaufelt? Mit bloßen Händen? Sucht nach den Schaufeln!", wies er laut an. Zucker konnte ihnen schlecht sagen, wo sie diese verstaut hatten. Wenigstens hatten sie nun ein kuppelförmiges Schild um die Ausgrabungsstätte und es kam kein Regen mehr rein. Minh kniete sich an den Rand des Grabens aus dem das Tor ragte.
"Und wenn wirs ausgegraben haben? Was dann?", wisperte sie.
"Eins nach dem anderen", wehrte Zucker ab, doch in Wahrheit hatte er keinen blassen Schimmer. Die Soldaten hatten endlich die Werkzeuge gefunden und Zucker schnappte sich die Schaufel mit der er hier vor ein paar Tagen gebuddelt hatte. Schon wieder graben. Er fluchte unflätig und begann Wasser und Matsch in hohen Bögen aus dem Graben zu werfen. Niemand hatte gesagt, dass heldenhafte Taten solche Schlammschlachten waren. Man piekste irgendeine Waffe in den Körper des Bösewichts. Man schlang seinen Arm um die dralle Königin, die man soeben gerettet hatte. Ah, ein Königreich für eine dralle Königin. Es gab viel zu wenige davon.
Irgendwelche ohnehin schon arg dünnen Königinnen würden gleich den Ländern ihre Kraft aussaugen. Zucker hatte gehört, dass Sions Königin vom südlichen Raej, Königin Magyarosa auch hier im Dschungel sein sollte. Ob freiwillig oder nicht, doch sie würde sich auf dem Weg hierher befinden.
Einige der Hayllier waren inzwischen mit im Graben und schaufelten.
"Schneller!", brüllte Zucker. "Als ob euer Leben davon abhinge!"
"Feldwebel Alanides", fing da schon wieder dieser Kritiker an. Zucker verdrehte die Augen. In Sions Armee hätte es das nicht gegeben.
"Hat man dir nicht beigebracht, den Befehlen deiner Vorgesetzten zu folgen, Gefreiter?", fragte er zurück.
"Gefreiter Tassaki", sagte der Soldat. Er war noch jung. Vermutlich nicht älter als Kosta. Der Mann deutete zu einem Stein, der mehrere Schritte gegenüber aus der Erde ragte. "Meine Mutter ist Architektin."
Zucker blickte ihn blinzelnd an, während er schlammverschmiert war und die Schaufel in der Hand hielt. "Und das ist hier relevant...?"
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass das auch ein Schlussstein eines Torbogens ist", erklärte Tassaki.
Zucker watete durch die Gräben bis er bei dem Stein angekommen war. Hastig begann er darum zu graben, bis seine Fingerspitzen weiteren Stein ertasteten. Minh kam ebenfalls herumgelaufen. In kurzer Zeit hatten die Soldaten mehr von dem oberen Bogen freigelegt.
"Ein zweites Tor", flüsterte die Priesterin ehrfürchtig. "Das gibt es nicht. In keiner der Schriften. Man braucht nur ein Tor. Wieso sollte es zwei auf einem Fleck geben?"
"Um uns das Leben zu retten", erkannte Zucker überwältigt. Er wusste nicht was Rashars Plan gewesen war, aber ihm war soeben ein eigener eingefallen.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:24

"Wie?", fragte Minh verwirrt. Zucker kletterte wieder aus dem Graben. Er war überall so nass. Es war ein Wunder, dass sich seine Haut noch nicht vollkommen aufgelöst hatte.
"Legt die Tore frei!", befahl er den Haylliern, während er die Priesterin beiseite zog.
"Die ganzen abgesaugten Kräfte sollen zu ihm geleitet werden. Bestimmt vom dhemlanischen Tor aus. Vielleicht können wir das erste Raejer Tor so einstellen, dass die Kräfte stattdessen zu uns kommen. Dass wir sie Sion absaugen", erklärte er.
"Falls ich das überhaupt schaffe, würde ich das nur kurze Zeit aushalten. Meine Juwelen sind zu hell", wandte Minh ein. Die Soldaten warfen ihnen zwischendurch fragende Blicke hinüber. "Ich würde sofort zerbrechen und dann würde die Kraft zu ihm zurückströmen."
Zucker nickte. Damit war nichts gewonnen. Er hatte Minh eingehämmert, dass sie sich opfern sollte, aber er hielt nicht viel davon sich sinnlos zu opfern. Sie wollten Sion ja nicht milde verärgern, sondern ihm einen richtig miesen Tag bescheren. Wenns gut lief, seinen letzten Tag.
"Das zweite Tor-", begann Zucker, als wieder Tassaki eine seiner Nachfragen hatte.
"Feldwebel, wir werden das nicht schaffen bis die Dhemlaner hier sind. Ihre Signaturen kommen immer näher", warnte der Soldat. "Wir brauchen nur ein Tor für die eyrische Verstärkung. Die kommt doch oder?" Er blickte abwartend zu Zucker hinüber.
"Natürlich kommt sie!", erwiderte dieser und versuchte entrüstet zu klingen. Allmählich schien seine Tarnung zu bröckeln und alles nur wegen diesem dummen Kerl, der eindeutig zu intelligent für die Armee war. Die anderen dagegen wirkten froh, dass sie Anweisungen folgen konnten und jemand scheinbar einen Plan hatte sie zu retten.
"Konzentriert euch auf das erste Tor!", rief Zucker. Bis ihm etwas besseres eingefallen war. "Eyrier mögens gar nicht, wenn man unpünktlich ist." Die Hayllier begannen weiter zu buddeln und hektisch Wasser aus dem Graben zu schöpfen.
Zucker wandte sich wieder Minh zu.
"Könntest du die Kraft vom ersten zum zweiten Tor leiten?", fragte er. "Wenn die Kraft nur durch dich hindurchströmen würde..."
Minh blickte ihn nachdenklich an. Sie sagte es nicht, doch sie wussten beide, dass sie daran trotzdem zerbrechen konnte. Nur vielleicht nicht ganz so schnell.
"Aber wohin soll ich sie leiten? Diese Macht könnte ein ganzes Territorium vernichten. Wem willst du das antun?", fragte die Raejerin.
Zucker schüttelte den Kopf. "Niemanden." Er erinnerte sich an die Überfahrt auf dem Piratenschiff von Dhemlan, Kaeleer nach Hayll, Terreille. Irgendwo während der Reise hatten sie ein Tor benutzt und es war nicht an Land gewesen. Die Piraten hatten sie unter Deck geschickt und Leto war nach oben gegangen. Zucker hatte viel Kunst gespürt, dunkle Schilde um das Schiff zu schützen. Das Tor musste sich unterwasser befinden. Bevor Zucker und der Rest der Soldaten unter der Deck geschickt worden waren, hatte er die Aussicht genossen. Spiegelglatt. Rund herum Meer. Meilenweit keine einzige Insel in Sicht.
"Kannst du ein bestimmtes Tor finden?", fragte Zucker, "Im Ozean?"
Ein heftiges Krachen und Bersten unterbrach sie. Geräuschvoll fiel ein Baum direkt in der Nähe der Ausgrabung um und donnerte gegen das Schild, prallte daran ab und rollte herunter. Wuchtiger Schlamm spritzte auf. Zucker versuchte trotz des wackelnden Bodens nicht hinzufallen. Scheiße, das war sehr nah gewesen. Er schaffte es noch und ein herabfallender Ast erschlug ihn. Nicht irgendeine Waffe, nein ein dummer Ast.
Minh rappelte sich auf und sah ihn verblüfft an. "Unterwasser?", fragte sie erstaunt. Der Dhemlaner nickte. "Wie soll ich das so schnell finden, wenn ich nie zuvor da gewesen bin? Das kann Tage dauern." Wieder bebte es heftig, doch die Schilde verhinderten noch dass auch hier der Boden aufbarst. Um sie herum fielen Bäume und krachten Felsen um. Gewaltige Wassermassen prasselten von oben auf die Kuppel nieder. Sie flackerte bedenklich.
"Ich habe es durchquert. Hilft das?", fragte er. Minh berührte ihn am Arm, hielt die Augen geschlossen und nickte.
"Ich kann es versuchen", stimmte sie schließlich zu. Trotzdem waren ihre Augen angstvoll, als sie ihn wieder anblickte.

"Kundschafter!", rief einer der Hayllier. Sie warfen Speere in eine ungefähre Richtung, ein Machtball schoss als Antwort hervor. Zucker fluchte. Tassaki hatte leider recht. Sie würden nicht rechtzeitig damit fertig werden beide Tore freizulegen. Sein schöner Plan hatte einen gewaltigen Haken. Und die Hayllier glaubten immer noch, dass sie ein Tor nach Askavi öffneten. Es würden keine Eyrier kommen.
Sie hatten nur sich selbst um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
In dem Moment ertönte ein fauchendes Brüllen zwischen den Bäumen, dann ein abgehackter Schrei einer der Hayllier. Zucker sah einen orangen Schatten in der Dunkelheit vorbeihuschen. Ein weiterer Schrei. Dann brachen die Reste der 6. Kompanie von Sions Armee aus dem Dschungel. Abgezehrt, verdreckt, verletzt, aber mit grimmigen Kampfeswillen und eisernem Durchhaltevermögen. Sie hatten die Salzminen überlebt und sie würden sich von dieser grünen Hölle nicht kleinkriegen lassen.
"Ja! Endlich!", jubelte Zucker. Er war so froh nicht der letzte der 6ten zu sein.
Tassaki wirbelte herum und hob sein Schwert. "Wer seid ihr?", verlangte er zu wissen.
Zucker grinste, während Rashar und die anderen auf die Ausgrabungsstätte zukamen. Am Ende war doch auch ein Eyrier aufgetaucht. Der allerbeste.
"Wir sind-", begann der Soldat ehe er zögerte und sich an der Wange kratzte. "Ja, so genau kann ich dir das jetzt auch nicht sagen. Wenn ich 6. Kompanie von Sions Armee sage, hast du gleich Vorurteile. Dabei sind wir die guten. Echt."
Einauge hieb Tassaki von hinten eine mit dem Schwertknauf runter und der Hayllier ging zu Boden.
"Vielleicht nicht ganz so gut", korrigierte Zucker.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:25

"Oh Mann, ich bin so froh euch zu sehen", stieß Zucker aus. "Ich wusste nicht was ich machen soll."
Rashar blickte sich um. Die Hayllier knieten neben ihnen im Schlamm, Hände hinter dem Kopf verschränkt. Tiger umkreiste sie lauernd, während Klaue eine gespannte Armbrust auf sie hielt.
"Du bist weit gekommen", schätzte der flügellose Kommandeur und klopfte Zucker auf die Schulter.
"Wo sind die Rebellen?", fragte er und sah sich um. Es waren weniger als gedacht hierher gekommen. Ein trauriger Ausdruck glitt über die abgezehrte Miene Rashars.
"Der Schnitter hat seinen Tribut gefordert", sagte er nur.
Der Boden rumpelte erneut, dieses Mal so stark, dass am Rand der Ausgrabungsstätte der Boden sich hochschob und ein Baum bedenklich in Schieflage geriet. Die Hayllier hatten ihre Schilde aufgegeben und beschränkten sich darauf Zucker finster anzublicken.
"Sions Armee ist auf dem Weg hierher. Sie wollen die Tore zerstören", berichtete Zucker besorgt. Rashar nickte.
"Wir haben einen großen Bogen um sie machen müssen. Sonst wären wir früher hier gewesen", erklärte er. Dann stockte er. "Hast du Tore gesagt?"
Rasch erzählte Zucker seinen Plan und zeigte auf dein freigelegten Schlussstein des zweiten Torbogens. "Aber unmöglich beide Tore schnell genug freizubekommen."
"Ich wollte ein Tor zur Hölle öffnen, um Sion zurückzuschicken, aber ich wusste nie wie ich das Problem lösen soll ihm möglichst ungefährlich die Kräfte abzuzapfen." Rashar blickte nachdenklich zu den Gräben. Die Tore mussten sich gegenüberstehen, doch dazwischen war ein großer Block Erde.
"Ich glaube dein Plan wird funktionieren", beschloss der Kommandeur schließlich. Zucker grinste.
"Mein überragender, riesiger, praller Intellekt ist also doch für etwas gut", erwiderte er. "Aber die Armee wird vorher hier sein."
Rashar blickte sich kurz um.
"Legt ein Schild eng um die Tore!", rief er und rannte dann zum Erdblock. "Sie wollen die Erde beben lassen? Gut, wir lenken die Kräfte direkt hierhin und sie können uns das Graben abnehmen." Der Eyrier wartete auf die nächste Erschütterung und den Rissen, die sich durchs Erdreich fraßen. Zucker wäre niemals selbst darauf gekommen. So etwas war bei seinem behelfsmäßigem Training in der Kunst natürlich nicht vorgekommen.
Die Hayllier besahen sich dies verwirrt und erschrocken.
"Was habt ihr vor?", fragte Tassaki. Zucker drehte sich zu ihm um.
"Hast du das echt nicht begriffen? Wir wollen Sion aufhalten. Wir sind Abtrünnige", erklärte er. "Wenn er sein Ritual ungehindert durchziehen kann, sind wir alle geliefert. Meinst du, Dhemlaner wollen das wirklich?"

Die Erde bebte abermals, doch dieses Mal waren sie darauf vorbereitet. Die meisten der 6ten hatten nicht mehr viel Juwelenkraft, doch es reichte, dass sie einen der Risse zum Erdblock lenken konnten. Krachend und rumpelnd bröckelte er und begann aufzubrechen.
"Grabt die lose Erde weg", wies Rashar an und die Soldaten begannen zu schaufeln.
"Lasst uns helfen", forderte Tassaki. Einer seiner Kameraden stieß ihm in die Seite.
"Bist du verrückt, Vasco? Sie werden Sion helfen!", wandte der andere Hayllier ein.
"Dann hätten sie uns schon getötet", erklärte Tassaki.
"Wir sind zu beschäftigt, um euch zu töten", wandte Zucker ein und deutete auf die grabenden Soldaten.
"Dann gib mir eine Schaufel", forderte Tassaki und erhob sich.
"Hey", bemerkte Klaue unwirsch und zielte mit der Armbrust auf den Gefreiten. Tiger legte eine Hand auf die Armbrust und drückte sie nach unten.
"Gib ihnen Schaufeln", sagte er. "Wir haben nicht mehr viel Zeit."
"Meinst du?", rief Zucker, als ein grellend heller Blitz in einem der hohen Baumwipfel einschlug. Das Holz barst mit einem ohrenbetäubenden Knacken. Feuerzungen begannen an der Rinde zu lecken.
Im gleichen Moment begannen die moosbewachsenen Steine zu glühen. Die Schlussteine beider Tore vibrierten und leuchten.
"Das Ritual hat begonnen", erkannte Rashar besorgt.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:27

Sie schaufelten alle gemeinsam wie im Wahn. Erdklumpen flogen durch die Luft, während neben ihnen die Erde bebte. Rashar lenkte die Risse zu den größeren Erdbrocken und ließ sie auseinanderplatzen. Andere bemühten sich Teile der brennenden Bäume zu löschen und der heftige Regen tat sein übriges dazu. Aber es war nicht zu leugnen, dass sie gegen die Zeit kämpfen und verloren.
Die Steine beider Tore leuchteten heller, obwohl sie vom zweiten Tor erst die Hälfte freigelegt hatten. All ihre Juwelen waren nahezu vollständig erschöpft und sie konnten einen Schwarm an Signaturen spüren, die sich der Ausgrabungsstelle näherten. Zucker lief der Schweiß in Strömen, ihm schwindelte. Er hätte gerne verschnauft und etwas getrunken, aber jeder Augenblick zählte. Man musste den Haylliern zugute halten, dass sie sich ebenso verausgabten und daran arbeiteten die Tore freizulegen nachdem sie halbwegs den Plan verstanden hatten.
Sie hatten weiterhin einen Schild um die Tore errichtet, um sie zu beschützen, doch die Erde rund herum bröckelte und wurde rissig. Vorhin war sie durch all den Regen noch schlammig gewesen, aber etwas schien ihr die Feuchtigkeit zu entziehen. Nicht nur das, selbst die Fruchtbarkeit. Der satte dunkle Farbton wurde bleich und verdorrt. Pflanzen in der Nähe verloren ihre Farbe und palmgröße Blätter fielen krachend nach unten.
"Was ist das?", fragte Zucker alarmiert.
"Die Königin", sagte Tiger düster, "Sie entzieht dem Land bereits jetzt schon Kraft. Sie saugt sich damit voll. Auf Kosten von Raej."
Sie hatten keinerlei Signatur einer Königin gespürt, doch dann war sie plötzlich spürbar. Vielleicht hatten die Soldaten aufgegeben sie zu verbergen oder ihre Signatur war mittlerweile so machtvoll, dass man sie nicht mehr unterdrücken konnte. Es war eine mächtige Ausstrahlung, die die Männer sofort in ihren Bann zog. Einige ließen die Schaufeln sinken und blickten in die Richtung, obwohl man Magyarosa noch nicht sah.
"Reißt euch zusammen! Grabt weiter! Sie darf das Tor nicht bekommen!", rief Rashar.
Sie schaufelten graue Erde, die vor ihren Augen zerbröckelte und zerfiel. Moos auf den Steinen verwitterte und zog sich zurück.

Mit letzter Kraft wuchteten die Soldaten einen großen Steinbrocken aus der freigeschaufelten Grube. Beide Tore standen sich nun fast ungehindert gegenüber. Nur das zweite war noch lange nicht freigelegt.
"Es muss so gehen", sagte Rashar und gestikulierte zu Minh hinüber. "Öffne die Tore." Die Priesterin kletterte hinunter in die Grube und kam hinüber zu Zucker.
"Ich muss mich auf dich einstimmen", sagte sie. Der Dhemlaner nickte, obwohl er keine Ahnung hatte was auf ihn zukam. Ihre erdig verklebten Hände berührten ihn an beiden Wangen und sie legte ihre Stirn an die seine.
Während sie so in der Mitte standen, begann das erste Tor zu vibrieren und erste Schlieren entstanden im Torbogen, ein Pulsieren von unbekannter Farbe ehe es sich zu einem Riss ausbreitete, der sich langsam verdichtete. Ein bläuliches Schimmern drang davon heraus.
Minh keuchte. "Ich habe nicht mehr so viel Kraft. Ich werde es nicht schaffen", sagte sie verzweifelt.
"Hat jemand noch etwas zu essen? Vorräte? Ein Stärkungstrank?", rief Zucker. Regensang kam zu ihnen und fasste Minh an der Hand, um ihr Kraft zu geben. Zwei der Hayllier hatten noch Vorräte in ihrem Juwelengepäck und brachten etwas nach unten. Man hielt der Priesterin Löffel für Löffel mit getrockneten Linsen und Dörrobst hin. Sie kaute und schluckte, während sie weiterhin das Tor öffnete.
Es war zuletzt vielleicht vor tausenden von Jahren benutzt worden und schien sich noch einen Moment zu weigern ehe der Durchgang plötzlich aufbrach und hellblau erstrahlte. Wie Sonne, die durchs Wasser brach. Es flunkelte und flimmerte an den Rändern.
"Ich kann nicht mehr! Ich will hier weg!", rief einer der Hayllier bei dem verlockenden Anblick und rannte auf das Tor zu. Einer seiner Kameraden versuchte ihn noch aufzuhalten, doch der Mann sprang blindlings hinein und war verschwunden.
"Zurück!", brüllte Tiger. "Das Tor führt tief Unterwasser! Niemand wird eine Reise überleben. Ihr seid sofort tot, wenn ihr auf der anderen Seite ankommt!"
"Bist du sicher, dass es unterwasser ist?", fragte Rashar Zucker. Der Prinz hatte sich inzwischen von Minh gelöst und stützte sie halb. Er nickte.
"Die Piraten haben das Schiff mit einem speziellen Schild geschützt. Sie hatten Übung darin."
Einauge nickte pflichtend bei.
"Die Königin kommt!", rief plötzlich einer ihrer Späher.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:27

Für einen Moment schaufelten sie noch, versuchten mit Händen und Schaufeln das zweite Tor freizulegen. Im nächsten Moment brachen die Kämpfe aus. Ein Machtball traf knapp neben Zucker in den Boden und er hechtete rasch zur Seite, knallte mit dem Unterarm auf die vertrocknete Erde in der Grube. Die Schilde schienen zusammengebrochen. Er rief seinen Langdolch herbei, bereit sich zu verteidigen. Wie eine Welle strömten Sions Soldaten über die Ausgrabungsstelle und sprangen in die Grube. Die schwarzroten Uniformen waren fleckig und zerrissen, auch sie hatten einen beschwerlichen Weg bis hierher gehabt. Aber die goldenen Augen leuchteten fanatisch und im Hintergrund erschien die Raejer Königin Magyarosa, umrahmt von zwei Schnittern mit bleichen Gesichtern. Einem von ihnen fehlte ein Arm, doch es schien ihn nicht groß zu stören. Die Haare der Königin bewegten träge in der Luft wie als befände sie sich unter Wasser. Sie schwebte langsam über den grauen Boden, die Arme ausgebreitet.
Bei ihrem Anblick sank Zuckers Hoffnung. Sie waren erledigt. Das waren zu viele. Er wehrte sich trotzdem gegen den ersten Angreifer, sein Dolch fand irgendeine weiche Stelle in dem Körper des anderen. Zum verkusteten Schlamm, der an seinem Körper haftete, gesellte sich Blut. Von hinten stieß jemand gegen ihn und Zucker stolperte zur Seite, entging mehr durch Glück einem Stich eines dritten. Die Grube war zu einem Hexenkessel geworden und es gab zu wenig Platz für so viel Krieg auf kleinem Raum.
Um ihn herum ertönten angestrengte Schreie, das Klirren der Waffen. Rashar führte einen langen Dreizack, den er hin und herwirbelte und damit der Priesterin die Soldaten vom Leib hielt. Verzweifelt versuchte sie das zweite Tor, verborgen hinter der Erdschicht, zu aktivieren, doch die Steine glimmten nur hin und wieder auf ehe sie flackerten und das Licht erneut zusammenbrach.
Die Königin sank langsam in die Grube hinab, während die zwei Schnitter mehrere der Hayllier niederschlugen und auch zwei von Zuckers Freunden. Die immer kleiner werdende Gruppe wich zurück, aber sie saßen in der Falle.
"Ich schaff es nicht...", brachte Minh erstickt vor und sank entkräftet auf die Knie. Sie konnten sich nicht mehr gegen diese Übermacht wehren und Sions Anhänger schienen dies zu wissen. Sie richteten die Waffen auf sie, griffen aber nicht mehr an.
"Gebt auf!", rief Magyarosa. "Es ist vorbei. Sions Sieg ist nahe. Spürt ihr nicht seine Macht?" Sie machte einen Handwink und die Erde, die das zweite Tor noch begraben hatte, löste sich in Luft auf. " Eure Gegenwehr ist nutzlos. Ihr könnt ihn nicht aufhalten."
Rashar blickte sie mit unterdrücktem Zorn an. "Ihr werdet nicht bekommen was er euch versprochen hat", mahnte er, doch die Raejerin schien in einem regelrechten Rausch zu stehen.
Die Königin lächelte überlegen und berührte eine schwarze Brosche in Form einer Spinne an ihrer Brust. Dunkler Rauch kaum daraufhin hinaus und begann sich um ihre Hand zu schlängeln. Ein Netz von einer von Sions Schwarzen Witwen? Als sie mit ihrer Hand auf das Tor deutete, schoss der Rauch gleich hinüber und fuhr in den alten Stein hinein. Die Steine leuchteten rötlich auf und im Torbogen begann sich ein Portal zu öffnen.

Rauch strömte aus dem Portal und floss über den Boden, ungehindert vom strömenden Regen, der wieder auf sie prasselte, nachdem die Schilde zusammengefallen waren. Bald schon füllte er die komplette Grube und man konnte kaum noch etwas sehen. Die Soldaten husteten und keuchten.
Verschwommen konnte Zucker sehen wie die Königin vor das erste Tor trat. Dass noch ein zweites offen war, schien sie nicht zu stören. Vielleicht hatte sie das wässrige Leuchten im Regen nicht wahrgenommen.
Gleißende Strahlen schossen von der Brust der Königin und in Richtung des rauchigen Tors. Eine Säule aus Rauch stieg aus der Grube und im hellen Licht der Strahlen konnte man vage Umrisse von Schwingen sehen...
Zuckers Augen tränten. Es sah beinahe aus wie ein Drache...
Fast alle starrten gebannt nach oben zu dem Ding, das da aus dem Rauch wuchs. Zucker wandte den Blick ab. Er wollte nicht wie ein Idiot in sein kommendes Ende blicken. Er sollte abhauen, aber er wusste er würde nicht aus der Grube kommen ohne ein paar Pfeile im Rücken. Sollte er es trotzdem riskieren? Während er feige nach Fluchtmöglichkeiten suchte, fiel ihm etwas ganz anderes auf.
Magyrarosa war unter der Kraft der Strahlen etwas zurückgewichen und stand mit dem Rücken zum Tor, das in den Ozean führte. Sie hatte die Arme erhoben und sich dem Rauch zugewandt, der weiterhin aus dem zweiten direkt gegenüberliegenden Tor drang.
Zucker stupste einem seiner Kameraden in die Seite und wies mit einem angedeuten Kopfnicken zum Wasserportal. Auch die anderen wurden aufmerksam.
"Scheiße, ich machs...", murmelte Einauge. "Wir sind eh tot. Sofort tot hast du gesagt, Tiger?"
"Sofort", bestätigte der Kriegerprinz.
"Klingt gut."
Bevor einer von ihnen noch reagieren konnte, sprang Einauge ohne zu Zögern vor. Der Veteran warf sich in Richtung der Königin. Einer der Schnitter stieß ihm eine schwarze Klinge in die Seite, um ihn noch aufzuhalten, doch mit einem Brüllen rannte Einauge weiter, Blut spritzend, und flog gegen die trancehafte Königin. Beide zusammen fielen in das Wasserportal und waren sofort verschwunden. Das abrupte Fehlen der hellen Strahlen der Königin tauchte die Grube erneut in einen suppigen Rauchnebel.
Für einen Moment waren alle orientierungslos.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:27

Niemand schien auf Anhieb zu wissen, ob sie sich jetzt angreifen sollten oder nicht. Rashar reagierte als erster.
"Minh, wir müssen die Kräfte umkehren. Jetzt ist die Gelegenheit", drängte er die Priesterin. Sie schluchzte und schüttelte den Kopf.
"Meine Juwelen sind leer...", wandte sie matt ein.
Abrupt brachen wieder Kämpfe aus, als einige der Hayllier nach Sions Anhänger stießen und den Moment der Übrraschung ausnutzten. Einer von ihnen hieb gar mit einer Schaufel mit der er zuvor noch gegraben hatte. Vielleicht hätten sie die anderen Soldaten überwältigen können, aber nicht zwei Schnitter. Es musste schnell gehen.
"Nimm von mir. Ich habe noch etwas", bot Rashar an.
"Rashar, nicht...", wandte Regensang kaum hörbar ein, doch der Kommandeur reagierte nicht darauf. Er lächelte sie nur milde an und berührte sie kurz an der Wange. Die Heilerin schluchzte auf.
Der Eyrier rief seine Juwelen herbei. Sie glimmten matt, schienen fast leer. Trotzdem fasste er Minh an der Hand und sie näherten sich vorsichtig der Stelle, wo vorhin noch Königin Magyarosa gestanden hatte.
Trotz des dichten beißenden Rauches bemerkten die Schnitter die Bewegung und stellten sich ihnen in den Weg.
"Wir verschaffen euch Zeit", brüllte Tiger und dann stürzte er sich mit einem Auffauchen den zwei tödlichen Wesen in den Weg. Zucker seufzte ehe er seinem Kameraden folgte, auch die anderen schlossen sich ihnen an. Jeder mit einem verzweifelten Kampfschrei. Sie konnten nur hoffen lange genug gegen die zwei Schnitter zu überleben, um Minh und Rashar die nötige Zeit zu erkaufen. Tiger sprang einen von ihnen auf den Rücken, riss mit langen Krallen an seiner Kehle. Der Schnitter schien es nichtmal richtig zu stören und er schwang einen Morgenstern nach dem Rest der 6. Kompanie.
Rosa wurde davon in der Seite erwischt und durch die Luft gewirbelt. Die Raejerin blieb zerschmettert liegen. Zucker konnte sich nur gerade so in Sicherheit bringen bevor ihn die martialische Waffe auch noch traf. Nur aus den Augenwinkeln nahm er war wie Rashar und Minh zwischen den zwei Toren standen und sich an den Händen hielten. Der Rauch um sie herum schien zu zucken und winzige Blitze zitterten durch ihn hindurch.
Zucker hieb mit dem Dolch nach einem Bein des zweiten Schnitters. Die Klinge blieb tatsächlich im Fleisch stecken. Aber er hatte nicht bedacht, dass dies den Schnitter genug ärgern würde, dass sein vermummtes Gesicht herumruckte und er Zucker geradewegs anstarrte.
"Ah, mist", fluchte Zucker. Der Untote erhob seinen Zweihänder und ließ ihn auf den Dhemlaner niederfahren. Zucker glaubte schon, dass es um ihn geschehen war, als drei Pfeile wuchtig in den Körper des Schnitters einfuhren und ihn taumeln ließen. Das mächtige Schwert verfehlte sein Ziel.
Im Dschungel um sie herum ertönten die Kampfesrufe und -gesänge der Raejer Rebellen. Verstärkung!

Zucker nutzte die Gelegenheit um sich in Sicherheit zu bringen. Den Dolch ließ er lieber da wo er war. Er nahm einem toten Hayllier ein Kurzschwert ab und kämpfte damit weiter. Mehr und mehr Pfeile regneten auf sie nieder. Hatte Zucker sich eben noch über die Verstärkung gefreut, schienen die Rebellen auf Nummer sicher gehen zu wollen und schossen auf alles was sich unter dem Rauch in der Grube bewegte.
Er musste hier raus. Zucker war nicht der einzige mit dem Gedanken. Zwei Soldaten Sions versuchten sich mit Räuberleiter gerade in Sicherheit zu bringen. Der erste hatte sich nach oben gezogen. Zucker rannte zu ihnen und anstatt sie anzugreifen, versuchte er es mit überwältigender Freundlichkeit.
"Helft mir hoch, Kameraden. Von oben haben wir einen besseren Überblick", sagte er und griff nach der ausgestreckten Hand des oben stehenden Dhemlaners. Dieser war so verdutzt, dass er ihn hochzog. Zuckers hayllische Uniform war so schlammverschmiert und abgerissen, dass man nicht mehr erkennen konnte, wozu er gehörte und noch dazu trug er dhemlanische Rangabzeichen.
Hilfsbereit wie er war, half Zucker auch dem zweiten Soldaten hoch, doch kurz bevor der Mann nach oben kam, erwischten ihn ein Pfeil im Rücken und er stürzte schreiend zurück in die Grube. Der Soldat neben ihm sah was seinem Kollegen zugestoßen war, schmiss seine Waffe hin und rannte in das Dunkel des Dschungels hinein. Zucker verspürte dem Drang es ihm gleichzutun, aber dann fiel sein Blick auf den schwarzen Strom, der aus dem ersten Tor schoss, zwei Gestalten in der Mitte einhüllte und dann durch das zweite Tor verschwand. Der Rauch glitt zurück zu dem großen Strom und schien davon abgesaugt zu werden.
Funktionierte es? War das Sions Kraft? Sie sah aus wie schwarzer Glibber, dachte Zucker befremdlich. Von hier oben konnte er sehen wie die Tore immer stärker leuchteten und der schwarze Fluss zwischen den Toren stetig anschwoll. Er berührte die kämpfenden Schnitter, die rasend schnell von schwarzen Äderchen durchzogen wurden ehe sie zu knöchernen verwesenden Gestalten zusammenbrachen.
Über ihnen fielen die Umrisse des rauchigen Drachens in sich zusammen. Ein markerschütterndes Brüllen ließ die Bäume erzittern und ging bis tief in die Knochen. Zucker sank ächzend auf die Knie. Für den Moment fühlte er sich komplett von dem Rauch angefüllt. Ein viel zu kleines Gefäß für viel zu viel Macht. Der Prinz fiel in den Abgrund, sein Juwel schien kurz vor dem Bersten. Dann rumorte es heftig in ihm drin und er musste würgen. Schwarzer Schleim verließ ihn in mehreren Schwallen. Die Tröpfchen wurden von dem Strom unten angezogen und flossen darauf zu.
Zucker keuchte heftig, fand sich zuckend auf dem Boden wieder. Er kämpfte darum aufzustehen. Ihm schwindelte.
Unvermittelt schob sich eine pelzige, blutige und krallenbewehrte Hand über den Grubenrand. Zucker glaubte schon, dass ein Dämon aus der Tiefe kam, um ihn zu erledigen, aber dann klärte sich sein Blick und er erkannte Tiger. Benommen half Zucker ihm und er bekam halb mit wie er noch anderen aus der Grube half, die sich immer mehr mit der schwarzen Masse füllte. Es schien viel zu viel, um alles durch das Tor zu passen. Die Torsteine bekamen Risse, das Licht drang durch diese Risse und nahm an Kraft zu.
Irgendjemand schrie, aber Zucker wusste nicht wer. Seine Ohren klingelten. Er sah Minh und Rashar nicht mehr in der Schwärze, aber der Strom schoss weiterhin in das zweite Tor. Hatten sie es geschafft?
Die Erde bebte und bäumte sich auf. Nicht nur der Rauch, auch alles andere wurde mittlerweile von dem Torstrom angezogen. Erdreich, kleine Steine, Blätter. Und Juwelenkraft. Zucker sah bunte Lichter in der Grube tanzen. Von den Leichen stieg ihre letzte Kraft hoch und glitt in eine dunkle Kugel zwischen den beiden Toren.
Erst als Zucker merkte wie auch an seinem Juwel gezogen wurde, taumelte er zurück. Jemand schubste ihn. Dumpf hörte er wie Tiger ihm etwas zu sagen versuchte. Sein spitzes Ohr war blutig und halb abgerissen.
Tiger rannte los und andere auch. Zucker folgte ihnen. Es war dunkel, aber der Regen hatte aufgehört. Dafür wurde der Dschungel zu einer tödlichen Falle. Alles im Umkreis wurde vom wässrigen Tor angezogen und nun krachten auch die ersten kleineren Bäume um, fielen in die Richtung. Zucker hatte Mühe auf den Beinen zu bleiben. Im Chaos verlor er die anderen schnell. Sein Kopf fühlte sich weiterhin dumpf an, die Ohren wollten keine Geräusche mehr durchlassen. Er griff sich an den Kopf und fühlte etwas klebriges. Wann hatte er sich gestoßen?
Seine Lungen ächzten, seine Seiten brannten. Nein, sein Körper wollte nicht weiter. Keinen Schritt. Aber er konnte nicht stehen bleiben. Dann war er verdammt.
Helles Licht kam von hinter ihm, doch er wagte nicht sich umzudrehen.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:28

"Oh scheiße! Oh verf....!" Er hätte nicht nach hinten sehen sollen. Scheiß Neugier! Zucker rannte überstürzt weiter, stolperte mehrmals dabei. Hinter ihm war ein gleißend leuchtender Ball, der längst über die Ausgrabungsstätte hinausgewachsen war und sich über den Dschungel erhob. Vielleicht waren es die Tore, die nicht länger mit so viel Kraft klarkamen, die durch sie hindurchschoss. Ein mächtiger Sog schien ihn immer noch nach hinten zu ziehen und verschlucken zu wollen. Er rannte wie durch Butter und der schlammige Boden, der sich unter ihm auflöste und davonflog, machte es nicht besser.
Er konnte nur daran denken hier weg zu müssen. Um jeden Preis. Ein Teil von ihm wunderte sich, dass er überhaupt noch lebte. Er versuchte gerade dem sicheren Tod zu entkommen. Äste flogen ihm entgegen, Palmblätter so groß wie er selbst, Gesteinsbrocken und das ein oder andere Getier. Es huschte so schnell an ihm vorbei und schlug ihm um die Ohren, dass Zucker vollends damit beschäftigt war nicht umgeworfen zu werden. Über dem Dschungel hörte er weiterhin ein dumpfes Brüllen. Manchmal konnte er zwischen den wankenden Baumwipfeln einen Drachen aus Rauch sehen, der sich hin und herwandt und in sich selbst zu implodieren schien. Zuckers Juwelen klirrten und ächzten.
Seine Brust tat so weh. Er hatte das Gefühl er hätte mit dem Schleim seine halbe Lunge ausgehustet. Er taumelte und wäre beinahe gefallen, bekam noch den Ast eines Baumes zu fassen. Verzweifelt klammerte er sich daran und rollte sich zu einem Ball, während um ihn herum der Dschungel explodierte. Blut quoll unter seinen Fingernägeln hervor während er sich festhielt. Immer mehr Finger glitten vom Ast.
"Ahhh!" Dann verlor er den Halt und wurde nach hinten gesogen. Er schlidderte über den Boden, über Steine und Äste und durch zähen Schlamm. Orientierungslos wurde er regelrecht durch den Dreck gezerrt bis der Sog abrupt aufhörte und krachend alles nach unten fiel. Zucker vernahm den Beginn eines anwachsenden Tösens und dann gaben seine Ohren endgültig auf und alles was blieb war ein dumpfes Brummen. Kurz darauf schleuderte ihn eine Druckwelle wieder nach vorne.
Oh, Dunkelheit, wann war das vorbei? Unsanft knallte er wieder auf den Boden auf, rollte einen Hang hinunter. Sein Fall wurde kurz von einem Stein gebremst gegen den er so stark prallte, dass er etwas in sich Knacken fühlte. Das konnte nicht gut sein. Im Körper sollte nichts knacken.
Er konnte nur einen kurzen Gedanken daran verschwenden, dann fiel er weiter. Um ihn herum rauschte das Grün, Farne, Unterholz, Blätter, er nahm alles mit. Blut strömte ihm über ein Auge. Er hörte weiterhin nichts und so bemerkte er den herabfallenden Baum erst als sich der Schatten über ihn senkte und er einen Lufthauch verspürte.

Dann Schmerzen. Nur noch Schmerzen und nichts anderes. Sein Fall war abrupt gebremst worden. Zucker konnte sich nicht mehr bewegen. Da wo seine Beine sein sollten, lag ein riesiger Baumstamm. Dem Prinzen schwindelte.
Es war also ein Baum. Er hätte es sich denken können. Hätte er sich mal vom Schnitter töten lassen oder wäre von dem schwarzen Strom erfasst worden. Wäre wesentlich heldenhafter gewesen als ein Baumstamm.
"Verfluchte Sch-"

Wasser in der Kehle ließen ihn abrupt husten und röcheln. Kurz darauf schoss dadurch scharfer, entsetzlicher Schmerz durch seine Brust. Zucker ächzte. Benommen versuchte er seine Augen zu öffnen, die mittlerweile von Blut verklebt waren. Nach ein paar Anläufen gelang es ihm. Verwirrt blinzelte er in dicke Regentropfen, die von oben runterprasselten. Die Nacht war einem fahlen Morgen gewichen.
Ohh.... scheiße, er war noch nicht tot, war sein nächster Gedanke. Ein langsamer Tod also. Hatte er das verdient?
Vielleicht war seine Lage doch nicht so schlimm. Zucker blickte nach unten. Er konnte seine Beine nicht mehr sehen. Da war nur ein fetter Baumstamm, der quer über ihm drüber lag. Seine Uniform war unten blutgetränkt und nass.
Nein, war genauso schlimm wie gedacht.
Zucker ließ den Kopf wieder nach hinten sinken und starrte nach oben, während alles in seinem Leib schmerzte. Seine Brust besonders. Die Beine spürte er nicht mehr. Vielleicht waren sie gar nicht mehr da.
Falscher Gedanke. Ganz falscher Gedanke.
Wie ein dichter Vorhang kam der Regen runter. Der umgestürzte Baum hatte eine Lücke in dem Baumkronendach hinterlassen und es zeigte sich ein grauer, heller Morgen. Nirgendwo mehr eine Spur von dem Drachen aus Rauch. Vielleicht hatten sies geschafft. Wenigstens das hatte Zucker noch gesehen. Jetzt konnte er sterben. Ergeben wartete er auf den Tod.

Als er das nächste Mal zu Bewusstsein kam, war der Morgen einem hellen Mittag gewichen und die Sonne brannte auf ihn runter. Moskitos schwirrten um ihn herum.
"Oh, verdammt nochmal", fluchte Zucker. "Was soll das denn jetzt?!" Seine eigene Stimme war ein dumpfes Echo in seinem Kopf. Durchs Rufen musste er wieder husten und jedes Teil in seiner Brust ächzte sofort. Gequält stöhnte der Prinz auf.
Vielleicht konnte er dem Tod nachhelfen. Wenn er mit den Händen gegen den Baumstamm drückte, würde er vielleicht von ihm runterrollen und er würde schnell ausbluten. Zucker legte seine Hände vorsichtig an den Stamm. Ein kräftiger Ruck reichte womöglich schon.
Na los.
Kleiner Schubs.
Auf drei.

"Ah, mist... du verdammter Feigling", krächzte er.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon Yadriël » Fr 21. Okt 2022, 19:28

Er dämmerte zwischen kurzen wachen Momenten und Bewusstlosigkeit hin und her. Bald war es sicher soweit...
Ihm war heiß und kalt zugleich. Zucker hatte sich größenteils damit abgefunden, dass er unter diesem Baumstamm sein Ende finden würde. Er musste an Kosta denken. Ach, der Kleine würde fix und fertig sein, wenn er davon erfuhr. Er nahm sich immer alles so zu Herzen. Dabei kannten sie sich nichtmal richtig. Wenigstens hatte Kosta seinen Brief und die Erinnerungsstücke von Phoebe.
Aber würde der Kleine jemals erfahren, was aus ihm geworden war? Falls man seine Leiche fand, würde er wahrscheinlich in irgendeinem Massengrab im Dschungel landen. Sein Name war in den tiefen Verzeichnissen der dhemlanischen Armee aufgezeichnet, doch wer guckte da jetzt noch rein? Und wer forschte die Herkunft eines halb zertrümmerten Körpers aus? Niemand. So sahs aus.
Zucker machte sich da keine Illusionen. Genausowenig wie Minh eine Statue bekommen würde. Ob die Priesterin auch irgendwo unter einem Baumstamm klemmte oder hatte sie Sions Kraft entzwei gerissen? Und Rashar...
Zucker schniefte. Ah, verdammt, er wurde noch ganz gefühlsduselig. Das musste das geringe Blut in seinem halben Körper sein. Oder die Hitze. Die Sonne brannte in sein Gesicht, das mittlerweile unangenehm ziepte und stach.
Konnte es sein, dass ihn ein Hitzschlag vorher erwischte? War er schon im Delirium? Zucker blinzelte in die grelle Sonne. Ein Äffchen saß einige Meter oben in den Ästen eines halb umgeknickten Baumes. Es schien nach seinen Artgenossen zu rufen, doch Zucker hörte nur dumpfe Laute.
"J-ja... lach du nur", krächzte Zucker. Dann musste er selbst lachen. Er hustete und spürte Blut im Mund. So weit war er also schon. Wurde auch Zeit. Der Prinz blieb ruhig liegen und wartete, dass der Tod ihn davontrug.

Aber es war nur eine weitere Bewusstlosigkeit und als er wieder aufwachte, war es erneut dunkel geworden.
"Das kann... doch nicht.. so schwer sein", murmelte er matt und leicht verärgert, das sein Körper sich so vehement weigerte aufzugeben. Während er so in der Finsternis lag, musste er erneut an das denken was er hinterließ. Nicht viel. Als Sklave geboren, als Sklave aufgewachsen und gelebt. Als Gefangener geschuftet. Und nun als Soldat gestorben. Es war die einzige Freiheit, die er gekannt hatte.
Aber was wurde aus dem Kleinen? Das ließ ihn irgendwie nicht los. So wie er Kosta kannte, würde der wieder nach Raej stürzen und den ganzen Dschungel durchkämmen wollen. Dabei kannte er sich hier nicht aus und er wusste nicht wieviel einem hier in der grünen Hölle ans Leder wollte.
Vielleicht konnte Zucker...
Er konzentrierte sich und versuchte auf sein Juwelengepäck zuzugreifen. Es ließ ihn schwitzen und schwindeln vor Anstrengung. Er verlor prompt das Bewusstsein.
Grün leuchtende Augen starrten ihn an, als er später zu sich kam. Ein dunkler Schatten schob sich langsam über den Baumstamm, große pelzige Pfoten landeten auf seiner Brust.
"He! He, hier lebt noch einer!", rief Zucker. Das Raubtier schien so verdutzt, das es mit einem Satz von ihm sprang und wieder im Unterholz verschwand. Zucker keuchte geschafft. Hatte schon irgendwas an seinen Füßen genagt? Er wusste es nicht.
Sterne leuchteten über ihm im Himmel.
Hatte er nicht etwas tun wollen? Ach ja...
Vorsichtig berührte er wieder sein Juwelengepäck. Er schnaufte und blinzelte, kämpfte gegen die Ohnmacht. Dann erschien auf seiner Brust der Ausweis.
Wenig später ein Stift.
Gut, gut.
Schwach hob er den Arm, griff zitternd nach dem Stift. Scheiße, war das schwer. Sein Arm sank entkräftet zurück. Komm, nochmal, feuerte er sich an.
Verschwommen betrachtete Zucker den Ausweis. Es hatte ein Bild von ihm, gezeichnet von Hyacinthos Tolarim persönlich, es hatte die Unterschrift und den Siegelwachs der Königin Timaris Tolarim. Und seinen Vornamen. Yadriël. Eine Zeile darunter wartete der Familiennamen darauf ausgefüllt zu werden.
Zucker hob wieder den Arm, versuchte das Zittern zu unterdrücken. Ein schwarzer Kleks tauchte neben der Zeile auf und in der Ecke wo er den Ausweis hielt ein blutiger Fingerabdruck. Dann schrieb er krakelig den Namen. Jeder Buchstabe war ein Kraftakt. Zucker stöhnte. Schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen und jeder Atemzug war fast genug ihn vor Schmerzen wieder ohnmächtig werden zu lassen.
Dann hatte er es geschafft.
Erenos.
Entkräftet rollte ihm der Stift aus der Hand. Der in einem Lederetui gefasste Ausweis blieb auf seiner Brust liegen.
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Re: Grüne Hölle

Beitragvon NSC » Fr 21. Okt 2022, 19:29

Loukas - Fara

Eine Springmaus sollte später noch an einer der Ecken des Ausweises nagen und über den bewusstlosen Körper huschen, während die Nacht langsam vorüber strich und es wieder Tag wurde. Das aufgeregte Bellen eines Hundes durchdrang des morgens den Dschungel, dann ein Blätterrascheln.
"Da drüben, Loukas", vernahm man eine Männerstimme. "Ich glaube, er hat eine Signatur gefunden."
Drei Männer und eine Frau kraxelten schnaufend den Hang hoch, einer der Männer trug einen hohen Rucksack, die anderen beiden hatten Stecken mit denen sie immer mal wieder im Erdreich stocherten oder große Blätter umdrehten. Die Frau hatte eine Umhängetasche mit weiß aufgesticktem Kreuz geschultert.
"Ja, jetzt spüre ich auch etwas", sagte einer der Männer und strich sich den Schweiß von der Stirn. Schwarze Korkenzieherlocken umrahmten sein braungebranntes Gesicht.
Der kurzhaarige graue Hund ging aufgeregt hinter einem Baumstamm hin und her, war über etwas gebeugt und schleckte es ab.
"Einer von unseren?", rief der Mann mit dem Rucksack, der hinten nach ging.
Loukas ging um den umgefallenen Baum herum. Ein Mann lag eingeklemmt darunter. Der Baum hatte seine Beine erwischt, wobei ein aus dem Hang ragender Felsbrocken den Stamm verkeilte und teilweise den Sturz abgefedert haben musste. Trotzdem sah es nicht gut aus.
"Schwer zu sagen. Er ist sehr mitgenommen", rief Loukas zurück. Getrocknetes Blut klebte an Kopf und Gesicht. Das Gesicht war sonnenverbrannt und von Moskitos zerstochen. Die Uniform blutverschmiert und zerrissen. Weiter als bis zum Unterleib konnte Loukas nicht sehen. Der Soldat zupfte etwas an der Uniform. "Ich glaube, das ist eine von unseren."
"Lebt er noch?", fragte die Heilerin, die inzwischen auch herumgekommen war. Sie kniete sich neben den Mann und streckte ihre Hände aus.
Der Hund bellte fröhlich und Loukas tätschelte ihm den Kopf, um ihn zu loben.
"Sieht nicht aus wie einer von uns", meinte Vassilis, der nachgekommen war. "Das sind die Gesichtszüge eines Dhemlaners. Erkenn ich von hier."
"Seine Haut ist ziemlich braun", spekulierte Loukas.
"Aber das sind die Rangstreifen von Dhemlanern. Hier. Guck doch." Vassilis deutete auf die Schulterstreifen.
"Das ist die Uniform des dritten Sturmtrupps von Hauptmann Petriades", sagte Myron, als er schnaufend hinter ihnen stehen geblieben war und den schweren Rucksack absetzte. "Das muss ein Landsmann sein."
"Könnt ihr mal alle still sein?! Ich muss mich konzentrieren", fauchte Lady Galanea sie alle drei an. Sie legte ihren Kopf sachte an die Brust des Mannes. Dabei schien sie irgendein Lederetui zu stören und sie schob es kurzerhand beiseite. Neugierig hob es Loukas auf.
Gespannt standen sie um den Mann herum und warteten auf das Urteil der Heilerin.
"Der Puls ist schwach, aber noch da."

"Wenn es ein Dhemlaner ist, markieren wir ihn auf der Karte und lassen ihn liegen", sagte Vassilis. "So sind die Anweisungen."
"Tote Dhemlaner. Lebende bekommen die nötige Grundversorgung", wandte Loukas ein.
"Was willst du da grundversorgen?" Myron gestikulierte zu dem Bewusstlosen.
"He, Leute, ich glaub, das ist doch ein Hayllier." Loukas hatte das Etui aufgeklappt. "Das ist ein hayllischer Ausweis."
Vassilis steckte gleich den Kopf mit rein. "Yadriël. Das ist aber ein dhemlanischer Name. Und die beiden Schriftarten sind total unterschiedlich. Sicher ne Fälschung."
"Erenos klingt hayllisch", steuerte Myron bei. Im Hintergrund seufzte die Heilerin.
"Aber es ist ein dhemlanischer Offizier!", beharrte Vassilis.
"Mit hayllischer Uniform?", entgegnete Myron. "Seine Hautfarbe ist die eines Haylliers."
"Er hat einen Sonnenbrand. Das ist alles. Wenn wir den jetzt versorgen, haben wir nicht genug Kraft für den nächsten echten Hayllier. Das kannst du dann den Familien erklären." Vassilis verschränkte die Arme vor der Brust.
"Timaris Tolarim...", murmelte Loukas und starrte auf die Unterschrift und das Siegel. "Das... das ist die Unterschrift der Königin persönlich. Und ihr Siegel!"
Vassilis und Myron rissen ihm förmlich den Ausweis aus den Händen. Ihre Augen wurden groß.
"Kann nicht sein!"
"So etwas kann man nicht fälschen", wandte Myron an. "Er kennt die Königin höchstpersönlich. Er muss wichtig sein!"
"Gehören die Erenos nicht zu Haylls Hundert?", überlegte Loukas.
"Ich glaube...", begann Myron überlegend. "Ein Adeliger des ersten Kreises bestimmt!"
Lady Galanea sah sie ungeduldig an. "Habt ihr euch jetzt endlich entschieden? Kann ich ihm helfen oder nicht?"
"Helfen! Helfen", riefen sie alle drei zusammen und der Hund bellte zustimmend.
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