Ein langer Weg
von Eneas » So 9. Okt 2022, 11:09
Lächelnd sah Eneas nach wie Kosta den schlafenden Tileo auf den Arm gehoben hatte und ihn dann am Ende der Feier, spät in der Nacht, in sein Zimmer brachte. Kein Wunder, dass der Junge eingeschlafen war. Es war so viel aufregendes und schönes für ihn passiert heute. Es waren noch weit mehr zur Feier gekommen, als erwartet, aber sie hatten alle gut versorgt und es war ein richtig fröhlicher Abend geworden. Eneas hatte sein bestes gegeben, dass Tileo sich trotz der vielen Verabschiedungen gut amüsierte und sich wohl fühlte. Öfter hatte er den Jungen trotzdem zum Orangenbaum im Garten gehen sehen, wo Kosta die ganze Zeit über saß. Abseits des Trubels aber doch dabei. Es war eine gute Lösung. Tileo konnte dort auch etwas Ruhe finden und sich, wie Eneas vermutete, auch etwas trösten lassen wenn ihm der Abschied zu sehr zu Herzen ging. Der Junge brachte ihm auch öfter etwas zu essen und zu trinken. Eneas dagegen hielt sich fern. Er wollte Kosta nicht belasten. Dann war auch Eneas schnell wieder abgelenkt, als er zusammen mit Noyan lustige Tanzmusik spielte und die Gäste sich kräftig amüsierten.
Noch bis spät in die Nacht wurde getanzt, gelacht und erzählt. Die Sterne über ihnen, während bunter Lampion- und Kerzenschein den Garten in ein fröhliches Lichtermeer tauchten. Am Ende war auch Eneas recht müde, aber bevor er ins Bett wanken konnte, brachten Ulysses, Olintes, Farell und er Tileos Geschenke zum Boot hinunter. Im Dorf war es still geworden, abgesehen von den zirpenden Grillen und ein paar umherflatternden Fledermäusen über den Wiesen.
"Ihr drei also auf großer Segelfahrt", brach Olintes das Schweigen. Eneas nickte, balancierte drei Schachteln und Tileos neue Angel.
"Auf nem winzig kleinen Boot", steuerte Farell nach einer Pause bei.
"Tja.." Eneas lächelte verkniffen. "Wird schon schief gehen."
"Lasst es Tileo nicht mitbekommen", empfahl Ulysses.
"Nein, das werden wir nicht", bestätigte Eneas. Er glaubte auch, dass Kosta sich für den Jungen zusammenreißen würde. Sie konnten ihre Probleme ein ander Mal klären. Dennoch hoffte Eneas insgeheim, dass sie die Reise wieder etwas näher zusammenbringen würde. Nur sie beide. Es war lange her, wo sie nur zu zweit, oder nun mit Tileo zusammen, gewesen waren.
Sie gelangten zum kleinen Segelboot. Es hatte nur einen Mast mit zwei kleinen Segeln vorne und hinten. Die Piraten gingen unter Deck, wo es sehr klein und gemütlich war. Gerade einmal zwei Kojen gab es, eine Kochnische und einen Aufenthaltsraum, sowie ein Bad. Dann war da noch der Lagerraum. Hier verstauten sie nun Tileos zusätzliche Geschenke, ein paar Sachen nahm Eneas auch in sein Juwelengepäck auf, da der Lagerraum schon mit Waren gefüllt war.
"Und, wie sieht der Plan aus?", fragte Ulysses, während er mit Lederriemen nochmal alles festzurrte.
"Direkt an die Küste Haylls, nach Kolyvos", erklärte Eneas. Es war ein kleines Fischerdörfchen, versteckt zwischen einigen Klippen und deshalb ebenfalls ideal als Umschlagplatz für Schmuggler. Die Piraten hatten dort gute Freunde. "Dort liefern wir alles ab und bleiben vielleicht für ein, zwei Tage ehe wir über Land weiterreisen. Eventuell können wir die Winde benutzen, aber das hängt davon ab wie gut die Knotenpunkte kontrolliert werden. Wenn dort sehr viel Verkehr ist... möchte ich Kosta dies lieber nicht zumuten." Eneas hatte ihm gesagt, es wäre wegen Tileo, doch er befürchtete, dass Soldaten, egal welcher Uniform, ein wunder Punkt für Kosta sein könnten.
"Wisst ihr wie lange ihr weg sein werdet?", fragte Olintes, als sie wieder nach oben gingen. Eneas schüttelte den Kopf.
"Schwer zu sagen... wartet nicht auf uns." Er lächelte als er die besorgten Blicke seiner ältesten Freunde sah. "Es wird schon alles gut werden."
"Pass auf, dass er nicht wieder an die Front rennt..", befürchtete Farell leise. Eneas sah melancholisch drein.
"Nein, ich glaube, das wird er nicht mehr tun... aber es wird lange brauchen bis der Krieg auch seinen Kopf verlässt."
Die anderen drei nickten nachdenklich und so gingen sie zurück zum Gemeinschaftshaus.
Zum Glück mussten sie nicht auch noch die Feier aufräumen. Maria hatte versprochen dafür einige Leute zusammenzutrommeln. So konnten sie ganz früh morgens aufbrechen. Entsprechend kurz fiel Eneas' Schlaf aus. Er nahm einen Kaffee zu sich und weckte Tileo, der ebenfalls noch sehr verschlafen war.
"Du kannst auf dem Boot noch etwas weiterschlafen und dann frühstücken wir später", beruhigte Eneas ihn. Kosta war ebenfalls bereits auf. Packen mussten sie nichts mehr und so konnten sie in aller Frühe hinunter zum Hafen. Alles war noch ruhig, die Vögel hatten gerade angefangen zu zwitschern. Es ging ein guter Wind. Estella, mit Arion auf dem Arm, und Pandora begleiteten sie. Als Eneas Tileo aufgeweckt hatte, war auch Arion wach geworden und hatte sie unbedingt begleiten wollen.
Nun kam Tileo dann doch nicht um diesen letzten Abschied herum. Arion umarmte ihn und verabschiedete sich mit 'Bis bald'. Auch Estella drückte ihn und dann Pandora. Zunächst sah es so aus, als gäbe es nur eine kurze Umarmung, aber da beugte sich das Mädchen vor und gab Tileo ein Küsschen auf die Wange.
Spätestens jetzt war der Junge definitiv wach.
"Wir sollten den guten Wind nutzen", sagte Eneas, da Tileo für einen Moment die Worte fehlten. Eneas verabschiedete sich von Estella und seiner Nichte und Neffe. Dann gingen sie an Bord und José, der ebenfalls früh für sie aufgestanden war, um zu sehen wie sie - und sein Boot - aufbrachen, löste am Hafen die Leinen, damit sie langsam aus dem Hafen steuern konnten. Die kleine Gruppe am Hafen winkte ihnen zu.