Re: Geschenk für Goldauge
von Eneas » Fr 19. Aug 2022, 20:40
Timaris machte einen anderen Vorschlag. Sie würde mit Leto sprechen, während Eneas sein Schiff und seine Mannschaft holen würde. Solange könnten auch Maria und Amancio alle Informationen sichten. Timaris wollte mit Leto reden? Nein, das konnte nicht gut enden. Bisher hatte der Krieger tunlichst vermieden, dass Timaris auch nur Bekanntschaft mit Eneas' anderen Freundinnen machte. Selbst als Timaris auf die 'E' gekommen war, um mit Eneas über Kosta zu sprechen, hatte sich Leto ferngehalten.
"Das ist ein großzügiges Angebot, danke. Aber... das muss ich selber machen", entgegnete Eneas entschlossen. "Ich will ihre Hilfe, ich muss sie darum bitten." Auch wenn es alles andere als leicht wurde. Der Krieger wusste nicht, ob er Timaris überzeugt hatte, aber sie widersprach ihm momentan auch nicht. Besorgt beobachtete Eneas sie, als die Königin heftig hustete. Ihr ganzer schlanker Körper schien sich darunter zu schütteln und er sah auch das Blut, das sie rasch fortwischte. Sie durfte nicht sterben. Er hielt ihre Hand umso fester, wollte irgendetwas für sie tun.
Timaris gab ihm noch mehr Ratschläge, sagte, der Haushofmeister sollte die Mannschaft lieber nicht genau sehen. Das war Eneas' geringste Sorge, doch er nickte nur stimm. Die kurze Berührung über seine Wange war bittersüß, ebenso wie der darauffolgende Kuss auf die Stirn. Sie sollte jetzt bloß nix von Lebewohl sagen. Das würde er nicht ertragen.
"Wir sehen uns bald wieder", sagte er stattdessen. Hoffentlich mit Kosta und mit dem Gegenmittel. Meinetwegen auch mit einem schlummernden Prinz Asar im Schlepptau. Sie verabschiedeten sich und nachdem Eneas noch mit Maria und Amancio gesprochen hatte, brach er schweren Herzens auf zu einem Anwesen der Familie Ereta.
Der Pirat betrat das große Anwesen der Eretas. Es war auf einem kleinen Hügel außerhalb von Draega errichtet, von schattigen Zypressen bewachden. Es stand dem Prunk im Königinpalast in nichts nach. Vermutlich trauerten die Eretas immer noch dem nach, hatten sie doch einmal über Hayll regiert. Vor Timaris. Der Prinz hatte keine feine Nobelkleidung angezogen, das Schreiben von Timaris war genug, dass sie ihn vorließen. Stattdessen trug der Krieger schwarze Kleidung, auf Brust und Rücken eine Lederrüstung. Am Gürtel steckte sein Säbel. Er sah aus als wäre er gerüstet für den Krieg. Er fühlte sich auch so als würde er ein Schlachtfeld betreten.
Bevor er überhaupt weiter als die prachtvolle Eingangshalle kam, verlangten die Wachen, dass er seine Waffen abgab. Eneas schnaubte leicht, folgte dann aber der Anweisung. Neben dem Säbel folgten noch Wurfmesser, zwei Dolche und drei Rauchbomben. Die Wächter blickten ihn skeptisch an.
"Meine Berufsausrüstung", erklärte Eneas. Einer der Wächter machte eine auffordernde Geste mit der Hand. Er sollte noch mehr rausrücken. Der Krieger verdrehte die Augen, drückte dann doch seinen Schlagring dem Wächter in die Hand. "Passt mir gut darauf auf."
Diener führten ihn in einen Salon, wo ihn ausgerechnet Letos Mutter erwartete. Sie fuhr vom Sessel auf. "Du! Was willst du hier? Du bist hier nicht erwünscht!" Bebend deutete sie mit spitzem Finger auf ihn.
Eneas hielt das Schreiben hoch. "Das hier besagt etwas anderes. Ich will nur mit Leto reden", beteuerte er.
"Meine Tochter will dich nicht sehen!", entgegnete Lady Ereta schrill.
"Ich denke... eure Tochter kann für sich selbst sprechen. Wo ist sie?", fragte Eneas.
"Nein, verlasse augenblicklich meinen Grund und Boden! Du hast ihr das Herz gebrochen. Du machst das nicht noch einmal. Wachen!" Die Adelige winkte nach ihren Wächtern. "Werft diesen... Schuft hinaus!"
Eneas hatte mit so etwas schon gerechnet. Er hatte nur wenigstens versuchen müssen zu Letos Eltern nett zu sein. Bevor ihn einer der Wachen ergriff, wich der Krieger gewandt aus, hechtete aus dem Salon. Hinter sich errichtete er einen kleinen Schild zwischen dem Türrahmen. Nicht sehr hoch, nur eine feste Linie aus Kunst. Über die die Wachen in ihrer Eile auch gleich stolperten. Man hörte scheppernde Rüstungen und Gefluche. Der Pirat rannte schnell weiter, in einen Seitengang, durch einen weiteren Salon, ein Gang weiter. Er war schon einmal hier gewesen, versuchte sich den Aufbau des verwinkelten Palastes in Erinnerung zu rufen. Letos Zimmer war im ersten Stock. So suchte Eneas eine der Treppen, sprintete die Stufen hoch, hinter ihm die Wachen, die langsam aufholten. Der Krieger stieß einen Diener mit einem Stapel Bettwäsche beiseite, riss einen Servierwagen um, alles um vor den Wächtern bei Letos Zimmertüre anzugelangen.
Keine Zeit zu klopfen. Er riss die Türe hastig auf, hechtete ins Zimmer und presste danach die Türe zu, lehnte sich dagegen, das wilde Klopfen und Rufen der Wachen ignorierend. Laut keuchend blickte er zu Leto. Über die Aufregung und die Verfolgungsjagd hatte Eneas die große Nervosität und Unsicherheit vergessen können wie es sein würde das erste Mal seit ihrer Trennung ihr wieder gegenüber zu stehen. Ihre Trennung war noch so frisch und die Gefühle nicht unbedingt verschwunden. Ein Teil von ihm liebte sie immer noch, vermisste sie. Es waren verwirrende, widersprüchliche Gefühle.Seine ehemalige Gefährtin hatte bei einem Schminktisch gestanden. Sie trug ein edles, kostbares Kleid mit rosa Pastelltönen, hatte die Haare hochgesteckt. Sie waren immer noch blond gefärbt, aber ihre Augen hatten wieder den goldenen, hayllischen Ton.
Das Kleid irritierte Eneas mehr. Er hatte Leto selten prachtvolle Gewänder tragen sehen. Manchmal, wenn sie die Anlage eines Adeligen infiltriert hatten. Es hatte meist wie eine Verkleidung gewirkt. Leto hatte sich nie so recht der Welt der Adeligen zugehörig gefühlt. Aber hier war sie, wieder bei ihren Eltern, dieses Kleid tragend.
Leto blickte ihn an, ihre Lippe zitterte. Die Augen waren dunkel geschminkt. "Du hast Nerven hier aufzutauchen", sagte sie mit zurückgehaltenem Zorn. Eneas hielt die Türe fest. Nicht mehr lange und die Wachen würden sie aufbrechen.
"Es tut mir leid... ich wollte dich in Ruhe lassen", versicherte er. "Aber ich musste dich sehen."
Die Priesterin und Heilerin blickte ihn abwartend an, in ihren goldenen Augen eine unausgesprochene Frage. Eneas atmete tief durch. Er hatte das Gefühl, er würde gerade von einer Klippe springen.
"Es geht um Kosta", sagte er schließlich.
Der mühsam zurückgehaltene Zorn Letos entlud sich explosionsartig. Mit wutverzerrtem Gesicht sah sie ihn entgeistert an. "Willst du mich verarschen?!", schrie sie ungläubig, griff nach einer Pappbox auf ihrem Schminktisch, gefüllt mit Taschentüchern. Kraftvoll warf sie die Box nach Eneas, der, da er immer noch die Türe hielt, nicht wirklich ausweichen kann. "Du Arsch! Mistkerl!", beschimpfte ihn Leto und bewarf ihn mit noch mehr Gegenstände, eine Haarbürste, einen Klappspiegel.
"Au, Leto, warte doch, ich brauche deine Hilfe", versuchte Eneas zu erklären und gleichzeitig zu ducken, um einer besonders schwer aussehenden Schmuckbox auszuweichen.
"Du glaubst, ich helf dir mit Kosta??!", kreischte Leto und klang in dem Moment verdächtig wie ihre Mutter. Sie fand noch mehr Wurfgeschosse. "Du bist der verblendeste -", sie warf eine Seifenschale, "egoistischste-", einen Parfümflakon, "rücksichtsloseste-", eine Puderdose flog auf Eneas zu. Er konnte die Türe nicht mehr halten, stolperte nach vorne. Die verdutzten Wachen purzelten in den Raum, der vorderste bekam die Puderdose mitten ins Gesicht und erhielt eine unfreiwillige weiße Maske.
"Leto, er ist vielleicht in den Händen von Zorya Earcir!", rief Eneas, hielt noch die Arme schützend über seinen Kopf im Falle weiterer Attacken.
Es kamen keine weiteren Wurfgeschosse. "Lasst uns allein", sagte Leto bloß und die Wachen zogen sich grummelnd und nach ein paar Einwänden zurück. Eneas rappelte sich langsam wieder auf. Er begann ihr alles zu erklären. Vieles wusste Leto ja schon, nicht aber dass Kosta zurück nach Raej war und dort dann zusammen mit dem Haushofmeister Zorya treffen wollte, um das Gegenmittel zu erhalten.
"Er schwebt in Lebensgefahr. Bitte, Leto... ich habe keine Zeit eine Priesterin zu finden, die die Tore in den Meeren öffnen kann..", appellierte er an sie. "Ich wollte dich nicht belästigen, aber ich weiß mir keine andere Lösung."
Die Priesterin presste die Lippen zusammen, saß auf dem gepolsterten Hocker vor ihrem Schminktisch. "Das hättest du dir vorher überlegen müssen... bevor du mich des Schiffes verwiesen hast."
Eneas sah sie ungläubig an. "Du bist freiwillig gegangen. Du kannst immer noch Teil der Mannschaft sein-", setzte er an. Wütend sprang Leto wieder auf.
"Du hast mir keine Wahl gelassen!", warf sie ihm verletzt vor. "Kapierst du das nicht? Ich ertrag es nicht in deiner Nähe zu sein! Es tut mir leid mit Kosta, aber es ist dein Problem. Es ist nicht mehr meines. Ich bin nicht mehr deine Freundin und ich bin auch keine Piratin mehr." Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
"Was redest du da? Du glaubst das doch selbst nicht. Du willst doch auch nicht, dass Kosta etwas passiert. Und du wirst immer eine Piratin sein", er deutete mit einer Geste auf ihre Aufmachung. "Wieso bist du ausgerechnet zurück zu deinen Eltern? Das alles bist nicht du. Du hast es hier immer gehasst."
"Hör auf! Du bestimmt nicht mehr länger darüber wie ich mein Leben führe. Ich wollte zurück zu meinen Eltern, das war mein Entschluss. Und du solltest jetzt besser gehen."
"Leto..." Eneas versuchte es mit Beteuerungen und Versprechungen, aber er fand bei ihr einfach kein Gehör. Sie stritten sich weiter bis Leto am Ende ihrer Kräfte mit Zornestränen in den Augen nach den Wachen rief und Eneas es für sicherer befand zu gehen. Er hatte gewusst, dass das Gespräch schwer werden würde, doch er war überrascht, dass sie Kosta trotz allem nicht helfen wollte. Eneas würde sein Schiff holen gehen und danach noch einmal nach Draega zurückkehren, um es ein zweites Mal zu versuchen. Ansonsten musste er eine unerfahrene Priesterin mitnehmen und hoffen es würde ihr gelingen...