Re: Liebe und doch nicht genug
von Ulysses » Fr 12. Aug 2022, 18:36
"Das dauert viel zu lange", murrte Olintes, als ein Großteil der Mannschaft in einer Draeger Kneipe hockten. Jeder hatte einen Krug Bier vor sich, doch abgesehen von Solomon hatte es keiner weiter zum nächsten Krug geschafft. Sie saßen bloß angespannt da, versuchten sich zu beschäftigen, obwohl sie im Grunde bloß warteten. Bloß Vissarion schnitzte gelangweilt Muster in das Tischbein vor ihm.
"Das kann ein gutes Zeichen sein", beteuerte Maria, die fest daran glaubte, dass Eneas und Kosta sich wieder versöhnen würden. Vielleicht gar zusammenkommen würden. Ulysses Hoffnung war nicht sehr hoch. Er hatte Kosta heute abend erlebt und dass er mit den Rosen zurückkam, das war in seinen Augen kein gutes Zeichen.
Irgendwann kam Noyan in die Taverne, blickte in die eher schweigsame Runde. "Ihr seid ja immer noch hier", bemerkte der Prinz mit der bronzefarbenen Haut und den goldenen Augen. "Ich wollte zurück aufs Schiff. Ich hab nen Schnuckel, der draußen auf mich wartet." Er deutete grinsend hinter sich.
"Du kannst jetzt nicht dorthin", sagte Olintes sofort. "Das verdirbt alles. Die zwei reden gerade miteinander."
Noyan stützte sich mit einer Hand auf der Tischplatte ab, griff nach Olintes Bier und nahm einen Schluck daraus. "Wenn ich nicht die vielen Seeschlachten mit euch erlebt hätte, würde ich glauben, ihr wäret eine Gruppe hysterischer Weiber. Ich geh jetzt an Bord. Das Drama ist mir egal. Ist doch immer das Gleiche."
Ulysses wollte Olintes noch abhalten, doch der war sofort aufgesprungen, riss Noyan den Krug so forsch aus der Hand, dass der halbe Inhalt auf dem Boden und Noyan landete. "Das wirst du nicht", zischte Olintes. "Die beiden haben dir schon tausendmal den Arsch gerettet. Und wenn die zwei gerade die hundert schnulzigsten Romanzen der Weltgeschichte nachspielen, das kann dir schnurzegal sein. Setz dich, warte mit uns." Er beäugte den Matrosen scharf.
Noyan zögerte kurz, machte sich von Olintes los. "Ne, ich komm morgen früh wieder. Was sitzt ihr hier und wartet? Habt ihr nichts bessres zu tun?"
Da musste sich Ulysses nun doch einmal zu Wort melden. "Wir warten darauf wie es ausgeht. Und wenn Kosta nicht auf dem Schiff bleibt, werden sie Trost brauchen", erklärte er. Noyan machte einen Schritt zurück.
"Ich kann denen eh nich helfen", erwiderte er und ging wieder nach draußen. Olintes sah ihm kopfschüttelnd hinterher, setzte sich.
Sie saßen nicht mehr lange da, als Farell ihnen von draußen sandte, dass Kosta das Schiff verlassen würde. Mit diesem fremden Prinzen. Ulysses seufzte, leerte sein Bier und legte einige Goldmark hin. Er hoffte für die zwei, dass das Gespräch trotzdem gut verlaufen war. Dass irgendetwas positives herausgekommen war.
Die Mannschaft erhob sich, Stühle wurden gerückt. Da erhielt Ulysses plötzlich einen Speerfaden von Kosta. Das kam völlig unerwartet. Er sandte ihm, dass sie wieder an Bord konnten. Und sie sollten es schnell tun.
Oh nein... nein, das klang überhaupt nicht gut.
Mit schnellen Schritten eilte Ulysses aus der Hafenkneipe. Was hatte Kosta nur getan? Der Speerfaden hatte gefasst geklungen, auch etwas aufgewühlt, doch hauptsächlich gefasst. Es hatte so geklungen, als würde Kosta wollen, dass sie schnell zu Eneas gelangten, um ihn zu trösten. Ulysses überlegte, ob er Kosta zurücksenden sollte, doch er wusste nicht was.
So rannte der Hayllier nur vornean über den Kai und in Richtung ihrer Anlegestelle. Farell wartete am Steg auf sie. Sie drängelten am Steg, rannten hinein zum Waffendeck, wo die Ladeluke war. Auf dem gleichen Deck war auch die Kapitänskajüte. Es war ein gerader Gang dorthin. Am Ende stand die Türe offen und dort, genau im Blickfeld, kniete Eneas auf dem Boden und weinte sehr laut. Um ihn herum lagen verstreut die Reste des Rosenstrauches. Der Anblick ging dem Krieger bis ins Mark.
Ulysses schmerzte es seinen alten Freund so zu sehen. Das hatte er ihm nicht gewünscht. Sie hatten alle gehofft, dass die Trennung von Leto und Eneas' offenes Bekenntnis ein lange nötiger, richtiger Schritt wäre und es nun endlich voran ging. Dass es zu diesem Ende kommen würde, damit hatte niemand gerechnet.
Ulysses eilte auf Eneas zu, kniete sich neben ihm. Sein Gesicht war ganz rot, verheult und schwarze Strähnen hingen ihm ins Gesicht. Tröstend versuchte ihn Ulysses zu umarmen, doch Eneas ließ einfach die Rosen in seinen Händen nicht los. Etwas Blut tropfte unten aus der Handmulde heraus.
"Ach, Eneas... was ist denn passiert?", fragte Ulysses.
Es dauerte länger bis sie aus Eneas' Schluchzen Worte ausmachen konnte. "E-er ha-t gesagt... meine Liebe ist schwahach... und.. zu spät... es zählt nicht... nicht für ihn... weil ichs nicht sehelbst.. ge-gefunden haaab. Es.. reicht ihm nicht... zu.. schwach...", brachte er mit erstickter Stimme fort.
"Dieser Arsch", stieß Olintes wütend hervor, der mit den anderen bei der Türe stand. Bloß Maria hatte sich auch hingekniet und umarmte Eneas von der anderen Seite her. Es half nicht viel, dass Eneas sich beruhigte.
"Olintes, das hilft doch jetzt auch nicht", beschwichtigte Farell.
Olintes trat gegen die Wand. "Dem werd ich die Meinung sagen! Liebe zu schwach, der hat doch ne Vollmeise! Jeder Blinde sieht-", wetterte er zornig. Amancio fasste ihn an der Schulter.
"Das bringt nichts", stimmte er Farell zu.
"Er hat es sicher nicht so gemeint", versuchte Maria Eneas zu trösten. "Er ist so ein lieber Kerl. Er war nur wütend, er hat es nicht so gemeint." Es half nicht viel.
"I-ich haab... alles falsch... gemacht... b-bei der Entführung... da hätt ich nihicht... ablehnen.... ich konnte.. nicht... er hahat gesagt... es wird nichts.. aus... uns", schluchzte Eneas, während Ulysses versuchte ihm vorsichtig die Rosen abzunehmen, doch dann fing sein Freund bloß noch heftiger an zu weinen. Sie wussten alle nicht was sie tun sollten, starrten bloß ratlos auf dieses Bündel Elend.
"Wir sollten ablegen. Jetzt noch", schlug Rachel ein weiteres Mal vor.
"Sie hat Recht. Den einen haben wir schon entführt, wieso den anderen nicht auch noch?", stimmte Farell zu. "Wir kommen wieder wenn die Wogen sich geglättet haben."
Olintes schüttelte den Kopf. "Nicht bevor ich Kosta nicht den Kopf zurechtgerückt hab! Der kann was erleben! Wut hin oder her, aber das hier war eindeutig nicht die beste Methode jemanden zurückzuweisen. Er hat ihm absichtlich weh getan!" Der Krieger stampfte hin und her. Farell redete rasch auf ihn ein und dass Kosta jetzt sowieso nicht zuhören würde.
"Ihm gehts sicher auch schlecht. Die zwei sind immer noch beste Freunde", argumentierte er.
Ulysses streichelte Eneas Rücken, während die Mannschaft um ihn herum heftig diskutierte was nun getan werden sollte. Da kam plötzlich Noyan den Gang runter, im Arm einen braungebrannten jungen Kerl.
"Es wird nich besser dadurch, dass ihr ihn angafft", sagte er trocken.
"Er hat Recht", sagte Ulysses rasch bevor Olintes wieder aufbrausen konnte. "Es ist schon spät, ruht euch aus oder fangt an das Schiff für morgen startklar zu machen. Solomon, setzt du eine Kanne Baldriantee auf? Ich denke, die könnten wir gebrauchen." Denn Eneas hatte sich längst nicht beruhigt. Wenigstens zogen sich nun nach und nach alle zurück bis nur noch Ulysses und Maria bei Eneas knieten.
Maria seufzte kummervoll. *Leto könnte ihn immer gut beruhigen...*, sandte sie Ulysses.
*Vielleicht war es ein Fehler, dass sie sich getrennt haben*, überlegte Ulysses. Sachte versuchte er Eneas' Finger zu öffnen. "Wir finden eine Vase für die Blumen, ja? Lass los..."
"Nein! Nein, ich... ich kann nicht... es.. tut zu weh...", schluchzte Eneas. Tränen rannen ihm über die Wangen. Ob die Rosen ein Symbol für etwas waren? Dafür Kosta aufzugeben?
"Doch, du kannst. Es ist nur für eine Weile. Wir passen gut auf die Rosen auf", beruhigte Ulysses ihn. "Maria kann deine Hände heilen und du kannst dich etwas hinlegen."
"Nein, keine Heilung! Nein... nein... nein", stieß der Krieger hervor, begann heftiger zu weinen und fast zu schreien vor Schmerz. Sie konnten nicht viel tun außer ihn festzuhalten.
*Glaubst du, es wird so schlimm wie nach Timaris?*, fragte Maria. Ulysses wusste es nicht. Dort war Kosta auch da gewesen und hatte Eneas aufgefangen. Selbst mit Kosta war es schwer gewesen und Eneas hatte sich oft selbst verletzt, um den inneren Schmerzen Herr zu werden.
*Wir können ihn nicht alleine lassen*, sandte Ulysses besorgt zurück.
Es war spät in der Nacht bis die Tränen versiegten, schlichtweg weil keine mehr da waren. Immer mal wieder war die Mannschaft vorbei gekommen, hatte sehen wollen, ob es eine Besserung gab, doch es hatte sich nichts verändert. Ulysses Knie schmerzten vom vielen Sitzen auf dem harten Boden. Er war müde vom langen Tag, doch Eneas im Stich lassen kam nicht in Frage. Maria hatte auch geweint und ihm selbst waren die Tränen in die Augen gestiegen. Es war alles sehr emotional.
Sie schafften es erst Eneas von den Rosen zu lösen, als sie ihm warnten, dass sie ohne Wasser bald vertrocknen könnten. Obgleich Eneas sie reichlich mit seinen Tränen getränkt hatte. Farell hatte eine Vase organisiert, sie am Schreibtisch befestigt und festgebunden, dass auch kein Seegang sie umschmeißen würde. Maria konnte endlich Eneas Hände verbinden, danach halfen sie ihm auf, brachten ihn zum Bett.
Ulysses war inzwischen bleiern müde. Olintes bot an über Eneas zu wachen, damit Ulysses etwas Schlaf bekam. Nur äußerst ungern verließ der Krieger die Kajüte, aber er spürte, dass ihn seine eigenen Kräfte verließen. Die letzten drei Tage waren unglaublich turbulent gewesen und sie alle hatten nicht viel Schlaf bekommen. So dauerte es nicht lange bis Ulysses einschlief und erst wieder aufwachte, als Amancio ihn vormittags weckte.
Über Nacht hatte es angefangen zu regnen, die 'E' schaukelte auf dem stärkeren Wellengang. Wasser klatschte immer wieder backbord gegen den Rumpf. Fragend sah er Amancio an.
"Keine gute Nachrichten", sagte der gertenschlanke Krieger. "Damien ist zurück. Dafür ist Olintes weg."
Ulysses rieb sich den Schlaf aus den Augen. "Weg? Wohin?" Er wusste es noch ehe er zuende gefragt hatte. Dieser dumme Heißsporn. "Er ist Richtung Palast los oder?"
Amancio nickte. "Farell ist ihm schon nach."