Re: Ungewisse Rückreise
von Eneas » So 2. Okt 2022, 14:08
Eneas wusste nicht, ob er das richtige getan hatte, Zucker Kosta hinterher zu schicken und er war sehr versucht heimlich nachzusehen, was die beiden taten. Er beherrschte sich im letzten Moment. Was für ein Heuchler wäre er da, wo er Kosta doch seinen Freiraum lassen wollte? Aber der Gedanke, dass die beiden sich wieder näherten und sich Kosta weiter in Zucker verliebte, machte ihn rasend.
Der Krieger wollte sich seinen Bierkrug auffüllen, als Ulysses die Hand darüber hielt.
"Meinst du, es ist eine gute Idee, dich heute zu betrinken?", fragte er. Eneas blickte ihn mürrisch an.
"Trinken, nicht betrinken", erklärte er. Ulysses nahm trotzdem nicht seine Hand fort.
"Dein Blick besagt letzteres", beharrte sein alter Freund. Eneas seufzte und stellte die Karaffe beiseite. Das war der Nachteil, wenn man sich schon so lange kannte. Ulysses schien sofort erraten zu haben, was Eneas vorhatte. "Heute ist ein guter Tag gewesen", sagte Ulysses und der Kapitän konnte ihm nur beipflichten. Es war ein guter Tag gewesen. Selbst Kosta war herausgekommen, um mit ihnen zu kämpfen. So wie in alten Tagen. Es sollte Eneas genügen. Er wollte viel zu viel und viel zu schnell. Er wünschte nur, er könnte Kosta wieder glücklich machen und ihm all seine Schmerzen nehmen. Aber so einfach ging das nicht mehr. Es war nicht mehr wie früher in Mineva. Die Welt war komplizierter geworden.
"Es wird wieder besser", sagte Ulysses, weil Eneas immer noch schwieg.
"Ich wünschte, er hätte all das schreckliche nicht erleben müssen. Wir haben uns gestritten.. und ich war nicht da, um an seiner Seite zu sein.. wenn wir nicht diese Aussprache gehabt hätten, vielleicht..", Eneas ließ den Satz fallen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.
Er sah Mario und Leto in die Messe kommen. Leto schwang einen Schlüsselbund um ihren Finger, bemerkte Eneas' fragenden Blick.
"Die Krankenstation ist für Verletzte", erklärte sie.
Eneas war erleichtert dies zu hören. Er hatte befürchtet, dass Kosta sich wieder dort einsperren würde, aber nun hatten die Heilerinnen dem einen Riegel vorgeschoben. "Er ist immer noch verletzt", konnte er aber nicht anders als Kosta trotzdem zu verteidigen.
"Wir werden ihn weiter untersuchen und die Wunden im Auge behalten, aber es ist Zeit, dass er in seiner eigenen Koje schläft", sagte Maria. Das war sicherlich eine gute Idee, wobei Eneas einfiel, dass die Koje, wo Kosta normalerweise schlief, mittlerweile auch von einem der Soldaten belegt war. Kosta würde einen Schlafplatz brauchen. Kosta würde einen Schlafplatz brauchen!
Eneas schob seinen Krug beiseite und erhob sich abrupt. "Es ist schon viel zu spät und ich hab morgen früh den ersten Dienst", sagte er und wünschte den anderen eine gute Nacht. Eneas forschte, wo Kosta war, aber der war immer noch an Deck. Was machte er denn da solange?
Der Kapitän ging in sein eigenes Quartier, betrachtete es sich kritisch. Seit Leto ausgezogen war, war hier alles etwas verkommen. Überall lag alte Wäsche, Stapel an Notizen und Büchern, zerknülltes Papier und alles was sich halt so ansammelte, wenn man den Kopf ganz woanders hatte. Eneas stopfte mehrere Bücher und Papiere in die tiefen Schubladen an seinem Schreibtisch, schloss sie hastig und übersah, dass hie und da noch einige Papierspitzen herauslugten. Er packte die gesamte Wäsche in einen alten Seesack, den er schon längst hatte zum Waschtrog bringen wollen. Er war nur nie dazu gekommen. Eneas zog auch das Bett ab, tat neue Bettwäsche drauf, trat einige zerknüllte Papierbälle mit alten Gedichten aus dem Weg.
Er roch kurz kritisch an seinem eigenen Hemd, zog es hektisch aus und begann sich über einer Waschschüssel zu waschen und fürs Bett vorzubereiten. Als er merkte, dass Kosta überhaupt nicht mehr an Deck war, verließ Eneas rasch das Kapitänsquartier, sich noch halb im neuen Hemd verheddernd. Es war ja nicht so, dass er seinen Freund überwachte. Er machte sich nur Sorgen um ihn. Der Pirat rückte sein Hemd zurecht, hatte vorne ein paar Knöpfe übersehen.
Es war wichtiger, schnell zu seinem Schwarm zu eilen. Den fand er vor der Krankenstation. Er lehnte an der Wand, die Augen geschlossen. Vorsichtig kam Eneas näher.
"Ist alles in Ordnung? Geht es dir nicht gut?", fragte Eneas besorgt. Kosta blickte ihn erschöpft an und erklärte, dass man ihn ausgesperrt hatte. Er klang dabei sehr verwirrt und überfordert.
"Ja, das habe ich gehört", sagte Eneas, "Sie dachten, dir geht es gut genug. Aber wenn du Schmerzen hast, ich kann sie sofort rufen. Sie sollen dich nochmal untersuchen", sorgte er sich. "Du hast heute viel geleistet. Da wäre jeder müde. Ich glaube nur, in deiner Koje schläft einer der Soldaten. Wenn..." Eneas zögerte. Im Grunde war es eigentlich eine sehr dumme Idee. Sie hatten nicht mehr über sich geredet, oder über ihren Streit, über all die verletzenden Worte, die gefallen war. Eneas wusste nicht, wo sie standen, aber ihm war auch klar, dass sie das auf dieser Reise nicht mehr klären würden und er vermisste Kosta so sehr.
"Das Bett im Kapitänsquartier ist groß genug", bot er schließlich an, "Und ich muss früh aufstehen.." Nervös sah er Kosta an. "Ich meine, du kannst es natürlich auch ganz für dich haben", schob er hastig hinterher, "Niemand wird dich stören. Ich kann Aerion von seiner Nachtwache ablösen und du kannst dich ganz wie zuhause fühlen." Es hatte Zeiten gegeben, da hatte Kosta sehr oft im Kapitänsquartier geschlafen. Zum Beispiel, wenn sie unterschiedliche Schichten gehabt hatten. Eneas hatte es geliebt, nach langem Segeln zurück zu Kosta zu kommen, den verschlafenen Krieger leidenschaftlich zu wecken und nach einem erfüllenden Höhepunkt in ein Bett zu fallen, das noch wunderbar nach seinem Geliebten roch, während dieser aufstand und an Deck ging.
Sie hatten geglaubt, sie wären sehr diskret dabei vorgegangen, aber das war wohl ein Irrglaube gewesen.