Re: Liebe und doch nicht genug
von Eneas » Do 11. Aug 2022, 19:05
Dann standen sie alle auf dem Deck, die Mannschaft sah ihn abwartend an. Eneas wischte sich die verschwitzten Hände an der Hose ab, er war unglaublich nervös. Er hatte keine Ahnung wie seine Freunde reagieren würden. Dass er dies all die Jahre vor ihnen geheimgehalten hatte. Was wenn sie ihn dann anders behandelten? Gut, Kostas Vorlieben waren nie ein Thema gewesen und auch Noyan war schwul, das störte niemanden. Wieso war er selbst nun so nervös? Vielleicht weil er so viel vor ihnen verborgen hatte. Vielleicht immer noch wegen Nevander. Das wussten nicht alle. Leto hatte er es erzählt... auch Ulysses und Damien wussten darüber Bescheid, doch darüber wollte Eneas wirklich nicht reden. Trotzdem hatte ihn das bis hierhin geprägt. Dieses Körperliche zwischen zwei Männern... er hatte sich von Anfang an darüber ausgeschwiegen und versteckt, weil er sich dafür geschämt hatte. Bei Kosta aber nicht oder? Nein, dort hatte er nur oft ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er eine Freundin hatte. Jetzt nicht mehr. Nie mehr? Moment mal... nie mehr mit einer Frau sein...
Eneas hatte daran gar nicht gedacht. Seine Gedanken glitten wieder zu Kosta. Für ihn würde er das aufgeben. Entweder er war bescheuert... oder wirklich verliebt...
"Ähm... Eneas?", riss Olintes ihn aus seinen Gedanken. "Wir warten."
Eneas riss sich hastig vom Blick auf den Palast los, seine Wangen leicht rot weil er gedanklich so abgedriftet war. Das konnte ja was werden. "Ich ähm... wollte ich euch sagen.. also ihr habt sicher schon mitbekommen, dass Leto und ich... der Grund, dass sie nicht da ist, ist, dass wir uns.. getrennt haben. Ähm, ich habe mich von ihr getrennt", erzählte er umständlich, während alle Blicke auf ihn ruhten. Eneas konnte nicht sagen was die Mannschaft darüber dachte. Gut, Noyan wirkte ziemlich desinteressiert, aber das war nichts neues. Er konnte nicht viel mit dem "Kapitänsdrama" anfangen wie er es immer bezeichnete.
"Es hat einfach nicht mehr geklappt. Mein.. Herz war nicht ganz dabei.. ich hoffe, ihr versteht das. Ich weiß, ihr habt Leto sehr gerne, sie war lange dabei... ich wollte sie nicht rausschmeißen."
"Käpt'n, wir verstehn", versicherte Farell.
"Wir würden uns gern von ihr verabschieden bevor wir aufbrechen", sagte Rachel. Eneas nickte.
"Das ist kein Problem. Ich.. weiß nicht wo sie untergekommen ist, Damien hat sie begleitet", erklärte er. "Es tut mir wirklich leid, dass dies so plötzlich passiert ist, aber... das.. es hat sich angedeutet lange Zeit... ich..." Er wusste nicht weiter. Die anderen würden so oder so ziemlich geschockt sein, doch wie die Worte geschickt formulieren? Er war normalerweise so gut mit Worten.
"Ihr habt so gut funktioniert. Versteh ich nich", sagte Olintes. Farell und Ulysses blickten ihn fragend von der Seite an, doch Olintes wedelte rasch mit der Hand, damit sie das unterließen. "Gibt es da noch mehr was wir wissen sollten?", fragte er weiter.
"Es ist, dass... wir hatten insgeheim eine Vereinbarung. Eine Art.. ähem offene Beziehung, weil ich..." Eneas atmete tief durch, pausierte kurz. "Das wird euch jetzt überraschen, doch ich möchte euch versichern, es ändert sich nichts, was.. äh euch betrifft. Ich bin immer noch der gleiche. Also... ich fühle mich auch zu... manchen Männern hingezogen." Seine Wangen brannten heiß. Er schaute in die Runde, allerdings war Vissarion der einzige, der große Augen machten und erstaunt schien. Vermutlich waren die anderen noch zu geschockt.
"Kosta und ich... wir hatten eine.. also nicht Affäre... Leto wusste immer Bescheid... ähm, über die Jahre, vorher schon... lange vorher... waren wir... Liebhaber", brachte er nervös hervor. Eneas wäre am liebsten im Boden versunken. Dieses Geständnis war ihm schon sehr peinlich. Wieso sagte niemand was? Konnten die mal aufhören ihn anzustarren?
"Wir haben das immer geheim gehalten, da ich nicht wollte, dass... also dass ihr euch unwohl fühlt deswegen. Oder ich mich unwohl fühle... es ist kompliziert. Aber ich wollte es nicht länger verheimlichen. Ja, Kosta ist der Grund, dass ich mich von Leto getrennt habe. Ich... möchte mehr mit ihm... ähm... es wäre schön, wenn er mein Gefährte würde. Dauerhaft." Eneas räusperte sich.
"Ich weiß, ich weiß, das ist ziemlich viel zum Verdauen, doch ich möchte euch sagen, es ändert sich nichts für euch. Ich... habe kein Interesse.. äh körperlich.. ähm.. ich fühle mich zu niemanden der Männer.. oder Frauen.. an Bord hingezogen. Ihr seid sehr gute Freunde für mich, aber nicht mehr und ich äh.."
Farell prustete plötzlich ein Lachen heraus, wodurch er einen Tritt von Ulysses kassierte. "Farell, das ist jetzt echt nicht der Zeitpunkt..."
"Tutmirleid, tutmirleid, ich kann nur nicht mehr. Tschuldige, ich weiß, total unangebracht", sagte er unter Lachanfällen.
"Käpt'n, wir stehen voll hinter dir. Wir sind froh endlich davon zu hören und dass du offen dazu stehst", sagte Olintes etwas ernster, während er Farell den Rücken klopfte. Eneas blinzelte. Er hatte mit mehr Fragen und Erstaunen gerechnet. Vielleicht sogar Ablehnung.
"Ihr wusstet Bescheid?", schlussfolgerte er nach einem Moment, nun selber total baff.
Rachel grinste. "So ziemlich", antwortete sie.
Eneas setzte sich auf eines der vertauten Fässer. Ratlos sah er seine Freunde an. "Wirklich? Seit wann? Hat Kosta etwas gesagt?"
"Niemand von euch musste etwas sagen", erwiderte Ulysses lächelnd. "Das hat man euch angesehen."
"Ihr haltet andauernd Händchen und vergesst irgendwann, dass Leute euch sehen können", bemerkte Maria. "Ich find es süß."
"Und immer de langen Landgänge, wo ihr zwe verschwunden wart, ts ts", steuerte Solomon bei, schmunzelte aber.
"Ihr wusstet es alle? Ohh..." Eneas sah in die Runde. Er sah zwar kein Erstaunen womit er gerechnet hatte, aber auch keine Ablehnung oder Wut. Stattdessen nur mitfühlende und amüsierte Gesichter.
"Ulysses wusste es am längsten", erklärte Olintes. "Ich direkt danach. Er hat mich um ein paar Stunden geschlagen. Das war noch, als du mit der Königin zusammen warst. Wir waren mal unterwegs inner Kneipe. Ulysses hat gesehen wie du mit Kosta im Hinterhof geknutscht hast. Und danach habt ihr gemeinsam in der Akademie in einem Bett geschlafen. Mit dem seligsten Gesichtsausdruck den ich je gesehen hab." Olintes grinste. "Der Rest hat es so nach und nach rausgefunden. Und für sich behalten hat. Aber Andiël war der erste, der uns offen darauf angesprochen hat."
"Er war auch der erste, der versucht hat euch zu verkuppeln", fügte Farell grinsend hinzu.
"Oh Dunkelheit, all seine Einladungen nach Dhemlan und dann hatte er nie wirklich Zeit für uns, als wir dann da waren", entfuhr Eneas stöhnend, als er begriff. "Er hat gesagt, jeder Gast hat Rosenblätter auf seinem Bett.."
Farell lachte noch was lauter. "Euch zwei war einfach unmöglich die Augen zu öffnen."
"Wir hätten gleich die Königin einreisen lassen sollen", bemerkte Olintes.
Eneas wusste nicht wie er darüber fühlen sollte, dass seine Freunde schon längst alle Bescheid wussten. War er echt so offensichtlich gewesen? Er hatte geglaubt, er wäre vorsichtig gewesen und hätte sich immer zurückgehalten, doch anscheinend... war das unmöglich bei seiner Sehnsucht.
"Ich weiß nicht, ob er auch so empfindet. Ihr habt ja erlebt wie wütend er war... ich habe ihm einen Brief geschrieben und ich versuche alles, damit er zurückkommt, damit ich mit ihm darüber reden kann", bemerkte Eneas kleinlaut. Maria trat auf einmal nach vorne.
"Über den Brief... Kosta hat ihn bekommen und.. auch etwas zurückgeschrieben." Sofort hellte sich Eneas' Miene auf. Erwartungsvoll sprang er auf, total erfreut.
"Er hat?! Wieso hast du nicht gleich etwas gesagt? Gib es mir", bat er aufgeregt. Maria zögerte.
"Es ist nicht viel... du musst es einfach weiter versuchen..." Vorsichtig reichte sie ihm einen kleinen Fetzen Papier.
Verschwinde - Lass mich in Ruhe.
Eneas starrte auf die eilig hingekritzelten Worte. Es schmerzte unheimlich. Wie ein harter Schlag gegen seine Brust. Seine Finger ballten sich um das kleine Stück Papier, presste es zusammen. Rasch drehte der Krieger sich um, eilte zur Treppe bevor die anderen sahen wie sehr ihn das mitnahm und dass er eine harte Abfuhr bekommen hatten.
"Eneas, warte doch", rief Maria, doch er hörte nicht, rannte die Treppen hinunter und suchte Zuflucht in der Kapitänskajüte. Erst dort brachen die Tränen nur so aus ihm heraus. Schluchzend rollte er sich auf dem Bett zusammen. Das durfte doch nicht wahr sein. Da sagte er allen wie er wirklich empfand und zum einen wussten die das schon längst und zum anderen hatte Kosta ihn mit diesem Wisch gerade zum letzten Deppen vor allen gemacht.
Es dauerte auch nicht lange und es wurde geklopft.
"Eneas?", hörte man Maria und dann gedämpftes Geflüster draußen, während die Gruppe sich einigte, wer nun am besten in die Kajüte treten sollte. Eneas antwortete nicht, heulte in das Kissen und versuchte leise zu sein. Das half alles nichts, ein wenig später trat Ulysses ein.
"Lass mich allein", stieß Eneas erstickt hervor. Sein Freund ignorierte das, setzte sich auf die Bettkante.
"Es ist trotzdem gut, dass du es gesagt hast. Der Vorteil davon ist, dass du es nicht mehr verstecken musst und wir dir endlich trösten können", erklärte Ulysses, seine Hand strich ein wenig über Eneas' Rücken. Der Kapitän versuchte die Tränen zu verhindern, doch es ging nicht. Kostas Antwort tat sehr weh. Eneas hatte sich solche Mühe gegeben mit dem Brief, doch es hatte nicht gereicht. Er kam nicht zu Kosta durch. Alles wiederholte sich. Er überstand nicht noch einmal, dass er in Draega verlassen wurde. Und dieses Mal ging es um Kosta.
"Hey... hey.. es ist nicht alles verloren, Eneas. Ich weiß, das war nicht eine Antwort, die du von ihm hören wolltest, aber es gibt etwas Positives", sagte Ulysses leise. Nun setzte Eneas sich doch ein wenig auf, zog die Beine an.
"Ach ja?", fragte er zitternd. "Was denn? Dass ich euch alles erzählt hab? Ihr wusstet doch schon mächtig Bescheid und ich hab mich bloß zum Idioten gemacht." Er versuchte sich die Tränen wegzuwischen.
"Nein, hast du nicht. Wir haben nie etwas gesagt, weil wir dich mögen und respektierten. Wir haben gewartet bis du uns das von dir aus sagen wolltest. Aber das war nicht das Positive, was ich meinte." Ulysses deutete auf Eneas Faust, wo noch zerknittert ein Teil der Nachricht herausschaute. "Er hat geantwortet. Er hat dir sogar sofort geantwortet." Er lächelte. "Das ist mehr, als du je von ihr bekommen hast oder nicht?"
Eneas öffnete seine Faust langsam, starrte auf die vernichtenden Worte. Kosta hatte geantwortet.
"Das hier ist nicht wie damals. Du musst es weiter versuchen. Er wird anders reagieren als sie damals. Ganz bestimmt." Ulysses sah ihn aufmunternd an. "Soll ich ihm etwas neues bringen?" Er hielt Eneas ein Taschentuch entgegen, der sich die Tränen trocknete. Schniefend nickte er.
"Rosen", sagte er. Eneas wusste, Kosta mochte romantische Sachen. Er wusste das jedoch nur daher, da Kosta ihm öfter geholfen hatte etwas romantisches für eine von Eneas' Freundinnen vorzubereiten. Eneas hatte nie etwas romantisches für Kosta selbst gemacht... oh, Kosta hatte allen Grund auf Eneas wütend zu sein. Er war so ein Arsch gewesen. Er seufzte. "Um das wieder gutzumachen brauche ich Tausende Rosen...", murmelte er.
"Lassen wir es bei einem Blumenstrauß erstmal, hm?", schlug Ulysses vor. "Willst du ihm noch etwas schreiben?"
Eneas nickte und setzte sich schnell daran ehe er Ulysses hastig losschickte. Mit einem Brief und einem Gedicht. Zu gerne wäre Eneas selbst losgegangen. Er war noch nie so stark versucht gewesen das Versprechen zu brechen. Aber damit hätte er Timaris nicht respektiert und das käme sicher auch nicht gut bei Kosta an.
Wieder blieb ihm nichts anderes als zu warten, zu hoffen und zu bangen.