Es war ein merkwürdiger Kampf. Hagen hatte schon oft gekämpft. Nicht selten aus einer Dummheit heraus, wie zum Beispiel bei einer Kneipenschlägerei. Die waren ganz lustig. Oder wenn er bei einem Diebstahl erwischt worden war und sich hatte freikämpfen müssen. Hagen hatte allerdings auch schon auf Befehl einer Königin gekämpft, oder um sie zu beschützen. Auch wenn er noch nie so intensiv für eine Königin empfunden hatte, wie er es für Savah tat. Er liebte sie nicht, respektive, war nicht verliebt in sie, auch wenn sie eine überaus attraktive Frau war. Das was er für sie empfand ging tiefer. Sein Blut sang zu ihrem. Das hatte er von dem Moment an überdeutlich gespürt, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Jetzt war er noch dabei heraus zu finden, was das für ihn bedeutete. Was ihn selbstverständlich nicht davon abhielt, für Savah zu kämpfen und sie beschützen zu wollen.
Der Kampf hier, in diesem traurigen, von der Dunkelheit verlassenen Schloss, war jedoch etwas ganz merkwürdiges. Alle die ihnen entgegen traten, schienen nur mit halbem Herzen dabei zu sein. Die meisten wirkten so, als wollten sie gar nicht wirklich hier sein. Einige von ihnen flohen sogar tatsächlich. Diejenigen die sie dafür am heftigsten attackierten, wirkten so, als wären sie auch die Dümmsten der Soldaten. Ihre Attacken waren voller Gewalt und ohne Raffinesse. Es war nicht sehr schwer, sie zu bekämpfen. Es brauchte nur Geduld.
Leider hatten sie nicht viel Zeit. Sie mussten möglichst schnell zur Spinnenkönigin gelangen, damit sie sie ausschalten konnten, bevor sie zu Sion floh. Das gefiel Hagen gar nicht. Nicht, dass sie gegen die Königin kämpften, sondern, dass sie sich keine Zeit nehmen konnten, ihre Umgebung zu sondieren. Dem grossen Krieger schmeckte das gar nicht. Kein Einbruch hatte so je gut funktioniert. Man musste langsam und ruhig vorgehen und nicht wie eine Herde Ochsen vorpreschen. Das war zu gefährlich.
Sein schlechtes Gefühl verstärkte sich zusehends je weiter sie nach oben gelangten und als sie dann in diese Bibliothek traten, wo die Spinnenkönigin ganz alleine ohne Leibwachen einen Prinzen mit Hilfe ihrer Kunst quälte, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Wäre Sava nicht eingetreten, wäre er niemals in diesen Raum gegangen, der förmlich nach einer Falle stank. Im Lauf seiner Einbrecherkarriere hatte er dafür ein gutes Gefühl entwickelt.
Seltsamerweise schimpfte die Spinnenkönigin jedoch mit Eoshan Sitara, der zierlichen Königin von Dea al Mon. In Hagens Augen war sie eigentlich noch ein Kind und er konnte nicht verstehen, wie man so einem Mädchen die Verantwortung über ein ganzes Territorium übertragen konnte. Auf der Reise hier her, hatte sie jedoch bewiesen, wie zäh und ausgeglichen sie war. Und nicht selten hatte er sich als der kleine, unerfahrene Junge gefühlt, wenn er mit ihr gesprochen hatte. Sie waren schon sehr anders diese Dea al Mon. Hagen fühlte sich bei Savahs Stamm viel heimischer. Zum ersten Mal überhaupt eigentlich. Auch wenn der Stamm ihn noch etwas belächelte, weil er gern weiche, warme Betten hatte und es ihm nichts ausmachte, sich in einer Burg aufzuhalten und deren Luxus zu geniessen.
Wütend erklärte die Spinnenkönigin, dass der Prinz ihr Haushofmeister sei. Er hätte ihr Rechenschaft abzulegen, da er sie verraten hätte. Von der Dea al Mon kam nur ein mentales, freundliches Lachen zur Antwort. So wie man lachte, wenn ein Kleinkind einem erzählte, dass es eine rosa Katze gesehen hätte oder sonst etwas lustiges, unglaubwürdiges daher plapperte.
Während Eoshan sich eher am Rand des Saals aufhielt, gingen die Glacier direkt auf die Spinnenkönigin zu und rieten ihr, sich zu ergeben. Da endlich liess diese ihre Falle zuschnappen. Es wurde dunkel in der Bibliothek. Die Tür schlug hinter ihnen zu und Hagen musste nicht an der Türklinke rütteln, um zu wissen, dass sie hier eingesperrt waren. Über ihnen, auf der Galerie der Bibliothek tauchten mehrere Schwarze Witwen auf und schickten ihre Netze auf die gefangenen Fliegen hinunter. Magnus brach draufhin plötzlich zusammen und blieb regungslos auf dem Boden liegen, die Augen weit offen. Er schien noch am Leben zu sein, jedoch zur Bewegungslosigkeit verdammt.
Hagen fluchte deftig und hüllte sich sofort in einen Schild ein. Schwarze Witwen waren eine unheimliche Kaste. Voller fauler Tricks und Gemeinheiten. Sie wussten Dinge, die sie nicht wissen sollten und nutzten diese gnadenlos aus. Hagen hatte sie noch nie gemocht und ging ihnen lieber aus dem Weg, als gegen sie zu kämpfen. Nur die letzten Tage mit Eoshan hatten ihn dieses Vorurteil etwas vergessen lassen. Jetzt kam diese Abneigung jedoch mit voller Wucht zurück und er überlegte sich doch leicht panisch, wie sie hier wieder rauskommen sollten. Heftig schlug er nach den Fäden, die seine eigene Königin einwickeln wollten. Sie waren zähes Zeug und er hatte nur Erfolg dabei, weil er sein grosses Schwert mit seiner Macht verstärkte.
Die Dea al Mon, die mit ihnen hier hoch gekommen waren, und die kesse Schwester des Kapitäns schossen mit Pfeilen, respektive Armbrustbolzen nach den Schwarzen Witwen. Einer der Dea al Mon wurde jedoch auch von so einem furchtbaren Erstarrungsnetz getroffen und konnte nichts anderes tun, als am Boden liegen zu bleiben. Die Kämpfer ohne Fernwaffen hasteten die Treppen zur Galerie hoch, um direkt gegen die Schwarzen Witwen zu kämpfen, die sie daran hindern wollten, zu der Spinnenkönigin zu gelangen, die wahrlich wie eine fette, schwarze Spinne in der Mitte ihres Netzes sass. Hagen wollte mit Savah jedoch direkt zu ihr gelangen. Nur wenn sie tot war, würde es vorbei sein.
*Lasst euch nicht von den Netzen einschüchtern*, sandte ihnen Eoshan da auf einmal selbstsicher, unerschrocken und ermutigend. Hagen fragte sich, woher sie diese Kraft nahm, genoss jedoch die Zuversicht, die dem Speerfaden an sie alle anhaftete. *Man muss keine Schwarze Witwe sein, um ein Netz zu zerstören. Eure Juwelenkraft alleine reicht dafür.* Ja, genau, Hagen hatte ja gesehen, wie sein mit der Kunst verstärktes Schwert, die schwarzen Fäden durchtrennt hatten.
*Ich weiss, was sie euch antut, Schwestern*, sandte die Dea al Mon nun den gegnerischen Schwarzen Witwen, liess aber alle Anwesenden mithören. *Ich weiss, wie Zorya Eacir euch foltert und unrechtmässig eure Fähigkeiten beansprucht.* Plötzlich war das Bild von vielen Schwarzen Witwen zu sehen, die in einem Saal auf Betten lagen und denen Visionen um Visionen entzogen wurden. Auch wenn Hagen nicht dort gewesen war, er war sich absolut sicher, dass sich dieser Raum hier in diesem Schloss befand. Schon allein wegen der Architektur. Aber abgesehen davon, war das der Ort, woher diese furchtbare Ausstrahlung des Schlosses stammte. Dessen war er sich absolut sicher.
*Und wenn ihr ihr nicht gehorcht und von ihr foltern lasst, dann droht sie euch mit einem furchtbaren Tod*, fuhr Eoshan eindringlich fort und sandte ihre eigene Erinnerung, wo sie aufgehängte Schwarze Witwen auf dem Weg hier her gesehen hatten. *Ich kann verstehen, dass ihr Zorya Eacir unter diesen Umständen gehorcht und euch von ihr ausnutzen lässt.* Mitgefühl war zu spüren. Mitgefühl aber auch die Hoffnung, dass es sich ändern könnte. *Doch nun hat sich die Situation geändert. Zorya Eacir hat verloren, auch wenn sie es noch nicht weiss. Das Tor ist geschlossen. Das schattige Dhemlan ist von Sions Einflussbereich abgeschnitten.* Tatsächlich? Eine zweite Geheimmission? Nun ja, warum auch nicht? Sie hatten es mit ihrer kleinen Gruppe ja auch bis hier her geschafft.
*Es wird keine weitere Verstärkung für sie eintreffen*, stellte Eoshan den anderen Schwarzen Witwen klar. *Dies ist eure Gelegenheit, euch von ihr zu befreien und euer Leben zurück zu fordern. Ihr müsst ihr nicht weiter folgen. Sie hat keine Macht mehr über euch. Lasst sie fallen. Zorya Eacir hat verloren. Allerspätestens dann, wenn Sion erfährt, dass sie den Schlüssel zur Vernichtung seiner mächtigsten Feinde hat entkommen lassen. Ihm noch nicht einmal mitgeteilt hat, dass sie ihn hatte. Lasst seinen Zorn nicht auch euch treffen, sondern sagt euch lieber gleich los von ihr, so wie es die Hälfte der Wachen ohnehin bereits getan hat.*