Re: Das Ende der Spinnenkönigin
von Eneas » Fr 23. Sep 2022, 20:55
Auch wenn sie sich so schnell es ging beeilten von Draega - nachdem sie Leto aufgenommen hatten - nach Raej zu segeln, so dauerte es für Eneas viel zu lange bis sie endlich dort waren. Trotz der Ermahnungen setzte er die Kunst viel zu oft ein, damit sie schnell nach Raej kamen. Bis Timaris ihm gesagt hatte, dass Kosta und ihr Haushofmeister verschwunden waren und von Raej nicht zurückgekommen waren, war bereits einige Zeit vergangen. Eneas hatte zwar sofort Botschaften ausgeschickt, die so viele Informationen über den Aufenthaltsort von Zorya Earcir in Erfahrung bringen sollten wie möglich, doch als sie an der Küste vor Raej lagen, erfuhr er leider nur, dass sie bereits längst abgereist war. Heimlich waren sie mit einem Beiboot bei einem unbesiedelten Küstenabschnitt an Land gegangen und hatten gewartet bis ihre Kontaktperson aus Loraka da war, um sie zu informieren. Man wusste nicht genau was die Schattenkönigin in Raej gemacht hatte, aber es hatten sich Gespräche verbreitet, dass die 6. Kompanie - wie viele schon immer geglaubt hatten - Verräter waren. Sie hätten Zorya und ihre Begleitung angegriffen, versucht sie festzunehmen. Der Angriff wäre jedoch erfolgreich zurückgeschlagen worden und Zorya wäre siegreich mit einigen Gefangenen der 6ten zurück nach Dhemlan gereist. Per Schiff.
Der Bericht machte Eneas sehr nervös. Er wusste, vielmehr ahnte, dass Kosta bei der 6ten Kompanie gewesen war. Wegen diesem Zucker. Und auch weil er in Begleitung mit Prinz Asar gereist war. Sie waren extra in Richtung Loraka gereist, um von Zorya das Gegenmittel für Timaris zu erhalten. Irgendetwas musste schief gegangen sein. Waren sie bei dem Kampf dabei gewesen? Waren sie... tot? Ihr Informant wusste nichts über den Haushofmeister oder anderen Personen, die Zorya mitgenommen hatte.
In ihren dhemlanischen Uniformen suchte die Mannschaft den Dschungelteil auf, wo die Schlacht stattgefunden haben sollte. Keiner wusste was die Königin hier gesucht hatte. Eneas wurde immer angespannter, als er den Bereich mit den anderen untersuchte. Angstvoll ließ er seine Sinne streifen, suchte nach Kostas Signatur. Sie war ihm so vertraut, dass er sie mit Leichtigkeit erspüren konnte, aber es war zu viel Zeit vergangen. Er befürchtete, dass er jederzeit eine der toten, halb verwesten Leichen umdrehte und Kostas totes Gesicht sah. Es raubte ihm manchmal den Atem.
"Etwas ist seltsam...", bemerkte Damien, als sie die Leichen untersuchten. Er hatte sich ein schwarzes Tuch über Mund und Nase gezogen. "Nur dhemlanische Uniformen."
"Wieso sollte das seltsam sein? Sie haben sich gegenseitig bekämpft", erwiderte Eneas.
"Erinnere dich an die Berichte", sagte Damien. "Was die 6te Kompanie um den Hals getragen hat."
Eneas Blick wurde nachdenklich. "Kleine Beutel mit Salz... aber keiner von den Toten trägt dies. Dies sind alles Zoryas Leute... wo sind die Toten der 6ten..." Er untersuchte den Boden. Schleifspuren... jemand hatte die Leichen entfernt. Nur die Leichen der 6ten. "Ein paar müssen überlebt haben. Sie sind zurückgekommen, um ihre Kameraden zu bergen", schlussfolgerte er. Ob es Kosta dann geschafft hatte? War er mit der 6ten geflohen? Aber sein Ziel war das Gegenmittel gewesen... vielleicht hatte er es geschafft. Aber das bedeutete, dass er in Zoryas Händen war. In Dhemlan.
"Kosta ist nicht hier. Er lebt sicherlich noch", sagte Amancio. Eneas blickte ihn entschlossen an.
"Er sollte besser leben. Ansonsten macht euch auf eine Reise in die Hölle gefasst", knurrte er und ballte die Hände zu Fäusten.
In dem Moment sauste ein Pfeil an ihnen vorbei, prallte in eine der am Boden liegenden Leichen. Hastig gingen die Piraten in Deckung, als mehrere Männer und Frauen in zerschlissenen, schwarzen Uniformen auftauchten, Waffen auf sie richteten. Ein hochgewachsener, drahtiger Mann trat vor.
"Wir hätten euch schon längst abgeschlachtet, aber so eine Sprache habe ich noch nie gehört."
Stimmt, sie hatten sich in ihrer geheimen Schiffssprache unterhalten, falls sie jemand belauschte. Berechtigterweise wie sich nun herausstellte. Eneas' Hand ruhte an seinem Säbel.
"Ihr seht verdächtig wie Hayllier aus", fuhr der Fremde fort.
"Und ihr seht verdächtig wie Rebellen aus... oder vielleicht die Reste der einstigen Salzkompanie?", vermutete Eneas. Dann riskierte er einfach etwas. "Ich suche nach Iason." Er glaubte, dass die Soldaten dies womöglich gewogen stimmen würde. Es hatte so ziemlich den gegenteiligen Blick. Zwei von ihnen schienen sich sofort auf ihn stürzen zu wollen.
"Dieser Verräter?! Er hat uns reingelegt!", wetterte einer. "Er hat uns bei Zorya verraten. Zusammen mit-"
Der Anführer hob die Hand, unterbrach den anderen. "Wir haben schlechte Erfahrungen in letzter Zeit mit Haylliern gemacht. Also, nochmal, was macht ihr hier?"
Es dauerte etwas bis Eneas erklären konnte, dass sie nach zwei Männern suchten. Iason und den Haushofmeister. Es stellte sich heraus, dass der Mann der alte Kommandeur der 6ten war. Rashar. Aber sie waren alles andere als gut auf Iason und Prinz Asar zu sprechen. Die beiden hätten sie dazu überredet, Zorya eine Falle zu stellen, nur dass die Königin informiert gewesen war und den Spieß umgedreht hatte. Nur noch eine Handvoll war von der 6ten übrig geblieben.
Wenigstens erfuhren sie so, dass Kosta und der Haushofmeister Zorya begleitet hatten. Nicht als Gefangene, sondern als Verbündete. Eneas versuchte Rashar klarzumachen, dass sie Piraten waren und keine offiziellen Gesandten aus Hayll. Die Soldaten misstrauten ihnen dennoch, wollten ihnen nicht weiter helfen. Rashar machte eine Andeutung, dass sie noch etwas in Raej zu erledigen hatten.
Es dauerte ein weiterer Tag bis sie es schafften sich von den Soldaten fortzustehlen. Eneas befürchtete, dass sie sonst auch noch als Gefangene endeten. Bestenfalls. Rashar war ruhig geblieben, aber die meisten anderen hatten bloß Mordlust in den Augen gehabt.
So schnell sie konnten verließen sie den Dschungel und Raej bevor die Soldaten sie einholten.
Danach nahm die 'E' Kurs auf das verborgene Tor im Ozean auf. Die schwarzen Segel mit der roten Hydra halfen, dass sich ihnen kein anderes Schiff näherte.
Während sie sich auf dem Schiff befanden, blieb Eneas meist in der Kabine. Er wollte Leto so viel Freiraum wie möglich geben. Es war schwierig auf so kleinem Raum mit ihr zu leben, so kurz nach der Trennung. Immer konnte er ihr nicht ausweichen, aber wenn sie sich begegneten, wich er ihren Blick aus und suchte rasch das Weite. Es war schwer ihr unter die Augen zu treten. Zehn Jahre wischte man nicht so einfach weg. Er vermisste sie, ihr Anblick tat weh. Und Leto half ihnen trotzdem. Kosta war ein Teil der Mannschaft und sie gehörte ebenfalls dazu. Sie hatten sich nicht nur getrennt. Er hatte ihr ihr Zuhause und ihre Freunde weggenommen. Eneas fühlte sich elend deswegen und wusste nicht wie er es wiedergutmachen konnte.
Auf der Schiffsreise hatten sich seine Juwelen wieder erholt. Er benötigte sie jetzt, um die gesamte 'E' in einen roten Schild zu hüllen, als sie die richtigen Koordinaten erreicht hatten. Mithilfe der Kunst tauchte das Segelschiff langsam in die Wellen ein und sank tiefer. Um sie herum ballte sich das Wasser, schlanke Haie glitten über ihnen hinweg.
Leto kniete auf dem Deck, die Augen geschlossen. Eneas kannte niemanden sonst, der dieses Tor öffnen konnte. Versteckt in untergegangenen Ruinen unterwasser befand sich ein längst vergessenes Tor zwischen den Welten. Es musste einer untergegangenen Zivilisation angehören. Reglos schwebte das Schiff vor dem über und über mit Korallen und mit Muscheln bewachsenen Tempel. Das Wasser bekam einen unwirklichen Schein, pulsierte und zerfloss vor ihren Augen bis sich das Tor manefestierte und sie das Schiff hindurch lenken konnten.
Als sie in Kaeleer endlich wieder die Wassermassen durchbrachen, waren sie alle erschöpft. Trotzdem ging es Eneas kaum schnell genug. Das Tor hatte sie im Süden ausgespuckt und so mussten sie an der Küste Glacias entlangsegeln, um nach Dhemlan zu gelangen. Weitere Tage vergingen bis sie fast die dhemlanische Küste erreicht hatten.
Olintes suchte mit dem Fernrohr die Küste ab. Wenn Glacier ein scheinbar dhemlanisches Schiff sahen, würde das nicht gut für sie enden.
"Glacier!", rief er leider an einem der kalten Tage. Leichter Schnee tanzte über den Wellen.
"Ah, verdammt", fluchte Eneas. "Wieviele?" Er trat zu Olintes an die Reling, ließ sich das Fernrohr reichen. Es waren nicht viele Personen. Vielleicht irgendwelche Dörfler oder Kundschafter. Keine echte Gefahr für sie.
Unerwartet erhielt Eneas einen Speerfaden. *Menschen im Haus auf dem Meer. Wir werden euch zu Dalmadans Feste begleiten.*
Der Kapitän stockte. "Segel reffen. Anker lichten!", rief er.
"Was ist los?", fragte Damien. "Du willst doch wohl nicht für die anhalten."
"Ich habe einen seltsamen Speerfaden erhalten... sie wissen genau wo wir hinwollen."
"Ich spüre, wir können ihnen trauen", sagte Leto. Eneas nickte. Er würde sicherlich nicht den Instinkten einer Priesterin widersprechen. Oder seiner Ex-Freundin.
Damien schüttelte den Kopf. "Das ist Wahnsinn. Wir können uns jetzt nicht mit Glaciern rumschlagen."
"Sie klangen nicht feindselig. Sie könnten Verbündete sein", erwog Eneas. Die 'E' hielt schließlich und ein Beiboot wurde hinabgelassen. Es war gefährlich zwischen den zerklüfteten schroffen Klippen zu rudern ohne dass die heftigen Wellen sie nicht am Felsen zerrieben. Eneas schützte das Boot mit einem Schild bis sie nahe genug bei einem gischtumspritzten Felsen waren, wo eine kleine Gruppe auf sie wartete. Mehrere kleinere Personen in waldgrünen Umhängen, schlank und mit Bögen bewaffnet. Sie sahen nicht aus wie Glacier. Eine wunderschöne Frau mit silbernen Haar blickte ihn an. Eneas wusste, dass sie es war, die ihm gesendet hatte. Eine... Königin. Hier draußen?
Aber sie war nicht die einzige. Neben ihr stand eine großgewachsene Frau, trug gegerbtes Leder und Felle. Ein zweihändiges Schwert am Rücken befestigt. Ihr aschblondes Haar wurde vom Wind aufgewühlt. Ja, die sah schon mehr wie eine Glacierin aus. Mehr wie.. die Verkörperung von Glacia. Auch eine Königin.
Die Piraten waren mehr als verdutzt über die seltsame Gesellschaft, die sie dort inmitten der schroffen Klippen antrafen.
"Dhemlaner!", rief ein bärtiger Glacier mit Kriegshammer in beiden Händen.
"Wir sind keine Dhemlaner! Das ist nur eine Verkleidung", rief Eneas zurück, während das Boot hin und herschaukelte. "Wer seid ihr?"
"Könnt ihr eure Unterhaltung auf später verlegen?", schnaufte Noyan, der zusammen mit Ulysses kräftig gegen die Wellen ruderte.