Re: Rettung einer jungen Königin
von Eneas » Fr 12. Aug 2022, 21:04
Tileo wollte jedenfalls mit auf die Pirateninsel, schien begeistert und auch an den anderen Piratenkindern interessiert. Eneas erklärte ihm noch kurz, dass es Kinder von Piraten wären, aber auch Kinder, die sie genau wie Tileo von bösen Räubern und aus Sklavenmärkten befreit hätten.
Leider vergaß Tileo darüber nicht den wichtigen Auftrag, den Eneas erwähnt hatte, um seine Gedanken weg von Kosta zu bringen. Dabei wollten sie beide wohl lieber zu Kosta. "Ich erzähle ihn dir nachher, okay?", versprach Eneas. Er war sehr froh, dass Farell den Jungen mit einer Piratengeschichte nach draußen locken konnte. So waren die Erwachsenen eine Weile alleine. Eneas hatte ein rotes Hörschild um die Stube errichtet. Was er jetzt zu sagen hatte, durfte keiner der Tolarims je erfahren. In Mineva gab es zwar auch Timaris Eltern denen Eneas halbwegs vertraute, doch das waren nicht die einzigen Adeligen hier im Schloss.
"Wegen diesem Auftrag... Timaris hat ihn mir gegeben und ich bin mit ihr einer Meinung was das betrifft. Die Bedrohung durch Sion wächst und wächst. Timaris ist in Gefahr und es könnte deshalb auch andere Königinnen der Tolarims betreffen. Sie möchte besonders die Kinder in Sicherheit wissen. Vor Sion, aber auch vor hayllischen Adeligen, die vielleicht mit Timaris' Art der Kriegsführung nicht einverstanden sind." Eneas wollte nicht verraten, dass Timaris schlimm vergiftet war. Es war zu riskant es laut auszusprechen.
"Was willst du damit sagen?", fragte Ioakim.
"Es geht um Pandora. Und Arion", sagte Eneas leise nach einer Weile. "Sie sind in Gefahr." Erstaunte und besorgte Gesichter blickten ihn an.
"Gefahr? Ich habe meine Kinder bisher immer beschützt. Was die Königin sagt, ist mir egal", entrüstete sich sein älterer Bruder. "Das Netz schützt sie und solange sie sich unauffällig verhält..."
Eneas konnte schon verstehen, dass Ioakim lieber selbst sich um seine Tochter kümmerte und sie schützen wollte. "Timaris möchte, dass ich die Kinder an... einen sicheren Ort bringe", erklärte der Kapitän. Ioakim schnaubte wütend.
"Sie sind hier sicher", beharrte er.
"Eneas, das kann Lady Tolarim doch nicht wirklich verlangen... Ioakim und Estella ihre Kinder wegnehmen", wandte seine Mutter ein, während Massimo nachdenklich schwieg.
"Nicht wegnehmen. Nur für eine Weile in Sicherheit bringen", versuchte Eneas seine Familie zu überzeugen. Er konnte schlecht die Vergiftung verraten, obwohl es vielleicht geholfen hätte Ioakim von der Dringlichkeit zu überzeugen. "Bis der Krieg vorbei ist und Timaris' Position auf dem Thron wieder gefestigt ist... Timaris ist nicht einzige, die von der... Blutsverbindung weiß. Ich möchte nicht, dass Pandora oder Arion etwas passiert. Es ist vielleicht nur für ein paar Monate."
"Was genau hat sie gesagt?", wollte Ioakim wissen.
"Dass ihr Gefahr von Seiten der hayllischen Adeligen droht. Auch und besonders von den Tolarim. Mineva ist nicht sicher... noch ist es rechtzeitig. Ich kann sie wegbringen zu dieser Insel, wo auch Laree gerade ist. Es ist geschützt dort." Dafür hatte Eneas gesorgt. Nuranessa war ein Zufluchtsort für alle Verfolgten und sie hatten auch Schwarze Witwen auf der Insel, die jene vor allzu neugierigen Blicken schützte.
"Ich gehe mit", sagte da plötzlich Estella, die bisher eher still gewesen war und Ioakim hatte reden lassen. "Ich lasse meine Kinder nicht alleine. Ich gehe mit."
Ioakim riss die Augen auf. "Was?! Du bist damit einverstanden?!", rief er. Estella seufzte, drückte seine Hand und sah ihren Mann an.
"Ich will nicht gehen, aber wir können Pandora nicht ewig so schützen. Sie ist kein kleines Kind mehr und ihr Geburtsjuwel... Ioakim, wir müssen dafür sorgen, dass sie in Sicherheit ist und versteckt. Solange bis sie älter ist und sich selbst zur Wehr setzen kann und vielleicht die richtigen Männer findet, die sie beschützen und hinter ihr stehen. Und... Sion hat schon so viele Königinnen entführt."
"Es ist nur solange der Krieg vorbei ist. Bestimmt nicht mehr als ein paar Monate." Eneas sagte nichts dagegen, dass Estella mitkommen wollte. Timaris hatte das nicht eingeschränkt und mit ihrer Mutter an der Seite würden sich Pandora und Arion auch nicht so alleine fühlen.
Bloß Ioakim wollte das noch nicht einsehen, sträubte sich dagegen. Eneas fiel wieder ein, dass Timaris ihm noch etwas mitgegeben hatte, um seinen Bruder zu überzeugen, dass sie jetzt Handeln mussten. Er rief die Kette mit der silbernen Rose herbei, legte ihn auf den Tisch. Ioakim hielt den Atem an, starrte darauf, Entsetzen im Blick.
"Es ist so schlimm?", fragte er leise. Eneas nickte.
"Leider... ich würde sie nicht mitnehmen wenn es nicht wirklich nötig wäre. Verstehst du jetzt? Timaris wollte die Kinder unbedingt in Sicherheit wissen."
Endlich widersprach auch Ioakim nicht mehr, er sah nur sehr ernst und besorgt drein. Es war klar, dass er die Kinder gerne hier behalten hätte, doch auch er sah ein, dass es so sicherer war. "Ich könnte auch mitgehen."
"Das ist zu auffällig, Ioakim", wandte Lela ein. "Estella kann gehen. Wir werden sagen, ihr habt Probleme in der Ehe, wenn jemand fragt. Dann wird niemand Verdacht schöpfen."
Ioakim zog die Brauen kritisch zusammen. "Was soll das denn heißen?"
"Dass es normal ist, wenn Paare eine Weile Abstand haben und wenn die Mutter die Kinder mitnimmt. Es wird mehr Fragen aufwerfen, wenn ihr beide plötzlich aus Mineva verschwindet. Estella wird mitgehen. Wir sagen, sie ist mit den Kindern eine Verwandte besuchen", beschloss Lela. "Die Kinder kommen zuerst. Was machen da ein paar Gerüchte?" Sie sah Ioakim ernst an, der schließlich nachgab und nickte.
"Wenn ihnen etwas passiert...", murrte er.
"Die 'E' ist das schnellste Schiff auf den terreillischen Meeren. Die Insel ist sicher. Wir haben Heilerinnen, es gibt viele Kinder dort und auch eine kleine Schule. Außerdem muss Pandora sich dort nicht verstellen. Wenn wir Glück haben, ist die Bedrohung vielleicht bald schon wieder vorbei", beschwichtigte Eneas. "Es wird ihnen nichts passieren."
"Das kannst du nicht garantieren", entgegnete Ioakim. Eneas nickte.
"Nein, aber sie sind dort weniger in Gefahr als hier..."
Nach dem langen, schwierigen Gespräch war die Stimmung entsprechend gedrückt. Man sprach darüber wie man diese Geschichte am besten verkaufte, wie man es den Kindern sagen würde und was als nächstes passieren sollte. Estella und Ioakim wollten noch einige Tage Zeit haben, um alles vorzubereiten. Man hielt es für zu auffällig die Kinder gleich mit aufs Schiff zu nehmen und so wollten sie sich in einigen Tagen an einem unbelebten Küstenabschnitt treffen, wo sie die drei an Bord nehmen würden. Estella wollte auf den Winden reisen und Eneas' Vater bot an den drein Geleitschutz zu geben bis dorthin. Eneas wurde nervös. Hoffentlich ging alles gut.
Schwieriger war es schon eher den Kindern noch nichts zu verraten, so dass sie nicht aus Versehen etwas verraten würden. Tileos Fragen auszuweichen war besonders schwer für Eneas. Der Junge wollte unbedingt etwas von der Aufgabe wissen. Eneas vertröstete ihn, dass es geheim wäre und er ihm alles erzählen würde sobald sie abgelegt hätten.
Sie besuchten Ioakims Haus, packten Tileos Sachen und brachten alles zur 'E'. Versteckt war dort bereits Gepäck der Kinder und Estella dabei. Tileo bekam wieder sein Bett in Vissarions Kajüte, doch sie sollten erst übermorgen ablegen. Die Mannschaft musste noch die in Draega aufgenommene Ladung abgeben und Ulysses wollte Zeit mit seiner ältesten Tochter verbringen.
Eneas bemühte sich nicht an Kosta zu denken, sich nicht von der Sehnsucht und dem Schmerz einnehmen zu lassen. Nachts kurz vorm Einschlafen war es am schlimmsten und dann weinte er wieder, krallte sich an die Decke und ertrug die Einsamkeit kaum. Wann würde er Kosta wiedersehen? Was konnte er tun damit dieser nicht mehr wütend auf ihn war?
Am anderen Tag musste er sich wieder zusammenreißen. Die Mannschaft hatte es deutlich gemacht, dass vor allem Eneas sich um Tileo kümmern sollte. Der Junge war der Grund, dass Eneas sich aus dem Bett quälte und seinen Liebeskummer zu bewältigen versuchte. Der Kapitän brachte Tileo zu Bett, las ihm eine Geschichte vor und am Morgen half er Tileo, dass dieser ein Frühstück bekam, weiter das Alphabet lernte und lesen und schreiben lernte. Eneas überzeugte Tileo damit, dass Lesen und Schreiben wichtig wäre, wenn sie Kosta Briefe schreiben wollten. Sie besuchten auch noch einmal Eneas' Eltern, bekamen wieder viel Essen aufgetischt. Eneas zeigte Tileo den Garten den er hier angelegt hatte, aber auch ein paar der geheimen Verstecke im Park.
Bis es am anderen Morgen soweit war, dass die 'E' wieder ablegte. Sie verabschiedeten sich von der Familie. Arion drückte Tileo ganz lange. "Ich will auch mit auf die Pirateninsel", sagte er.
"Ein ander Mal", vertröstete Eneas seinen Neffen. In ein paar Tagen, wenn sie die Kinder abholten. Ioakim wandte sich noch einmal per Speerfaden an ihn.
*Können wir ihr irgendwie helfen?*
*Indem wir ihr diese Sorgen nehmen... alles darüber hinaus... sie ist stark, sie wird es schaffen*, erwiderte Eneas, umarmte seinen Bruder ein letztes Mal ehe er mit Tileo an Bord ging.
Sie winkten bis der Hafen immer kleiner wurde.
"Hats dir denn in Mineva gefallen oder bist du froh, dass wir abreisen?", fragte Eneas Tileo, während er ihn ein bißchen festhielt, damit er nicht über die Reling fiel.