Re: Ein Neubeginn
von Kosta » Do 13. Okt 2022, 21:38
Wenigstens glaubte Eneas ihm, dass Kosta durchaus wusste, wie sehr ihn all die Geschehnisse beeinflussten. Auch, dass er unterscheiden konnte, was an Eneas, an Dhemlan oder Sorra Tolarim lag. Es erleichterte Kosta, das zu hören, denn er hoffte, dass Eneas ihm dann auch glauben würde, wenn er ihm einmal sagte, dass er nun wegen ihm aufgewühlt war und nicht wegen eines Geheimnisses aus Dhemlan. Dass es etwas war, woran sie arbeiten mussten und nicht die Schuld einfach an schlimme Erlebnisse abschieben konnten, nur weil es leichter war.
Eneas gab allerdings zu bedenken, dass es eben nur Kosta war, der wusste, was ihn weshalb beschäftigte. Eneas hingegen wusste nicht, ob Kosta nun wegen ihm heftig reagierte, oder weil ihn eine Erinnerung heimsuchte. Kostas erster Impuls war zu erwidern, dass er ihm oft gesagt hatte, dass er auf ihn reagierte. Dass er oft das Gefühl hatte, dass Eneas das aber lieber ignorierte und die Schuld auf Dhemlan abschob, anstatt die Schuld bei sich selber zu suchen und zu seinen Taten und Worten zu stehen. Gleich darauf kam Kosta jedoch in den Sinn, dass das so nicht für jede Situation stimmte. Deswegen sagte er lieber gar nichts.
"Ich werde mir Mühe geben, in Zukunft zu sagen, wenn eine meiner Reaktionen den Ursprung im Krieg hat", versprach er Eneas vorsichtig, nachdem er seine Gedanken wenigstens ein bisschen geordnet hatte.
"Ich habe versucht, es dir zu erklären", fügte er noch etwas leiser hinzu. Als sie beim Tempel gewesen waren und Kosta sich von seinem Fieber erholt hatte. Da hatte er Eneas gestanden, dass Sorra Tolarim seinen Körper wieder vollständig geheilt hatte. "Es ist so schwierig. Zuviel." Was Sorra mit seinem Körper angestellt hatte. Das war nicht mehr er. Er war zwar einmal dieser zarte, unberührte Junge gewesen. Doch das war Jahrhunderte her. Sogar noch vor dem Kerker in Dalmadans Feste hatte er gut und gerne mehr Erfahrungen gehabt, als die eine oder andere Hure.
"Ich habe nie bestritten, dass ich vor dir geflüchtet bin", bestätigte Kosta mit traurigem Gesicht. Schon wieder hatte Eneas etwas nicht gefallen, was er ihm gesagt hatte, weswegen er die Schuld nun knallhart wieder an Kosta zurück schob. "Vor dir und dem, was ich dir angetan habe." Es war nicht leicht gewesen zu begreifen, was er in seiner Wut Eneas alles brutal an den Kopf geworfen hatte, anstatt zu versuchen, es ihm behutsam zu erklären.
"Davor, dass ich wütend auf dich war", erinnerte er sich schaudernd. Das war das ungeheuerlichste überhaupt. Dass er ausgerechnet auf Eneas wütend geworden war. Das kam ihm wie das schlimmste Sakrileg überhaupt vor. "Dass... dass ich es immer noch bin", gab er jedoch trotz allem stockend zu. Auch wenn es ihm ins Herz schnitt, so etwas zu fühlen. "Manchmal." Nicht immer. Doch ab und zu loderte diese furchtbare, alles verletzende Wut wieder auf. Obwohl er es gar nicht wollte.
Eneas bat ihn, dass er ihm gestattete, erstmal emotional zu reagieren. Danach würde er seine Gedanken schon verkraften. Unsicher blickte Kosta seinen Freund von unten an. Daran konnte er nicht so recht glauben. Auch wenn Eneas der ruhigste aus seiner heissblütigen, tempramentvollen Familie war, so war er auch der hartnäckigste mit den deutlichsten Moralvorstellungen. Eneas reagierte nicht einfach nur tempramentvoll, wenn ihm etwas nicht passte. Er hakte dann so lange auf Kosta herum und bearbeitete ihn, bis der Krieger vollkommen geschafft klein beigab und nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf stand. Wie auch zum Beispiel bei Kostas Wunsch, Eneas solle eine Weile als sein Sklave leben.
"Für mich macht es das viel einfacher", versuchte er Eneas standhaft dagegen zu halten. "So kann ich klare Grenzen setzen. Regeln, an die du dich hälst." Eneas schien es leichter zu fallen, gewisse Dinge nicht zu tun, weil er sie als Sklave von seinem Herrn verboten bekommen hatte, als wenn Kosta ihn als Freund darum bat, es nicht zu tun. Deswegen hatte Kosta zwar nicht von Eneas gefordert, für eine Weile sein Sklave zu sein, trotzdem genoss er nun manchmal den Freiraum, den ihm das gab. Es kam auch für ihn überraschend.
Vorsichtig gestanden sie sich einander, wie schwer es war, miteinander zu reden und mit den jeweiligen Reaktionen klar zu kommen. Dass sie manchmal einfach nicht weiter wussten. Es tat Kosta so leid, dass Eneas nun wohl das Gefühl hatte, er durfte nicht tempramentvoll reagieren. So ein bisschen Temprament war schon in Ordnung. Kosta kam nur nicht damit klar, wenn Eneas so richtig wütend wurde und ihm in einem Rundumschlag erklärte, was er alles falsch gemacht hatte. Das tat so weh und schüchterte ihn ein. Und selbst wenn er versuchte Paroli zu bieten, wurde Eneas nur noch wütender und verletzter. Kosta wusste wirklich nicht wie weiter. Prompt zuckte er dann auch schuldbewusst zusammen, als Eneas ihm erklärte, dass er nicht wollte, dass Kosta das Gefühl hätte, nicht mit ihm reden zu könnten. Unwohl schlug er die Augen nieder und biss sich auf die Unterlippe. Dieses Gefühl hatte er doch schon fast so lange, seitdem er Eneas kannte. Spätestens ab da, wo ihm klar geworden war, dass er Eneas liebte. Ab da hatte er ihm nicht mehr alles erzählt und angefangen, seinen Freund anzulügen.
"Ich glaube, du willst es zu sehr, konzentrierst dich so sehr darauf es zu bekommen, dass du noch nicht einmal merkst, dass du es längst hast", sprach er Eneas lieber rasch auf seinen anderen Gedankengang an. Liebevoll und auch etwas wehmütig lächelte er seinen Freund an. Ja, Eneas setzte ihn damit unter Druck, dass er es so sehr wollte, dass er sein Zuhause war und ihm Kraft gab. Dabei war Eneas schon längst sein Zuhause. Seit Jahrhunderten. Er gab ihm die Kraft, die er zum Leben brauchte. Auch wenn er sie ihm manchmal auch raubte. Leider war Eneas zu blind zu erkennen, dass er schon längst hatte, was er sich so sehnlichst wünschte. Kosta verstand nicht, wie das gehen konnte.
"Hättest du dieses Anrecht denn gerne?" fragte er Eneas sanft. "Dass du mir alle möglichen Fragen stellen kannst und ich sie dir alle so wahrheitsgemäss wie möglich beantworte?" Wieder so etwas, was Eneas schon längst besass. Zu Anfang, weil Kosta als Sklavenjunge gar nicht anders gekonnt hatte, später dann aus tiefst empfundener Hingabe heraus. Es gab dabei allerdings eine Einschränkung. Da hatte Eneas schon recht. Wann immer Kosta das Gefühl gehabt hatte, seine Antwort könnte Eneas schaden oder verletzen hatte er geschwiegen oder sogar gelogen. Nie weil Kosta sich zu sehr geschämt hätte, über das was ihm angetan worden war, bevor er zu Timaris kam. Sondern immer nur, um Eneas zu schützen. Das würde sich auch niemals ändern.