Re: Prinz Erenos
von Yadriël » Mo 2. Dez 2019, 11:56
"Ich will ihn nicht sehen, Phoebe. Ich habe mit ihm nichts zu tun."
Sie blickte ihn kritisch an, genau wissend, dass er Blödsinn redete. "Wieso bist du dann hierher gekommen?"
"Du weißt, dass ich dorthin gehe wohin meine Herrin mich schickt. Sie will deiner Herrin nochmal ein Geschenk machen", erklärte er lapidar, doch Phoebe ließ nicht locker.
"Nein, ich meine wieso bist du dann zu meiner Türe gekommen. Die Lustsklavinnen sind woanders."
Yadriël wandte den Blick ab, presste die Lippen zusammen. "Dachte, wir könnten nochmal..."
Ihre Lippen näherten sich seinem Ohr, ihr süßer Atem direkt an seiner Haut. Er wusste nicht wieso ihn das erschaudern ließ. "Wenn du mich nochmal ficken willst, dann komm rein. Aber er schläft in einer Wiege in meinem Zimmer."
"Du bist so vulgär", erschrak er wieder. Yadriël hatte es fast vergessen. Phoebe grinste und fasste ihn an der Hand. "Wenn deine Herrin das wüsste.."
"Weiß sie zum Glück nicht."
Yadriël ließ sich über ihre Türschwelle ziehen. "Sie erwartet, ein braves, liebes Spielzeug."
Phoebes Gesichtsausdruck verhärtete sich prompt, ein wilder Sturm in ihren Augen. "Sie bekommt meinen Sohn nicht", sagte sie entschlossen. Im Hintergrund regte sich ein kleines Bündel in einer Wiege. Yadriël vermied es dorthin zu sehen, aber aus den Augenwinkeln sah er den kleinen Schopf und eine rosige Hand, die versuchte den Zipfel der Decke zu fassen.
Die letzten Wochen hatte Yadriël in einem diffusen Dämmerzustand verbracht. Von einer Bewusstlosigkeit zur nächsten. Später war er immer wieder aus und in den Schlaf gedämmert und es hatte länger gedauert bis er begriffen hatte, dass er nicht mehr im Dschungel lag sondern in einem weichen Bett in einem weißen Zimmer. Noch etwas länger bis er die Stimmen hatte ausmachen können, die ihn respektvoll mit Yadriël Erenos ansprachen. Das war nicht sein richtiger Name. Aber er hatte auch nicht erwartet zu überleben. Dieser Name hatte ihn gerettet und nichts anderes. Er brauchte etwas um das zu realisieren und mitzubekommen, dass die Heilerinnen, die sich um ihn kümmerten, ihn nicht nur respektvoll anredeten sondern auch respektvoll berührten. Als wäre er jemand anderer.
Yadriël Erenos, Adeliger und im ersten Kreis von Timaris Tolarim. Anscheinend wurde das von ihm geglaubt und das ganz ohne Yadriël auch nur ein Wort darüber verloren hätte. Er wusste nicht wie die Heilerinnen darauf gekommen waren, doch er hatte auf die Nachfragen nur matt genickt. Sein Kopf fühlte sich dumpf an und für lange Zeit schmerzte jeder Atemzug und jede noch so kleine Bewegung.
Erst viel später wurde es besser. Aus den Gesprächsfetzen seiner Zimmernachbarn konnte er sich zusammenreimen, dass sie alle Adelige waren. Hayllische Adelige, die in der Armee gedient hatten. Sie hatten keine Ahnung, dass ein Schwindler in ihrer Mitte lag. Yadriël konnte nur hoffen, dass seine sonnenverbrannte Haut lange genug hielt und sein neuer Name sie alle lange genug blendete. Die Heilerinnen, insbesondere die Leiterin, wurden nicht müde zu beteuern wieviel sie für ihn gemacht hatten und wie kritisch der Zustand seiner Beine gewesen war. Der Prinz war auch so überrascht den unteren Teil seines Körpers nochmal wiederzusehen. Das tagelange Ausharren im Dschungel, eingeklemmt unter dem Baumstamm, kam ihm wie ein ferner, wirrer Traum vor und er wusste nicht mehr, ob er sich richtig erinnerte. Er wusste nicht einmal, woher die Heilerinnen seinen Namen kannten oder annahmen, dass er ein adeliger Hayllier war. Es sähe ihm ähnlich, dass er noch im Delirium gelogen hatte. Sein Überlebensinstinkt funktionierte anscheinend auch ohne sein Bewusstsein.
Doch das Rätsel löste sich irgendwann, als man ihn auf den Ausweis auf seinem Nachttisch hinwies. Da fiel Yadriël wieder ein, dass er Kostas Familiennamen hineingeschrieben hatte. Eigentlich mehr dafür, dass man seine Leiche, falls sie gefunden worden wäre, hätte zuordnen können. Damit der Kleine Gewissheit hätte, was mit ihm passiert war. Für einen Brief hatte es nicht gereicht. Nur dieser eine Name.
Erenos.
Yadriël musste oft an Phoebe denken. An sie und ihren Sohn. Was aus beiden geworden war. Allmählich ging es dem Prinzen gut genug, dass er länger wachbleiben. Die schemenhaften Umrisse schärften sich, die Stimmen wurden klarer. Er war sich jetzt seiner prekären Situation bewusst. Die Heilung und Pflege, die er dringend benötigte, hing davon ab, dass ihn alle im Krankenhaus für Yadriël Erenos, den Adeligen hielten. Aber im Grunde wusste er nicht wer das war. Er hatte nie Zeit gehabt das herauszufinden. Und wer war Zucker je gewesen?
Er hatte viele Tage darüber nachzudenken. Er konnte nicht aufstehen. Die Heilerinnen hatten ihm deutlich gemacht, dass jede Erschütterung seiner Beine die Netze sofort wieder zusammenbrechen lassen könnten. So steckten sie in Gips und in Schlaufen eingefasst, ragten leicht in die Höhe. Wieder war er gefesselt und steckte fest.
Yadriël wusste nichts mit seiner Zeit anzufangen außer zu Grübeln und an die Vergangenheit zu denken, obwohl seine Devise stets gewesen war sie ruhen zu lassen.
Während es ihm von Tag zu Tag besser ging, fragte er sich was aus ihm werden würde. Einer der Adeligen wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Er sprach davon, dass ihn seine Diener abholten und zu seiner Villa brachten, wo sie ihn gesundpflegen würden.
Die anderen dachten, Yadriël hätte auch solch eine Villa. Er war froh, dass der Mann weg war, der behauptet hätte, er hätte noch nie von der Familie Erenos gehört geschweige denn, dass einer davon im Kreis der Territoriumskönigin dienen würde. Zum Glück hatte Yadriël den Ausweis, der jetzt als vermeintliches Beweismittel diente. Keiner der Adeligen hatten einen Ausweis, der von Timaris Tolarim höchstpersönlich unterschrieben und besiegelt worden war.
Er fühlte sich nicht gut dabei den Ausweis dafür zu benutzen. Er wollte der Königin nichts verdanken, doch er war kein stolzer Mann. Wenn es ihm half zu überleben, griff er auch danach. Da kannte er nichts. Er hatte schon schlimmere Sachen gemacht.
Minans Worte kreisten ihm im Kopf herum. Was aus seinen Kindern geworden war. Yadriël wollte nicht daran denken. Er konnte nichts für deren Schicksal. Es war nicht seine Schuld, dass sie als Lustsklaven geboren worden waren, gefangen in einer widerwärtigen Maschinerie aus Zuchtbüchern, Forschungen und Abstammungen.
Er hatte versucht den Krieg zu beenden und Sion zu vernichten. Wog das nicht die Sklavenkinder auf?
Aber die Frage ließ ihn trotzdem nicht ganz los.
Dann informierte ihn die Leiterin eines Tages, dass man sich nach ihm erkundigt hätte. Ein Lord Ivores. Yadriël sagte das nichts, doch er spielte mit und meinte, dass es ein Angestellter von ihm wäre. Er hatte keine Ahnung, aber die Heilerin glaubte ihm. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass er bald das Krankenhaus verlassen könnte, um in seinem Heimatland gesund gepflegt zu werden.
Sein Heimatland lag in Schutt und Asche und war vermutlich so zerstört wie sein eigener Körper. Der Prinz wusste nicht wer ihn abholen würde; ob überhaupt jemand kommen würde. War der Mann ein Bediensteter der Königin? Oder würde vielleicht gar der Kleine herkommen? Wenn Kosta von ihm erfahren hatte, würde er ihn bestimmt retten wollen. Er konnte nicht aufhören ihm helfen zu wollen. Wenn er wüsste, dass Yadriël an seinem gesamten Leben Schuld war. Ein Leben, das Kosta nicht mehr hatte haben wollen. Das letzte Mal hatte Yadriël ihn in den Armen von Taelos gesehen. Verstört und verstummt. Es war ihm gar nicht gut gegangen.
Yadriël hatte weitere Tage darüber nachzudenken. Als ihn dann eine Heilerin informierte, dass ein Prinz diTorgio und Lort Puerta hier wären, um ihn zurück nach Hayll zu bringen. Wer? Der Prinz hatte gerade noch nichtsahnend seinen Pudding gegessen, ein Höhepunkt in den langweiligen zäh vorbeigehenden Tagen. Und nun kamen irgendwelche noblen Fatzkes, die ihn zu Timaris bringen wollten? Wenn das überhaupt alles stimmte. Angespannt versuchte Yadriël sich etwas besser aufzusetzen. Er strich sich durch die schwitzigen Haare. Das letzte Bad von einem der Aufseher, die ihn viel zu sehr an Dalmadans Feste erinnerten, war schon etwas her.
Sein Gesicht hellte sich auf, als er Amancio und Aerion erkannte. Die Piraten! Dunkelheit sei gedankt, für diese lästigen, viel zu hilfsbereiten Piraten!
Und bedeutete das auch, dass Kosta...
Kurze Zeit später stolperte der Krieger bereits ins Zimmer zu. Scheu und unsicher nickte er ihm zu.
"He, Kleiner...", brachte Yadriël die Worte vor von denen er nicht geglaubt hätte, er würde sie nochmal sagen können. "Immer noch verstummt?"
"Prinz Erenos. Gut euch zu sehen", sagte Amancio.
"Wir können einige Vorbereitungen treffen, damit ihr euren Herrn nach Hause bringen könnt, Lord Ivores", wandte sich Lady Ilenion an Taelos.
"Herr?", fragte dieser noch einigermaßen entrüstet ehe er sich wieder fing. "Ja, natürlich." Der Kapitän sah zu Kosta, zögerte ehe er die Heilerinnen bat sie für einen Moment alleine zu lassen.
Inzwischen waren Amancio und Aerion näher gekommen. Aerion hatte auch Kosta etwas näher geschoben, aber er schien ihn nicht sonderlich sehen zu wollen. Yadriël wusste erst recht nicht wie er mit ihm umgehen sollte.
"Ist schlimmer als es aussieht", sagte er und stockte kurz. "Scheiße, ich meinte, sieht schlimmer aus als es ist. Das wird schon wieder."
"Wir hätten nicht gedacht von dir zu hören", sagte Aerion. Yadriël zuckte leicht mit den Schultern und stellte das Puddingschälchen beiseite.
"Hätte ich auch nicht. Ein Baumstamm und ich hatten eine unfreiwillige Begegnung. Dachte das wärs gewesen. Hab meinen Ausweis herbeigerufen und auf meine Brust gelegt und gewartet..." Er sah zu Kosta. "Schau nicht so gequält. Hast mich schon ganz anders gesehen." Im Kerker von Dunrobin Castle zum Beispiel.
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