Re: Verstummt
von Eneas » Sa 8. Okt 2022, 22:33
"Ich habe kein Recht zu heilen." Dieser Satz wurde ihm entgegengeschlagen und ließ Eneas erschrocken innehalten. Kosta klang so voller Hass auf sich selbst. Eneas wusste, dass sein Freund schnell dabei war, sich selbst Vorwürfe zu machen, doch das dies gar in Hass und Abscheu umschwang, war alarmierend.
"Natürlich hast du das...", sagte Eneas leise eindringlich, "Du bist kein schlechter Mensch..." Er hätte Kosta gerne noch so viel mehr gesagt, doch der Blick des anderen Kriegers war sofort so finster geworden, dass Eneas es nicht wagte. Er hatte vermutlich bereits viel zu viel gesagt. Was hatte Kosta im Krieg getan, dass ihn so sehr belastete? Dass er sich selbst jegliche Heilung versagen wollte und zu glauben schien, er hätte sie nicht verdient. Damals nach Nevander hatte Eneas lange geglaubt, er wäre schwächlich und nichts wert. Irgendwann hatten all die eingetrichterten Worte seines Urgroßvaters Wirkung gezeigt. So sehr, dass er geglaubt hatte, Timaris würde ihn sofort verlassen, wenn sie erfuhr was für ein Schwächling er war. Es waren sehr selbstzerstörerische Gedanken gewesen und Kosta schien ebenfalls etwas über sich zu glauben, dass gewiss nicht stimmte. Wenn Eneas nur zu ihm durchdringen konnte. Doch sofort waren Kostas Barrieren alle wieder da. Der abwesende Blick, die versteifte Haltung und der distanzierte Tonfall.
Nur noch sehr knapp erwiderte Kosta seine Worte und versprach, dass er mit Tileo darüber reden würde, was es hieß nicht in der Nähe seiner Königin sein zu können.
"Danke", sagte Eneas leise. Er wusste schon jetzt, dass sein Freund nun gleich fliehen würde. Eneas verfluchte sich innerlich, dass er überhaupt die Albträume angesprochen hatte. Er hätte es besser wissen müssen. Nur wollte er seinem Geliebten so gerne helfen. Stattdessen vertrieb er ihn mal wieder.
So war Eneas nicht sonderlich überrascht, als sich Kosta abrupt von ihm abwandte. Der Pirat rang mit sich, ob er ihn aufhalten sollte oder nicht. Aber damit wäre er gewiss noch unbequemer in Kostas Augen. Noch ein Grund lieber Zeit mit Fabiene als mit ihm zu verbringen.
"Ich wollte dir nicht weh tun..", sagte Eneas. "Gute Nacht", wünschte er ihm trotzdem und sah Kosta besorgt hinterher. Wenn er Kosta mit seinen Albträumen doch nur hätte helfen können... sie hätten eine Schwarze Witwe dafür benötigt. Oder eine Priesterin. Ob er Leto fragen sollte? Eneas ging ihr momentan größtenteils aus dem Weg. Sie schlief auch nicht im Gemeinschaftshaus, sondern irgendwo anders im Dorf, näher zum Hafen hin. Eneas seufzte. Bevor sie abreisten, würde er sowieso nicht drumherum kommen mit ihr zu reden. Er wollte ihr etwas sagen, was er schon viel zu lange aufgeschoben hatte.
Die nächsten zwei Tage waren angefüllt mit Vorbereitungen für das Fest und ihre Abreise. Eneas begutachtete nochmal Josés Schiff, ob es etwas auszubessern gab und wo sie ihr Gespäck verstauen würden. Da es eine längere Reise war, musste entsprechend gut gepackt und vorbereitet werden. Etwas, was Eneas Planungsfähigkeiten weit überstieg. Das hatte in den letzten Jahren immer Leto gemacht, doch darauf konnte er sich nicht mehr verlassen. Und Kosta hatte eindeutig anderes im Kopf. Also bemühte Eneas sich, sein bestes zu geben, wobei Tileo unerwartet eine große Hilfe war, der eifrig Listen anfertigte (die dann von Arion bemalt wurden) und sich überlegte was sie alles benötigten. Maria und Ulysses halfen ebenfalls aus und am frühen Morgen der Abschiedsfeier war dann endlich fast alles verstaut.
Eneas konnte es nicht länger hinausschieben und suchte endlich Leto auf. Sie war am Trockendock und arbeitete zusammen mit dem Rest der Mannschaft an der 'E'.
Als Eneas die Heilerin ansprach, huschte ein kurzer Ausdruck des Schmerzes über ihr Gesicht, doch dann war es wieder verschwunden.
"Ich wollte dich nicht stören", begann er, Kapitänshut in der Hand. Betreten strich er mit dem Stiefel durch den Sand.
"Wieso tust du es dann?", entgegnete Leto ungnädig, die Arme verschränkt. Sie standen abseits des Schiffes. Eneas bemerkte die Blicke der Mannschaft nicht, die gespannt zu ihnen hinüber sahen.
Eneas atmete tief durch. "Wie du sicher weißt, reisen Kosta, Tileo und ich morgen ab... und ich weiß nicht wie lange wir unterwegs sein werden", setzte er an. Wieder blickte er auf den Dreispitz in seinen Händen, drehte ihn nachdenklich hin und her. Leto schwieg kühl. "Aber auch danach werde ich mich darauf konzentrieren, dass es Kosta besser geht... ich kann ihn nicht weiter und weiter über die Ozeane mitnehmen..." Das war immer sein Traum gewesen, aber nicht unbedingt Kostas. Eneas hatte jedoch noch einen anderen Traum und das wer der mit Kosta zusammenzukommen.
"Hat das noch irgendetwas mit mir zu tun?", fragte Leto. "Ich will nichts über eure Beziehung hören. Ich bin froh, dass ich damit nichts mehr zu tun habe."
"Ich weiß, ich weiß..", beeilte sich Eneas zu sagen, "Was ich damit meine, ist... dass ich für längere Zeit nicht Kapitän der 'E' sein kann." Er hob den Kapitänshut und hielt ihn ihr hin. Leto blickte irritiert zum Dreispitz. "Ihr sollt nicht auf Kosta oder mich warten müssen und das Schiff braucht einen Kapitän. Ich kann mir niemand besseren vorstellen als dich." Er hielt ihr den Dreispitz nochmal hin bis ihn die schöne Priesterin endlich zögernd ergriff.
"Du gibst mir dein Schiff?", fragte sie leise. Eneas nickte.
"Es war auch immer dein Schiff. Ich wollte dich nie davon vertreiben. Es tut mir leid, wie es zwischen uns geendet ist", entschuldigte er sich nochmal. Leto wog den Kapitänshut kritisch in den Händen.
"Das macht nicht wieder gut, dass du mir zehn Jahre lang Hoffnung gemacht hast", sagte sie. Eneas nickte ergeben. Schließlich setzte sich Leto den Dreispitz auf. "Es ist ein Anfang", meinte die Piratin dann. Eneas lächelte sie an.
"Der steht dir gut", bemerkte er.
"Nur dass du es weißt, ich benenne das Schiff um. Wer benennt ein Schiff nach einem Buchstaben?", gab sie zurück. "Und ich baue Laertes Maschine ein. Ich will wissen, ob sie funktioniert."
"Du bist Kapitän", stimmte Eneas allem zu. "Versenk es bloß nicht."
"Du hast dein erstes Schiff auch versenkt", erwiderte Leto. Eneas musste grinsen. Da hatte sie recht. Dann verabschiedete er sich von ihr und ging am Schiff entlang, tätschelte noch einmal den aufgebockten Kiel. Einige der Mannschaft eilten zu ihm.
"Hast du gerade das getan was ich denke, was du getan hast?", fragte Damien.
"Es war an der Zeit", antwortete Eneas. "Pass auf sie auf." Er blickte zum Schiff, dann nochmal zurück zu Leto. "Auf beide."
Eneas verabschiedete sich vom Rest der Mannschaft. Zwar hatten sie dazu auch auf der Feier Gelegenheit, aber so war es nochmal etwas persönlicher und er konnte sich mit jedem in Ruhe unterhalten. Sie schienen einverstanden mit seiner Entscheidung.