Re: Knospende Liebe
von Kayne » Di 5. Mär 2024, 17:01
"Was ist denn mit dir los? Du siehst ja kreidebleich aus", begrüßte ihn Hendrik, als er zurückkam. "Ist das Gespräch nicht gut gelaufen? Haben ihnen die Stoffe nicht gefallen? Es ist das beste Tuch was ich je in meinem Leben gesehen habe. Königinnen würdig!"
"Doch, doch, es hat ihnen gefallen." Er stellte das Gepäck in die Ecke ab und setzte sich an den Zeichentisch. Ohne ein weiteres Wort begann er zu zeichnen, doch seine Hände zitterten. Neben dem freien Platz türmten sich die zerknüllten Papiere, nichts war gut genug.
"Jetzt lass doch mal die Arbeit ruhen. Wann hast du das letzte Mal geschlafen oder gegessen, Kayne? Ein guter Schneider muss auch auf die Bedürfnisse seines Körpers hören." Sanft aber doch bestimmt entwand der alte Mann Kayne die Zeichenfeder. "Los, ich will, dass du dich hinlegst und schläfst, ich schau mir deine Zeichnungen dann und sag dir später, woran es hapert."
Da Meister Hendrik keine Widerrede duldete, ging Kayne schließlich doch nach oben, zog die Hose aus und legte sich ins Bett. Er wälzte sich hin und her, starrte gegen die Decke, drehte sich dann auf den Bauch und zog die Zeichnung aus der Hosentasche, die auf dem Boden neben dem Bett lag.
Gut, sollte sie ihn nicht mögen. Er mochte sie auch nicht. Rasch ließ er die Zeichnung wieder sinken und drehte sich in die andere Richtung.
Die nächsten Tage fing Kayne erst so richtig mit der Arbeit an, er hatte gelernt mit wenig Schlaf auszukommen. Die meiste Zeit über hielt er sich jetzt in der Werkstube auf, wo es zwei Anziehpuppen gab an denen er die ersten Entwürfe testete, um zu sehen wie der Stoff fiel und wirkte. Er aß nur, wenn Hendrik ihn dazu zwang. In einem Moment quälte sich Kayne mit der Verarbeitung des Stoffes ab, der sich ihm immer wieder entzog, ein ander Mal verzweifelte er an den einfachsten Nähten, dann machte ihm der Saum zu schaffen, doch der Ausschnitt fiel gut, doch hatte er den Saum gut hinbekommen, passte das andere nicht mehr, der Stoff war zu kurz oder zu lang. Er taumelte zwischen Freude und Verzweiflung. Immer hatte das Kleid irgendeinen Fehler. Vielleicht sollte er ganz von vorne anfangen, vielleicht auch nicht. Er seufzte erschöpft. Vielleicht sollte er den Auftrag einfach ablehnen, es gab ja genug andere Schneider, die ihr ein Kleid für die Männerjagd machen würden, er konnte es offenbar nicht.
"Was grämst du dich denn? Du machst doch gute Fortschritte. Das grüne Kleid ist ein Traum und es ist nichtmal fertig. Du hast zu hohe Ansprüche." Hendrik klopfte ihm auf die Schulter. "Komm, wir gehen einen trinken. Du mußt mal auf andere Gedanken kommen."
"Später vielleicht." Er starrte im Verkaufsraum aus dem Fenster.
"Dann iss wenigstens was."
"Später vielleicht." Er starrte immer noch, seine Augen schmerzten.