Der Schneider
von Kayne » Mi 26. Apr 2023, 19:32
Kayne folgte mit dem Blick den zwei Königinnen, die gerade die Spelunke verließen und kaum waren die beiden gegangen und hatten die eisige Wut mit sich genommen, entspannten sich die Männer und Frauen, die eigentlich nur in Ruhe ihr Bier genießen wollten. Kayne wünschte sich, er hätte ebenfalls die heruntergekommene Taverne verlassen können, doch sein Meister saß vor ihm und stürzte ein Bier nach dem anderen in sich rein. Hinterher würde er nichtmal mehr gerade stehen können und es war Kaynes Aufgabe den versoffenen Schneider zurück zu seinem Haus zu schaffen und dafür zu sorgen, dass der alte Mann nicht auch noch ausgeraubt wurde.
"Waschn warn das fürn Frost?", lallte Hendrik und schüttelte sich. Kayne unterdrückte ein Seufzen.
"Nichts, er ist bereits weitergezogen. Zwei mächtige Königinnen", antwortete der Prinz und bezweifelte, dass der Schneider ihn überhaupt verstand. "Wir sollten auch gehen..."
"Nich bevor du nich den Bier ausgetrunkn has!", bestand der Schneider und deutete zitternd auf Kaynes Krug. Es war erst sein zweiter, aber er hatte sich nie viel aus Alkohol gemacht. "Königinnen, hä? Waschn mit dem Kleid für unsre Kundin?" Aus verquollenen Augen blickte Hendrik ihn forschend an. Kayne machte eine wegwerfende Geste.
"Es ist fast fertig." Genaugenommen war es fertig, es hätte nur von der Königin ein letztes Mal anprobiert werden müssen. Doch bei all den Malen davor hatte die Frau ihm ziemlich eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie seine geschickten Hände lieber auf nackter Haut spüren würde. Er war nicht drauf eingegangen und hatte sie relativ schroff behandelt. So wie einige Kundinnen davor ebenfalls, was nun dazu geführt hatte, dass sie nicht mehr viel Geld besaßen. Warum ließen sie ihn nicht einfach in Ruhe arbeiten? Er wollte Kleidung anfertigen und sie nicht irgendwelchen hochnäsigen Adeligen wieder vom Körper reißen.
"Komm, beweg dich endlich. Morgen kommt der Tuchhändler, wie willst du Preise verhandeln, wenn du betrunken bist?" Kayne zog seinen Meister von der Bank und drückte der Schankmaid das Geld für die Getränke in die Hand. Die Frau zwinkerte ihm zu, was Kayne jedoch überhaupt nicht registrierte. Er war ganz damit beschäftigt, Hendrik aus der Taverne zu bugsieren und sich dabei gewiss zum Hundertsten Mal fragend, warum er nicht endlich irgendwo einen eigenen Laden eröffnete und sein eigener Meister war? Es war nicht so, dass Hendrik ihm noch viel hätte beibringen können, Kayne wußte einfach nur nicht, ob er schon bereit war das Wanderleben aufzugeben. Und was für Ware er anfertigen wollte... Kleider, Schmuck vielleicht, Waffen... Und wenn, wo sollte er leben? Er fühlte sich selbst jetzt rastlos, irgendetwas stimmte nicht, das wußte er, aber das Gefühl wollte nicht weggehen.
Kayne legte einen Arm des Schneiders um seine Schulter, stützte den Mann so, obwohl er dafür selbst halb gebückt gehen mußte, da sein Meister viel kleiner als er war. Sie gingen an der Kaimauer einer der vielen Kanäle entlang und Kayne steuerte zielsicher zu ihrem eigenen kleinen Boot mit dem er manchmal rausfuhr, um zu fischen.
"Du bisn guter Junger... nen guter Junge", lallte der Schneider. "Wennisch dich nich hätt..."
Dann würdest du vermutlich immer noch in der Taverne sitzen und höchstens ein Kleid im Jahr verkaufen, dachte Kayne bei sich, sagte aber nichts. Irgendwie schaffte er es den Mann in das kleine Boot zu hieven ohne dass dieser fiel. Kayne hatte sich gerade ebenfalls ins Boot begeben und die Ruderstange ergriffen, als er noch einmal nach oben blickte und eine bekannte Gestalt sah. Gekleidet in einen hochgeschlitzten Flickenrock und ein weißes geöffnetes Hemd, das knapp oberhalb des Bauches verknotet war, stand Gerlie da und lächelte ihn verschmitzt an.
"Kayne, die Nacht ist noch nichtmal halb rum und du fährst schon?", sagte sie gespielt vorwurfsvoll.
"Es gibt Arbeit zu tun", erwiderte er knapp. Sie kicherte kokett.
"Das ist doch nur deine Ausrede. Gönn dir mal ein bißchen Spaß." Bei den Worten öffnete sie ihr Hemd leicht und drehte ihre Hüften hin und her.
"Ein ander Mal vielleicht." Und das sagte er ihr immer. Gerlie war eine Hure, er wußte das, doch er hatte nie ihr Angebot wahrgenommen. Trotzdem mochte er das Mädchen, sie verbarg wenigstens nicht was sie war und stand dazu. Manchmal bezahlte er sie dafür, dass sie Ankleidepuppe spielte und ihr gefiel es, all die hübschen Kleider wenigstens einmal anzuhaben.
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