Re: Ein Brief aus Hayll
von Dulcie » So 17. Mär 2024, 20:43
Aha, also doch. Die Glacierin setzte sich auf bei der Erwähnung, Dulcie hätte Post für sie. Jetzt konnte die Heilerin auch die blauen Augen der blonden Frau erkennen. Zwar hatte die immer noch nicht gesagt, ob sie jetzt wirklich Tania Narray war, doch da der Brief sich ohnehin nur für diese bestimmte Person öffnen ließ (Dulcie hatte es dummerweise ausprobiert und das hatte sehr weh getan), war es wohl kein großer Verlust wenn Dulcie ihr den Brief jetzt überließ.
Sie ließ den Umschlag erscheinen. "Dann ist der wohl für dich." Dulcie reichte ihr den Umschlag. "Also falls du in Chaillot noch was brauchst, kennst du ja jetzt meinen Namen." Damit war ihr Auftrag erledigt und sie wandte sich ab. Nun würde die Frau auch die Tätowierung sehen können, doch Dulcie schritt einfach mit wiegenden Hüftschwung durch den Sand und warf ein paar Männern ein kokettes Lächeln zu, nur um gleich zu erröten als einer grinste.
Jetzt mußte sie nur Ayden Bescheid geben, dass sie seine gesuchte Frau ausfindig gemacht hatte. Beziehungsweise sie würde nach Hayll reisen und er würde in ihrem Gedächtnis rumkramen, denn es schien ihm unglaublich wichtig, zu sehen, ob Dulcie auch mal wieder keinen Mist gebaut hatte.
Sie ließ Tania allein mit dem Brief und wandte sich auch nicht mehr um.
Die Schrift sah von weitem wunderschön geschwungen und verschnörkelt aus, was bewirkte, dass sie von nahem unheimlich schwer zu lesen war, eben Aydens Handschrift. Es war edles, aber schlichtes Büttenpapier, schmucklos so wie der Umschlag, der nur mit dem Siegel des Haushofmeisters von Hayll verschlossen war und Tanias Namen trug.
Ohne Umschweife begann der Brief, besaß keine Anrede und keine Unterschrift. Es sah so aus, als wäre geschrieben worden ohne auch nur einmal abzusetzen.
Wenn Du diese Zeilen hier liest, lebe ich ganz offensichtlich noch, auch wenn ich mich nach Kräften bemüht habe, es nicht zu tun. Meine Schulter wurde verletzt, aber es ist längst wieder verheilt. Unglücklicherweise wurde mein Duell mit Prinz Arachna von einer vier Meter großen Spinne unterbrochen, die etwas von Weltuntergang, Tod und Verderben faselte. Du weißt, dass das die Wahrheit ist, meine Lügen würden wesentlich glaubwürdiger klingen. Es tut mir leid, dass ich erst jetzt schreibe. Aus vielen diversen Gründen, die Dir alle klar sein werden, habe ich mich bisher davor gedrückt und ich werde nun keine Ausreden dafür vorschieben, auch wenn mir das große Erdbeben von Askavi dazwischen gekommen ist, aber selbst das habe ich überlebt. Anscheinend soll ich noch nicht in die Ewigkeit eingehen, obwohl mein Leben momentan ein stetiges Auf und Ab ist und ich das tue was ich am besten kann, um zu überleben.
Fakt ist aber, hier sind alle ein bißchen außer Rand und Band wegen dem neuen Herrscher vom lichten Dhemlan, das nicht mehr so licht ist wie es sein sollte. Also selbst wenn ich in Deine Fähigkeiten und Stärke vertraue, halt Dich lieber fern von Dhemlan und ich werd jetzt nicht schreiben, tu's für mich.
Im Prinzip könnte ich damit den Brief beenden, aber so leicht mach ichs Dir nicht. Ich weiß nicht wie es Dir geht, aber ich hab es satt, ständig an Dich zu denken ohne Dich vergessen zu können. Freu Dich wenigstens, dass hier auf Schloss Hayll alle unter meinen Launen zu leiden haben und Timaris schon die Wände hochgeht deswegen.
Also dachte ich, wir versuchen mal eine neue Taktik, ja, lass es mich bitte Taktik nennen, und statt einer vom Schicksal herbeigeführten Begegnung, treffen wir uns bewußt geplant. Und dann länger als nur eine Nacht. Ich hoffe, Du bist nicht zu schockiert über diesen Vorschlag. Meine Geschäfte und mein Amt erlauben es zwar nicht, dass wir uns wochenlang vergnügen können bis wir genug voneinander haben, aber ich werde für sechs Tage auf meinem Landgut in Glacia sein, im Bezirk Winhill. Unten steht die Adresse und wann genau ich da sein werde. Es ist abgeschieden und wir wären völlig allein, fern von jeder Realität. Du kannst Dich entscheiden, ob Du kommen willst oder nicht, ich werde so oder so da sein. Wenn Du nicht kommst, tust Du mir sechs Tage Enthaltsamkeit an, ich hoffe, das ist Dir klar.
Ach ja... eins noch, es wäre sehr kitschig und bescheuert, diesen Brief von mir aufzubewahren, um ihn jeden Tag rauszuholen und zu lesen, denn an den Worten wird sich nichts ändern, also wäre es das beste ihn zu verbrennen, allerdings steht hier die Adresse des Landgutes drauf, weswegen ich denke, es wäre legitim ihn aus diesem Grunde zu behalten.