Diese blonde Frau war also tatsächlich Alienor, Sions berüchtigte Königin. Wobei eigentlich ja eher Zorya berüchtigt war. Alienor also war es gewesen, die ihnen verraten hatte, was Sion wirklich war. Alienor, war die Königin, der sich, laut Kosta, die sechste Kompanie, eine Kompanie voller verurteilter, zäher Schwerverbrecher verschrieben hatte. Konnten sie ihr trauen? Wenn ja, hätten sie ein gefährliches Messer in Sions Rücken. Sie müssten es nur verstärken und Kontakt zu der Sechsten aufbauen.
Auch Ayden sah das so und wollte den Kontakt wieder herstellen. Timaris wusste noch jemanden, der das wollte, auch wenn er es nicht gesagt hatte. Sie hatte es spüren können. Kosta schien sich in einen der Kerle verguckt zu haben. In einen schönen Hayllier mit verbranntem Gesicht. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Doch Timaris hatte keine Musse, weiter darüber nachzudenken. Selbst wenn Ayden und Gualterio ihr viel Zeit zum Denken gaben, indem sie sich beide gegenseitig anzickten. Aber da wanderten ihre Gedanken zu ihrem süssen Kosta, der sich in diese furchtbare Gefahr begeben wollte und nicht zu einem fremden Mann, der sie vielleicht einmal gesehen hatte.
"Du hast Lady Winter nicht gefragt?" hakte Timaris doch etwas überrascht nach, als Gualterio meinte, man müsse die schwangere Armeeheilerin fragen, ob es ein Gegengift gäbe. Er war doch mehrere Tage mit ihr auf dem Schiff und anschliessend auf der Pirateninsel gewesen. Da hätte er sich ruhig etwas darüber erkundigen können, anstatt hinter Laree herzuscharwänzeln. Auch wenn Timaris froh war, dass er das Mädchen nicht hatte sterben lassen. Sie nahm sowieso an, dass er früher oder später wieder hätte Schwarztraum nehmen müssen, da er sonst aufgeflogen wäre. Gualterio war schliesslich ein besonders tempramentvoller, launischer Kriegerprinz.
"Nein, nicht wenn die letzte Dosis aufgebracht ist", widersprach sie ruhig. "Du wirst sofort mit dem Entzug beginnen. Solltest du noch Schwarztraum bei dir haben, möchte ich, dass du es mir jetzt aushändigst. Die Schwarzen Witwen sollen es untersuchen. Vielleicht finden sie ja etwas, um das Gift zu neutralisieren, oder wenigstens einzudämmen." Auf weitere Diskussionen liess sie sich nicht ein. Weder wegen des Schwarztraumes noch bezüglich anderer Schuldzuweisungen und Unterstellungen. Das war Kinderkram für den sie jetzt keine Zeit hatten. Stattdessen zeigte sie ihrem zukünftigen Blutdreieck, was wirklich wichtig war.
Ayden wollte widersprechen, dass es keinen Angriff auf Hayll gegeben hätte, verstummte dann aber nachdenklich, als sie begann ihre Bluse zu öffnen. Jegliche Maske fiel von seinem schönen Gesicht ab und eine Welle des Zornes, von dem sie wusste, dass er nicht ihr galt, schlug ihr entgegen. Aufgebracht hatte er seine Hand zur Faust geballt und überschüttete sie mit besorgten Fragen.
Auch von Gualterio war unermessliche Wut zu spüren. Der Kriegerprinz war aufgesprungen und schien nach Dhemlan stürmen zu wollen, um Sion persönlich die Kehle durchzuschneiden. Selber fand er keine Worte.
Von Aaron nahm sie hingegen etwas ganz anderes war. Hingebungsvolle Schuld und unermessliche Trauer. Er gab sich die Schuld, dass er sie nicht besser hatte beschützen können. Offen blickte er ihr in die Augen, so dass sie geradewegs in seine Seele blicken konnte. Er stellte ihr keine Fragen, wusste, warum sie es verheimlicht hatte, wusste, wann es passiert war, wusste, dass er verloren hatte.
Dennoch riss ihr Gefährt sich als erster zusammen und erklärte, wer es getan hatte und wann es geschehen war. Zweiteres hätte sie eigentlich lieber verheimlicht. Sie wollte nicht, dass Ayden glaubte, sie gäbe ihm die Schuld daran, wo sie sich doch damals von ihm zu diesem Urlaub hatte überreden lassen. Wo er doch damals alles organisiert hatte. Sie wusste, dass er kein Verräter war. Weder spielte er Zorya noch Sion noch irgendwelchen Schnittern zu. Genau so wenig wie sie Aaron die Schuld gab, dass er sie nicht hatte schützen können.
"Es war eine Klinge aus Schwarzer Kunst", informierte sie die anderen ruhig, während sie ihre Bluse wieder zuknöpfte. "Sie hätte jeden Schild durchbohrt. An der Klinge war ein bisher unbekanntes Gift. Womöglich eine Mischung von Zorya. Es ist jedoch kein Gift einer Schwarzen Witwe. Ansonsten wäre ich längst Tod und es würden auch nicht plötzlich Boten aus Dhemlan an hayllischer Grenze stehen. Anscheinend weiss Sion, dass sein Attentat geglückt ist. Oder er vermutet es zumindest. Wir werden also schnell sein müssen. Doch wir sind nicht alleine. Chaillot zählt zu unseren Verbündeten, genau wie Tacea, von denen wir jedoch nicht viel Hilfe zu erwarten haben. Askavi wird auf unserer Seite kämpfen und ich denke, wir sind auch soweit, dass auch Shalador sich auf unsere Seite stellt. In Kaeleer sind sie noch weiter. In wenigen Wochen werden Nharkhava, Askavi, Glacia, Scelt, Dharo und Dea al Mon Dhemlan gleichzeitig an allen Fronten angreifen. Ihr Ziel ist es, die Spinnenkönigin von ihrem Thron zu stossen und das Tor zu schliessen. Das wird unsere Gelegenheit sein, selbst ein paar unbemerkte Schachzüge zu machen und Sion von hier aus anzugreifen. Wenn wir die sechste Kompanie bis dahin erreichen könnten, könnte sie gemeinsam mit den Rebellen womöglich Raej befreien." Über die Vergiftung wollte sie ganz offensichtlich nicht sprechen. Lieber sollte der Angriffsplan ausgedacht werden.