Re: Der Kampf gegen das schwarze Gift
von Timaris » Do 7. Mär 2024, 12:15
Ihr Körper versagte ihr den Dienst. Vor ihren Augen wurde es dunkel, da ihr die Lider zufielen. Doch ohnmächtig wurde sie nicht. Sie war noch da in ihrem Körper. Spürte, wie er von Aaron in den Raum nebenan getragen wurde, wo eine kleine, private Krankenstation für Timaris eingerichtet worden war, damit sie dort ungestört ihr Blut hatten waschen können. Sie hörte, wie Ayden sich darüber aufregte, dass sie nicht schon längst dort lag. Schliesslich wäre doch über sein Kommen informiert worden. Das stimmte zwar, dennoch war Timaris der Meinung, dass ihre Begegnung hatte stattfinden müssen.
Aaron legte sich behutsam auf den gepolsterten Tisch. Schmerz zuckte durch ihren Körper. Es war bedeutend angenehmer gewesen, zu schweben. So ganz ohne Berührung von irgendwas. Ausserdem war der Tisch kalt. Es wurde augenblicklich noch kälter, da Daipha ihr den Morgenmantel öffnete. Er schien zu stören. Dann wurde ihr eine lange Nadel in die Brust gerammt. Feuriger Schmerz breitete sich explosionsartig in ihr aus. Trotzdem versagte sie sich, qualvoll zu stöhnen oder gar zu schreien. Noch war sie da. Noch konnte sie gegen ihre Vergiftung kämpfen. Ihr Atem ging jedoch besorgniserregend flach und schnell und ihr Kiefer verkrampfte sich heftig.
Besorgt liess Daipha ihre Kunst wirken, damit ihre Muskeln wieder locker liessen. Damit sie wieder besser atmen konnte. Sanft streichelte sie ihr über den Kopf und riet ihr flüsternd, locker zu lassen, sich zu entspannen. Tröstend erklärte sie ihr, dass Sorra, ihr das Gegenmittel direkt ins Herz gespritzt hatte, weil es von da aus am schnellsten verteilt werden konnte. Ja, Timaris spürte es. Sie spürte die lange, scheinbar dicke Kanüle, die sich in ihren Körper gebohrt hatte. Spürte, wie sich von innen heraus ein stetiger Druck auf ihr Herz ausbreitete, bis es sich anfühlte, als wäre es zu klein, um alles aufzunehmen. Als würde es gleich zerreissen. Es schien ein einzelner, glühender Muskel zu sein. Timaris konnte förmlich spüren, wie das Gift von dem Gegengift verdrängt und aufgefressen wurde.
Und dann war es auf einmal vorbei. Ihr Herz war frei von Gift. Konnte wieder frei und normal schlagen. Timaris' Körper sackte erschöpft zusammen und zum ersten Mal seit langem hatte sie nicht mehr so entsetzlich kalt. Sie fühlte sich ganz leicht an. So ganz plötzlich schien alles wieder gut zu sein. Sie konnte endlich wieder entspannen. Doch vor lauter Überraschung, endlich wieder frei zu sein, hörte ihr Herz auf zu schlagen. Wie als könne es sich nicht mehr erinnern, was es zu tun hatte, nachdem es nicht mehr gegen das Gift kämpfen musste.
In dem Moment konnte sie wieder sehen. Allerdings nicht von ihrem Körper aus, wie sie augenblicklich bemerkte. Denn sie sah, wie Gualterio mit einem entsetzten Schrei aus einem qualvollen Albtraum aufwachte. Wie er mit einem Satz aus dem Bett sprang und in die Dunkelheit starrte. Lauerte ob er wirklich tot sei oder nicht.
Gleichzeitig sah sie, wie Aydens helle Haut kreidebleich wurde. Wie er seine Finger zu harten Fäusten ballte und seine sinnlichen Lippen zu einem dünnen Strich zusammen pressten. Er strahlte wilde Wut aus Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit aus.
Sie sah Kaeros, der auf dem Dach über ihr stand und über das Territorium schaute, für das Timaris bereit war, bis zum Äussersten zu gehen. Zum Schutz vor all dem unerwarteten Schmerz hatte er sich in die Gewandung des schwarzgrauen Phantoms gehüllt. Vor dem Hintergrund der gewaltigen Sturmwolken sah man ihn kaum. Wild zerrte der Wind an seinem Mantel. Doch Kaeros schien es nicht zu spüren. Er spürte nur den unendlichen Schmerz, weil er ihr Herz nicht mehr schlagen spürte. Geschlagen sank er auf die Knie.
Und sie sah Aaron, der erstarrt neben ihr an der Liege stand. Noch immer hielt er sachte ihre Hand, die er nicht losgelassen hatte, seit er sie hier hingelegt hatte. Seine schönen Augen wirkten ganz leer und sie konnte seinen Kristallkelch klirren hören.
Welten schienen in dem Augenblick still zu stehen. Doch sie war noch da. Sie würde ihr Blutdreieck nicht so einfach verlassen. Nicht nachdem sie es endlich beisammen hatte. Sie kämpfte weiter. Es brauchte zwar noch ein paar Sekunden, doch dann setzte ihr Herz endlich wieder ein. Erinnerte sich daran, was seine Aufgabe war und machte sich in ruhigem, aber beständigen Rhythmus daran, zu tun für was es da war. Gleichzeitig spürte Timaris sowohl ihren Gefährten, als auch ihren Haushofmeister und ihren Hauptmann der Wache und Kaeros unisono aufzuatmen. Na, was hatten die denn gedacht, was sie hier tun würde? Timaris wusste das schon. Dennoch wurde ihre Ausstrahlung wütend. So schnell gab sie nicht auf. Erst recht nicht, wo die Möglichkeit bestand, sich bald an Sion rächen zu können. Wind frischte um das Schloss herum auf.
"Wir werden das Gegengift nun kontrolliert durch ihren Körper fliessen lassen", informierte Sorra Daipha. "Schön systematisch, damit wir nichts übersehen und ein Giftherd sich in ihr verstecken und dort schwären kann. Als erstes werden wir die Blutbahnen reinigen, die hoch zu ihrem Kopf führen. Nicht, dass das Gift ihr Gehirn doch noch erreicht. Danach kümmern wir uns um ihre Lunge und um die restlichen, inneren Organe."
Timaris fand, das klang vernünftig. Sie spürte auch, wie sich eine angenehme Wärme von ihrem Herzen aus nach oben ausbreitete. Spürte die intensive, dunkle Kunst, die Sorra anwandte. Spürte, wie etwas, was sie schon fast als zugehörig zu ihrem Körper gefühlt hatte, aufgelöst, verbrannt und zurück gedrängt wurde. Es brannte, schien sie zu zerreissen, qualvoll und doch reinigend.
Helfen konnte sie jedoch nicht. Jetzt galt es zu warten. Timaris hatte die Geduld dazu. Jetzt hatte sie schon so lange gewartet, auf die paar Stunden kam es auch nicht mehr an. Dicht blieb sie bei Aaron stehen, umarmte ihn tröstend. Sah mit ihm zu, wie Laree ihr ihren Hals wusch und auf dem Lappen eine ekelhafte, schmierige, schwarze Substanz zurück blieb.
Gleichzeitig setzte sie sich zu Ayden auf den Schoss, streichelte ihm die Wange, so wie sie es vorhin vor gehabt hatte, schimpfte sorgenvoll mit ihm, ohne ihm wirklich zu senden.
Bei Gualterio sah sie ihm zu, wie er sich, fast schon in ritualhaften Bewegungen, duschte und anschliessend seine Uniform, seine Waffen und Rüstungsteile anlegte, als würde er gleich in den Krieg ziehen. Von einem übernächtigten Kammerdiener liess er sich ein karges, doch sättigendes Frühstück bringen. Einzig mit dem Willen zur Vernunft schien er es essen zu können. Danach schritt er zügig durch die Gänge, bis er vor ihren Gemächern stand. Die Wachen salutierten zackig. Der Hauptmann der Wache schickte sie, weiter vorne im Gang Wache zu stehen. Er selber würde den Eingang zu ihren Gemächern bewachen. Ein Ehrendienst an ihr.
Kaeros nahm sie erneut die Maske des Phantoms ab und streckte ihm ihre Hand entgegen. Gemeinsam trat sie mit ihm an den Rand des Daches, damit sie auf Draega, auf Hayll schauen konnten. Das Territorium, das ihnen im Blut, am Herzen lag und sie beide auf ihre Weise beschützen wollten.
Die Zeit verging und schien gleichzeitig stehen zu bleiben. Es wurde hell draussen. Wenigstens ein bisschen. Der heftige Wind entwickelte sich allmählich zu einem ausgewachsenen Hexensturm, der nicht viel Sonnenlicht durchliess. Es war, als würde das Land selbst auf den heftigen Kampf reagieren, der in ihrem Körper ausgefochten wurde. Timaris wollte gerne helfen, doch sie war keine Heilerin, konnte das Gift nicht so genau durch ihren Körper steuern, wie Sorra und Daipha es konnten. Wobei vorallem Sorra dies übernahm, das sie Erfahrung darin hatte, Körper auf ausgefallene Weise zu behandeln. Daipha kümmerte sich mehr um die Begleiterscheinungen.
Im Verlauf des Tages nutzte ihre Urgrossmutter auch immer mal wieder die Juwelenkraft von Aaron, um die eigene zu schonen oder aufzuladen. Die gewaltige Macht, die dabei genutzt wurde, schien dabei das ganze Schloss zum Vibrieren zu bringen. Gnadenlos zog Sorra von Aaron ab, was sie brauchte. Der Prinz gab es ihr gerne und freiwillig. Trotzdem sank er nicht selten schreiend auf die Knie, wenn Sorra ihn schröpfte.
Timaris hielt ihn dann tröstend im Arm, sagte ihm, dass er ruhig atmen sollte. Dabei konnte sie gar nicht senden. Es waren nur ihre Gedanken. Atme. Einatmen. Ausatmen. Einfach alles fliessen lassen.
Auch für Ayden hatte sie solche Ratschläge. Iss. Schlaf. Es würde Zeit brauchen, bis Sorra fertig war. Wenn Timaris wieder erwachte, brauchte sie einen gestärkten Haushofmeister.
Das galt selbstverständlich auch für ihren aufgebrachten Hauptmann der Wache. Beruhige dich. Sammle dich.
Es wurde wieder dunkel. Es versuchte wieder hell zu werden. Tage schienen zu vergehen ohne, dass die Zeit voran schritt. Der Hexensturm, der heftige Einsatz der beiden dunklesn, schwarzgrauen Juwelen, das alles schien alle den Atem anhalten zu lassen. Timaris kümmerte sich nicht darum. Sie wartete mit ihrem Blutdreieck darauf, dass das Gegengift seine Pflicht tat.
"Es ist alles aufgebraucht", meinte Sorra schliesslich irgendwann, als es wieder stockfinster draussen war. Der alten Schwarzen Witwe war Erschöpfung anzuhören. "Wir werden sehen, ob es reicht. Ihr Körper muss sich jetzt erst einmal erholen. Kleine Hexe", rief sie Laree zu sich, die mit Rhiana unermüdlich dafür gesorgt hatte, dass stets frische Handtücher, Lappen und Wasser zur Verfügung gestanden hatte. Oder dafür, dass alle Anwesenden immer hatten essen und trinken können, wenn ihnen danach war. "Wasch die Königin. Dann legen wir sie ins Bett. Und du ruh dich endlich aus", scholt sie Timaris direkt. "Du hast deinen Geist genügend herumwandern lassen. Gib ihm die Ruhe, die er braucht." Timaris blinzelte verblüfft. Zumindest zuckten ihre Augenlider etwas. Ein sachtes Lächeln huschte über ihre Lippen. Dann war sie eingeschlafen.
Als sie wieder aufwachte, lag sie wieder in ihrem eigenen Bett. Es war frisch bezogen worden und Timaris war in ein wärmendes Nachtgewand gehüllt worden. Ein viel zu wärmendes Nachtgewand. Ihr war heiss. Die langen Haare hatte man ihr zu einem Zopf geflochten. Sanftes, goldenes Morgenlicht strahlte durch die hohen Fenster herein. An einem der Fenster stand ihr Hauptmann der Wache, blickte sorgenvoll hinaus. Weiter hinten lag Aaron auf dem Sofa, wo er tief und fest schlief. Ihre Heilung hatte ihn viel gekostet. Ayden sass neben ihr am Bett, schien sie allein durch die Kraft seines Willens und Anstarrens heilen und zum Aufwachen bringen zu wollen.
"Guten Morgen", wünschte sie ihm mit einem erfreuten Lächeln, ihn wieder zu sehen. Dabei merkte sie, dass das Lächeln, das Sprechen, ja gar das Atmen, nicht mehr weh tat. Es war ganz komisch. Als ob etwas fehlen würde. So federleicht, als würde sie fliegen. Es fühlte sich wunderbar an und ihr Lächeln wurde noch strahlender.