Re: Thorndall
von Hagen » Mo 21. Nov 2022, 18:54
Die Zugbrücke war unten und die Tore offen. Die Wachen verneigten sich gar vor ihm, erkannten ihn wieder. Oder sie erkannten seine Familienähnlichkeit mit Halvar. Er durfte also wirklich wieder nach Hause. Seine Mutter hatte ihm damals zwar geschrieben, als er volljährig geworden war, doch damals war Hagen noch nicht bereit dazu gewesen. Noch zu wütend und zu verletzt über das Verstossen hatte er erst noch die Welt erkunden wollen, als sich schon wieder in den frustrierenden Dienst seiner Mutter zu stellen.
Mit klopfendem Herz hörte er auf, seine Signatur zu unterdrücken. Dunkel, stark und wild wogte sie über den Hof, welcher er nun betrat.Doch ihr schwang auch eine zärtliche Note mit, für die Leute, die er liebte. Seine Freunde, seine Familie und für ganz besondere Leute wie Jona, war auch noch ein sanftes Streicheln über die Wange dabei. Die Burg schien auf seine Signatur zu reagieren, schien ihn willkommen zu heissen. Stein erinnerte lang und Hagen selbst erinnerte sich an jeden Stein, an jede Fuge in diesem Schloss. Wie sehr er es geliebt hatte, jeden Gang zu erkunden und jede Mauer zu erklimmen. Er bekam einen Kloss im Hals. Dunkelheit, wie hatte er sein Zuhause vermisst. Es wurde ihm erst jetzt klar, als er endlich wieder hier war.
"Na dann mal rein in die Höhle des Löwen", klopfte ihm Marten auf die Schulter, als Hagen wohl zu lange stehen geblieben und gestarrt hatte. Längst waren Stalljungen gekommen und hatten Jona die Pferde abgenommen. Hagen atmete tief durch und nickte. Nach einem knappen Lächeln zu seinem neuen Kammerdiener, setzte er sich mit seinem Bruder und seinem Schwager in Bewegung, um das Hauptgebäude zu betreten. Sie betraten eine steinerne Halle, in denen viele Männer, Kämpfer waren, die sich um ihre Waffen und ihre Ausrüstung kümmerten oder miteinander trainierten. Als sie Hagen sahen, hielten sie in ihrem Tun und ihrem Schwatzen inne, starrten ihn an.
Hagen liess sich nicht davon irritieren, sondern erklomm die steinerne Treppe nach oben, wo er in eine genau so eine grosse Halle kam. Diese war jedoch mit dunklem, warmem Holz ausgekleidet. Schwere kunstvoll gewobene Wandteppiche hingen von den Wänden, die verschiedene Szenerien darstellten. Edle Vorhänge umrahmten die hohen Fenster und es gab mehrere Kamine in der Halle. In einem, am Ende der langen Holztafel lag auf einem weichen Bärenfell eine kleine Königin und schaute mit grossen Augen fasziniert zu, wie ihr Opa ein buntes Holzspielzeug auf und ab tanzen liess. Der Mann war edler gekleidet, als die Männer in der Halle unten. Mehr so wie Halvar und Marten. Das auffälligste war jedoch seine Grösse. Seine Grösse und dass er ein absolutes Ebenbild von Hagen war. Nur etwa fünfundzwanzig Jahre älter.
"Vater", flüsterte Hagen, um das Kind nicht zu erschrecken und auch weil er seiner eigenen Stimme nicht traute. Er wurde dennoch gehört. Der Mann richtete sich auf und kam auf ihn zu. "Hagen!" Rasch eilte Marten zu seiner Tochter und auch Halvar zog sich etwas zurück, damit Vater und Sohn ihre Wiedersehensfreude feiern konnten. Sie umarmten sich kräftig und lange. "Ich dachte schon, du wolltest uns warten lassen, bis wir auf dem Sterbebett liegen", schimpfte Hagens Vater irgendwann rau. Seine Augen glänzten vor Rührung.
"Niemals", wehrte Hagen ab. "Es ist nur... es gab noch so viel zu entdecken."
"Ist schon gut. Na komm, lass dich ansehen. Beim Feuer der Hölle, gross bist du geworden", sein Vater schien sich gar nicht an ihm sattsehen zu können und schob ihn Richtung Kamin. "Du hast sicher viel zu erzählen."
"Und wie", nickte Hagen, löste sich dann aber von seinem Vater, um freundschaftlich einen Arm um Jona zu legen und ihn so mit zum Kamin zu ziehen. "Bevor ich das jedoch tun kann, muss ich zu Mutter."
Nun nickte sein Vater. "Sie und Wieka sind im Arbeitszimmer und überlegen sich, was sie von den ungehobelten Befehlen der neuen halten sollen."
"Danke", lächelte Hagen, als hätte er gerade in einen sauren Apfel gebissen. Doch er wahr ehrlich froh, dass er wusste, wo er hin musste, um seine Mutter zu finden. "Ich möchte dir vorher noch jemand vorstellen. Vater, das ist Jonatan Hijalte. Jona, das ist mein Vater, Haldir Thorndall. Jonatan soll mein Kammerdiener werden und hier eine entsprechende Ausbildung erhalten. Aber erst einmal sollte er sich ans Feuer setzen und sich aufwärmen. Kannst du noch eine rufen lassen Vater? Er ist mir bei einer schweren Lungenentzündung beinahe weggestorben und ich glaube nicht, dass er sich schon gänzlich davon erholt hat."
"Natürlich", nickte sein Vater, musterte Jona aber überaus skeptisch. "Aber dein Kammerdiener, Hagen? Das ist keine gute Idee. Damit kippst du nur Öl ins Feuer."
"Er braucht Arbeit und eine gute Anstellung. Das ist alles", entgegnete Hagen trotzig und wütend darüber, dass er offensichtlich noch immer nicht so akzeptiert wurde, wie er war. Sein Vater seufzte, legte seine schwere Hand auf Jonas Schulter, nachdem Hagen sich von ihm gelöst hatte und steuerte Jona so zu dem Kamin. "Na komm, Junge. Dann wollen wir mal sehen, dass du dich nicht wieder erkältest und du Hagen, solltest deine Mutter nicht länger warten lassen. Nur erzählt ihr nicht gleich zu Anfang von deinem neuen... Kammerdiener. Das kommt nicht gut."
Verschlossen nickte Hagen und wandte sich ab, um zum Arbeitszimmer seiner Mutter zu gehen. Er hatte die gemütliche Halle schon beinahe verlassen, als ihm ein Krieger durch die Türe entgegen kam. Er war etwa in seinem Alter, schlank aber gut trainiert. Er atmete heftig, wie als hätte er sich beeilt, hier her zu gelangen. Seine hellbraunen Haare waren leicht zerzaust, die Wangen etwas gerötet und die sinnlichen Lippen vom Atmen geöffnet. Hagen erkannte mit einem Blick, dass er ein sehr schöner Mann war, auch wenn er jetzt etwas durch den Wind wirkte. Aber irgendwie machte dieses zerzaust sein, ein besonders verführerischen Eindruck. Irgendwie kam ihm der Mann auch sehr bekannt vor, doch es wollte ihm nicht in den Sinn kommen.
"Hagen", strahlte ihn der Schöne mit seinen smaragdgrünen Augen innig an.
"Hallo", erwiderte Hagen mit einem herzlichen Lächeln, gerührt von der Freude, die ihm entgegen schlug. Dummerweise wollte ihm der Name des Kriegers parout nicht einfallen. Das war ganz schön peinlich. "Ich muss rasch zu meiner Mutter und ihr meine Aufwartung machen. Nacher können wir uns in Ruhe begrüssen", wand er sich charmant aus der Situation heraus. Bis dahin würde er sich schon wieder erinnern, wer der Krieger war. Jetzt zwinkerte er ihm noch einmal zu und hastete die Gänge entlang, um sich seiner Mutter zu stellen.