Re: Thorndall
von Kian » Mo 5. Dez 2022, 07:56
Verloren und klein sass Jonatan auf dem Sofa, war dabei sichtlich nervös. Noch immer hielt er das kühlende Taschentuch gegen seine Wange. Bestimmt war es schon längst wieder warm geworden. Der Jugendliche schien es nicht zu bemerken. Leise begann er von seiner Mutter zu erzählen. Dass sie gutes für ihn gewollt hatte. Dass er etwas aus sich machte und Geld verdiente. Deswegen und weil es nicht genug Essen für alle gegeben hätte, sei er vom Hof gegangen. Kian konnte sich gar nicht so recht vorstellen, was das bedeutete. Nicht genug essen für alle. Sicherlich, er wusste, dass das einfache Volk auch einfacher lebte, als sie hier in den Burgen und Schlössern. Und gegen Ende des Winters musste man natürlich auch etwas die Nahrung rationieren, bis der Frühling kam. Doch dass man deswegen von zu Hause weggehen musste, konnte Kian sich wahrlich nicht vorstellen.
In Linaka hatte Jonatan schliesslich Hagen getroffen, der ihm angeboten hätte, dass er sein Kammerdiener werden dürfe. Zuerst sollten sie jedoch noch Jonas Eltern fragen, ob sie mit der Ausbildung einverstanden seien, da der junge Krieger noch minterjährig war. Kians Augenbrauen wanderten verwundert nach oben. Soviel Verantwortungsbewusstsein hätte er Hagen nie und nimmer zugetraut. Natürlich, er war älter geworden und damit sicher auch reifer, sollte man meinen. Allerdings nicht, wenn man sah, wie er sich aufführte, seit er hier war. Von einer hübschen Hexe zur nächsten rennend, seinen Jungen hier völlig vergessend.
Als Adliger und Kammerdiener jedoch zum Hof der Eltern gelangt wären, hatte Jonatan jedoch gesehen, wieviel auf dem Hof kaputt war und repariert werden musste. Es riss ihn hin und her. Einerseits weil er Geld für die Familie verdienen wollte, andererseits, weil man seine Arbeitskraft auf dem Hof brauchte. Doch da gab es zuwenig zu essen. Traurig schniefte der Jüngling und einige heisse Tränen rannen ihm über die Wangen, die er rasch wegzuwischen versuchte.
"Armer Junge", murmelte Kian mitfühlend. Behutsam nahm er ihm das Taschentuch ab und tupfte ihm zärtlich die restlichen Tränen von den Wangen. "So viel Verantwortung. Es muss schmerzlich sein, so hin und her gerissen zu sein." Geschickt faltete er das Taschentuch nun anders herum, kühlte es erneut und gab es Jonatan zurück, damit er es sich wieder auf die Wange legen konnte.
Es war verständlich, dass Jonatan nicht wieder dahin zurück wollte, wo er in grosser Armut leben musste. Trotzdem glaubte Kian nicht, dass dies der einzige Grund war, warum er so Freude daran hatte, Hagens Kammerdiener zu sein. Vorsichtig formulierte er seine Frage so, ob Jona vielleicht etwas zuviel an seinen Herrn denken würde. Naiv wie der Jüngling war, verstand er nicht, was Kian eigentlich meinte. Unsicher fragte er, ob es schlimm sei, wenn er zu oft an ihn dachte.
"Nun, wenn es dich davon abhält, deine Arbeit richtig zu machen, dann ist das schon nicht so gut", machte Kian ihm behutsam klar. "Manche könnten sich auch fragen, warum du so oft an ihn denkst. Schliesslich ist Lord Thorndall, wie du sagst, nur dein Herr und nichts anderes...", bohrte er nach und liess es offen, was Hagen denn sonst noch so sein könnte. Prompt wurde der Jugendliche rot, nagte nervös an seiner Lippe und blickte zu Boden. Innig versprach er, dass er versuchen würde, nicht mehr so viel an Hagen zu denken. Er wolle wirklich sein Kammerdiener sein und er würde sich besser anstrengen. Als er wieder hochschaute, schimmerte in seinen Augen der verräterische, verliebte Glanz.
"Ich bin mir sicher, dass du dein Bestes geben wirst", nickte Kian und drückte Jonatans Schulter. "Weisst du, vielleicht wäre es auch einfacher und besser, wenn du jemandes anderes Kammerdiener werden würdest. Oder vielleicht einfach ein einfacher Diener oder Stallbursche. Irgend ein Beruf, den du hier im Schloss ausführen kannst und bei dem deine Stärken liegen. Du müsstest nicht wieder nach Hause und würdest nicht dauernd abgelenkt, wenn du nicht immer an Hagen erinnert wirst."