Re: Ein langer Weg
von Kosta » Mo 10. Okt 2022, 22:12
Eneas erklärte ihm, dass er Albträume gehabt hätte und nach ihm gerufen hatte. Kosta nickte verstehend. Ja, an diese Albträume erinnerte er sich. Eneas, der in Dalmadans Feste in grosser Gefahr gewesen war. Die Wärter hatten es auf ihn abgesehen, nachdem sie mit ihm fertig gewesen waren. Kosta hatte alles gegeben, um ihn zu schützen, es aber leider nicht vermocht. Das hatte ihn gequält schreien lassen.
"Ich war nicht ganz alleine", widersprach er sachte. "Ich wurde zwar nicht von Kameraden begleitet, doch ich bekam Beistand." Prinz Asar hatte ihm sehr geholfen. Jedoch auf eine Art und Weise, die Eneas wohl die würde verstehen können. Kosta erzählte ihm jedoch nichts davon, weil er fürchtete, dass Eneas sonst versuchen würde, ihn an dem mächtigen Mann zu rächen und dabei sterben würde. Das wollte er nicht riskieren. Und von Zucker erzählte er nichts, weil Kosta wusste, dass es Eneas weh tat und er eifersüchtig wurde.
"Und ich konnte anderen Beistand geben. Das hat auch geholfen", erinnerte er sich mit einem wehmütigen Lächeln. So sehr er Minan auch gequält hatte mit den unerwünschten Berührungen, so hatte er ihm damit doch auch viel Trost und Liebe schenken können. Menschliche Nähe, die ihm zuvor verwehrt worden war. Minan hätte vielmehr Schmerzen erleiden müssen. Und in der Sternenfeste, da hatte er Kalliope im Arm halten und sie trösten können. Er hatte helfen können, dass Andiël nicht an dem verzweifelte, was er hatte schreiben müssen und er hatte helfen können, dass die beiden Liebenden, wieder zusammengefunden hatten. Dass sie Hoffnung bekamen, wo ihnen sonst alles geraubt worden war.
Das waren gute Dinge gewesen, die Kosta bewirkt hatte. Er wusste das. Es ging nur manchmal vergessen, wenn die schlechten Dinge wieder so weh taten. Wenn er manchmal selbst die Hoffnung beinahe verlor. Eneas meinte, dass er ihn nie hätte gehen lassen sollen. Kosta wusste keine Antwort darauf. Ihm wäre so sicherlich einiges erspart geblieben. Womöglich jedoch nur für eine Weile und alles wäre viel schlimmer geworden, wenn Prinz Asar es nicht geschafft hätte, das Gegengift alleine zu besorgen. Sachte drückte er Eneas Hand. Es war geschehen. Sein Liebster sollte sich deswegen keine Vorwürfe machen.
In der Vorhalle, wo mehrere Tische standen, wurden sie gleich von der alten Priesterin und einer jungen Hexe mit Frühstück versorgt. Kosta wand sich unter den lieb gemeinten Worten, dass sie doch gerne Veteranen wie ihnen helfen würden, und beeilte sich, zu helfen, das Tablett abzuräumen. Er kam sich wie ein Betrüger vor, sich so bedienen zu lassen. Er wollte niemandem zu Last fallen. Deswegen stellte er auch gleich klar, dass er kein Soldat gewesen war und auch nicht wirklich an der Front. Allerdings musste er dann eine andere Erklärung liefern, warum Eneas gesagt hatte, dass er ihm Krieg gewesen sei und warum er des Nächtens so schrie. Also gab er widerstrebend zu, dass er ein Spion gewesen war. Auch wenn er das vor Zucker immer dementiert hatte.
Die junge Hexe, Pellenea, wie er gleich darauf erfuhr, fand das sofort spannend und hatte, ihrem Blick nach zu urteilen, gleich spannende Geschichten aus Romanen von Spionen in ihrem hübschen Kopf. Kosta musste lächeln und dachte nicht im Traum daran, diese Träumereien zu zerstören. Sie war noch so jung. Sie musste noch nicht wissen, wie es in Realität war. Dass er selber nicht viel älter war, als die schwärmerische Hexe, kam ihm gerade nicht in den Sinn. Er war auch davon abgelenkt, weil er sich für Dhemlan einsetzte. Es gab so viele gute Menschen in diesen Territorien. Er wollte nicht, dass sie gehasst wurden, sollten sie den Krieg überleben.
"Hayll hat eine starke, unbeugsame Königin", erklärte Kosta, als die Hexe über die Dhemlaner herzog. Glücklicherweise sah die Priesterin die Sache etwas klarer und wiess Pellenea etwas zurecht. "Dhemlan hatte nicht das Glück, als Sion aufgetaucht war. Wenn Königin Tolarim nicht wäre, würden wir womöglich auch zerfallen und von Sion überrannt werden." Wobei Kosta nicht so recht daran glauben konnten. Hayllier stritten sich untereinander zwar heftig um Macht, doch wenn eine Bedrohung von Aussen kam, hielten diese Kampfhähne erstaunlich gut zusammen.
"Das stimmt, die Soldaten haben auch alle Familien, Lady Pellenea", griff er die Worte der Priesterin auf. "Und sie werden mit ihren Liebsten erpresst. Wenn sie nicht gehorchen, dann werden sie getötet. Das geht nicht nur dem einfachen Volk so, sondern auch den Adeligen, die Sion entmachtet hat. Trotzdem gibt es viele Rebellen in Dhemlan, die noch immer versuchen, Sion zu bekämpfen. Einen von ihnen habe ich in den Kerkern getroffen. Sie haben ihn gefoltert, bis er fast dem Wahnsinn verfallen ist, und ihn mit einem furchtbaren Brandzeichen als Verräter markiert. Es ist nicht leicht, sich gegen etwas zu wehren, was einem so Angst macht und Leib und Leben bedroht."
Es gab so viele, die Hilfe bräuchten. Kosta schämte sich, dass er hier sass und es sich gut gehen liess, anstatt selber zu helfen. Angespannt drückte er Eneas Hand, wobei er sich gar nicht mehr erinnern konnte, wie seine in die des anderen Kriegers geraten war. Pellenea versprach ihm jetzt aber wenigstens treuherzig, dass sie auch den verletzten Dhemlanern helfen würde, wenn welche kämen. Etwas, woran die Priesterin nicht so recht glaubte. Kosta nahm an, dass sie recht hatte. Trotzdem nickte er der jungen Hexe mit einem dankbaren Lächeln zu.
"Als Spion? Oh, das ist alles streng geheim", schmunzelte Kosta und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Viel lieber spielte er den geheimnisvollen Spion aus den Büchern, als die Hexe mit der grausamen Wahrheit zu konfrontieren. "Und viel zu gefährlich, um es weiter zu erzählen. Ich kann nur soviel sagen", raunte er ihr geheimnistuerisch zu. "Ich war so tief in Dhemlan, dass ich sogar mit Zorya Eacir speisen konnte. Sogar mehrfach, um ihr ihre finsteren Geheimnisse zu entlocken." Kosta wurde mit einem grossen Augenpaar belohnt, welches ihn bewundernd anblickte.
"Furchterregend, unheimlich und wahnsinnig auf sich selbst bezogen", gab er preis, wie die Spinnenkönigin denn so gewesen war. Pellenea fand das wahnsinnig spannend und schien offensichtlich noch mehr davon wissen zu wollen. Die Priesterin mahnte sie jedoch dazu, ihnen keine Löcher in den Bauch zu fragen und scheuchte sie nach draussen. Kosta schenkte ihr noch ein verwegenes Lächeln, bevor er sich auf das Frühstück konzentrierte. Eneas schenkte ihnen Tee ein.
"Soll sie noch etwas träumen", murmelte er auf Eneas Erklärung, dass er für Pellenea ein Held wäre. "Wenn echte Veteranen und Kriegsversehrte hier her kommen, wird sie noch früh genug mit der Realität konfrontiert." Fast wünschte er sich, dass niemand hier her kam, um Trost zu suchen. Dabei fühlte sich das Gebäude wirklich gut an. So ruhig und voll innerem Frieden.
Eneas fuhr fort, dass Kosta auch für ihn ein Held sei. Kosta blickte überrascht auf und musterte Eneas nachdenklich. Sein Freund war eben noch immer ein Träumer. Egal, was er alles schon hatte erleben müssen. Eneas überlegte derweil, dass er wohl niemals richtig ermessen konnte, was Kosta alles hatte ertragen müssen. Kosta fand, dass Eneas da nur froh sein sollte darum. Aber Eneas schien das trotzdem zu wollen. Dabei half das ihnen beiden doch auch nicht. Kosta wollte schon etwas in die Richtung sagen, als Eneas von selbst auf die Idee kam, dass er das womöglich auch gar nicht müsste. Solange er jetzt für ihn da sein könne. Es sei so schön, dass es ihm wieder etwas besser ginge.
Etwas überwältigt von den lieben Worten, blickte Kosta den anderen Krieger verliebt und herzlich an. Das Schälchen mit Haferbrei und Obst ignorierte er erst einmal. Stattdessen erhob er sich ein Stück von der Bank und beugte sich vor, um Eneas einen zarten Kuss auf seine sinnlichen Lippen zu geben. Sanft, aber nicht federleicht und flüchtig, sondern spürbar und voller Hingabe. Wenn auch ohne Zunge und ohne Bewegung, die Augen jedoch hingebungsvoll geschlossen.
"Du kannst mich immer fragen, wenn du etwas wissen willst", erklärte er Eneas aufrichtig, nachdem er den Kuss behutsam wieder gelöst und sich zurück auf die Bank gesetzt hatte. "Ich werde dir nur nicht auf alles antworten. Aber fragen kannst du immer, Eneas." Kosta kam es so vor, als würden jede Menge Fragen in Eneas brodeln. Fragen, die ihn nicht zur Ruhe kommen liessen. Was ihnen beiden es verwehrte, einen Weg zu finden, zusammen zu kommen.