Re: Hexe
von Darken » Sa 28. Jan 2023, 10:02
Selbst wenn er sich im Verzerrten Reich aufhielt, so erreichte ihn auch hier die Müdigkeit und Schwäche und irgendwann lehnte er nur noch matt an der Statue, die langsam hinter ihm porös wurde und bröckelte. Die Querflöte entglitt ihm, holperte und rollte über den Marmor bis in den Schatten wo ihr Lauf plötzlich von einem Fuß aufgehalten wurde. Darken schreckte auf, doch die Szenerie hatte sich verändert, er hockte in einem halb verfallenen Haus, das innen verwüstet schien. Ein anderer Mann in seltsamer schwarzer staubiger Kleidung hielt ihm die Flöte entgegen.
"Hier, die brauchst du noch."
Darken nahm mißtrauisch die Flöte entgegen, blickte an sich herab. Seine Kleidung bestand in einer schwarzen Uniform, die schon mit getrocknetem Blut bedeckt war. Statt Flügel ragten ihm nur Stummel aus dem Rücken, aber er hatte zwei Hände. Hatte er das nicht immer gehabt? Nein, du träumst... es ist ein Traum. Als Schwarze Witwe wußte er das sehr genau. Dummerweise half ihm das überhaupt nicht, denn er es schaffte es nie aus eigener Kraft aufzuwachen. Der Fremde lief aus dem Haus, seine Stiefel knirschten über aufgesprungene Steinplatten und Glassplitter. Darken trat langsam zu einem zerbrochenen Spiegel vor seinen Füßen. Spiegel... aber dann hörte er von draußen plötzlich ein Pfeifen und Heulen wie von einem heftigen Wind bis irgendwo etwas mit ohrenbetäubenden Krachen einschlug, so dass das ganze Haus in seinen Grundfesten erbebte und Darken erst einmal von den Füßen riss. Er fiel schmerzhaft in den Spiegel, schnitt sich seine linke Hand etwas auf.
Fluchend rappelte er sich auf, umwickelte den Schnitt mit einem Fetzen seiner schwarzen Tunika. Von draußen war Waffenlärm und Schreie zu hören, dann wieder das Surren von Pfeilen und Schmettern von Katapulteinschlägen. Darken wollte gar nicht nach draußen gehen, aber als irgendwo im Haus etwas einstürzte, tat er es doch. Mit Sandsäcken waren Sichtschütze gebaut und er sprang in einen Graben, als vom Himmel ein greller Blitz herabzuckte und nur einige Meter entfernt, eine gewaltige Säule aus Erde emporschoss, Menschenleiber wie Puppen umherwirbelten und in Fetzen gerissen wurden. Dreck und Grasnarben regneten auf sie nieder und Darken robbte durch den Graben blindlings weiter in eine Richtung, die ihm sicher erschien. Die Flöte hatte er immer noch umklammert. Wo war er hier? Und warum blitzte es, wenn es taghell war?
In der Wirklichkeit regte sich sein Körper unruhig und unter den geschlossenen Augenlidern bewegten sich seine Pupillen rasch. Ab und zu spannte sich sein Körper an oder seine Hand ballte sich zur Faust, aber Darken selbst merkte nichts davon, er steckte mitten in dem Albtraum. Doch irgendwie fühlte er sich so seltsam unbeteiligt, wie als wäre er nur ein winziger bedeutungsloser Punkt in irgendeiner Welt. Ging es darum? Ihm vorzuführen wie wenig er ausrichten konnte? In seinen Albträumen drehte er sich häufig um Machtlosigkeit, Wehrlosigkeit. Er robbte mühsam weiter, kroch über einen halb verwesenden Pferdeschädel. Der Rest des Kadavers war von Erde überschüttet. Weiter hinten und an Seiten hörte er immer noch den Lärm vom Kampf, manchmal sah er auch die Krieger der zwei Lager, wenn er kurz über den Grabenrand hinweg blickte um sich zu orientieren. Plötzlich wurde es schlagartig dunkel, er schmeckte Asche auf der Zunge, über ihren Köpfen knisterte und brodelte es als sich am Himmel die Wolken immer schneller um sich selbst zu drehen begann. Ein Hexensturm? Ein verästelter breiter Blitz krachte gierig herab und Darken zog sich rasch aus dem Graben, als er knapp hinter ihm einschlug. Die Druckwelle schleuderte ihn weiter, er wurde herumgewirbelt wie ein Blatt bis er schmerzhaft gegen etwas krachte, was ihm die Luft aus den Lungen trieb. Zuerst tat es gar nicht so weh, aber als er sich regte und sich aufrappelte, löste sich ein Schwert aus seiner Seite mit einem unguten Schmatzen. An sich herabblickend, sah er wie seine ohnehin schon schwarze Kleidung sich noch etwas dunkler färbte. Warmes Blut floss schwallartig über seine Seite und in seine Hose hinein. Sein Blick fuhr langsam herum, er entdeckte den Krieger, der ihn getroffen hatte, er saß auf dem Boden, das Schwert umklammert, aber seine Augen waren vollkommen leer und sein gespaltener Helm erklärte das Übrige.
Sinnlosigkeit, dachte Darken. Warum ich? Die Frage, die er nie würde beantworten können. Er presste die freie Hand auf die Wunde, taumelte weiter. Asche regnete vom Himmel, doch er ging aufs Zentrum des Sturmes zu. Die Fußabdrücke, die er hinterließ, waren blutig.