Re: Asyl
von Darken » Di 8. Nov 2022, 21:08
Die Königin schien nicht verärgert, dass er ihr nicht genug vertraute, um sich bei ihr auszuweinen. So sagte sie nur laut, dass sie nun aufbrechen würden und der Trupp aus den vier Dea al Mon, Caelvar und ihm selbst setzte sich in Bewegung. Der junge Prinz war noch nie so mitten drin in einem Wald gewesen, weswegen er sich äußerst neugierig und gespannt umblickte, dann und wann auch schreckhaft zusammenzuckte oder einen raschen Ausweichschritt machte, wenn er ein unbekanntes Geräusch hörte oder eine Bewegung aus den Augenwinkeln sah, die er nicht einschätzen konnte. All die Jahre hatte man ihn meist in Verschlägen gehalten, ihn nie oft nach draußen gelassen und selbst wenn, dann hatte man ihm gewiss keine Zeit gelassen, die Umgebung zu betrachten. Erst in Hayll hatte er ausgiebig durch den Garten spazieren können, doch das war natürlich nichts im Vergleich zu dem riesigen Wald hier in den sie immer tiefer vordrangen. Verstohlen blickte Minan zu Caelvar, der bisher wenig gesagt hatte, aber sie hatten auf der Reise hierher auch einiges durchgemacht und ihre zarte Freundschaft war dadurch empfindlich angeknackst worden, nicht zuletzt auch durch den Anderen. Sein Blick ging wieder zu den Dea al Mon, die sich mit natürlicher Anmut durch den Wald bewegten. Minan konnte sich nicht vorstellen wie es war hier zu leben, doch es war schön und seine Angst nahm allmählich ab. Fasziniert sah er zu wie die Sonne durch das Blätterdach schien und dadurch einen grünen Farbton erhielt, der alles noch magischer und unwirklicher erscheinen ließ. Ein Kribbeln überzog seine Haut.
Zwar bewegte er sich selbst nicht so schnell wie die Dea al Mon, da er die fremde Umgebung nicht gewohnt war, doch seine Schritte waren sacht und seine Bewegungen grazil. Man sah ihm an, dass er seinen Körper gut beherrschte und unter Kontrolle hatte.
Die Königin ging wieder neben ihm her und versuchte ihm noch einmal zu erklären, weswegen er hier war und dass es nur daran lag, dass die Schwarzen Witwen von Sion ihn suchten. Dann fragte sie ihn, was er meinte, dass er ständig in Gefahr gewesen war. In ihrem Tonfall hörte Minan nichts Lauerndes oder Verschlagenes heraus, sie klang so anders als Timaris oder die anderen Frauen, die Minan im Laufe seines Lebens kennengelernt hatte. Er wußte nicht wie er Eoshan einschätzen sollte. Sie zog nun ihre eigenen Schlussfolgerungen aus seinen vorherigen Worten und fragte nach, ob er als Sklave behandelt worden war.
Minan blickte bei der Frage wieder nach vorne, nickte nur schwach, brachte aber kein Wort heraus. Erst als sie voller Überzeugung sagte, er müsse nichts für sie tun, gab er ihr einen halb zweifelnden halb erstaunten Seitenblick. Meinte sie das ernst? Er mußte vorsichtig bleiben. Und ihre letzten Worte verstand er auch nicht.
"Nein.. ich habe niemanden erwählt", antwortete er. Bisher war es eher so gewesen, dass man ihn erwählt hatte, fügte er in Gedanken hinzu, sagte es aber nicht laut. "Ich habe auch nichts was ich einer Königin bieten könnte. Außer meinem Körper, aber das habe ich nie gewollt." Der zerbrochene Prinz zog es vor, lieber wieder zu schweigen. Mit seinen Worten hatte er angedeutet, dass er nicht irgendein Sklave gewesen war, sondern Lustsklave, doch mehr war er nicht bereit zu sagen. Auch weil es schmerzhaft war daran zu denken. Während sie weitergingen, streifte seine Hand ab und zu einen der Bäume an denen sie vorbeikamen in der Hoffnung, er würde sich diese Stelle vielleicht merken und den Weg zurückfinden. Zaghaft blickte er zu den anderen Dea al Mon, die sich im Hintergrund hielten. Er hatte fast das Gefühl, er könnte das Wispern ihrer Speerfaden hören, die wie Pfeilspitzen durch den Wald hin und her huschten.
Plötzlich raschelte es weiter vorne im Gebüsch und zwei Rehe waren zu erkennen, die gemächlich über den Wildwechsel gingen und kurz die schlanken Köpfe hoben, um zu den Menschen zu blicken. Minan spannte sich instinktiv an. Er versuchte, sich zu erinnern, ob er solche Tiere schon einmal gesehen hatte. Vielleicht als Talian im Wald gejagt hatte... nur, dass die Rehe nicht die Beute gewesen waren.
"Gibt es hier eigentlich Wölfe?", fragte er leise furchtsam.