Re: Das Geschenk einer Blume
von Kayne » Do 7. Mär 2024, 16:30
Kayne wachte auf und fühlte sich wie zerschlagen. Er hätte wohl überhaupt nicht geschlafen, hätte Hendrik ihm nicht ein Schlafmittel in den Tee gegeben. Jedenfalls war sich Kayne ziemlich sicher, dass es so gewesen war. In einem Moment hatte er sich noch laut Vorwürfe gemacht, die Teetasse in der Hand, im nächsten wußte er nur noch, dass er vor seinem Bett zusammengeklappt war. Hendrik hatte ihn offenbar noch hinein gelegt und so wachte Kayne nun auf, zwar wach, aber nicht im mindesten erholt. Wie könnte er auch? Er brauchte nur an letzte Nacht denken und schon fühlte er die Schuldgefühle und den Schmerz erneut in sich aufsteigen.
Ein Klopfen an der Türe riss ihn aus seinen schwermütigen Gedanken.
"Verschwinde, ich will nicht aufstehen, ich will überhaupt nichts machen", murrte Kayne und drehte sich um. Das Klopfen wurde ein wenig lauter. "Was hast du mir überhaupt für ein Zeug in den Tee getan?" Er setzte sich nun doch auf und rieb sich die Stirn.
"Gift", erklang es gedämpft hinter der Türe, "Wenn du dich nicht innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden bei ihr entschuldigst, zerreißt es dein Herz."
Kayne konnte über den Scherz nicht wirklich sehr lachen. Sein Herz fühlte sich bereits so an, als wäre es zerrissen.
"Und wie? Sie will mich ja nichtmal sehen..."
"Dann mußt du sie eben dazu bringen", erklang wieder Hendriks Stimme gedämpft. Kayne seufzte und öffnete dann doch die Türe.
"Genau, denn das hat ja beim letzten Mal so wunderbar geklappt, als ich die Initiative übernommen habe", gab er bissig zurück ehe sein Gesichtsausdruck wieder milder und eine Spur trauriger wurde. "Tut mir leid... dass du dir das alles anhören mußt."
Der alte Schneider wollte gerade etwas darauf sagen, als sein Blick sich veränderte und er hinter Kayne starrte. Auch der spürte plötzlich das Einsetzen von Kunst und als er sich umwandte, lag da das Bild. Für eine kurze Sekunde glaubte er, er hätte sich vielleicht nur eingebildet, es ihr geschenkt zu haben und dann glaubte er - was noch viel schrecklicher war - sie würde es ihm zurücksenden, weil sie es nicht haben wollte. Doch der Moment verging glücklicherweise, als die tiefrote Blüte daneben erschien, mitten zwischen den weißen zerknitterten Falten seiner Decke schwamm wie in einem Meer aus Milch...
Kayne leckte sich nervös über die Lippen. Zaghaft streckte er seine Sinne aus, konzentrierte sich und spürte dann Siandra in der Nähe.
"Oh, Dunkelheit, sie will mit mir reden! Sie will-" Alles andere war vergessen, Kayne wirbelte herum und stolperte die Treppen herunter, nur jede zweite Stufe nehmend. Er war schon fast bei der Tür als ihm aufging, dass er ja so unmöglich Siandra unter die Augen treten konnte. Er rannte ins Bad und kurze Zeit später hörte man das Plätschern von Wasser und irgendetwas Scheppern und viel Gefluche.
Als er wieder hinaushetzte, seine Haare rasch mit der Kunst trocknete, hielt ihm Hendrik bereits breit schmunzelnd, frische Kleidung entgegen.
"Nun mach schon, du Held."
Kayne schlüpfte in die Kleidung, eine dunkelblaue Hose und ein weißes Hemd, befürchtete dass Siandra schon die Geduld verloren hätte, doch sie war noch in der Nähe. Er rannte zur Türe, hielt dann aber wieder inne, was Hendrik dazu brachte mit den Augen zu rollen. "Was wenn... wenn sies beenden will?", schluckte er.
Der alte Schneider hinter ihm stöhnte auf und schlug sich gegen die Stirn. "Das will sie ganz sicher nicht. Geh endlich." Er schob Kayne halb zur Türe raus. "Ich hoffe, die Frau ist nicht so chaotisch wie du."
"Warte- ... was? Ich bin chaotisch?"
Dann stand Kayne schon vor der Schneiderei. Nervös fuhr er sich durchs Haar und ging in die Richtung wo er Siandra spürte. Lange mußte er dafür nicht suchen. Sie lag friedlich schlummernd in einem Boot in dem Kanal direkt vor der Schneiderei. Die Sonne beschien ihren wunderschönen Körper, sie hatte ein weißes Sommerkleid an und sah einfach malerisch aus. Vorsichtig setzte sich Kayne auf die Kanalmauer und blickte lächelnd zu ihr hinunter, auch jetzt durchströmte ihm bei ihrem Anblick seine Liebe zu ihr, er konnte sich einfach nicht helfen.
"Siandra... es tut mir so leid", sagte er ihr leise. Er liebte sie doch so sehr. Es durfte nicht vorbei sein, nur weil er einen einzigen furchtbaren Fehler gemacht hatte.